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BUCHBESPRECHUNG/129: "Unberechenbar" von Vince Ebert (Sachbuch) (Klaus Ludwig Helf)


Vince Ebert
Unberechenbar. Warum das Leben zu komplex ist, um es perfekt zu planen

von Klaus Ludwig Helf, Januar 2017


Vince Ebert (*1968) ist Diplom-Physiker (Schwerpunkt: experimentelle Festkörperphysik und Astronomie), Wissenschaftskabarettist, Moderator und Autor; zuvor war er Unternehmensberater und strategischer Planer bei einer Werbeagentur. Mit Komik, Witz und Humor versucht er wissenschaftliche Zusammenhänge zu vermitteln. Vince Eberts neuestes Buch handelt von der Komplexität des Lebens und der Unmöglichkeit seiner perfekten Planung. Im Gegensatz zu unserer zeitgeistigen, planungsversessenen Gesellschaft mit ihren Controll-Freaks, Selbstoptimierern, Wellness-Gurus oder Gesundheits-Aposteln ist Vince Ebert der Auffassung, dass auf der Welt alles eher zufällig abläuft; das Leben sei - so seine These - eine Aneinanderreihung unkalkulierbarer Momente und es gelte, diese Augenblicke zu entdecken: "Unser Leben besteht aus einer Aneinanderreihung von Zufällen. Und weil wir tagtäglich Tausende Dinge erleben, ist es unwahrscheinlich, dass nichts Unwahrscheinliches passiert ... Der Zufall unterliegt nicht einem höheren Schicksal, sondern purer Statistik. Und sollte es tatsächlich einen Gott geben, ist er vermutlich der größte Zocker" (S.24).

Ebert hat eine große Abneigung gegen jede Art von Ratgeber- oder Selbsthilfeliteratur, da man selten jemandem einen guten Rat geben könne. Sein Band beschäftigt sich mit den folgenden Fragen: "Wie hoch ist der Einfluss des Zufalls? Welche Aspekte unseres Lebens können wir beeinflussen? Und welche nicht? Wo ist Planung sinnvoll, und in welchen Situationen geraten wir durch übermäßige Organisation womöglich in eine Sackgasse?" (S.9/10). Nach einem Prolog (Zufall oder Fügung?) folgen vier Kapitel und ein Fazit mit Anhang (Zeitstrahl, Danksagung und verwendete Quellen); der Text ist mit vielen grafischen Elementen und Zeichnungen ansprechend aufgelockert und sinnvoll strukturiert. Der Humor und Witz, mit dem Vince Ebert seine vier großen Themen (Privatleben, Arbeitswelt, Wissenschaft und Zukunft) garniert, mag manchmal etwas in den grenzwertigen Bereich kippen, lässt sich aber insgesamt auch beim Lesen gut ertragen. Ebert bemüht sich erfolgreich, scharfsinnig, humorvoll und anschaulich vor allem naturwissenschaftliche Erkenntnisse über die Komplexität des Lebens zu erklären; er rechnet schonungs- und tabulos mit dem zeitgeistigen Mythos der perfekten Planbarkeit, Überregulierung und Optimierung des Lebens ab. Anhand vieler Beispiele kann er anschaulich das Wechselspiel von Planung und Zufall illustrieren.

So sei die Geschichte der Menschheit eine merkwürdige Aneinanderreihung von Zufälligkeiten, unabsehbaren glücklichen Zusammentreffen und vor allem eine von Fehlern nach dem «Serendipity-Prinzip« wie z.B. bei der Erfindung des Klettverschlusses, von Viagra oder des Herzschrittmachers oder die Entdeckung Amerikas oder der kosmischen Hintergrundstrahlung. Offenbar ist der Zufall viel regelmäßiger, als allgemein angenommen wird: "Wenn wir aufgefordert werden, den Zufall zu simulieren, scheitern wir. Anscheinend ist der echte Zufall viel regelmäßiger als der ausgedachte. In vielen Fällen unterschätzen wir tatsächlich, wie geordnet der Zufall daherkommt ... Es ist also ein fataler Irrtum anzunehmen, dass der Zufall ein Wirrwarr ohne Struktur ist. Im Gegenteil. Auch er gehorcht Gesetzen" (S.22/23). Es sei nicht leicht, Unberechenbarkeiten auszuhalten, es werde aber umso schwerer, je mehr man sie ignoriert oder glaubt sie durch Erfolgstipps austricksen zu können.

Erfolg sei nicht planbar - so Ebert - und es gebe keine Erfolgs-Tools; dies stehe im Gegensatz zu den Prämissen der Erfolgs-Gurus, die ein komplexes mit einem komplizierten System verwechselten: "Ein Flugzeug zu fliegen ... ist kompliziert ... doch man kann es mit dem richtigen Knowhow präzise steuern. Menschen jedoch sind komplex. Und komplexe Systeme verhalten sich ziemlich unberechenbar. Ob mit oder ohne Knowhow" (S.105). So liege auch der Grund für die Beliebtheit des Fußballspieles in der Welt in seiner Unberechenbarkeit, in seinen immensen Unsicherheitsfaktoren, wo Genialität und Scheitern dicht beieinanderlägen: "Das Prinzip der Unberechenbarkeit macht unser Leben spannend, reizvoll und lebenswert Es lässt uns zittern, und bangen, lässt uns verzweifeln und hoffen. Gerade weil die Zukunft ungewiss ist, beschert sie uns die aufregendsten und schönsten Momente ... Selbstverständlich ist es sinnvoll, sich anzustrengen, zu planen, kreativ und offen für Neues zu sein - aber all das ist doch keine Garantie für Erfolg" (S.294).

Aber haben wir eine Chance, was können wir tun? Bei der Auswertung des berühmten Marshmallow-Experiments von Walter Mischel und dessen Nachbereitung in den Jahrzehnten danach kamen Sozialpsychologen zu folgenden Vorschlägen: "Je geduldiger wir unsere Impulse unter Kontrolle halten können, je mehr Selbstdisziplin wir an den Tag legen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir ein erfolgreiches, zufriedenes und gesundes Leben führen. Ob man diese Fähigkeit erlernen kann, darüber streitet die Wissenschaft allerdings noch" (S.79/80).

Vince Ebert präsentiert am Ende seines Bandes keine treffenden Rezepte für Erfolg, Glück und Zufriedenheit, sondern stellt acht essentielle Lebenselemente vor: Mut, Timing, Leidenschaft, Ausdauer, Bescheidenheit, Widerstandsfähigkeit, Ehrlichkeit und Dankbarkeit. Vince Ebert hat mit oben genannter Einschränkung ein wunderbares Buch geschrieben: tiefgründig, anregend und frech-charmant.

Vince Ebert:
Unberechenbar.
Warum das Leben zu komplex ist, um es perfekt zu planen.
Rowohlt Taschenbuch-Verlag, Reinbek bei Hamburg 2016
Reihe ROWOHLT POLARIS
mit Grafiken und Zeichnungen
320 Seiten
16.99 Euro

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Quelle:
© 2017 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2017

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