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REZENSION/153: Dima Wannous - Dunkle Wolken über Damaskus (Erzählungen) (SB)


Dima Wannous


Dunkle Wolken über Damaskus

Erzählungen


Vor mehr als vier Jahren, im März 2011, begannen in Syrien Demonstrationen gegen das Regime von Baschar al-Assad. Die ersten friedlichen Straßenproteste für politische Reformen wurden gewaltsam unterdrückt. Seitdem eskaliert der Konflikt.

Die Brutalität, mit der der Krieg in Syrien geführt wird, hat die Bevölkerung überrascht, die sich Verhandlungen erhoffte. Bisher haben die Auseinandersetzungen weit mehr als 200.000 Zivilisten das Leben gekostet. Rund 12,2 Millionen Syrerinnen und Syrer sind auf der Flucht, mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Zusätzlich brauchen mehr als 3,9 Millionen syrische Flüchtlinge, die sich jetzt im Libanon, der Türkei, in Jordanien und Ägypten aufhalten, dringend humanitäre Hilfe. In ihrem Bericht vom 26. März an den UN-Sicherheitsrat erklärte Valerie Amos, Untergeneralsekretärin für humanitäre Angelegenheiten, darüber hinaus:

5,6 Millionen Kinder seien auf Hilfe angewiesen [...]. Mehr als zwei Millionen Mädchen und Jungen könnten nicht die Schule besuchen. Ein Viertel aller syrischen Schulen seien beschädigt, zerstört oder zu Notunterkünften umfunktioniert. Die Kosten für den Wiederaufbau des syrischen Bildungssystems veranschlagte sie auf mehrere Milliarden. [1]

Glaubhafte Ansätze zur Befriedung sind angesichts machtpolitischer Bestrebungen einer Neuordnung im Nahen Osten nicht in Sicht.

Die Frage liegt nahe, wie die sich feindlich gegenüberstehenden Gruppen trotz dieser Spaltung wieder gemeinsam in Syrien leben könnten. Sie alle teilen die Vision von einem Land, das es bisher nicht gegeben hat.

Die gemeinsame Kultur könnte dabei eine wichtige Rolle spielen, auch wenn ihr derzeit wenig Bedeutung zugemessen werden dürfte. Meint man doch, Kunst und Literatur seien in einer Zeit des Krieges und der äußersten Not kaum das geeignete Mittel, die Menschen zueinander zu bringen. Künstler, die in Syrien geblieben sind und dem alten Regime gegenüber eine kritische Haltung einnehmen, müssen genauso mit Verfolgung rechnen wie jene, die sich mit diesem identifizieren oder sich gegen radikal-islamische Kräfte stellen. Diejenigen, die ins Ausland geflüchtet sind, haben in ihren Aufnahmeländern mit Sprachschwierigkeiten und wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Genau deshalb ist syrische Musik und Literatur zu hören und zu lesen für viele, die Syrien verlassen, eine Möglichkeit, Erinnerungen zu bewahren, die helfen könnten, das Land wieder aufzubauen. In diesem Konflikt wird man die Identität der syrischen Bevölkerung eher auf der kulturellen als auf der politischen Ebene bewahren können. Allerdings sind der UNO zufolge bereits

fast 300 Kulturstätten des Landes beschädigt, geplündert oder komplett zerstört worden. Unter den betroffenen Denkmälern seien Weltkulturerbe-Stätten wie der 7.000 Jahre alte Stadtkern von Aleppo oder die Kreuzfahrerburg Krak des Chevaliers, wie das UN-Forschungsinstitut Unitar nach Auswertung von Satellitenbildern mitteilte. "Die Menschheit ist dabei, Tausende Jahre ihres Erbes zu verlieren", sagte der Direktor des UN-Satellitenprogramms, Einar Bjorgo. [2]

Auch dort, wo sich syrische Flüchtlinge jetzt aufhalten, kann ein kultureller Austausch von großem Nutzen für die Verständigung sein. Die syrischen Autoren ermöglichen Einblicke in ihre Lebenswirklichkeit, die zum Verständnis der Konflikte und zu weiterführenden Fragen anregen können. Wer jedoch ihre Werke nur als Gelegenheit sieht, Informationen einzuholen, wird möglicherweise enttäuscht sein, denn häufig liegt das Augenmerk auf dem persönlich Erlebtem. Literarische Produkte zeichnen sich durch eine größere Distanzlosigkeit aus als eine Informationen aneinanderreihende Berichterstattung und es gibt genügend Hinweise in der syrischen Literatur, die einen verdichteteren und unmittelbareren Einblick in die jüngste Entwicklung geben, als es durch nüchterne Analysen möglich wäre.

