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REZENSION/120: Markus Heitz - Justifiers, Collector - Band 1. Die Obhut (Comic) (SB)


Justifiers - Die Rückkehr einer verlorenen Welt


von Julia Barthel, Schattenblick-Redaktion



Wenn ein sogenannter Erfolgsautor wie Markus Heitz seinen Status als beliebter Verfasser von Fantasy- und Science Fiction Romanen nutzt, um sich nach vielen Jahren einen lang gehegten, schöpferischen Herzenswunsch zu erfüllen, nennt man das kreative Kontrolle. Dieses hart erarbeitete Privileg nutzt Heitz, um einen der ultimativen Träume findiger und fantasiebegabter Drahtzieher von fiktiven Welten zu verwirklichen, nämlich zur Wiederbelebung einer verloren gegangenen Welt. Seine Wahl fiel dabei gleich auf einen ganzen Kosmos im wahrsten Sinne des Wortes. Es handelt sich um eine verrückte, bunte und wilde Space Opera mit höchstem Actionpotential, namens "Justifiers", angesiedelt in der fernen Zukunft des Jahres 3042.

Eingeweihte Fans des klassischen Pen and Paper Rollenspiels, Kinder der achtziger Jahre sowie alle anderen zeitweiligen Bewohner entlegener Reiche werden schon nach diesen wenigen Stichworten den Ursprung der Idee erraten haben und wohlwollend vernehmen, wie Markus Heitz zu seinem fabelhaften Wunschkind kam: Justifiers war ein kleines Rollenspielsystem, das Ende der achtziger Jahre kurz auf der Bildfläche auftauchte, aber schon nach kurzer Zeit wieder in der Versenkung verschwand. Vielen ist es wahrscheinlich nicht einmal aufgefallen und die meisten sind ohnehin der Ansicht, daß das Verschwinden eines Spielsystems nur eine Art natürliche Auslese ist. Wenn eine Idee sich nicht durchsetzt, dann hatte sie wohl einfach nicht genügend Substanz. Ganz anders sah das der eingefleischte Rollenspieler Markus Heitz. Seiner Meinung nach hatte "Justifiers" einfach nicht die Gelegenheit bekommen, sein sagenhaftes Potential voll zu entfalten. Statt es beim stillen Untergang der Welt zu belassen, hat der Fantasy-Autor Jahre später sämtliche Hebel in Bewegung gesetzt, um dieser verwegenen Space Fiction die berühmte zweite Chance zu verschaffen.

In dieser Angelegenheit überläßt Heitz diesmal nichts dem Zufall und startete eine mediale Großoffensive, um Lesern und Spielern das gewaltige Justifiers Universum nahe zu bringen. Neben einem neu aufgelegten Pen and Paper Rollenspielprojekt mit dem Ulisses Verlag, das durch Online Präsenz und die regelmäßig erscheinenden "Just News" im Netz unterstützt wird, ist auch eine ganze Reihe von Romanen über das Justifiers System geplant. Der erste Band mit dem Titel "Collector" ist bereits erschienen und soll durch weiteren Lesestoff über das Leben im Weltall des vierten Jahrtausends ergänzt werden.

Aber damit nicht genug. Der Weltenschöpfer Markus Heitz zielt mit seiner Kampagne auf alle Sinne. Um allen Fans extravaganter Fiktion die visuellen Reize seines Kosmos vor Augen zu führen, setzt er "Justifiers" nun auch als Comic um. Das Werk umfasst 46 Seiten und erscheint seit Februar 2011 beim Knaur Verlag. Die hochwertig aufgemachte Graphic Novel präsentiert sich in einem festen Einband mit futuristisch grünem Titelbild im glänzenden, schwarzen Rahmen. Sie basiert auf dem ersten Roman und trägt dementsprechend den Titel "Collector - Band 1 Die Obhut".

