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BUCHBESPRECHUNG/124: "Kaputtalismus" von Robert Misik (Sachbuch) (Klaus Ludwig Helf)


Robert Misik
Kaputtalismus. Wird der Kapitalismus sterben, und wenn ja, würde uns das glücklich machen?

von Klaus Ludwig Helf, November 2016


Bereits der Titel des vorliegenden Bandes mit der schrägen Wortkreation «Kaputtalismus« verweist auf dessen inhaltliche und stilistische Essentials. Die Kernthese von Robert Misik besagt, dass der Kapitalismus dem Untergang geweiht, also "kaputt" sei und sich nicht mehr reparieren lasse. Stilistisch ist der Band- wie vom Autor gewohnt - in pointierter, schnoddriger und manchmal nervig flippiger Weise geschrieben; dafür wird die komplexe und staubtrockene Thematik aufgelockert und auch für Wirtschaftslaien verständlich aufgeschlüsselt - wenn man auch manche vereinfachende Erklärungen in Kauf nehmen muss.

Robert Misik (*1966) ist österreichischer Journalist und politischer Schriftsteller, schreibt regelmäßig für die «taz« sowie für die in Österreich erscheinenden Zeitschriften «profil« und «Falter« und hat einige Bücher publiziert, zuletzt: «Was Linke denken. Ideen von Marx über Gramsci zu Adorno, Habermas, Foucault & Co«.

In seinem neuen Buch nimmt Robert Misik uns mit auf eine "Reise durch den Dschungel Kapitalismus" (S. 17), durch das Gestrüpp in den Ländern mit dramatischem Rückgang des kapitalistischen Wirtschaftssystems, vor allem nach Griechenland und Spanien. Nach der Einleitung folgen sieben Kapitel und ein resümierender Schluss: Aufstieg und Fall des Austeritätskultes / Desaster des Finanzkapitalismus / Innere Widersprüche des Kapitalismus / Ungleichheit / Innovationsschwäche / Wachsende Schuldenberge / Kapitalismus im Stress-Modus und Wohin vom Kapitalismus aus? (Miteinander-Ökonomie, «Commonismus«, ökonomische Transformation und revolutionärer Reformismus). Es folgen ein umfangreiches Literaturverzeichnis zur Vertiefung und biografische Angaben über Robert Misik.

