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REZENSION/116: Markus Heitz - Judassohn. Ein Vampirthriller (SB)


Markus Heitz


Judassohn. Ein Vampirthriller



Vorbei sind die Zeiten, als die Schriftsteller von Fantasy und Schwarzer Romantik noch einen Pakt mit ihren Lesern schlossen. Einen Pakt, der den Weg in eine gedankenvolle Geborgenheit tiefer und prächtiger Farben ebnete und der seine vollständige Macht erst an der finsteren Grenze des menschlichen Fassungsvermögens entfaltete...

Der vielgelobte und selbstbewusste deutsche Fantasy-Autor Markus Heitz versucht mit seiner Trilogie "Kinder des Judas" und dem soeben neu erschienenen zweiten Band "Judassohn" an die lange Tradition schwarz-romantischer Trivialliteratur anzuknüpfen. - Die Fußstapfen derjenigen, die sich über die Jahrhunderte hinweg mit Untoten und den schmerzlichsten Phänomenen des menschlichen Daseins, Sterben, Trennung und Tod, literarisch befassten, ja, sie mit blutiger Ironie und scharfer Gesellschaftskritik zu verquicken wussten, sind für den 38-jährigen Schreiberling Heitz allerdings um einige Nummern zu groß.

Über beinahe 700 Seiten schlägt sich sein durch langjährige Fantasy-Rollenspielleitung sauber geschienter Stil in kurzen, stockenden Sätzen einfachster Bauart nieder, die sich lesen, als lausche man einem andauernden und immer zusammenhangloser werdenden Selbstgespräch. Die Verzweiflung des jungen Vampirs Tanguy, der von einer elitären und grausamen Vampirgattung namens "Kinder des Judas" abstammt, ist zu Beginn des Buches zunächst noch plausibel und nachvollziehbar, der dräuend sphärische erste Schauplatz, ein Sumpfgebiet in der Bretagne des ausgehenden 18. Jahrhunderts am Vorabend der Französischen Revolution, lässt noch auf Spannendes hoffen. Auch die Tatsache, dass jeder Vampir einer "Vampirsorte", Heitz kennt derer sieben, einem bestimmten Dämon unterworfen ist, dem er in der Hölle oder wo auch immer dienen muss, wenn er vergeht, ist auf den ersten Blick eine zumindest noch nicht oft verwendete Variante, die leider unausgegoren bleibt. Das Ziel des zum Vampir gewordenen Tanguy ist es, sich vollständig von seinen Dämonen zu befreien, denn ein Vampirzauberer hat ihn dazu verflucht, dass ein Teil seiner Vampirseele nun auch noch einem zweiten Dämon gehört. Tanguy, der zu allem Überfluss ein drittes Mal in seiner Persönlichkeit gespalten wird und dessen nervtötendes Selbstmitleid sich im Laufe des Buches bis ins Unerträgliche steigert, stirbt jedoch, bevor ihm die lang ersehnte Befreiung gelingt.

Anstatt die Erzählung zu verdichten, versucht Markus Heitz in seiner Geschichte allzu oft, die Notwendigkeit längst überfälliger Höhepunkte in egomanischen Selbstbeweihräucherungen seiner Figuren aufzulösen oder in blutspritzenden Action-Füllseln zu ertränken, um Seiten zu schinden und Ideenmaterial für den letzten Band der Trilogie zurückzubehalten, so scheint es. - Immerhin erfährt der Leser, dass ein "Kind des Judas" ein für Vampire besonders gefährliches Schwert aus dem Horn eines Dämons, einen Dämonenzahn, ein Dämonenauge, etc. braucht, um sich seiner dunklen Götter vollständig zu entledigen. Dieses Wissen, wie könnte es anders sein, wird hoffentlich den "Judastöchtern" endlich zu Gute kommen, die voraussichtlich Ende 2010 dem dritten "Kinder des Judas"-Band seinen Namen geben.