Beim Öffnen wird der Leser Schlag auf Schlag mit der fremdartigen Realität des Jahres 3042 konfrontiert. Hier geht es nicht bloß um eine veränderte Weltordnung, sondern um den Sprung in eine neue Existenzform für die gesamte Menschheit. Es ist eine Ära, in der die Menschen mit Hilfe einer außerirdischen Technologie das Weltall bereisen können, sich auf anderen Planeten angesiedelt haben und ihre Spielchen um Macht, Geld und Ideologien nun in einem weitaus größeren Maßstab ausfechten als jemals zuvor. Zu dieser neuen Größenordnung zählt natürlich auch die Auseinandersetzung mit den anderen Bewohnern unseres gewaltigen Universums, exotischen Lebewesen mit mannigfachen Fähigkeiten und ganz eigenen Interessen, die einst unter der fiktiven Bezeichnung "Außerirdische" nur in unseren Köpfen existierten. Was im Comic zunächst nur angedeutet wird und sich erst bei einer Hintergrundrecherche als Tatsache verfestigt, ist der Umstand, daß dieser Kosmos inzwischen maßgeblich von riesigen Konzernen und deren Machenschaften beherrscht wird. Wie aber gelingt es der menschlichen Rasse, sich unter ihren neuen "Nachbarn" zu behaupten, Verhandlungen zu führen oder schlicht in völlig unbekannten Sprachen zu kommunizieren? An diesem Punkt eröffnet sich ein geradezu klassischer Einstieg für jenen Protagonisten, der den Leser in gewisser Weise durch die ganze Geschichte begleiten wird.

Anatol Lyssander ist ein zwielichtiger Pilotenveteran, der seine besten Tage definitiv hinter sich hat. Einst reiste er mittels Langstreckensprüngen (LSP) und Kurzstreckensprüngen (KSP) zwischen den Sternen umher, doch irgendwann macht der menschliche Körper unter solcher Belastung eben schlapp. In Lyssanders Fall blieb jedoch ein besonderes Souvenir zurück, das sogenannte "Interim-Syndrom". Es befähigt den abgewrackten Ex-Piloten, über Gedankenbilder mit Außerirdischen kommunizieren zu können. Er ist daher einer der wenigen Vermittler zwischen Menschen und nicht-menschlichen Lebensformen, die im Comic schlicht als "Ahumane" bezeichnet werden. Im Jahr 3017 ist er im System Galloway auf dem Planeten Hakup als Übersetzer tätig. Eigentlich ist der Job aufgrund von Lyssanders Sonderstellung recht lukrativ, doch er kriegt den Hals nicht voll und sät immer neue Mißverständnisse zwischen Menschen und Ahumanen, um den Geldfluß am Laufen zu halten. Natürlich funktionieren solche Tricks nicht ewig. Der mißtrauische Arbeitgeber beauftragt die ominöse Organisation "Church of Stars", bei einer Routineverhandlung im Handelskontor von Hakup mitzuhören und die Übersetzung auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Es kommt, wie es kommen muß und der Gewohnheitslügner Lyssander fliegt auf. Verfolgt von den religiösen Fanatikern der Sternenkirche flüchtet er Hals über Kopf aus dem System und landet versehentlich in einem unbekannten Teil des Weltalls.

Wie es der Zufall so will, setzt dieses kleine Mißgeschick eine folgenschwere Kette von Ereignissen in Gang. Ausgerechnet der unbedeutende Gauner Anatol Lyssander stößt hier, irgendwo zwischen den Sternen, auf eine vollkommen fremde Rasse. Es ist ein echter "First Contact", doch der flüchtige Verbrecher denkt nur daran, seine Haut zu retten und schickt die finsteren, offensichtlich hungrigen Gesellen ohne Bedenken nach Hakup. Fünfundzwanzig Jahre später terrorisiert diese technisch weit überlegene Spezies das ganze Universum. Weithin als die "Collectors" oder "Collies" bekannt, reißen sie sich unter dem fadenscheinigen Vorwand eines Obhutprogramms ganze Planeten unter den Nagel und niemand weiß, was danach auf diesen Welten geschieht. "Schützenswerte, bedrohte Rasse Mensch! Ihr Planet wurde für das Obhut-Programm ausgesucht. Fühlen Sie sich geehrt! Wir sind ein Volk von höheren Wesen, das sich um die Schwächeren kümmert. Ihre Rasse befindet sich in einem kritischen Zustand, und wir werden alles für ihre Rettung tun....". Wer diese schicksalhafte Ansage von oben zu hören bekommt, weiß, was die Stunde geschlagen hat und selbstverständlich ist das "Hilfsangebot" nicht optional.