Für Misik steht fest "... dass der globale Kapitalismus seine beste Zeit hinter sich hat und es kaum eine Möglichkeit gibt, den Niedergang aufzuhalten" (S. 16). Diese Krise sei systemisch inhärent und auf drei Faktoren zurückzuführen: die Austertätspolitik der «Europäischen Union«, die neoliberale Wettbewerbsideologie, die Verdrängung der tendenziell stabilisierenden Gütermärkte durch aufgeblähte Finanzmärkte und die dramatisch anwachsende Ungleichheit durch verstärkte Konzentration von Reichtum in wenigen Händen. 25 Jahre nach seinem scheinbaren Triumpf präsentiere sich das Wirtschaftssystem, das angeblich das Beste aller Zeiten sei, in einen katastrophalen Zustand: "Ein Kapitalismus, der kein Wohstandsversprechen mehr erfüllen kann, dessen tragende Institutionen zunehmend wie ein wackliges Kartenhaus wirken, der nur mehr im Emergency-Modus operiert, weil stets irgendwo ein Zusammenbruch droht, dessen herrschende Eliten nur mehr Flickschusterei betreiben, weil sie sichtbar keinen Plan haben" (S. 107). Der Produktivitätsfortschritt habe sich dramatisch verlangsamt und der auf Wachstum angewiesene Kapitalismus gerate in eine Legitimationskrise. Eine neue politisch-wirtschaftliche Oligarchie habe sich in den westlichen Demokratien entwickelt, die postdemokratisch und immer autoritärer ihre Politik durchzusetzen versuche: "Die Ehe von Kapitalismus und Demokratie war nur ein Arrangement für Schönwetterperioden. Wenn es nicht mehr zu verteilen gibt, sondern nur die Reichtumssicherung der Eliten allein auf Kosten der Schwächeren zu haben ist, dann muss eben auch von oben durchregiert werden, dann zählen Wahlen nicht mehr, dann werden Regierungen und ganze Völker unter Kuratel gestellt" (S. 107). In der Finanzkrise des Weltkapitalismus suche man einen Sündenbock und gebe den schwächsten Gliedern in der Kette die Schuld für Desaster und es habe sich eine Art «Wirtschaftsrassismus« verbreitet, der die ökonomischen Schwierigkeiten mit nationalkulturellen Mentalitäten zu erklären versucht: "... die Südländer sind eben unsolide Siesta-Nationen, denen man den Schlendrian austreiben müsse und zwar mit ökonomischen Zwangsjacken" (S. 221). An konkreten Beispielen in Griechenland und Spanien exemplifiziert Robert Misik diese These in beeindruckender Weise. Misik räumt am Ende seiner Analysen ein, dass er mit seiner These vom unwiderruflichen Ende des Kapitalismus möglicherweise etwas danebenliegen mag und modifiziert diese: "Natürlich ist nicht sicher, dass der Kapitalismus den Geist aufgibt. Aber wir sollten uns angesichts der Indizien, die kaum mehr zu übersehen sind, mit der Vorstellung vertraut machen, dass ebendies seht gut möglich ist ... Die Maschine ist kaputt. Und die Eliten haben keinen Plan, wie sie sie wieder flottbekommen sollen" (S. 137). Doch wie sieht der Plan einer «reformerisch-revolutionären Linken«, der sich Misik selbst zurechnet, aus? Die beste Option sei eine langsame, sukzessive Transformation, an deren Ende eine gemischte Wirtschaft stünde mit drei Sektoren: Staatlicher Sektor, kooperativer Sektor und der bisherige kapitalistische, private Sektor. Der kooperative, gemeinnützige, Do-It-Yourself-Sektor habe sich längst entwickelt. Share-economy und Allmendeproduktion sieht Misik als probate Mittel, den Kapitalismus zu überwinden. In Griechenland gebe es - so Misik - hunderte von Initiativen der «Miteinander-Ökonomie«: selbstverwaltete karitative Einrichtungen, künstlerisch-kulturelle Gruppen Stiftungen und Kreditgenossenschaften; allein in den USA bezögen 42 Millionen Haushalte ihre Elektrizität von Non-Profit-Stromkooperativen. Eine der erfolgreichsten Kooperativen der Welt sei die Mondragón-Genossenschaft im spanischen Baskenland mit 85 000 Mitgliedern und mit unterschiedlichen Geschäftsfeldern (Banken, Versicherungen, Nahrung, Kleider) oder die deutsche Unternehmensberatungsfirma Partake, ein Großunternehmen ohne Hierarchie oder der norditalienische Baukonzern «Coopsette«, der der zum größten Teil der Belegschaft gehöre: "Man muss nur mit offenen Augen durch die Welt gehen, und schon sieht man, dass man eigentlich auf Schritt und Tritt Initiativen, NGOs, Firmen und Kooperationen begegnet, die alle zusammen eine Art Netzwerk bilden, den Nukleus eines Sozialismus neuer Art. Eines Sozialismus oder einer Form von Gemeinwirtschaft, von Miteinander-Ökonomie, die auf der Initiative kleiner Gruppen basiert völlig dezentral organisiert ist" (S. 143). Dieser Sozialismus habe nichts gemein mit dem bürokratischen Staatssozialismus der ehemaligen RGW-Staaten.

Misik ist es mit seinem neuen Buch gelungen, die komplexen und komplizierten politischen und ökonomischen Zusammenhänge und Verflechtungen der Krise des Kapitalismus pointiert zu analysieren und die derzeitigen Debatten zu bündeln und zu bewerten; seine Vorschläge zur Transformation des Wirtschaftssystem im Sinne eines «Commonismus« sind sicher eine solide und kreative Grundlage für eine umfassende Debatte über die Wiederbelebung der Genossenschaftsbewegung.

Robert Misik:
Kaputtalismus. Wird der Kapitalismus sterben, und wenn ja, würde uns das glücklich machen?
Aufbau Verlag, Berlin 2016
224 Seiten
16,95 Euro

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Quelle:
© 2016 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2016

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