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REZENSION/028: Sarah Kirsch - Das simple Leben (Tagebuch) (SB)


Sarah Kirsch


Das simple Leben



Nach eigener Darstellung "fabriziert" oder "verzapft" (S. 85) Sarah Kirsch ihre Werke, und tatsächlich, das Ergebnis gibt ihrer Wortwahl recht. In ihrem Büchlein "Das simple Leben" werden im Vorüberschlendern aufgeschnappte Eindrücke aus ihrem offenbar recht beschaulichen Alltag geradezu unbedarft mit Krisen- und Katastrophenmeldungen aus dem Tagesgeschehen vermengt - unreflektiert und mit der Ignoranz der nicht Betroffenen, die sich für Lässigkeit ausgibt:

Iris rief an. Sie geht nach Berlin und suchet ne Wohnung. Die Hauswirte dort verlangen schon Goldbarren Rubine. Nach dem Golf- nun der Balkankrieg mächtig am Wachsen. Weiterhin regnerisch. Gut für Umpflanzaktionen. (S. 71)

Oder:

Schneeregen null Grad. In der Türkei sind ganze Dörfer unter Lawinen verschwunden. Ich muß nach Bremen und bliebe gern hier. Gedichter Gelichter. (S. 91)

Das häufige Fehlen an Zusammenhang in Sarah Kirschs gutbürgerlichen Impressionen weist sie als Dichterin aus, die dichten läßt - der Leser soll sich offenbar, getrieben von seiner Sehnsucht nach einer Aussage, seinen eigenen Reim auf ihre Texte machen.

Ungewöhnlich offen drückt sie sich dagegen aus, wenn es um ihr Kunstverständnis geht, und dieser Mangel an Berechnung, der ihrem Image nicht unbedingt zuträglich sein dürfte, ist vielleicht das einzig sympathische an diesem Buch:

"Kunst ist schön macht aber viel Arbeit." (S. 96)
Na bitte. Sehr schön isses und auch so unverständlich wie es wohl muß. Abschreiben und liegenlassen. (S. 86)

Ob es befreiend wirken soll, wenn Sarah Kirsch sich mit kühnem Mute über die enge Struktur des Alltags-Schriftdeutsch hinwegsetzt und die Kommata aus ihren Sätzen bannt? Und werden ihre Texte lebendiger, wenn sie in bieder-verspielter Klangmalerei aus einfachen Begriffen wie "Geld" oder "Insel" Wortvarianten wie "Göld" oder "Insul" entwirft? Was sie auch mit diesen Kunstgriffen bezwecken mag, einfallsreich oder gar originell sind sie nicht.

Wir wollen vom Festland durchs Watt zusammen nach Föhr. [...] Jetzt essen wir noch ein Ei für unsere Kühnheit. Es wird wunderbar denke ich mir.

Das Ei war sein Göld wert. Befanden uns in bester Verfassung. Haben in Horsbüll an der Muschelfabrik das Auto stehenlassen. Isegrim war mit der Fähre gekommen. Saßen noch eine Weile auf dem Deich mit dem Blick auf die Insul. Dann war die Ebbe so günstig daß wir losgehen konnten. (S. 12)


Wer immer Sarah Kirsch von ihren herausragenden dichterischen Qualitäten überzeugt hat - sie hat die Herausforderung angenommen und sich bereitwillig wie ein geöffneter Wahrnehmungsschlund der Welt zur Verfügung gestellt: Ein Eindruck beschwingt die Sinne, wird mit angemessen wichtiger Gebärde aufgesogen und durch den verbalen Darm wieder ans Licht der Welt gepreßt, der geneigten Leserschaft zum Geschenke, die das Werk und damit vermeintlich den eigenen Kunstverstand begeistert beklatscht. Die Autorin ist's zufrieden und führt den ihr wohl selbst nicht ganz verständlichen Erfolg auf die besondere Beschaffenheit ihres Kopfes zurück:

So spielt sich alles in meinem Kopp ab. Ein feiner Kopp mit dem man nicht in Langeweile gerät. Bloß Papier und Dinte braucht sie dann noch und ein paar schöne Dinge fürs Aug. (S. 58)

Alles in allem ist "Das simple Leben" ein Büchlein, das nicht mehr hält, als sein Titel verspricht. Sicherlich hat Sarah Kirsch damit die deutsche Literaturszene nicht bereichert. Doch allein die Herausgabe des Buches beweist, daß es darüber andere Meinungen gibt. Der Autorin allein darf man jedenfalls die Verantwortung für diese überflüssige Selbstdarstellung nicht anlasten, denn was kann die Vogelbeere dafür, wenn sie für eine Kirsche gehalten wird?


Sarah Kirsch
Das simple Leben
Tagebuch
Deutsche Verlags-Anstalt, 1994
99 Seiten
ISBN 3-421-06664-7