"Judassohn" ist mit seinem Vorgänger "Kinder des Judas" und dem dunklen Roman "Blutportale" locker verknüpft und enthält auch Bezüge auf die Werwolf-Romane "Ritus" und "Sanctum" aus derselben Feder. Heitz verwendet den Wiedererkennungseffekt, der im Genre der Schwarzen Romantik zugegebenermaßen nicht selten zentraler Bestandteil der Geschichte ist, leider derartig oft, dass sein Text über weite Strecken zu lustigem Rätselraten - frei nach dem Motto, "mal sehen, wer da als nächstes um die verfallene Friedhofsmauerecke gebogen kommt..." - einlädt. Um anfallende Fragen zu seinem Werk vorwegzunehmen, informiert der Autor seine Leser im Nachwort zu "Judassohn" selbst, wie er sein Buch eingeordnet habe möchte:

Die Welten von Ritus, Sanctum, Kinder des Judas und Blutportale sind durch diesen Band nochmals dichter zusammengerückt. Fäden aus den anderen Bänden werden aufgegriffen, fortgeführt und erläutert, einige Ereignisse aus der Vergangenheit erhalten Tiefenschärfe und eine neue Sichtweise.
(S. 679)

Wenn man die anderen Vampir- und Werwolf-Bücher noch nicht gelesen hat, erklärt sich die seltsame Zusammenhanglosigkeit von "Judassohn" also erst an dieser Stelle. Weil Markus Heitz, der sich mit den Fabel-Epen "Die Zwerge" und "Die Albae" einen Namen gemacht hat, seine Erzählungen nach eigener Aussage stets "streng durchplottet" ist eine schlüssige Geschichte, die einen Anfang, ein Ende und mehrere Wende- und Höhepunkte besitzt - oder das was der Autor dafür hält - auch für "Judassohn" selbstverständlich gewährleistet. Die Frage nach dem größeren Sinnzusammenhang bleibt dennoch auf unangenehme Weise offen.

Möglicherweise sind die Massenerfolge der "Zwerge/Albae"-Reihen ihrem Verfasser doch stark zu Kopfe gestiegen. Zumindest so stark, dass er an seiner Produktionweise von Texten, die sich bei genauerer Betrachtung als unspektakuläre, methodisch-regelhafte Ideenanordnungen entlarven, festhält, obwohl sie kaum ausreicht, um den Organismus von Einzelepisoden wie "Judassohn" am Leben zu erhalten. Die seltsame Seelenlosigkeit der "Judassohn"-Figuren ist dabei eben nicht zwingend der Trivialität, nicht dem überschaubaren Lebenswandel der bei Heitz häufig viel zu schnell wieder von der Bildfläche verschwindenden Untoten geschuldet, die sich mit allerlei perfiden und schwarz-erotischen Ablenkungen zu beschäftigen wissen, sondern ein Ergebnis der in Automatismen erstarrten Arbeitsweise des Autors. Die Tatsache, dass eine in vorangegangenen Bänden bei der Einführung der einzelnen Charaktere möglicherweise erwirkte Tiefe von unbedarften Lesern hier nicht mehr nachvollzogen werden kann, kommt Markus Heitz, der behauptet, jeder Band der "Kinder des Judas"-Trilogie könne für sich alleine stehen, vielleicht nicht ungelegen. Denn obwohl sein erklärtes Ziel vorgeblich ein anderes war, bleibt ihm bei eventueller Kritik an den einzelnen Bänden hier immer noch das Argument, dass, wer vollständig mitreden will, eben auch die anderen Teile lesen muss.

"Judassohn" ist ein schönes Buch. Das große Format des dicken Paperback-Bandes liegt angenehm in der Hand und die gut zu greifende schwarz-weiß-rote Oberfläche des Umschlags wird von einer schaurigen Vampirmaske verziert, die sogar zwei- bis dreimal in der Geschichte vorkommt, leider ohne dass man erfährt, was sie zu bedeuten hat.

Markus Heitz ist nicht der erste, der die drängende Wirtschaftlichkeit des überfrachteten Marktes zum Anlass nimmt, den wohl ohnehin mit hinter dem Rücken gekreuzten Fingern geschlossenen Pakt mit seinen Lesern zu brechen, und er wird auch nicht der letzte sein. Würde der von wem auch immer zum "Großmeister der deutschen Fantasy" ernannte Verfasser nicht wieder und wieder betonen, er schreibe aus Leidenschaft und seine Arbeit mache ihm Spaß, so könnte man ihm, und damit scheint er sich ja auszukennen, ohne weiteres blutsaugerische Absichten unterstellen.


Markus Heitz
Judassohn. Ein Vampirthriller
Knaur Verlag, München 2010
Paperback, 686 Seiten
14,95 Euro
ISBN 978-3-426-65225-1


18. Mai 2010