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REZENSION/129: Dominique Manotti - Hartes Pflaster (SB)


Dominique Manotti


Hartes Pflaster



Ich war lange Zeit der Überzeugung, ich könnte und ich würde mich am Wandel der Gesellschaft, in der ich lebe - um nicht zu sagen an einer Revolution -, beteiligen. Ich war also eine sehr engagierte Aktivistin, und ich verstand meinen Beruf der Historikerin als Handwerkszeug zur Erklärung der Gegenwart. Heute glaube ich nicht mehr daran, zumindest nicht für meine Generation. Vielleicht für die folgende? Ich versuche also das zu erzählen, was ich von dieser Gesellschaft, in der ich lebe, weiß - auf's Geratewohl. Der Roman noir scheint mir die geeignetste Form zu sein und macht mir auch am meisten Freude. [1]

Dominique Manotti [2] gehört zwar der 68er-Generation an, war jedoch eigener Aussage zufolge nicht an deren Aktionen beteiligt, sondern kam über die Proteste gegen den Kolonialkrieg in Algerien zur politischen Aktion. Sie engagierte sich gewerkschaftlich in der CDFT (Confédération Française Démocratique Du Travail), einer Organisation mit christlichen Wurzeln, die zu jener Zeit jedoch bereits säkularisiert war und unterschiedlichen Motivationen und Ansätzen politischen Engagements mehr Aktionsraum zu bieten schien als der traditionell auf die kommunistische Partei ausgerichtete Gewerkschaftsbund CGT (Confédération Générale Du Travail). Heute stellt die CDFT mit ca. 800.000 Mitgliedern den größten Gewerkschaftsdachverband Frankreichs und positioniert sich als Verhandlungspartner für Unternehmen wie Politik. Laut Manotti ist dieser Verband mit der CDFT, in der sie sich einmal engagiert hat, nicht vergleichbar.

Anlaß zu genau diesem Buch war ein für die Geschichte der französischen Gewerkschaftsbewegung denkwürdiger Arbeitskampf illegal Beschäftigter der Textilindustrie. Bereits 1974 seien die Ausländergesetze erheblich verschärft worden, ab 1980 jedoch habe man regelrecht zur Jagd auf Ausländer geblasen. Dabei sei es eigentlich nicht darum gegangen, illegale Fremdarbeiter außer Landes zu schaffen, sondern darum, ihnen jede Möglichkeit zu nehmen, sich zur Wehr zu setzen oder Ansprüche zu erheben. [3] Im Jahr 1980 also, zu der Zeit, als die Autorin dem Pariser CDFT-Büro als Generalsekretärin vorstand, wurden dort drei Dev Yol-Aktivisten [4] im Namen türkischer Fremdarbeiter des Pariser Viertels Sentier vorstellig, die einen Hungerstreik planten. Diese arbeiteten ohne Papiere, verteilt auf eine Vielzahl kleiner Schneiderwerkstätten in unsicheren Verhältnissen für die Modebranche. Ihr Protest richtete sich nicht zwingend gegen den unmittelbaren Werkstatteigner, sondern vielmehr gegen die durch politische Weichenstellung beförderten, von der französischen Modeindustrie diktierten Bedingungen. Die Werkstätten konnten jederzeit auf- oder wieder dichtmachen - bezahlt wurde pro Stück -, einstellen und entlassen wie sie wollten, und der Arbeiter stand rechtlos auf der Straße. Die CGT hatte ihre Unterstützung bereits mit dem Kommentar verweigert, man vertrete keine Illegalen.

Die sich um den von der CDFT unterstützten, schließlich als erfolgreich abgeschlossen geltenden Arbeitskampf und Kampf um Legalisierung entrollenden Ereignisse dienen Manotti als Kulisse für "Hartes Pflaster", sie sind nicht das Thema des Romans. Gleich auf der ersten Seite wird der Leser Zeuge des Mordes, um den sich die ganze weitere Handlung in Verbindung mit der Fahndung nach einem Drogenhandelsring gruppieren wird. Die Ausgangssituation ist eindeutig, denn zu dem Verhältnis, in dem das Mädchen und der Mann, der zu ihr in den Raum kommt, zueinander stehen, besteht keine Frage. Wo der Mord geschieht und wer der Mörder ist, erfährt man allerdings erst viel später. Zunächst erwartet den Leser eine Rundumtour durch alle Verbrechen und Laster, derer die Autorin habhaft werden konnte. Es entsteht ein Panorama Verdächtige und Zeugen erpressender, prügelnder, vergewaltigender, korrupter im besten Falle auch mal gefühlsduseliger Polizisten im Kampf gegen widerwärtig-perfide oder ungestraft sadistische Politiker, Geschäftsleute, Drogen- und Menschenhändler - und die erste Leiche ist nicht die letzte...

