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REZENSION/013: Hans Blickensdörfer - Doppelpaß an der Wolga (Fußball) (SB)


Hans Blickensdörfer


Doppelpaß an der Wolga



Mittlerweile ist es ein alter Hut, daß sich im Jahre 1995 das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 50. Male jährt. Daß die damaligen Geschehnisse sich des besonderen Interesses der Medien erfreuen und dementsprechend weit ins sogenannte öffentliche Bewußtsein vorgerückt sind, könnte man zum Anlaß nehmen, um auf ein Buch aufmerksam zu machen, das unter einem ganz speziellen Aspekt jene Zeit beleuchtet. Gemeint ist ganz einfach Fußball, genauer gesagt die Bedeutung, die dieser Sport für viele Menschen in russischer Kriegsgefangenschaft hatte. Selten ist es einem Autor so gut gelungen, scheinbar unzusammenhängende Themen - einerseits ein so ernstes Thema wie den Zweiten Weltkrieg und andererseits `König' Fußball, also die `schönste Nebensache der Welt' - zu einem lesenswerten und unterhaltsamen Roman zu verarbeiten.


Erzählt wird die Geschichte eines jungen Deutschen, der 1945 als 19jähriger Leutnant in russische Kriegsgefangenschaft gerät. Heinz Arnold - so heißt der junge Held, der sich freiwillig an die Front gemeldet hatte - ist ein passionierter Fußballspieler und war vor dem Krieg Torwart beim badischen FC Denzlingen. Bei Kriegsende konnte er ebensowenig wie viele seiner Schicksalsgenossen auch nur ahnen, daß seine Gefangenschaft zehn Jahre und zahlreiche Lager - von Astrachan über Stalingrad bis an die untere Wolga - überdauern würde.

Viele deutsche Kriegsgefangene wurden in den kommenden Jahren freigelassen - doch nicht Heinz Arnold, der zudem zu den Gefangenen gehörte, denen 1949 aus formaljuristischen Gründen ein Strafprozeß gemacht wurde. Danach galten die deutschen Gefangenen nicht mehr als `Kriegsgefangene', sondern hatten in der Sowjetunion den Status von `normalen Strafgefangenen'.

In der Praxis änderte sich dadurch nicht sehr viel, außer daß die Plennys - so der Ausdruck für deutsche Gefangene - wieder um eine herbe Enttäuschung reicher waren. Sie fristeten weiterhin ihr karges Leben in Gefangenenlagern, mußten Entbehrungen hinnehmen und waren zur Zwangsarbeit verpflichtet. Immer wieder wurde die Hoffnung auf Freilassung aufs bitterste enttäuscht. Nicht einmal nach Stalins Tod im Jahre 1953 fand sich die sowjetische Führung bereit, die letzten Deutschen freizulassen, denn nach wie vor erfüllten sie ihre Funktion als `Faustpfand' der Sowjetunion in der Auseinandersetzung mit den Westmächten, die unter dem Stichwort `Kalter Krieg' in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Heinz Arnold, der traurige Held dieses Romans, gehörte zu den letzten Spätheimkehrern, die erst 1955 aus der Sowjetunion entlassen wurden.


Was aber - diese Frage drängt sich nach dieser Einleitung auf - hat dieses Kapitel der Nachkriegsgeschichte nun mit Fußball zu tun? Mehr als man denkt, denn ohne Fußball hätten - und davon legt dieses Buch Zeugnis ab - viele Gefangene die harten und langen Jahre im Lager kaum überstanden. Das mag aus heutiger Sicht vielleicht schwer vorstellbar sein, doch wer diesen Roman gelesen hat, wird das leicht nachvollziehen können. Die Frage, ob die darin geschilderten Erlebnisse nun autobiographisch sind oder nicht, wird ein interessierter Leser bald aus den Augen verlieren, zumal ihre Authentizität ohnehin nicht zu bezweifeln ist.


Natürlich hat auch dieser Roman einen, sagen wir mal, politisch- ideologischen Hintergrund, der vielleicht mehr aussagt über den Autor bzw. die durch ihn repräsentierte historisch-kulturelle Epoche als über den Inhalt der Geschichte. Gemeint ist das Klima des Kalten Krieges im Nachkriegsdeutschland der 50er Jahre, in dem im sogenannten `freien Westen' ein Weltbild vorherrscht, das in krassem Schwarz-Weiß-Gegensatz den Westen mit `Freiheit' gleichsetzt und den `Ostblock' als Wurzel allen Übels ansieht: Wenn der Sozialismus nicht wäre, würden sich Menschen und Völker - nicht zuletzt durch `König Fußball' - bestens verstehen.