Dazu gehört auch der einprägsame literarische Rückblick auf das Alltagsleben kurz vor Beginn der Konflikte 2011, wie ihn das vorliegende Buch darstellt. Ohne auf die politischen Zusammenhänge weiter einzugehen, gelingt es der 1982 in Damaskus geborenen, syrischen Autorin Dima Wannous mit ihren neun kurzen Erzählungen, die Lage und das Lebensgefühl der Menschen auf beunruhigende Weise hautnah zu vermitteln. Sie schreibt von drückender Depression und ängstlicher Verschwiegenheit. Auch wenn man weiß, daß das heutige Syrien nicht mehr als das Land dieser szenischen Momente existiert, kann diese Lektüre zum weiteren Verständnis beitragen und darüber hinaus ein wertvolles Mittel darstellen, das an einen Teil des sozialen Lebens vor der Zerstörung des Landes erinnert.

In "Dunkle Wolken über Damaskus" (2007 ist die Originalausgabe in Damaskus erschienen) beschreibt Dima Wannous anschaulich und mit leichter Ironie, wie sich großstädtische Syrer aus unterschiedlichen Bevölkerungsschichten mit dem Regime ganz gut arrangiert hatten. Vom wohlhabenden Regierungsbeamten (1. Detail, "Dschaafar", S. 17) bis zum armen Taxifahrer (6. Detail, "Samîh", S. 77) sind die übergeordneten Themen "Schweigen" und "Verstecken", die sich jedoch als nutzlose Strategien erweisen. Die Angst vor staatlichen Repressionen ist ständig gegenwärtig. Zudem begegnen sich die Menschen mit Argwohn, Vorsicht oder auch Angst vor dem anderen. Korruption und von Bitterkeit und Enttäuschung gestörte Beziehungen sind an der Tagesordnung. Die Hauptpersonen profitieren zwar meist von der politischen Situation Syriens, sie müssen sich aber in ihrer Position selbst verleugnen, um keinen klärenden Blick auf die Widersprüche zu werfen, die entstehen, wenn sie ihren gesellschaftlichen Status erhalten wollen. Mindestens tief empfundene Einsamkeit ist der Preis.

Dschaafar zum Beispiel ist 55 Jahre alt und gerade schrittweise aus seinem hohen Posten entlassen worden. In der ersten Begegnung danach mit seinem Freund Humâm sagt dieser ihm, "daß es in unserem Land eine große Ehre und eine ehrliche Anerkennung für Geradlinigkeit und Tiefe sei, ins Abseits gestellt zu werden" (S. 33), Werte, für die Dschaafar nicht gerade eingetreten war. Er hatte alles getan, um seine Pfründe zu retten:

[...] jene loyale Dickköpfigkeit, die er für die Gesinnung seines Führers an den Tag gelegt hatte. Er hatte hart gekämpft, um Dinge zu verteidigen, die schwer zu verteidigen gewesen waren. Er war eifrig darauf bedacht gewesen, jede Meinung zum Schweigen zu bringen, die dessen abgestandener Gesinnung widersprach. Was ihn von anderen Verantwortlichen unterschied, war seine beängstigende Klugheit, die er nutzte, um jemanden von einer Methode zu überzeugen, die Dinge ermöglichte, von denen man nicht überzeugt sein konnte.
(S. 21)

Die besonders spöttischen Passagen in den Erzählungen beziehen sich meist auf offizielle staatliche Anweisungen. Maha (2. Detail, S. 35), Karrierefrau in einer Redaktion und alleinstehende Mutter, arrangiert sich mit den Prämissen des Generaldirektors bei ihrer ersehnten Ernennung: "Jetzt bist du Teil unserer Medien, die dem ausländischen Druck von Angesicht zu Angesicht trotzen und sich von Trivialitäten, von rassistischen Streitereien und der Bosheit mancher Gruppierungen fernhalten." (S. 41f) Sie erkennt, daß sie nun erst recht schmerzliche Kompromisse eingehen muß.

Dima Wannous verkleidet geschickt ihre Meinung über die politische Situation in Erzählpassagen, die komisch verdreht sind. Fuâd (4. Detail, S. 55) macht den Kommissionsmitgliedern auf der ersten Sitzung, die er in seinem neuen Posten als Verwaltungschef der "Kommission zur Bekämpfung der Armut und zur Verbesserung des Lebensstandards" einberufen hat, Vorschläge zur Innovation des Gremiums. Die Kommissionsmitglieder beschließen daraufhin, "alles Menschenmögliche zu tun, um die Kommission vor diesem Verrückten und Gestörten zu retten."

