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REZENSION/116: Schölzel, Hg. - Das Schweigekartell (11. September) (SB)


Arnold Schölzel (Hg.)


Das Schweigekartell

Fragen & Widersprüche zum 11. September



Für ein Buch, daß sich mit den vielen Ungereimtheiten und Merkwürdigkeiten befaßt, die im Gefolge der Anschläge auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington ruchbar geworden sind, müßte es nach herkömmlichem Verständnis geradezu ein Millionenpublikum geben, doch das wird sich auch im Falle des vorliegenden Bandes "Das Schweigekartell" nicht einstellen. Das Interesse an der Aufklärung der Ereignisse steht in einem krassem, die mediale Spannung von propagandistischem Schein und unterdrückter Substanz geradezu signifikant darstellenden Mißverhältnis zur alle Vergleiche sprengenden Präsentation des Spektakels, zu dem die Anschläge in ihrer journalistischen Aufbereitung schnell gerieten.

Die monolithische Wucht, mit der das Ereignis im audiovisuellen Echtzeitzirkus rotierte, ließ niemandem die Wahl, an dem Tod von rund 3000 Menschen vorbeizuschauen, wie es bei anderen Katastrophen dieser Dimension alltäglich ist. Die Instrumentalisierung des angeblichen Angriffes auf die USA, die amerikanischen Werte, die Zivilisation und was sonst noch alles zum Brandopfer auf dem Altar kommender Kriege erklärt wurde, durch die Regierung Bush und ihre westlichen Verbündeten bestimmtem schon bald nach dem 11. September die politische und mediale Nachbereitung, während relevante Fragen zu den Urhebern und Umständen der Tat innerhalb kürzester Frist mit suggestiven Antworten zum Verstummen gebracht wurden.

Dieser obskure Sachverhalt ist das Thema des "Schweigekartells", wie der als Herausgeber fungierende Chefredakteur der jungen Welt, Arnold Schölzel, im Vorwort erklärt. Dort unterzieht er sich nicht nur der Pflicht einer Rechtfertigung der in dem Buch aufgeworfenen Fragen, zu der offensichtlich jeder Journalist genötigt ist, der sich nicht dem mit dogmatischer Gewalt verordneten Konsens unterwirft, der Hergang der Anschläge sei aufgeklärt und mit Osama bin Laden der maßgebliche Hintermann beim Namen genannt, sondern stellt die dabei zutagetretenden Widersprüche in den Kontext der amerikanischen Kriegsführung, die sachgerecht zu analysieren oder gar zu kritisieren ebenfalls unter dem Verdikt der politischen Propaganda stehe. Zwar hebt Schölzel in der Kürze der Einleitung lediglich auf das Szenario der kriegerischen Ressourcensicherung in Zentralasien ab, das die Agenda der Washingtoner Hegemonialinteressen bestenfalls zu einem Teil abdecken dürfte, doch der grundlegende Vorwandscharakter des Kreuzzugs gegen den Terrorismus ist damit bereits ausgesprochen.

Die Stärke des Buches liegt vor allem in der übersichtlichen Aufbereitung der "Fragen & Widersprüche zum 11. September", die in dem Kapitel "Offene Fragen", kondensiert aus den Beiträgen diverser Autoren, auf sieben Seiten aufgelistet werden. Mit ihnen wird artikuliert, was sich viele Menschen angesichts der offenkundigen Inkohärenz einzelner Nachrichten bereits gefragt, in der Breite wie Dichte der Auslassungen jedoch kaum zur Kenntnis genommen haben dürften. Selbst wenn die Fragen - wie auch die folgenden Beiträge - nicht ganz frei sind von Wiederholungen, so lassen sie ein halbes Jahr nach dem 11. September erkennen, daß der behördliche wie mediale Umgang mit den Anschlägen nach herkömmlichen Maßstäben politischer Lauterkeit und rechtlicher Korrektheit ein ganzes Pandämonium aus Skandalen bildete, gäbe es einen Resonanzboden im Sinne öffentlicher Aufklärung.