Die vordergründige Botschaft des Romans, die durch tragische und auch weniger tragische Erlebnisberichte vermittelt wird, besteht darin, daß beim Fußball die Menschen eine Sprache sprechen - selbst dann, wenn sie Völkern angehören, die miteinander im Krieg stehen oder kurz zuvor gestanden haben. Da wird der mystische Begriff der `russischen Seele' bemüht - unter dem sich erstaunlicherweise jeder sofort etwas vorstellen kann. Die russischen Lagerkommandanten, also durchaus Repräsentanten des Sowjetsystems, verkörperten ihren Gefangenen gegenüber die russische Seele, denn sie hatten - wer hätte das gedacht? - für Fußball viel übrig.

Und in jedem Lager, von anfänglichen Schwierigkeiten einmal abgesehen, gelang es den Gefangenen mit viel Witz, Einfallsreichtum und Organisationstalent, ihr Fußballspiel durchzusetzen. Natürlich mit Wissen des jeweiligen Kommandanten, der mehr und mehr Anteil nahm an den Erfolgen `seiner' Lagermannschaft und zu fürchten begann, die `Blauen' vom sowjetischen Geheimdienst könnten diesen Umtrieben ein Ende bereiten. Diese klammheimliche Verbrüderung zwischen Lagerkommandant und Gefangenen fand ihren Höhepunkt in Auswärtsspielen gegen die Gefangenenmannschaften anderer Lager. Eine der bemerkenswertesten Geschichten, die sich um den Fußball im Lager rankten, war ein solches `Auswärtsspiel', bei dem die zwei Lagerkommandanten um den Sieg `ihrer' jeweiligen Mannschaften eine Wette abschlossen. Den Gefangenen allerdings wurde ganz mulmig, als sie erfuhren, was dabei auf dem Spiel stand - die Kommandanten wetteten nämlich um zwei volle Monatsgehälter.


Keine Frage - der Autor will für den Fußball und dessen `völkerverbindenden Geist' eine Lanze brechen. Auf den Punkt gebracht sind es zwei Aussagen, die nach der Lektüre dieses spannenden und oftmals auch zu Herzen gehenden Romans beim Leser haften bleiben.

Da wäre zunächst einmal der schon erwähnte Umstand, daß viele Menschen die Entbehrungen der russischen Kriegsgefangenschaft ohne die hart erkämpfte Möglichkeit, im Lager Fußball zu spielen, nicht überstanden hätten. An vielen Stellen des Buches wird dieser Punkt angesprochen, sogar der Begriff `Freiheit' wird in diesem Zusammenhang bemüht, um die existentielle Bedeutung des Lagerfußballs überhaupt vermittelbar zu machen:

Aber man schnuppert, via Fußball, nicht nur an der Freiheit herum, sondern man verschafft sie sich mit einer Intensität, die nicht einmal Initiatoren wie Heinz Arnold und Viktor Anderson für möglich gehalten haben. Es gibt Stunden, in denen Stacheldraht und Wachtürme verschwinden. Und die Bewacher, die zuschauen, haben andere Augen. (S. 113)

`Freiheit', ein ohnehin dehnbarer und beliebig interpretierbarer Begriff, offenbart hier in exemplarischer Weise und aller Deutlichkeit seine Funktion - nämlich einen Ersatz zu verschaffen für das, was als unerreichbar angesehen wird. Dafür ein weiteres Beispiel:

Und seine Wünsche [Anm. d. Red.: gemeint ist Heinz Arnold im dritten Jahr der Kriegsgefangenschaft] sind so bescheiden geworden, daß er unter Freiheit gar nicht mehr die Heimreise versteht, sondern draußen im Lager den Aufbau einer Fußballmannschaft. (S. 29)

Immer wieder haben sich die Gefangenen in den verschiedenen Lagern, den Vorschriften entgegen, die Erlaubnis zum Fußballspielen ertrotzt, erkämpft oder erschlichen. Was aber, wenn dieser Sport nicht etwa bloß klammheimlich genehmigt wurde - vielleicht weil die russische Seele ein so großes Mitgefühl für die Fußballbegeisterung der deutschen Gefangenen hegte -, sondern ganz gezielt eingesetzt wurde, um Ordnung und Disziplin in den Lagern aufrechtzuerhalten? Könnte Fußball im Lager auch so etwas wie ein kleines Stück Zucker gewesen sein, das den Gefangenen `geschenkt' wurde, um sie über die langen Jahre hinweg ruhig zu halten? - Eine Deutung der Ereignisse, der der Autor wohl kaum zustimmen würde.


