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REZENSION/036: Urs Frauchinger - Mit Mozart reden (Musik) (SB)


Urs Frauchinger


Mit Mozart reden



Hat man sich durch Urs Frauchingers Ein- bzw. Anleitung zu seinem Buch "Mit Mozart reden" durchgebissen, so ist das 1990 im Atlantis Musikbuch-Verlag erschienene Werk ein kleiner Genuß - ein überaus empfehlenswertes Buch für alle Mozartfreunde. Am Ende hat man den Eindruck, den großen Komponisten persönlich zu kennen. Und wer wäre dem abgeneigt?

Es empfiehlt sich allerdings nicht, das Buch anstelle einer Biographie über Mozart zu lesen. Parallel dazu, als Ergänzung aber, ist es ein kostbarer Schmöker, eine erfrischende Lektüre zu allem bereits über Mozart Gesagtem.

Urs Frauchinger hat hier Briefe von Mozart oder Briefe von Menschen aus seinem Bekanntenkreis zu fiktiven Dialogen aufgearbeitet. Auf 194 Seiten kommen der in Salzburg geborene Mozart und seine Zeitgenossen zu Wort. Das Buch ist nicht, wie gewöhnlich, in Kapitel aufgeteilt, sondern vermittelt uns Mozarts Wesen durch Gespräche mit Eltern, Musikern, Scholaren, Adligen, Augen- und Ohrenzeugen.

Ohne den Anspruch auf Chronologie schafft der Autor einen Rahmen, der uns Mozart erleben läßt. Diese Dialogform ist klug gewählt, denn Frauchinger erreicht damit tatsächlich das Ziel, bestehende Klischeevorstellungen über `das Wolferl' über den Haufen zu werfen.

Bei einer gewöhnlichen Biographie wird der Leser stark von der jeweiligen Sympathie des Autors zum entsprechenden Komponisten beeinflußt. Ehe man sich darüber klar geworden ist, hat sich die gerade vermittelte Meinung eingeprägt. Hier aber, in Frauchingers Buch, redet Mozart mit uns. Der Leser befindet sich am Ort der Handlung, er erlebt Mozart `live'. Urs Frauchinger verwischt die Grenzen zwischen heute und gestern und ermöglicht uns anhand des Rahmens einer Theaterinszenierung mitten ins Geschehen hineinzutreten.

Wir lernen Wolfgang Amadeus Mozart in all seinen Facetten kennen. Auch über ihn gibt es unterschiedlichste Darstellungen seiner Person. Frauchinger jedoch zeigt uns, daß Mozart nicht einfach festzuschreiben ist. Ich denke, genau das wollte er erreichen, was ihm auch wirklich gelingt.

Manche Autoren beschreiben ihn als unfähig, für sich selbst Entscheidungen zu treffen, betonen die Abhängigkeit zu seinem Vater, bemängeln seinen Umgang mit Geld, schreiben seine zahlreichen Umzüge einer Rastlosigkeit zu und stellen ihn als eine Persönlichkeit dar, die sich selbst im Wege stand. Bereits Mozarts erster Biograph, Friedrich Schlichtegroll, beschrieb den Musiker 1793 als außerstande, sich den Forderungen der Gesellschaft und des Lebens zu stellen (1). - Allein, sein unbezweifelbares Genie konnte niemand bestreiten.

Der Wolfgang Amadeus Mozart, von dem wir hier erfahren, ist ein völlig anderer. Er war ein "Rebell", jemand, der sich sehr wohl im klaren war über sein Tun und Handeln. Er beugte sich nicht den herrschenden gesellschaftlichen Strukturen.

Als er seine Anstellung beim Fürsterzbischof von Salzburg, Graf Colloredo, auf Grund von Beleidigungen seiner Person verließ, kommentierte er:

"... Das wäre Distinction (Auszeichnung, Anm. d. Red.), wenn ich bei dieser Tafel (der Tafel des Grafen Arco, Anm. d. Red.) wäre - aber nicht bei den Kammerdienern, die die Lüster anzünden, die Tür aufmachen und im Vorzimmer bleiben, wenn ich darinnen bin - und bei die Herrn Köche!"
(aus: Urs Frauchinger: Mit Mozart reden, Zürich, 1990, S. 108/109)

Schließlich war ja er es, der seinem Dienstherren allen Ruhm einbrachte.

Diesem Standpunkt, standesmäßige Unterschiede nicht anzuerkennen - er vertrat die Auffassung, es sei das Herz, das den Mann adele -, blieb Mozart sein Leben lang treu, und in einer Zeit, in der der Adel um seinen gesellschaftlichen Stand fürchten mußte, konnte das nicht ohne Folgen bleiben.