Das eklatante Mißverhältnis von tatsächlichem Kenntnisstand über die vermuteten Täter und ihre Drahtzieher zum Umgang mit der offiziellen Lesart, derzufolge 19 Attentäter mit Al-Kaida- Hintergrund die Entführung der vier Flugzeuge und ihre Umwandlung in Werkzeuge von Selbstmordanschlägen bewerkstellig hätten, muß für jeden Leser, der sich bislang nicht die Mühe gemacht hat, die regierungsamtlichen Wahrheiten zum 11. September zu hinterfragen, atemberaubend sein. Da es sich dabei nicht um intellektuelle Spielereien handelt, sondern die Anschläge nach wie vor als Begründung für einen unterschwelligen Weltkrieg herhalten, können die hier aufgeworfenen Widersprüche nicht genügend Verbreitung finden, um die Saat des Zweifels zum Gift des prinzipiellen Mißtrauens gegenüber den Strategien der planmäßigen Verdummung reifen zu lassen.

Besonders geeignet dazu ist der Beitrag des Journalisten René Heilig, der die Ermittlungen zu den Anschlägen genauer unter die Lupe nimmt und sich dabei der gebotenen Seriosität des bloßen Aufwerfens von Fragen befleißigt, anstatt dem Gewebe der Propaganda durch Spekulationen zu entsprechen oder gar mit vermeintlichen Ergebnissen aufzuwarten, wie es der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom tut. Dessen Beitrag über "Nachrichtendienste im Anti-Terror-Krieg" wartet zwar mit einigen interessanten Hypothesen zur innerimperialistischen Konkurrenz im Rahmen des Afghanistankrieges auf, die jedoch nicht weniger als alle anderen Ausführungen des Autoren daran kranken, daß er hinsichtlich der Anschläge alle bereits aufgeworfenen Fragen ignoriert. Schmidt-Eenboom übernimmt den von der US- Regierung präsentierten Tathergang wie die Beschuldigung Al- Kaidas ohne Abstriche und widmet sich allein der bereits ausgiebig diskutierten Frage, wieso die amerikanischen Geheimdienste so versagen konnten.

So gesteht er dem FBI "ansehnliche Ermittlungserfolge" zu, die es der US-Bundespolizei erlaubt hätten, "das Netz der unmittelbar an der Tat Beteiligten nahezu lückenlos aufzuklären", und erklärt so die an anderer Stelle im Buch aufgeworfenen Fragen als unglaubwürdig. Gleichzeitig schließt die von ihm attestierte Unfähigkeit der US-Auslandsnachrichtendienste, die Anschläge im Vorwege aufzuklären und die Täter im Nachhinein zu überführen, jede Möglichkeit aus, daß hier weniger fachliches Versagen als intrigantes Gewährenlassen vorlag. Wer glauben macht, die Geheimdienste eines Landes agierten als der öffentlichen Kontrolle entzogene Agenturen der Sicherung von Herrschafts- und Hegemonialinteressen kohärent zu dem, was als mehrheitlicher Willen der Bevölkerung ausgemacht werden kann, arbeitet ihnen entweder auf irgendeine Weise zu oder ist hoffnungslos naiv.

Da letzteres von dem bekannten Geheimdienstexperten kaum anzunehmen ist, muß die Frage schon erlaubt sein, wie ein Beitrag, in dem der Terrorismusbegriff ohne jeden Verweis auf seine Instrumentalisierung konventionell affirmiert wird und die Geheimdienste über jeden Zweifel erhaben scheinen, ihrerseits in Aktivitäten verstrickt zu sein, die sich in der Grauzone zwischen staatlicher Exekutive und ihren vermeintlichen Feinden ereignen, in in Buch geraten kann, daß sich die Aufdeckung des widersprüchlichen Charakters regierungsamtlicher Propaganda zur Aufgabe gemacht hat. Wenn Schmidt-Eenboom etwa die wiederholte Bombardierung humanitärer Einrichtungen in Kabul als "Fehlschläge" bezeichnet, ohne auch nur zu erwägen, daß damit die in andern von den USA geführten Kriegen nachgewiesene Strategie einer Schädigung der gegnerischen Zivilbevölkerung bezweckt war, dann fällt es schwer, anderen von ihm aufgestellten Behauptungen überhaupt Glauben zu schenken.