Keine Frage, daß mit dem Fußball viele den Lebenswillen wiederfanden, der ihnen half, die Aussichtslosigkeit ihrer Gefangenschaft zu ertragen. Das betraf nicht nur die Spieler, sondern auch Fans und Zuschauer, die aus den Spielen `ihrer' Mannschaft Mut gefaßt haben mögen. Möglicherweise gab es jedoch - über diese `psychologischen' Wirkungen hinaus - auch recht handfeste Vorteile, die sich ein Fußballspieler im Lager verschaffen konnte. Für diese Annahme lassen sich im Roman einige Anhaltspunkte finden:

"In der Plenny-Philosophie heißt das, daß dem Arbeitgeber wichtige Dinge beigebracht werden müssen. Oberster Grundsatz: Nur der kann gut spielen, der Zeit zum Training hat und nicht in sinnloser Arbeit verheizt wird." (S. 191)

Was heißt das anderes, als daß statt dessen andere verheizt werden? Auch folgender Dialog gibt die bestechende Logik wider, mit der begründet wird, warum die `Besten' auch `besser essen' müssen:

"Zunächst einmal brauchen wir eine Mannschaft, die gut genug ist, um die Russen zu beeindrucken." "Da sehe ich kein Problem!" "Moment!" Sergej Gamburzew alias Viktor Anderson schüttelt den Kopf. "Dich kann ich in vierzehn Tagen in ein Tor stellen, weil du hier aufgepäppelt wirst wie ein König. Und außerdem mußt du nicht rennen. Aber wie stellst du dir einen Mittelstürmer vor, dem die Knie schlottern vor Hunger?" "Es gibt genug Brigaden, die ordentlich essen!" "Auch für neunzig Minuten guten Fußball? Ist ein bißchen anders, als wenn du nach Feierabend auf deinem Arsch sitzt und Skat spielst! Und auch Training frißt Freizeit und Kalorien." "Die Besten müssen besser essen, und keiner wird's ihnen neiden. Man wird Wege finden." (S. 77)

Und man hat `Wege gefunden'. Ob ohne Neid, sei einmal ganz dahingestellt, denn von Gefangenen, die nicht im Rampenlicht des Lagerfußballs standen, ist wenig überliefert. Dennoch läßt folgender Dialog zwischen zwei ehemaligen Gefangenen, die sich nach ihrer Freilassung im Westen wiedertreffen, erahnen, daß es auch eine Kehrseite der Medaille gab:

"Weißt du auch", fragt er, "daß ich dich oft beneidet habe?" "Du? Ausgerechnet du?" "Ja, ich. Ich bin nicht gut genug gewesen für euren Fußball im Lager, und du glaubst gar nicht, was es bedeutet für einen, der ausgeschlossen wird von einer Sache, deren Bedeutung er bis in die Zehenspitzen hinein spürt. Ich will dir mal was über sportliche Psychologie sagen. Weißt du, was aus solchen Leuten wird, wenn's um Fußball geht? Schiedsrichter werden sie, und je nach Charakter werden sie gut- oder bösartige." "Ich versteh dich nicht ganz." "Ziemlich typisch. Der Begabte sieht nur sich und seinesgleichen. Ihr habt damals so etwas gegründet wie den Club der Vornehmen, aber ich hätte schon mitmachen können, wenn man mir etwas Geduld oder Nachsicht entgegengebracht hätte." (S. 264)

Um einem Mißverständnis gleich vorzubeugen, sei an dieser Stelle hinzugefügt, daß es bei der Klärung dieser Frage nicht um eine moralische Bewertung gehen kann, die ohnehin - aus der Sicht der nachfolgenden Generationen - leichtfertig und unangemessen wäre. Selbst wenn Fußballspieler sich in puncto Verpflegung und Arbeitsbelastung Vorteile gegenüber anderen verschafft haben - wer tut das nicht? Ganz abgesehen davon, daß man ohnehin als Grundlage jeder Sozialstruktur das Bestreben bewerten könnte, das eigene Überleben zu Lasten anderer zu sichern.