Wer sind die geheimnisvollen Collectors wirklich? Was bezwecken sie mit ihrem brutalen Vorgehen? Welche finsteren Pläne für das Universum hecken sie vielleicht im Geheimen aus? Wird die Menschheit einen Weg finden, diesem übermächtigen Feind entgegen zu treten? Allein das Auftauchen der gruseligen Überrasse löst eine ganze Reihe von Fragen aus und bringt Spannung ins Spiel. Allerdings gibt es im unglaublich großen und dynamischen Justifiers Universum natürlich noch andere machtvolle Akteure mit ganz eigenen, rätselhaften Absichten wie zum Beispiel den Megakonzern "Bangash Industries", der irgendwo im All auf einer abgelegenen Station geheime Forschungen an außerirdischen Artefakten betreibt und seltsame Jobs an Außenstehende vergibt. Darüber hinaus verfügt die obskure Firma auch über selbst gezüchtete Chimären. Die bizarren Tiermenschen sind Eigentum des Unternehmens und haben irgendetwas mit einer exklusiven Spezialtruppe namens "Justifiers" zu tun. Ebenso ehrgeizige wie skrupellose Konkurrenzkonzerne, politische Organisationen und abgründige Kulte ergänzen diese knallharte Zukunftsvision um weitere große Machtblöcke.

Im Lauf der Ereignisse lernt der Leser auch noch weitere, spleenige Charaktere kennen, die unfreiwillig in die Machenschaften der einflußreichen Strippenzieher verwickelt werden. Ein draufgängerischer Truckfahrer mit großer Klappe und trauriger Familiengeschichte gerät unversehens in die Klauen von Bangash Industries. Ohne es zu wissen teilt er dieses Schicksal mit einer sehr attraktiven, aber kratzbürstigen jungen Frau, die von einer eigenständigen Überlebenskünstlerin plötzlich zum Eigentum der Firma wird. In dieser traditionellen Weise werden also im ersten Justifiers Comic die Wege der Mitspieler zusammengeführt. Ist das alles reiner Zufall, willkürliche Schikane oder steckt ein Plan dahinter? Natürlich bleiben diese Fragen am Ende des ersten Comicbandes völlig offen, so wie auch manch anderer angerissener Handlungsstrang.

Im Prinzip ist zwar nichts dagegen einzuwenden, zum Auftakt einer Geschichte offene Fragen in den Raum zu stellen, dem Leser Rätsel aufzugeben und eine komplexe Handlung zu generieren. Allerdings kommt es dabei doch sehr auf das Timing und die richtige Dosis an. Gerade daran mangelt es im ersten Graphic Novel über das Justifiers Universum erheblich. Die verwickelten Ereignisse spielen sich in sage und schreibe vier verschiedenen Systemen der Galaxis ab, die unbekannten Orte nicht mitgerechnet. Ständig wird irgendwo ein neues Fass aufgemacht, ein weiteres Problem produziert und noch ein unbekanntes Element in die Geschichte gestopft. Gerade für Leser, die sich bei den Justifiers noch gar nicht auskennen, ist es sehr schwer, bei den vielen parallel ablaufenden Teilstücken der Erzählung den Überblick über die Zusammenhänge zu behalten. Bis zum Ende des ersten Bandes hängen zahlreiche lose Fäden in der Luft und fordern dem Leser extrem viel Aufmerksamkeit ab. Man hat den Eindruck, die Macher haben sich bei dem Versuch verzettelt, zu viel in zu kurzer Zeit abzuhandeln. Rasante Szenenwechsel, knallige Farben und der Versuch einer nonkonformistischen Storyführung in allen Ehren, aber das Konzept sollte für den Konsumenten nicht in Anstrengung ausarten. Kurz gesagt: Es ist zu viel des Guten und auch zu wenig.

Bei all der Hektik bleibt leider auch ein anderer, sehr wichtiger Faktor auf der Strecke, nämlich die Identifikation mit den Figuren. Durch das hohe Tempo reduzieren sich die Charaktere auf hastig skizzierte Stereotypen, zwischen denen es bedauerlicherweise kaum zu einer richtigen Interaktion kommt. Ohne besondere Eigenarten, Gewohnheiten, eine spezielle Redeweise oder andere persönlichkeitsbildende Eigenschaften schweben die Protagonisten irgendwie als zweidimensionale Erfüllungsgehilfen der Handlung im luftleeren Raum. In Folge dieser Vernachlässigung können sich zwischen den Personen in der Geschichte auch keine echten Dialoge entwickeln, von Wortwitz oder sprachlicher Finesse ganz zu schweigen. Ohne diese Feinheiten wird es aber auf Dauer nicht gelingen, der Erzählung Leben einzuhauchen. Gerade bei einem Blitzeinstieg in ein fremdartiges Universum sind Sympathie, Mitgefühl und Interesse am Schicksal der Charaktere absolut notwendig, um die bunten Bilder zu einer alternativen Realität zu verdichten.

