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REZENSION/105: Frank Borsch - Alien Earth, Phase 2 (SB)


Frank Borsch


Alien Earth

Phase 2



Frank Borschs Erde des Jahres 2066 ist alles andere als ein lebenswerter Ort. Die Menschen sind atomisiert, Überschußmenschen bilden eine neue Kaste von Ausgegrenzten, Stigmatisierungen werden bis zur finalen Vernichtung der Betroffenen getrieben. Die Staaten haben weitere Bündnisse gebildet, die mehr oder weniger offen Krieg miteinander führen, sie haben Repressionssysteme entwickelt, gegenüber denen die heute geltenden Gesetze zur inneren Sicherheit geradezu freizügig wirken.

In diese bedrückende Szenerie waren sieben Jahre zuvor Außerirdische hineingeplatzt. Zwei Millionen Aliens haben die Erde erreicht und werden von den Menschen gehaßt oder umworben, angebetet oder umgebracht. Die Fremden aus dem Weltall treten nicht in ihrer ursprünglichen Existenzform auf, sondern manifestieren sich in den Menschen mittels eines Seelentransfers, bei dem das menschliche Pendant zur Seele der Aliens in die Gegenrichtung wechselt.

Im vorliegenden zweiten Teil der SF-Romanserie "Alien Earth" werden die Ereignisse rund um die bereits vertrauten Handlungsträger Blitz, Rainer und Wolf - einem GenMod aus Wolf und Mensch -, den Alien-Huntern Paul und Ekin und den Mitgliedern der draufgängerischen Besatzung des museumsreifen Flugzeugs "Strawberry Bitch" fortgesetzt. Als neue Figuren werden unter anderem eingebracht: Der Anführer der Außerirdischen Pasong, die Rebellen-Kommandantin Marita Kahman, die nach ihren eigenen, rein zweckgebundenen Regeln handelnden (und gnadenlos tötenden) Aliens Atsatun und Ghi sowie der Smartie 59b, der wie seine Artgenossen einzig zu dem Zweck gezüchtet wurde, den Menschen zu Diensten zu sein und Methanhydrate vom Meeresboden zu schürfen.

Die Erde wurde von den Außerirdischen als Fluchtwelt - je nach Sichtweise - aus- oder heimgesucht. In der Heimat der Aliens und den vielen Stationen ihrer unfreiwilligen Reise, bei der sie zuletzt nach Sigma V verschlagen wurden, tobt ein uralter Kampf zwischen konservativen und reformerischen Kräften. Letztere halten den Seelentransfer für ein probates Mittel des Erlebens und Erkenntniszuwachses und wollen ihr Potential nutzen, ohne sich Einschränkungen aufzuerlegen. Genau deswegen werden sie von den Konservativen, die als ängstlich bezeichnet werden, verfolgt und, sobald sie in deren Fänge geraten, vernichtet ... so jedenfalls die Version des Alien-Anführers. Indes entspräche es Borschs Stil, wenn sich diese Ansicht als, vorsichtig formuliert, sehr interessengebunden herausstellte und sich die ganze Angelegenheit aus der Sicht der Konservativen völlig anders darstellte. Jedenfalls hat es etwas Luziferisches, wie Pasong an verschiedenen Orten der Welt auftaucht, zu den Menschen spricht und ihnen eine strahlende Zukunft verheißt.

Längst sind die Verfolger den Renegaten auf den Pelz gerückt (oder was auch immer die Physis der Aliens zur Außenwelt abgrenzt). In Kürze droht die Menschheit mitsamt denjenigen, die sich in ihnen manifestiert haben, vernichtet zu werden. Verhandlungen seien aussichtslos, behauptet Pasong, und selbst wenn die Reformwilligen weiterzögen - was nicht nicht mehr möglich sei -, würde die Menschheit nicht verschont bleiben.

Ob diese Darstellung uneingeschränkt zutrifft, darf bezweifelt werden, denn die Aliens lügen, wenn es ihren Zielen dient, manipulieren die Menschen, bauen ihnen Waffen und rüsten die Erde mit einem weltraumgestützten Abwehrsystem auf, um sich den Verfolgern entgegenzustemmen. Kurzum, die Aliens werden in Phase 2 um etliche Facetten differenzierter gezeichnet als im ersten Band. Bis zum Schluß bleiben ihre Motive undurchsichtig, womöglich sind sie, die Unsterblichkeit verheißen, weitreichender auf die menschlichen Körper angewiesen, als es den Anschein hat.

Der Handlungsbogen von "Alien Earth" wurde von Anfang an sehr komplex angelegt, und der Autor hat sich viel Mühe gegeben, sein Gesamtkonzept detailliert auszuarbeiten. Ein gelungenes Stilmittel Borschs besteht darin, den Lesern keinen Wissensvorsprung vor den Protagonisten zu geben. Das sorgt für manche unerwartete Entwicklung. Ebenfalls gelungen ist die Idee, Informationen, die für das Verständnis der Gesamthandlung wichtig sind und erheblich zur Vermittlung der Stimmung in dem bedrückenden Gesellschaftsentwurf beitragen, nicht in der eigentlichen Romanhandlung zu liefern, sondern auf den ein bis maximal zwei Seiten, die jedes der 39 Kapitel abschließen und wie eine Website aufgemacht sind.