Liebhaber des Roman noir [5] wird die düstere Sichtweise der Autorin nicht überraschen, zumal sie James Ellroy, einen Meister knappen und knallharten Stils als ihr großes Vorbild bezeichnet. [1] Ähnlich wie dieser bringt sie schlaglichtartige Szenen, die einem Film entstammen könnten, mit einer Unzahl beteiligter Personen und Detailinformationen zusammen. Der Leser verfügt dabei nicht über mehr Überblick als die Ermittler, sondern stolpert ihnen hinterher. Da kann man schonmal den Faden verlieren. Die große Fülle historischer Bezüge und angerissener Einzelheiten mag vielleicht dem Bemühen geschuldet sein, den Leser in die Zeit zu versetzen, in der sich die fiktiven Ermittlungen in einem Mordfall abspielen. Der Versuch jedoch, auf knappem Raum bis in alle Einzelheiten schreibend ein Abbild der Realität zu verfassen, scheitert hier ähnlich wie eine Kamera, die Details einfängt oder auf eine Weise sieht, die nicht dem menschlichen Auge entspricht. Das Bild stimmt nicht, weil die Vermittlung des Autors fehlt.

Der Versuch, einen Krimi ähnlich wie Ellroy zu schreiben, ist zweifellos gelungen. Es entsteht gar nicht erst der Eindruck einer möglichen heilen Welt oder irgendeines Fluchtraums. Sollte die Autorin allerdings gespeist aus ihrem früheren politisch-gewerkschaftlichen Engagement darüber hinaus noch etwas sagen wollen, um dem beim Leser entstehenden Unbehagen Anhaltspunkte über ein dumpfes Gefühl hinaus zu geben, kommt dieser Teil mit Sicherheit zu kurz. Ihre resignierte Grundhaltung macht jedem politischen Anspruch, den sie noch auf ihre Fahnen schreiben könnte, einen Strich durch die Rechnung. Dem Leser zwingt sich zudem der Gedanke auf, das alles irgendwie schon zu kennen. Gleichgültigkeit macht sich breit. Es wird einem die Lust und Luft genommen, sich mit einer vielleicht ja doch angerissenen Frage zu befassen, die einen auch selbst interessieren könnte. Der Arbeitskampf, der Manotti so denkwürdig schien, daß sie unbedingt über ihn schreiben wollte, gerät in dem Gemenge der einzelnen Handlungsstränge zu einer Randerscheinung. Das enttäuscht. Wünschenswert wäre gewesen, diesen in den Mittelpunkt zu rücken und, wenn man denn auf einem an Ellroy erinnernden Stil beharren möchte, die einzelnen Schlaglichter nicht in alle Himmelsrichtungen zu verteilen. Will man mehr über die Geschehnisse erfahren, muß man sich auf anderem Wege um die Hintergründe bemühen. So ist denn auch ein Gespräch, das zwei Soziologen mit ihr über die damaligen Ereignisse führten nebst der diesem angeschlossenen Kurzdokumentation [3] über den Arbeitskampf weitaus informativer und spannender als der Krimi, der für den Fall nicht zu empfehlen ist.

Dominique Manotti schreibt seit 1993. Ihr Erstlingswerk "Heißes Pflaster" erschien im Jahr 1995 und wurde mit dem französischen Prix Sang d'Encre ausgezeichnet. Inzwischen ist eine Reihe weiterer Romane von ihr erschienen. Die Neuauflage der deutschen Übersetzung aus dem Jahr 2004 enthält ein aktuelles und aufschlußreiches Interview mit einem kleinen Rundumschlag über ihre Motive zu schreiben und ihre Sicht auf die gesellschaftliche Entwicklung in Frankreich. In ihrem neuesten Roman befaßt sie sich mit der französischen Gestapo im Jahr 1944.‍ ‍Vielleicht liegt ihr das Thema mehr.


Anmerkungen:

[1]‍ ‍zitiert aus einem Interview in der Zeitschrift Ours-Polar, Übersetzung aus dem Französischen: SB-Redaktion.
http://patangel.free.fr/ours-polar/auteurs/manott2.php
[2]‍ ‍Pseudonym von Marie-Noëlle Thibault
[3]‍ ‍"French confection: le Sentier (1980)" - zusammengestellt von Mireille Galano und Alexis Spire, veröffentlicht von GISTI, einer kleinen und eigenständigen (Rechts)Hilfsorganisation für Ausländer in Frankreich.
http://www.gisti.org/spip.php?article170
[4]‍ ‍Dev-Yol: "Revolutionärer Weg", seinerzeit die stärkste linke Bewegung in der Türkei
[5]‍ ‍Roman noir oder Polar noir: Populäre französische Krimigattung, die sich durch eine desillusionierende Sichtweise auszeichnet. Weiteres Kennzeichen: Verknüpfung von Fiktion und gesellschaftlicher Realität mit sozialkritischem Ansatz.

9.‍ ‍Mai 2012


Dominique Manotti
Hartes Pflaster
Aus dem Französischen von Ana Rhukiz
Erstauflage 2004 - Neuauflage 2012
Verlag Assoziation A, Berlin 2004/2012
Paperback, 312 Seiten
14.00 EUR
ISBN 978-3-86241-411-6