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BUCHBESPRECHUNG/059: Jenny Marx zum 200. Geburtstag (Gerhard Feldbauer)


Jenny Marx zum 200. Geburtstag

Eine Biografie und die Briefe geben Zeugnis vom Leben der leidenschaftlichen Sozialistin

von Gerhard Feldbauer, 20. September 2014



Mit etwas Verspätung hat der Karl Dietz Verlag Berlin eine Biografie und Briefe von Jenny von Westfalen, der Ehefrau und Kampfgefährtin von Karl Marx, zu ihrem 200. Geburtstag am 12. Februar 2014 herausgebracht. Die Lebensbeschreibung stammt von Angelika Limmroth, die Briefe hat die Autorin mit Rolf Hecker zusammengestellt. Sowohl die Gestaltung des Lebens der "mutigen, starken Frau des 19. Jahrhunderts" als auch die sorgfältig ausgewählten 329 Briefe und schriftlicher Nachlass würdigen eindrucksvoll den Jahrestag.

In der Biografie wird dem Leser eine eigenwillige und engagierte, kluge und gebildete Frau von außergewöhnlicher Schönheit vor Augen geführt, die in einer zum Beamtenadel gehörenden Familie mit gehobenem Lebensstandard und gesellschaftlichem Ansehen aufgewachsen, sich für das entbehrungsreiche Leben an der Seite eines revolutionären Mannes der Wissenschaft entschied, der nicht nur von der Gesellschaft abgelehnt wurde, sondern - ausgenommen ihr Vater Ludwig von Westfalen - auch von ihrer Familie.


Eine Fundgrube von Quellen

Rolf Becker, Ökonom und Marx-Engels-Forscher, Bearbeiter von MEGA- und MEW-Bänden, hat zur Geschichte des "Kapitals" publiziert, "Familie Marx privat" und "Karl Marx is my father" geschrieben. Auch Angelika Limmroth fängt nicht bei Null an. Sie hat 2003 und 2006 bereits zwei biografische Skizzen über Jenny Marx geschrieben. Nun greift sie in die Vollen, hat die Fachliteratur durchforstet, gewichtige Archive ausgewertet und aus umfangreichen Darstellungen der Familiengeschichte geschöpft, deren Wiedergabe manchmal fast zur Überfülle wird, was aber tiefergehende Rechercheure als Fundgrube von Quellen werden zu schätzen wissen. Der Leser erfährt, dass Jenny von Westfalen, als "Ballkönigin" der Trierer Gesellschaft Aufsehen erregte, bevor sie ihren Karl kennenlernte, schon einmal verlobt war und auch ehe sie die Persönliche Bekanntschaft von Friedrich Engels machte, Sympathisantin des "Jungen Deutschland" war, dem der engste Freund von Marx unter dem Namen Friedrich Oswald angehörte.


Mit leidenschaftlicher Teilnahme

Mit Leidenschaft und großem Verständnis nimmt Jenny an den gewaltigen Arbeiten und Kämpfen ihres Mannes teil. Die Niederlagen in den Revolutionen 1948/49 zwingen beide, Deutschland zu verlassen. Mehrjährigen Aufenthalten in Paris und Brüssel folgen dreißig Jahre in London, das immer Exilort blieb, nie zur Heimat wurde. Gemeinsam mit Marx bewältigt Jenny das von Geldsorgen, Ausweisungen und Anfeindungen belastete Exilleben. In bitterster Armut bringt sie sieben Kinder zur Welt, von denen nur drei Töchter das Erwachsenenalter erreichen. Sie schrieb die schwierigen Manuskripte ihres Mannes ab, korrespondierte in seinem Namen mit Joseph Weydemeyer, Louis Kugelmann und anderen internationalen Partnern, führte Verhandlungen mit seinen Verlegern, besuchte für ihn politische Versammlungen. Sie wird zur engagierten Sozialistin der europäischen Arbeiterbewegung und aktiven Mitstreiterin des Theoretikers und Begründers ihrer wissenschaftlichen Weltanschauung, der auf ihr Urteil stets großen Wert legte. "Ohne Jenny von Westfalen", bekannte ihre Tochter Eleanor Marx-Aveling, "hätte Karl Marx niemals der sein können, der er war. Beide passten vollkommen zusammen und ergänzten sich." Und über die Mutter: "Von außerordentlicher Schönheit, (...) voll glänzender Begabung und Witz, ragte Jenny aus Tausenden hervor."