Wir [...] fordern die Absetzung des neuen Direktors. Der Fuâd Hamîdo Genannte wiederholte in unserer ersten Sitzung das Wort 'Veränderung' zehnmal, das Wort 'Freiheit' fünfmal, das Wort 'Demokratie' zweimal. Die Worte 'Entwicklung' und 'Erneuerung' jedoch waren der eigentliche Motor seiner Rede. Auch beschuldigte er die Straße, die Gebärmutter zu sein, die Freiheit und Demokratie gebäre. Damit ruft er die Straße zum Umsturz auf, sät Zwietracht und setzt die Sicherheit der Nation und des Bürgers aufs Spiel. Außerdem beabsichtigt er die Zusammenarbeit mit den Armen, Mittellosen und Werktätigen, um den Funken der Revolution der Veränderung zu entfachen.
(S. 63f)

Die Personen in den "Details" - man kann sie auch jeweils als kurze soziale Studien oder Entwürfe bezeichnen - bleiben dementsprechend Stellvertreter für die Darstellung eines Brennpunktes gesellschaftlicher Herausforderungen. So entsteht für den Leser mit den neun Erzählungen ein einfühlsam und liebevoll spöttisch formulierter Überblick auf das Land vor 2011. Unterstützt wird dieser Eindruck durch den knappen, modern schnökellosen Stil, in dem eine große Kenntnis des kulturellen Zeichensystems zum Tragen kommt. Das wiederum bedeutet, daß man sehr genau lesen sollte, um sich keine Andeutung und keine Geste entgehen zu lassen.

Zum Beispiel wird Dschihâd (3. Detail), ein reicher Fabrikant und einer der bedeutendsten Männern des Landes, durch seine Umgebung charakterisiert: "Vier Tischchen stehen im Salon, in jeder Ecke eines. Runde Eichentische, aus Angst vor Ecken und Kanten. (...) Sein kleiner Tisch, den er aus Indien mitgebracht hatte, stand ergeben zu seinen Füßen. Auf ihm ein Aschenbecher. Eine dicke Zigarre. Lange Streichhölzer und eine Tasse Kaffee." (S. 46)

Daß Dima Wannous - auch aus naheliegenden Gründen - mit feinen Andeutungen und Signalen arbeitet, macht die Übertragung in unseren Kulturraum zu einer Gratwanderung. Die Herausforderung, die typischen Zuspitzungen zu vermitteln, ohne zu sehr in das Original einzugreifen, und einen für den deutschen Sprachraum fremden kulturellen Hintergrund in deutsche Denkweisen zu übertragen, ohne den Stil von Dima Wannous zu verfälschen, hat die Islamwissenschaftlerin, Dozentin für Arabisch, Journalistin und anerkannte Übersetzerin Larissa Bender bestens bewältigt. Seit Ausbruch des Bürgerkriegs engagiert sie sich für syrische Flüchtlinge.

Dima Wannous, geboren 1982, Tochter des Dramatikers Saadallah Wannous, studierte Französische Literatur an der Universität Damaskus und und an der Sorbonne in Paris sowie Übersetzungswissenschaften in Lyon und lebt derzeit in Beirut. Sie schreibt kulturelle und politische Artikel für verschiedene libanesische und internationale Zeitungen und leitet das Kulturresort der online-Zeitschrift "Al-Modon". Bis 2011 hatte sie an einem Roman gearbeitet, inzwischen hat das zerstörte Syrien seine Spuren hinterlassen:

Ich sehe mich als blutige Leiche, und ich leide schrecklich unter der Überdosis Gewalt und diese all ihre Varianten in Betracht ziehende Fantasie, die so voll des Bösen ist. Darin liegt für mich der Grund für meine Unfähigkeit, auch nur ein einziges Wort zu dem Roman hinzuzufügen, an dem ich vor der Revolution gearbeitet habe. Meine Vorstellungskraft versagt. [3]


Anmerkungen:

[1] IPS-Tagesdienst vom 30. März 2015, IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
http://www.ipsnews.net/2015/03/cash-strapped-u-n-to-seek-funds-for-syria-at-pledging-conference-in-kuwait/

[2] https://www.schattenblick.de/infopool/nachrich/bayern/bkul7400.html

[3] aus: Der Wandel der sozialen Beziehungen in Syrien, Erstarrtes Warten, Essay von Dima Wannous, aus dem Arabischen von Larissa Bender
http://faustkultur.de/1472-0-Dima-Wannous-Sozialer-Wandel-Syrien.html#.VSgLZ1CsVr0

13. April 2015


Dima Wannous
Dunkle Wolken über Damaskus
Erzählungen
aus dem Arabischen von Larissa Bender
(Originalausgabe: Tafâs&icircl,
beim Verlag Al-Mada, Damaskus 2007)
Edition Nautilus, Hamburg 2014
Fester Einband
125 Seiten
ISBN 978-3-89401-796-5


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