Die Idee, Fußball hätte sogar über Kriege hinweg eine völkerverbindende Wirkung, ruft die Erinnerung wach an einen Krieg, der unter dem Stichwort `Fußballkrieg' in die Annalen einging. Es mutet wie ein schlechter Scherz an, daß eine militärische Auseinandersetzung sich an einem verlorenen Fußballspiel entzündet haben soll.

Was war geschehen? Im Juni 1969 trafen die Nationalmannschaften zweier mittelamerikanischer Staaten, El Salvador und Honduras, im Rahmen der Qualifikation für die Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko aufeinander. Nach dem entscheidenden Spiel um die WM-Teilnahme am 13. Juni 1969 eskalierte die Situation in El Salvador. Die honduranische Mannschaft wurde unmittelbar und mit Hilfe von Panzerfahrzeugen vom Stadion zum Flughafen gebracht. Honduranische Fans wurden mit Gewalt an die Grenze getrieben. Dabei wurden zwei Menschen getötet, mehrere Dutzend zum Teil schwer verletzt, Autos wurden in Brand gesteckt. Wenige Stunden später wurde die Grenze zwischen beiden Ländern geschlossen. Am nächsten Tag, dem 14. Juni 1969, entbrannte zwischen El Salvador und Honduras ein regelrechter Luftkrieg: In den frühen Morgenstunden bombardierte ein honduranisches Flugzeug eine Stadt in El Salvador. Die salvadorianische Luftwaffe griff ihrerseits vier Städte in Honduras an, Bodentruppen durchbrachen die Grenze und wollten ins Landesinnere vordringen. Honduras wiederum setzte seine Luftangriffe gegen industrielle und strategische Ziele in El Salvador fort.

Natürlich ging es in diesem Krieg nicht wirklich um Fußball. Hätte Fußball jedoch, wie im "Doppelpaß an der Wolga" nahegelegt, tatsächlich eine `völkerverbindende Wirkung', wäre es wohl kaum zu diesem `Fußballkrieg' gekommen. Somit könnte man, wenn einem denn daran gelegen ist, die Mär vom völkerverbindenden Fußball als bloßes Versprechen entlarven.


Die rührendste Episode dieses Romans allerdings ist eine `Geschichte in der Geschichte', die historisch-authentische Schilderung, wie Fritz Walter, der spätere Kapitän der deutschen Weltmeisterschaftself von 1954, nach Kriegsende aus russischer Kriegsgefangenschaft in die Heimat entlassen wurde. Geschildert wird sie aus der Sicht eines Augenzeugen, nämlich des tragischen Helden dieses Buches, dem Gefangenen Heinz Arnold, dem ein solches Glück nicht beschieden war. Im Lager Marmara Szigett in der Karpatho-Ukraine schoß Fritz Walter sich buchstäblich in die Freiheit - und zwar mit einem `Oxford', wie die Ungarn den mit der Ferse nach hinten über den Kopf gezogenen Hakentrick nennen.

Wie es dazu kam, darf hier dem Fußballinteressierten nicht vorenthalten werden, denn ohne diesen Oxford - und das hätte in letzter Konsequenz der darauffolgenden und miteinander verketteten Ereignisse geheißen: ohne Fritz Walter - wäre die deutsche Nationalmannschaft 1954 in Bern wohl kaum Weltmeister geworden. Daß ausgerechnet ein fußballbegeisterter ungarischer Wachsoldat den entscheidenden Impuls gab, der zur Freilassung Fritz Walters führte, ist natürlich eine besondere `Ironie des Schicksals' angesichts dessen, daß Ungarn 1954 das Weltmeisterschafts-Endspiel gegen Deutschland verlor. In der damaligen Zeit stand Ungarn in puncto Fußball weltweit ungekrönt an der Spitze, die ungarische Nationalmannschaft blieb von 1950 bis zu eben jenem Endspiel 1954 in insgesamt 31 Länderspielen ungeschlagen.

In jenem überfüllten russischen Durchgangslager also war Fritz Walter 1945 einer der vielen Namenlosen, denen das Schicksal bevorstand, in den Ural oder gar nach Sibirien weitertransportiert zu werden. Die ungarischen Wachmannschaften veranstalteten im Lager ein Fußballspiel, die deutschen Gefangenen durften mit hungrigen Augen zusehen. Unter ihnen natürlich auch Fritz Walter, und wie der Zufall so will, flog nach dem mißglückten Abschlag eines ungarischen Spielers der Ball direkt auf ihn zu. Anstatt ihn nun mit den Händen zu fangen, wie es wohl jeder andere getan hätte, ging er ein paar Schritte zurück, ließ den Ball über den Kopf hinweg an sich vorbeifliegen und schoß ihn dann mit einem perfekten Oxford genau zu dem Spieler zurück, der ihn so ungeschickt verschlagen hatte.

