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REZENSION/185: Heleño Sana - Macht ohne Moral (Philosophiegeschichte) (SB)


Heleño Sana


Macht ohne Moral

Die Herrschaft des Westens und ihre Grundlagen



Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Sieg des Kapitalismus über den Kommunismus sowjetischer Prägung finden in den westlichen Medien die Thesen, die Ideologie habe ausgedient, Philosophie sei nicht mehr relevant, es herrsche in allen Fragen, ob Außen- oder Sozialpolitik, der reine Pragmatismus, große Verbreitung. Bei diesen Annahmen, die sich auf Globalisierungsapologien wie Francis Fukuyamas enorm einflußreiches "Ende der Geschichte" stützen, handelt es sich um einen absoluten und deshalb gefährlichen Irrtum. Ein Blick auf die politischen Hintergründe des letztjährigen, fadenscheinig begründeten, angloamerikanischen Einmarschs in den Irak soll diese These belegen.

Der Stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz und sein Amtsvorgänger unter Ronald Reagan, Pentagon-Berater Richard Perle, die Chefarchitekten des "Regimewechsels" in Bagdad, der aktuellen, proisraelischen Aufräumpolitik Washingtons im Nahen Osten sowie der präemptiven Sicherheitsdoktrin einer weltweiten Pax Americana, zählen zu den überzeugtesten Anhängern von Leo Strauss, dem einstigen Professor für klassische Philosophie an der Universität von Chicago. Die an Platon, Machiavelli, Hobbes, Nietzsche und Carl Schmitt angelehnte, antidemokratische Lehre von Strauss bildet den geistigen Bodensatz, aus dem die Ideologen am Hofe George W. Bushs ihre Begründung für den "globalen Antiterrorkrieg" der Vereinigten Staaten ableiten. Das gerade in den USA erschienene Manifest Perles, "An End to Evil: How to Win the War On Terror", das er zusammen mit dem einstigen Bush-Redenschreiber David Frum ("Achse des Bösen") verfaßt hat, läßt erkennen, welch erschreckende Hybris bei den neokonservativen Kriegsfalken in Washington vorherrscht. Laut Perle und Frum dürfte der Antiterrorkrieg erst beendet sein, wenn alles Böse in der Welt besiegt worden ist. Hat man jemals ein unverblümteres Plädoyer für einen niemals endenden Krieg gehört? Wohl kaum.

Dem, der das hysterische Säbelrasseln der Sicherheitsfanatiker und Rüstungslobbyisten in den USA - hierzulande gibt es sie auch, wie die aktuelle Debatte im Bundestag über ein Gesetz zur Legitimierung des Abschusses von entführten Passagierflugzeugen durch die Luftwaffe zeigt - oder die ständige Forderung westlicher Wirtschaftskapitäne nach mehr "Flexibilität" seitens der Werktätigen im Dienste der Globalisierung nicht mehr hören kann, schafft Heleño Sana mit seinem Buch "Macht ohne Moral: Die Herrschaft des Westens und ihre Grundlage" das argumentative Rüstzeug, um sich gegen die herrschende Fortschrittsideologie wehren zu können. In diesem wunderschönen, kleinen Buch reduziert Sana die Weltlenker unserer Tage auf Normalgröße und entlarvt in aller Ausführlichkeit die geistige und moralische Armut ihrer menschenverachtenden, weltzerstörerischen Absichten.

Wie Sana selbst konstatiert, haben sich die meisten zeitgenössischen Intellektuellen entweder in den akademischen Elfenbeinturm zurückgezogen oder Zuflucht im medialen Kulturbetrieb gesucht, wo sie sich um den Prozeß der allgemeinen Volksverdummung befleißigen. Das bißchen Philosophie, das heute im Westen noch aktiv betrieben wird, wie etwa der Dekonstruktivismus, ist zu einem partikulären Biotop geworden, und neuere "Erkenntnisse" sind, sofern man in diesem Zusammenhang überhaupt davon sprechen kann, für den Großteil der Menschen nicht nur unverständlich, sondern gänzlich irrelevant. Diesen Fehler der standesgemäßen Selbstbezogenheit, an sich eine Form der geistigen Idiotie, begeht Sana nicht. Er erklärt die heutige Weltlage und ihre intellektuellen Wurzeln in einer Sprache, die zwar recht anspruchsvoll, jedoch auch dem Laien leicht erschließbar sein dürfte, sofern sich dieser nicht zu schade dafür ist, gelegentlich einen Blick ins Wörterbuch zu werfen. Es gibt nicht viele Werke über die Geistesgeschichte, welche die Gedanken vergangener Größen wie Aristoteles, Thomas von Aquin, Spinoza und Hegel jedermann zugänglich machen. Bertrand Russells "Geschichte der westlichen Philosophie" ist eines davon. Sanas aktuelles Buch - laut Klappentext hat er bereits über 30 andere auf Spanisch und Deutsch geschrieben - dürfte ebenfalls hierzu zählen.