Und darauf kommt es bei aller Dokumentation gerade im Falle der Anschläge vom 11. September nach wie vor an, wenn man positive Ergebnisse hinsichtlich ihrer Urheberschaft postulieren will. Allein die mittlerweile aufgelaufenen Informationen, von den verhandelten Theorien und Spekulationen ganz zu schweigen, ergeben ein derartiges Verwirrspiel, daß der in dem Buch angeschlagene Grundtenor des Stellens kritischer Fragen der angemessenste Umgang mit der Materie ist. Dabei reißt "Das Schweigekartell" den Komplex der offenen Enden zum Tathergang eher an, als daß es ihn dezidiert ausführt, wie etwa der völlige Verzicht auf Überlegungen zu den Aktivitäten israelischer Nachrichtendienste in den USA belegt, die immerhin seit Mitte Dezember publik sind.

Neben Heilig geht vor allem Rainer Rupp konkreter auf die nebulösen Umstände ein, die die Ereignisse des 11. September umranken und im allgemeinen unter dem stets pejorativ gemeinten Begriff Verschwörungstheorien entsorgt werden. Indem er einige deutliche Hinweise auf einen bevorstehenden Anschlag dokumentiert, die bei den amerikanischen Nachrichtendiensten Alarmzustand hätten auslösen müssen, ohne dies jedoch definitiv zu einer These hinsichtlich einer mehr oder weniger indirekten Beteiligung zu verdichten, konterkariert er die Gewißheit, mit der Schmidt-Eenboom offizielle Behauptungen der US-Regierung kolportiert. Rupp folgt der Spur des verfügbaren Materials vor allem hinsichtlich der "Rechtfertigung längst geplanter Kriege", die er in der Überschrift zwar mit einem Fragezeichen versieht, hinsichtlich der Plausibilität des Cui Bono jedoch eindeutig beanwortet.

Zum Abschluß seines Beitrags präsentiert Rupp ein Zitat von US-Präsident Bush, das der Abwehr aller mit den Absichten seiner Regierung unverträglichen Theorien zum 11. September gewidmet und gerade daher geeignet ist, Mutmaßungen gegenteiliger Art loszutreten. Sein Aufruf, "niemals diese abscheulichen Verschwörungstheorien in Zusammenhang mit dem 11. September" zu bringen, da es sich um "heimtückische Lügen" handle, die allein von der "Schuld der Terroristen" ablenken sollten, läßt sich vom Ende dieser durch kein Beweismaterial und schon gar kein Gerichtsurteil belegten Zuweisung her tatsächlich nicht anders interpretieren als Verweis auf das verbotene Zimmer, in dem Blaubart seine Leichen aufbewahrt und daß unter Androhung schlimmster Strafe niemals betreten werden darf.

Weitere Beiträge des Buches befassen sich mit den völkerrechtlichen und und hegemonialen Aspekten des von der US-Regierung erklärten Terrorkriegs, mit der Geschichte des amerikanischen Staatsterrorismus, mit den Folgen des 11. September für die Verschärfung der Repression in den Staaten des Westens und mit den "monetären Netzwerken des Terrors", worunter vor allem geheimdienstlich kontrollierte Finanzierungswege verstanden werden. Was immer man von den Gewichtungen und Interpretationen halten mag, die die einzelnen Autoren vornehmen, so werden die von ihnen aufgezeigten Ungereimtheiten und Vertuschungen dem Titel "Das Schweigekartell" allemal gerecht. Die Lektüre des Buches ist daher unbedingt zu empfehlen, um die daraus gewonnenen Erkenntnisse zur Steigerung jener kritischen Masse zu nutzen, an der es angesichts der eklatanten Irreführungen im Zusammenhang mit den Anschlägen des 11. September sowie den damit erwirtschafteten Kriegsvorwänden wohl noch nie so sehr gemangelt hat wie heute.


Arnold Schölzel (Hg.)
Das Schweigekartell
Fragen & Widersprüche zum 11. September
Kai Homilius Verlag, Berlin, 2002