Die weitere Geschichte ist schnell erzählt: Die staunenden Ungarn stellten den Gefangenen, den einer der ihren aufgrund dieser Technik sofort als deutschen Nationalspieler identifiziert hatte, für ihr nächstes Spiel auf. Und Fritz Walter, durch die Entbehrungen der Gefangenschaft geschwächt und alles andere als in Topform, meisterte diese Herausforderung, die er sofort als die Chance seines Lebens begriffen hatte, bravourös. Er machte mit Ball und Gegner, was er wollte, und zeigte auch gleich noch einen seiner legendären Oxfords. Seine Mannschaft gewann schließlich haushoch mit 9:3 - was einzig und allein Fritz Walter zuzuschreiben war, denn am Tag zuvor waren die ungarischen Mannschaften einander noch ebenbürtig gewesen.

Dem russischen Lagerkommandanten, der insgeheim ebenso fußballbegeistert war, blieb diese Sensation natürlich nicht verborgen. Und in den Wirren der damaligen Zeit fand dieser Major schließlich einen Weg, um den deutschen Nationalspieler Fritz Walter - nicht nur in seinen Augen einer der besten Stürmer Europas - schon im Oktober 1945 in die Heimat zu entlassen.


Und um an dieser Stelle Fritz Walter die Ehre zu geben, der vierzig Jahre später, am 23. Juni 1995 beim Länderspiel Deutschland - Schweiz in Bern, für seine damaligen Verdienste um die deutsche Nationalmannschaft ausgezeichnet wurde, sei sein Vorwort zum "Doppelpaß an der Wolga" zitiert:

Ich gehöre zu denen, die Weltmeister im Fußball werden durften. Das sind wenige, wenn man an die ungezählten Millionen denkt, die das größte Spiel des Lebens spielen. Aber ich gehöre auch zu denen, die alles, was sie im Leben erreicht haben, dem Fußball verdanken, obwohl ich nie mit Transfersummen zu tun hatte oder mit Prämien, die heute so viele unreife Köpfe verdrehen. Das Spiel hat mir mehr gegeben als Geld. Und weil das so ist, haben mich die faszinierenden Erlebnisse der unglücklichen und doch vom Spiel beglückten Helden dieses Buchs tief beeindruckt. Einer von ihnen, mein Freund Edwin Bretz aus Kaiserslautern, hätte mit mir am 4. Juli 1954 in Bern Weltmeister werden können. Er war ein Stürmer von unerhörter Vielseitigkeit, und Sepp Herberger wußte es. Aber als wir im Endspiel standen, hat Edwin Bretz seinen Fußball weit hinten im Ural in der Unfreiheit gespielt. Und der Ball war seine Sonne. Fast unglaublich sind, angesichts der Entwicklung, die Spiel und Welt genommen haben, die Abenteuer dieser Männer. Und vorzüglich passen sie in eine Zeit, wo so viel falsche Heldenverehrung im Sport getrieben wird. Von der ersten Seite an wird man in ihren Bann gezogen, und dieses Buch wird, weil man zittert und jubelt mit ihnen, zu einem ganz eigenartigen Stadion.

Eine letzte Anmerkung gilt dem Schicksal des von Fritz Walter erwähnten Edwin Bretz, einer der Hauptpersonen des Romans, der wie Heinz Arnold erst 1955 entlassen wurde. Beide wurden von Sepp Herberger zu einem Lehrgang der Nationalmannschaft eingeladen, ein Länderspiel gegen Norwegen stand bevor. Edwin Bretz war noch immer ein so guter Spieler, daß der Bundestrainer mit dem Gedanken spielte, ihn im Länderspiel einzusetzen. Aus Prestigegründen entschied er sich jedoch dagegen, denn die deutsche Mannschaft hatte nach dem Titelgewinn von '54 viele Spiele verloren. Gegen Norwegen gewann Deutschland 2:0, und Sepp Herberger hat es bitter bereut, Edwin Bretz diese Ehre mißgönnt zu haben.


Hans Blickensdörfer
Doppelpaß an der Wolga
Fußball
Schneekluth Verlag, 1990