Davon ist die Justifiers Adaption noch so weit entfernt wie ein unbehauener Stein vom geschliffenen Diamanten. Erschwerend kommt der inflationäre Gebrauch von Anglizismen hinzu, die den ohnehin nur leidlich vorhandenen Sprachfluß ständig grob unterbrechen. Alle Organisationsbegriffe wie etwa die "Church of Stars", der "Order of Technology" oder die "Eastern Stars" haben englische Namen. Wäre es bei diesen wenigen Ausnahmen geblieben, hätte man die sprachliche Zweigleisigkeit als Bestandteil des futuristischen Flairs akzeptieren können. Allerdings hat Markus Heitz in seinem Werk nicht darauf verzichten können, auch Rangbezeichnungen wie "Preacheress Rodosta" oder "Deaconess Theresa" einen englischen Stempel aufzudrücken und so geschieht es auch mit Planetennamen, Systembezeichnungen und Raumschiffen, bis ein holpriges Sprachchaos entsteht, das aussieht wie eine schlechte Übersetzung. Es wäre wünschenswert, daß die kreativen Köpfe hinter dem Comic sich in Zukunft etwas mehr anstrengen, um statt dessen ein paar originellere Ausdrücke zu erfinden. Geradezu bestehen muß man darauf, sprachliche Vergewaltigungen wie: "...Ist das etwa ein First Contact?" in den folgenden Bänden zu unterlassen.

Betrachtet man die strukturellen Bestandteile des Gesamtwerkes, werden einige große Schwächen der Comic-Adaption von "Justifiers" deutlich. Manches davon ist wohl eben den Stärken und Schwächen des Autors Markus Heitz geschuldet. Auf den ersten Blick staunt man darüber, wie mühelos er von einem Moment auf den anderen ganze Welten entwirft und fiktive Systeme aus dem Boden stampft. Dies ist mit Sicherheit eine seiner Stärken. Woran andere Autoren ewig herumbasteln, nämlich am großen Entwurf und der schlüssigen Kombination von Bausteinen zu einer Erzählung, das gelingt Heitz mit leichter Hand. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch schnell klar, daß dabei wenig Innovatives herausspringt.

Beispielsweise ist der politische Hintergrund des neuen Zeitalters geradezu reaktionär. Obwohl die Menschen eine neue Stufe des Wissens und der Mobilität erreicht haben, teilen sie das Universum nach steinzeitlicher Manier zwischen den alten Supermächten auf. Die USA, Rußland und eine Allianz zwischen Arabern und Asiaten halten, ähnlich wie im 20. Jahrhundert, ihre jeweils eigenen Machtblöcke aufrecht, als hätten sich lediglich die Kulissen ihrer Existenz ein wenig verschoben. Auch die Idee von übermächtigen Superkonzernen, die Regierungen und politischen Organisationen längst ebenbürtig sind und einen Großteil der Menschheit wie Marionetten für die eigenen Interessen tanzen lassen, ist im Grunde ein alter Hut. Selbst wenn diese Anlehnung an die Science Fiction Fantasien der achtziger Jahre dem Umstand geschuldet ist, daß "Justifiers" als Rollenspielsystem eben aus dieser Zeit stammt, sollten diese Strukturelemente doch dringend weiterentwickelt werden, sonst wird es schnell langweilig.

Die Kritik über "Justifiers" könnte noch lange fortgesetzt werden, weil bei diesem Projekt der Teufel im Detail steckt. Allerdings liegt darin auch die große Chance für die Weiterentwicklung der Geschichte, denn überladene Konzepte kann man umstellen, flache Charaktere ausbauen und den hölzernen Sprachgebrauch verfeinern. Von einem wohlwollenden Standpunkt aus sind das alles Kinderkrankheiten, die mit ein wenig Mühe ausgemerzt werden könnten. Im Hinblick auf die Bildsprache ist zum letzten Drittel des Comics hin eine solche Entwicklung zu erkennen. Anfangs noch teilweise recht skizzenhaft und farblich ziemlich überladen, werden die Zeichnungen von Hannes Radke später klarer und verleihen der Handlung eine angenehmere Struktur. Das große Potential, welches Markus Heitz in der Grundidee von Justifiers sieht, ist durchaus vorhanden. Um es zum Strahlen zu bringen sollten die Macher des Comics den Schwerpunkt der kreativen Kontrolle vom Aspekt der Kontrolle über altbekannte Bausteine zum Element einer innovativen Kreativität verlagern.

Markus Heitz, Hannes Radke, Jörg Krismann
Justifiers, Collector - Band 1. Die Obhut
Comics & Manga
Knaur TB, München 2011
lam. Pappband
48 Seiten
EUR (D) 12,99
ISBN 3-426-53009-0
ISBN 978-3-426-53009-2


1. April 2011