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INTERNATIONAL/017: Afghanistan - Kultur eröffnet neue Kriegsfront (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Mai 2013

Afghanistan: Kultur eröffnet neue Kriegsfront

von Giuliano Battiston


Bild: © Giuliano Battiston/IPS

Besucher des Musikfestivals 'Sound Central' im Französischen Kulturzentrum in Kabul
Bild: © Giuliano Battiston/IPS

Kabul, 13. Mai (IPS) - In Afghanistan tobt ein zweiter Krieg, bei dem allerdings keine Bomben hochgehen und keine nächtlichen Angriffe stattfinden. Es ist ein Kampf um kulturellen Einfluss.

Im vergangenen Sommer, als der Königinnenpalast im Garten von Babur die afghanische Ausgabe der 'Documenta 13' beherbergte, fragten sich viele Beobachter in der Hauptstadt Kabul, welche Rolle Kunst und Kultur in einem kriegszerrissenen Land wie Afghanistan spielen. Ihr Fazit: Sie können dazu beitragen, die Militärokkupation zu rechtfertigen oder ein Bild von Afghanistan zu vermitteln, das mit der instabilen und chaotischen Wirklichkeit im Lande wenig zu tun hat.

"Kultur ist ein wichtiges Instrument geworden, um die Wahrnehmung von Afghanistan zu beeinflussen", sagte im letzten Jahr Aman Mojaddedi, ein US-amerikanischer Künstler afghanischer Herkunft, der die Documenta 13 in Kabul mit dem italienischen Kurator Andrea Viliani organisiert hatte.

Frankreich, Deutschland, Großbritannien und die USA würden "mehr und mehr Geld in die Kultur investieren", erklärte Mojaddedi. Mit der Unterstützung wollten die Länder zeigen, dass die internationale Präsenz in Afghanistan Erfolg gehabt habe und die Afghanen inzwischen ein normales Leben führten. "Ohne Zweifel gibt es eine gewisse Manipulation", meinte er.

Nach Ansicht des bekannten afghanischen Experten Gilles Dorronsoro versuchten schon die Sowjets vor vielen Jahrzehnten und nun die westlichen Länder Afghanistan "ein soziales Modernisierungsmodell aufdrängen, das für die Lokalbevölkerung mit Ausnahme der städtischen Eliten nicht akzeptabel ist".


Interesse junger Leute an neuen Kunstformen

Zabi Siddiq, dessen Familie aus dem Panjshjr-Tal stammt, widerspricht: "Ich interessiere mich für neue Kunstformen, da sie zeigen, dass eine bessere Zukunft möglich ist, sogar in Ländern wie Afghanistan", erklärte der Teenager, der mit hunderten anderen jungen Afghanen das dritte 'Sound Central'-Musikfestival im Französischen Kulturzentrum in Kabul vom 30. April bis 4. Mai besucht hatte.

Das Festival geht auf die Initiative des Fotojournalisten Trevis Beard zurück, der, unzufrieden mit der Musik- und Kulturszene in Afghanistan, vor zwei Jahren mit Freunden das Sound Central gegründet hatte. "2011 veranstalteten wir das erste große Musikevent in Kabul. An einem Tag traten bei uns acht Rockbands auf", erzählt er stolz.

Seitdem hat sich das Festival an Größe zugenommen, und auch die Zahl der Sponsoren ist gewachsen. Der großzügigste Geber ist die staatliche Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA). Außerdem beteiligen sich Botschaften und internationale Geber, während private Sponsoren eher selten sind.

Bei der dritten Ausgabe von Sound Central standen Rock- und Heavy-Metal-Konzerte, Rap-Performances, eine Fotoausstellung und eine Aufführung des Puppentheater-Ensembles 'Parwaz' auf den Programm. Im Publikum saßen zumeist junge Afghanen und Ausländer - Journalisten, Fotografen und Beschäftigte von Nichtregierungsorganisationen.

Unter einem lilafarbenen Zelt kreierten Künstler Graffiti. Einer von ihnen war der etwa 20-jährige Reza Amiri, der seit einem Workshop an der Universität von Kabul Graffitis herstellt. Er ist ein erklärter Anhänger der 24-jährigen Shamsia Hassani, die von internationalen Medien als erste Graffiti-Künstlerin des Landes gefeiert wird.

Amiri mag diese künstlerische Ausdrucksform, weil man damit "heiße Themen auf eine direkte und wirkungsvolle Weise angehen kann". Er zeigte auf ein Graffiti, das das Gesicht einer Frau und die Worte 'lass mich atmen' zeigt. "Afghanische Frauen dürstet es nach Freiheit", erläuterte er.

Der 27-jährige Folad Anzurgar verfolgt einen eher konventionellen Weg. Auf seinen Ölgemälden stellt er die Leiden des Krieges, die "Schönheit des Friedens" und die "traditionelle Lebensweise der Afghanen" dar. Graffiti und Rockmusik sieht er mehr für jüngere Leute geeignet. "Diese Kunstformen können nicht das kulturelle Erbe unseres Landes ersetzen, das viel tiefer verwurzelt ist."

Vor allem die Menschen in den ländlichen Regionen Afghanistans, wo drei Viertel der Bevölkerung leben, sind der Ansicht, dass zeitgenössische Künstler fremde Werte in die Kultur einführen. Viele von ihnen haben noch nie in ihrem Leben Rockmusik gehört.

Sulyman Qardash ist der Sänger der Rockband 'Kabul Dreams'. "Wir haben inzwischen eine Menge Fans im In- und Ausland", sagt er. Die meisten kommen aus Kabul. Quardash, der bereits in der Türkei, im Iran, in Indien und in Usbekistan aufgetreten ist, hat in seinem Land noch nie außerhalb der Hauptstadt auf der Bühne gestanden.


"Hybridisierung" der Kultur

"Es ist nicht zu bestreiten, dass wir mit unserem Festival neue kulturelle Themen einführen", sagt Beard. "Wir drängen uns damit aber nicht auf, sondern bieten den Afghanen nur eine neue Plattform, die sie nutzen können aber nicht müssen." Trotz der Zuwendungen aus dem Ausland sieht er das Festival frei von jeglichem politischen Einfluss.

Mojaddedi zufolge ist jede Kultur von fremden Elementen durchdrungen. Überall auf der Welt finde eine "Hybridisierung" statt - eine durch kulturellen Austausch erfolgende gegenseitige Bereicherung. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://soundcentralfestival.com/
http://www.ipsnews.net/2013/05/culture-becomes-latest-front-in-afghanistans-war/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 13. Mai 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Mai 2013