Welche Verhältnisse auf der zukünftigen Erde vorherrschen, erfahren die Leser beispielsweise anhand des politischen Testaments des Enthüllungsjournalisten Seymour Hersh, den Borsch am 4. Juli 2015 - passend zur Gründungsfeier der Vereinigten Staaten von Amerika und Arabien (USAA) - als Hochverräter hinrichten läßt. Im Roman hat Hersh die Amerikaner zur Wachsamkeit aufgerufen und erklärt, daß Präsidentin und Verteidigungsminister am Kongreß vorbei mittels verdeckter Finanzierungen Streitkräfte aufgebläht haben. Truppen stünden in Arabien und an der Grenze zu Kanada bereit (S. 43).

Seymour Hersh hinrichten zu lassen, jene Ikone des investigativen Journalismus der USA, die einst das Massaker von US-Soldaten in dem vietnamesischen Dorf My Lai und vor wenigen Jahren die Folter von Gefangenen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib aufgedeckt hat, zeugt von einem gehörigen Schuß bitterbösen Humors seitens des Autors. Und eine Präsidentin an der Spitze der USA - es bleibt der Phantasie der Leserschaft überlassen, ob sie diese Rolle eher Hillary Clinton oder Condoleezza Rice - um zwei keineswegs zufällig ausgesuchte Namen zu nennen - zuschreiben möchte. Das Jahr 2015 ist nicht mehr fern, es könnte sich durchaus um eine Person handeln, die 2008 in den USA gewählt würde.

Was aber machen US-Truppen im Jahr 2015 ausgerechnet an der Grenze zu Kanada? Auch damit knüpft Borsch an aktuelle Debatten an. Unter Kanadiern herrscht einiger Unmut über das Freihandelsabkommen NAFTA und die militärische Einbindung ihres Landes in das Nordamerikanische Luft- und Weltraum-Verteidigungskommando NORAD, weil beides mit einer Preisgabe der nationalen Souveränität an die dominierenden USA einhergeht. Auch bei der brisanten Frage, wem die Nordpolregion gehört, stehen sich die USA und Kanada in konkurrierender Absicht gegenüber.

Eine relativ nahe an die Jetztzeit angesiedelte Handlung bietet die Chance, zu aktuellen gesellschaftlichen Diskursen Stellung nehmen zu können. Von dieser Möglichkeit macht Borsch reichlich Gebrauch - und damit ist nicht nur die Hinrichtung Hershs gemeint: Die geklonten, entfernt menschenähnlichen Smarties sind intelligenter, als ihre Züchter und Aufpasser zuzugeben bereit sind, und müßten eigentlich den Menschen gleichgestellt werden; der Klimawandel schreitet unaufhaltsam voran; der Permafrostboden Alaskas weicht einer einzigen Sumpflandschaft; der Kernfusions-Forschungsreaktor ITER im südfranzösischen Cadarache ist im Sonnenfeuer verglüht, und der Teilchenbeschleuniger CERN bei Genf wurde mangels ausreichender Finanzierung stillgelegt.

Der Autor schreibt Entwicklungen fort, die eigentlich wenig Tröstliches bieten, doch handelt es sich bei "Alien Earth" um keine Distopie. Während sich die Erde unter einer heraufziehenden Bedrohung möglicherweise kosmischen Ausmaßes zu ducken beginnt, der Überlebenskampf der Menschen unerbittlich gegen die eigene Art geführt wird, da blitzt hier und da, als individueller Gegenentwurf, ein wenig menschliche Zuneigung auf: Ekin, deren Seele eine Zeitlang in einem Alien weilte, manifestiert sich in einem Mädchen und trifft ihre Geliebte Trixie wieder; der vermeintlich dumme Smartie 59b warnt Melvin, den einzigen ihm freundlich gesonnenen Menschen, vor einer Gefahr für sein Leben; und die frühere Besatzung der "Strawberry Bitch" kommt wieder zusammen und heckt einen kühnen Plan aus, um die Machenschaften der Aliens zu vereiteln, ohne dabei den enormen Zuwachs an Wehrhaftigkeit preiszugeben, die der Erde aufgrund der Alien-Technologie zuteil wurde.

So stellt sich womöglich nicht nur am Ende dieses Romans, sondern der gesamten "Alien Earth"-Serie weniger die Frage, was die Außerirdischen umtreibt, sondern was die Menschen eigentlich wollen ... war die Science-fiction nicht schon immer ein Hort kritischer Reflektion gesellschaftlicher Verhältnisse?

2. November 2007


Frank Borsch
Alien Earth Phase 2
Wilhelm Heyne Verlag, München 2007
462 Seiten, 8,95 Euro
ISBN 978-3-453-52251-0