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BUCHBESPRECHUNG/058: Gerhard Czermak "Problemfall Religion. Ein Kompendium ..." (Ingolf Bossenz)


Problemfall? Glücksfall!

Kirchenkritiker Gerhard Czermak rüstet seine Leser für das Entlarven verklärender Versatzstücke

Von Ingolf Bossenz, 7. Juni 2014



Der Glaube versetzt nicht nur Berge, sondern bisweilen auch Kunstkuratoren in Rat- und Fassungslosigkeit. Jedenfalls war der Angriff auf ein Werk in der Ausstellungshalle Portikus in Frankfurt am Main »offensichtlich glaubensmotiviert«, wie eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft erklärte. Vergangenes Wochenende rissen dort drei Männer aus der Installation »God is Great« des Briten John Latham einen Koran, der mit Bibel und Talmud auf zersplittertem Glas eine Art dreifaltig-frommer Fantasie bildete.

Der dreiste Diebstahl erhellt, wie weit das Feld reicht, das vom »Problemfall Religion«, wie der Kirchenkritiker Gerhard Czermak sein neuestes Buch getitelt hat, betroffen ist. Ein Feld, dessen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gewaltig und gewalttätig gewachsene Ausmaße kaum überschätzt werden können.

Wie immer der Schriftsteller André Malraux sein kryptisches Diktum, das 21. Jahrhundert werde eines der Religion sein oder es werde nicht sein, gemeint hat: Seit Anbeginn ist dieses Säkulum von einer robusten religiösen Dimension geprägt, die den von Nietzsche im 19. Jahrhundert verkündeten und im 20. scheinbar vollstreckten »Tod Gottes« konterkariert.

Dass sich dabei vor allem die terroristisch-militante Variante des Islam im medialen Fokus befindet, lässt leicht vergessen, dass wir es mit einer globalen weltanschaulichen Auseinandersetzung zu tun haben, bei der über Jahrhunderte und Jahrtausende gewachsene Glaubenskonstrukte zur Disposition stehen. Für deren Protagonisten und Anhänger geht es nach wie vor nicht einfach um die eine oder andere Sicht auf den angeblich gleichen Gott, wie es schlichterweise sedierend suggeriert wird.

Das Theologische entbehrt zwar der Logik. Aber nicht der Logistik, also der Mittel und Wege, Botschaft und Ideologie zu transportieren. Dass davon im sogenannten Informationszeitalter alle berührt werden respektive betroffen sind, ist eine Binsenweisheit, der indes erhebliche Defizite an religiösen Grundkenntnissen sowie an Wissen zu deren kritischer Reflexion gegenüberstehen.

Insofern ist Czermaks »Problemfall« ein echter Glücksfall. Dieses »Kompendium der Religions- und Kirchenkritik« liefert jenes Basiswissen, das für Kenntnis, Beurteilung und Bewertung sowohl des Religiösen als Wesen wie seiner konkreten Konfessionen und Glaubenswelten obligat ist. Zwei Klischees, die gern in Rezensionen Verwendung finden, seien hier ausdrücklich genannt: Das Buch ersetzt eine ganze Bibliothek (zumindest ein Dutzend Bände) und es liest sich wie ein Kriminalroman (mit reichlich Toten und Tätern), was bei einem veritablen Nachschlagewerk - das hier gleichfalls vorliegt - durchaus ungewöhnlich ist. Dennoch konzentriert sich Czermak nicht wie Karlheinz Deschner in dessen »Kriminalgeschichte des Christentums« ausschließlich auf die schwarzen Seiten des Glaubenseifers. Seine Darstellung von Grundlagen, Genesis und Gegenwart der Religion und der Religionen ist stringent, sachlich, fair. Die Absenz hechelnder Polterpolemik so mancher Streiter für einen »wahren Atheismus« ist ebenso wohltuend wie es die assoziativen Argumentationsketten sind, die der Autor aus Faktischem schmiedet und deren Zerreißprobe er dem Leser überlässt.

Schwerpunkt der Schrift ist das Christentum, bei dem der Autor hierzulande die meisten Versäumnisse hinsichtlich einer kritischen Betrachtung sieht. Zwar werde in Deutschland »Religionswissenschaft heute zunehmend auch außerhalb der Theologie betrieben, aber mit Religionskritik tut sich die Religionswissenschaft immer noch sehr schwer: Sie ist politisch-gesellschaftlich unerwünscht.« Angesichts aktueller medialer Euphorie über den jetzigen Mann auf dem Stuhl Petri dürfte dieses Schwertun neue Gründe finden. Papst Franziskus' Gerede von einer »Kirche der Armen« ist längst zur magischen Metapher geworden. Czermak setzt dagegen: »Von einer Kirche der Armen konnte spätestens seit dem 4. Jh. keine Rede mehr sein.« Wer seinen Abriss der christlichen Kirchengeschichte gelesen hat, ist jedenfalls gerüstet für das Entlarven verklärender Versatzstücke.

Dass die wichtigsten nichtchristlichen Religionen auf insgesamt gerade mal 50 Seiten abgehandelt werden, ist schade, aber der Schwerpunktsetzung wie der Spezialisierung des Autors geschuldet. Immerhin werden in diesem Teil Legenden zerstört, so der Mythos von der absoluten Friedfertigkeit des Buddhismus oder die Fiktion einer besonderen Toleranz des Islam gegenüber nichtmuslimischen Untertanen in einer bestimmten historischen Phase.

Der Autor konnotiert das Religiöse vor allem mit Unwissenheit und intellektueller Unredlichkeit. Das ist sehr eng und ignoriert Ansichten wie die Albert Einsteins von einer Gott-losen »kosmischen Religiosität«. Das Religiöse wird so leider der anmaßend-usurpatorischen Interpretation und Vereinnahmung durch die Kirchen, die organisierten und institutionalisierten Religionen überlassen.

Czermaks Beweisführung ist dort stark, wo es um die Verflechtung, Verkettung und Verfilzung des Religiösen mit dem Kultisch-Kirchlichen sowie dem Staatlich-Politischen geht. Die De-facto-Ausgrenzung atheistischer respektive agnostischer Bevölkerungsteile in Deutschland vom Proporz-Protokoll sakral-staatlicher Siegelbewahrer ist gerade angesichts der Ausweitung dieses Privilegiensystems auch auf muslimische Glaubensgruppen von dringender Aktualität. Dabei geht es nicht, wie notorisch geargwöhnt, um Diskriminierung des Islam, sondern um die überfällige Gleich-, nämlich Normalbehandlung aller Religionen nach säkularen Regeln und Rechten.


Gerhard Czermak: Problemfall Religion. Ein Kompendium der Religions- und Kirchenkritik. Tectum Verlag Marburg. 480 S., geb., 24,95 EUR.

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Quelle:
Ingolf Bossenz, Juni 2014
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlicht in Neues Deutschland vom 07.06.2014
http://www.neues-deutschland.de/artikel/935242.problemfall-gluecksfall.html


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2014