Mit Marx Krisen gemeistert

Angelika Limmroth verheimlicht nicht, dass diese großartige Frau mit Karl Marx Krisen erlebte und meisterte, darunter auch 1851 die Geburt seines außerehelichen Sohnes, den er mit der "herbhübschen Lenchen", der Haushälterin und Freundin der Familie, hatte. Dass diese für Marx "menschliche Katastrophe" zu seinen Lebzeiten verschwiegen wurde, war, wie Limmroth schreibt, der Tatsache geschuldet, dass das "Wasser auf die Mühlen seiner Widersacher gewesen" wäre. Engels übernahm die Vaterschaft und der Junge wurde auch nach ihm Frederick genannt. "Auch Jenny habe "um die lauernde Häme der politischen und gesellschaftlichen Gegner" ihres Mannes gewusst, und dass sie bei ihm blieb, zeige "ihre Größe, ihre Weitsicht, ihre politische Überzeugung und vor allem ihre enge Beziehung zu Marx". Völlig anders stellt sich die Frage, warum diese Krise in Marx-Biografien früherer sozialistischer Länder, darunter auch in der DDR, verschwiegen wurde, obwohl gerade diese menschliche Schwäche den großen Klassiker der revolutionären Lehre ihn seinen Anhängern noch näher gebracht hätte. Angelika Limmroth gelingt es jedenfalls hier wie an anderen Stellen - so auch dem beinahe Zerwürfnis zwischen Marx und Engels nach dem Tod der adligen Sozialistin und langjährigen Lebensgefährtin des Generals, Mary Burns, - das in einfühlsamer und verständlicher Weise darzulegen. Gerade diese eingefügten Episoden machen die Biographie noch lesenswerter.


Marx' Kapital war seine Frau Jenny

Der Verlag gibt der Biografie auf den Weg: Karl Marx' wissenschaftliches Hauptwerk ist "Das Kapital". Sein eigenes Kapital war seine Frau Jenny".

Dass der Verlag den Jahrestag mit der gleichzeitigen Herausgabe eines umfangreichen Briefbandes würdigte, ist ein zusätzliches Verdienst. Veröffentlicht werden 329 Briefe, Briefentwürfe und -Fragmente, Denksprüche, finanzielle und erbschaftsrechtliche Aufstellungen. Darunter befinden sich neben Briefen von und an Karl Marx und Friedrich Engels als Absender und Empfänger die bereits erwähnten Joseph Weydemeyer und Louis Kugelmann, Ferdinand Freiligrath, Ferdinand Lassalle, Emma Herwegh, Heinrich Heine, Karl Schapper, Johann Philipp Becker, Wilhelm Liebknecht, um die wichtigsten Partner zu nennen.

Etwa 100 Briefe werden erstmals veröffentlicht. Wenn der Titel "Briefe" und nicht "Briefwechsel" lautet, dann deshalb, weil nicht alle von Jenny Marx geschriebenen bzw. an sie gerichteten Briefe erfasst werden konnten, da nicht alle überliefert sind. So haben die Töchter Eleanor Marx und Laura Lafargue nach dem Tod ihrer Eltern Briefe, die sie wegen privater Äußerungen oder auch unverblümter Charakterisierung von Freunden und Bekannten, aussortiert und vernichtet. Auch Engels habe, wie Eleanor Marx-Aveling berichtete, eine Menge Briefe, die sich auf ihn bezogen, verbrannt. Wie zu vermuten dürften sich darunter auch die Briefe befunden haben, die sich auf Marx' unehelichen Sohn bezogen, für den Engels sich als Vater ausgab.


Zeugnisse einer tiefen und leidenschaftlichen Liebe zueinander

Daraus resultiert, dass nur 25 Briefe von Jenny an ihren Ehemann und zwölf von ihm an seine Frau enthalten sind. Diese drücken eine tiefe und leidenschaftliche Liebe zueinander und die beiderseitige Unterstützung in den oft so außerordentlich schwierigen Lebensverhältnissen aus. Der Briefwechsel zwischen Jenny Marx und ihren Töchtern zeigt in vertrautem Verhältnis eine sich um die Kinder und Enkel sorgenden Mutter bzw. Großmutter, die verständnisvoll auf die Entwicklung gebildeter und selbstbewusster Persönlichkeiten einwirkt. 54 Briefe von Jenny Marx an Engels und zwölf von ihm an sie offenbaren eine besondere vertraute Beziehung, die zwischen beiden bestand.

Friedrich Engels hielt am Grab von Jenny Marx eine flammende Rede, die "Der Sozialdemokrat" drei Tage später veröffentlichte: "Was eine solche Frau, mit so scharfem und so kritischem Verstand, mit einem politisch so sicherem Takt, mit solch einer leidenschaftlichen Energie, solch großer Kraft der Hingabe, in der revolutionären Bewegung geleistet hat, das hat sich nicht an die Öffentlichkeit vorgedrängt, ist niemals in den Spalten der Presse erwähnt worden. Was sie getan hat, wissen nur die, die mit ihr gelebt haben."


Eine eindrucksvolle Publikation im Paket

Mit der Biografie und den Briefen ist dem Karl Dietz Verlag in Berlin eine eindrucksvolle Publikation im Paket gelungen, die Jenny Marx' Leben einem breiten Leserkreis zugänglich macht und darüber hinaus für die, die über dem Werk von Marx und der Frau an seiner Seite forschen, ein Fundgrube des Wissens sein wird.


Rolf Hecker/Angelika Limmroth (Hg): Jenny Marx. Die Briefe. 608 S.
Angelika Limmroth: Jenny Marx. Die Biographie. 303 S.
Karl Dietz Verlag, Berlin 2014. Buchpaket: ISBN 978-3-320-022298-3.

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2014


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