Die Angst der Herrschenden vor Mozarts freiem Denken, seinem freien Geist, wog schwerer, als die Anerkennung seines Genies. Wer traute sich schon, einen Mozart zu engagieren, der sich den Wünschen und Worten seines Herrn nicht bedingungslos beugen würde? Mozart hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg, und er liebte es gar, mit der Wahl seiner Worte zu provozieren.

Überhaupt war er ein Mann des Wortes. Schon als Junge antwortet er zum Beispiel auf eine Frage, ob er komponieren möge, nicht einfach mit ja oder nein. Er beschreibt:

""Oben unser ist ein Violinist, unter unser auch einer, neben unser ein Singmeister, der Lection gibt -" [...] "- in dem letzten Zimmer gegen unser ist ein Hautboist. [...] Das ist lustig zum componieren. Gibt einem viel Gedanken.""
(aus: Urs Frauchinger, a.a.O., S. 32/33)

Mit seinem ihm eigenen Humor schreibt er etliche Jahre später in französischer Sprache in das Album des Bäsle Maria Thekla Mozart, der er sehr zugetan war:

"Wenn Sie lieben, was ich liebe, dann lieben Sie sich

selbst." unterschreibt mit "Ihr Ihnen sehr zugetaner Wolfgang Amadée Mozart. Augspourg le 25 Oct. 1777" und korrigiert sich spaßig: "Mosar! Ogspur! Ich hoffe, daß Sie bereits einige Lektionen in französischer Sprache genommen haben. Adieu unterdessen."

(aus: Urs Frauchinger, a.a.O., S. 88)

Ebenfalls eine treffende Aussage über Mozarts Persönlichkeit macht der irische Tenor, Micheal Kelly anläßlich der Vorbereitungen für "Die Hochzeit des Figaro":

Alle ersten Darsteller hatten das Glück, durch den Komponisten persönlich unterwiesen zu werden, der seine Auffassung und Begeisterung auf sie übertrug. Nie werde ich sein schmales, lebenssprühendes Antlitz vergessen, wie es im Feuer des Genies erglühend leuchtete. Es zu beschreiben, ist so wenig möglich, als man Sonnenstrahlen malen kann. (2)

Mozart wuchs nicht auf wie andere Kinder. Sein Vater, Leopold Mozart, selbst Musiker, wollte das einmalige Talent seines Sohnes in die Welt tragen. Von klein auf an reiste der ehrgeizige Vater mit der Schwester Nannerl und dem jungen Mozart durch die Welt. Über das Verhältnis der beiden weiß man eines gewiß, es litt schließlich an den in den Sohn gesetzten Erwartungen und Ansprüchen. Hatte sich Leopold Mozart von den Fähigkeiten seines Sohnes einen gesicherten Lebensabend versprochen, so erfüllte ihm Wolfgang diesen Wunsch nicht.

Für Mozarts Umwelt mag er als gescheitert gelten, starb er doch trotz seiner großen Fähigkeiten in völliger Armut und Erschöpfung.


Ich jedoch bin nach Lesen dieses Buches der Meinung: Mozart blieb nicht nur seinem Standpunkt treu, standesgemäße Unterschiede nicht anzuerkennen, sondern er blieb sich selbst treu. Er tat das seiner Meinung nach Beste.

Man muß Urs Frauchingers Versuch einer Anleitung nicht verstehen, um Spaß an dem Buch zu haben - und Mozart als neu gewonnenen Freund. Nach der Lektüre lohnt sich die Mühe, das Vorwort noch einmal durchzulesen. Dabei entdeckt man dann, daß es dem Autor gelungen ist, sein Ziel in jeder Hinsicht zu erreichen. Er hat den richtigen Rahmen gefunden, denn wir haben Mozart in seinem Umfeld kennengelernt, wir haben seine Freunde und seine Feinde kennengelernt, wir haben ihn reden hören. Kurzum, wir hatten tatsächlich die Gelegenheit, "fest zementierte Meinungen und Klischeevorstellungen" über den Haufen zu werfen.

Nun lassen Sie uns des großen Komponisten Musik erleben!


Der Autor, Urs Frauchinger, wurde 1936 geboren. Er studierte an der Universität Bern und machte an den Konservatorien in Bern und Basel sein Lehrdiplom für Cello. 1977 wurde er zum Direktor des Berner Konservatoriums für Musik und Theater ernannt, seit 1988 ist er Generalsekretär der Europäischen Vereinigung der Konservatorien, Musikakademien und Musikhochschulen.


(1) Harold C. Schonberg: Die großen Komponisten - Ihr Leben und

Werk, Ullstein Sachbuch, Seite 87 (2) Die Klassik Sammlung "Mozart" Heft 53, Orbis Publishing, Hamburg, Seite 629


Urs Frauchinger
Mit Mozart reden
Zürich: Atlantis Musikbuch-Verlag
1990, DM 34,--
ISBN 3-254-00163-X