Im Gegensatz zu Russells Klassiker ist Sanas "Macht ohne Moral" weniger rückwärtsgewandt, als vielmehr auf die Probleme der Gegenwart gerichtet. Sanas Fazit des westlichen Kapitalismus, der sich seines Erachtens im Zuge des aktuellen Globalisierungsprozesses zu einer "Oligarchie planetarischen Ausmaßes" entwickelt hat, fällt vernichtend aus: Krieg, Hunger und Leid für den Großteil der Menschen im ausgebeuteten Süden, Konkurrenzkampf, Selbstentfremdung und Schuften bis in den Tod für die "Glücklichen" im reichen, industrialisierten Norden. Und das alles wegen eines Systems, das, für jeden sichtbar, an seinen inneren und äußeren Widersprüchen - man bedenke nur die ungeheuerliche Vernichtung der Ressourcen und der Artenvielfalt als Folge des westlichen Konsumverhaltens - zugrunde geht.

So negativ, wie Sanas Einschätzung der unmittelbaren Perspektive für unseren Globus auch ausfällt, so entschieden ist sein Aufruf zum Widerstand gegen die herrschenden Kräfte und zur Besinnung auf diejenigen emanzipatorischen Impulse der Aufklärung und der Moderne, mit deren Hilfe sich eine bessere und humanere Welt eventuell doch noch schaffen ließe. Früher hat sich die Linke irrtümlicherweise auf die Unvermeidlichkeit ihres geschichtlichen Sieges verlassen. Heute fordert Sana sie auf, sich der scheinbaren Sinnlosigkeit der neoliberalen Welt zu stellen und zu kämpfen - selbst auf die Gefahr hin, letztendlich auf der "Seite der Verlierer" zu stehen. Damit greift Sana bewußt auf den archaischsten aller Standpunkte - lieber tot als Sklave - zurück.

Was im ersten Moment als theoretisch zu schwierig und unattraktiv klingt, nämlich die Position des Verlierers zu beziehen und gegen die "Unterdrückung des Menschen durch den Menschen" Stellung zu nehmen, könnte in der Realität doch befreiend und vitalisierend sein, wie Sana mit seinem Verweis auf das "poetische" - heroische und großzügige - Leben andeutet. Sana geht es hier um nicht weniger als die Überwindung "des Realen durch das Ideale". Daß es sich hierbei zunächst um einen Traum handeln dürfte, stört den Autor nicht im geringsten. Für ihn steht es "außer Frage, daß jeder Mensch, der sich einem höheren, unegoistischen Ideal hingibt, kein Besiegter oder Gescheiterter im tieferen Sinn sein kann. Wahre Siege kann es nur im Bereich des ethischen Edelmuts geben. Und die wahren Verlierer und Gescheiterten sind umgekehrt alle jene smarten Ich-Menschen, die keinen anderen Verhaltenskodex kennen als die berechnende Vernunft."

Wegen seiner unerschrockenen und beispielhaften Absage an jene Vernunft, seines Eintritts für das "Nicht-Wissen" à la Sokrates und seiner "rücksichtslosen Kritik alles Bestehenden" im Sinne von Marx gebührt Heleño Sana große Achtung. Sein Buch "Macht ohne Moral" ist nicht nur höchst aufschlußreich, sondern auch trotz oder gerade wegen des tiefschürfenden Inhalts extrem kurzweilig. Allen, die die Welt, in der wir heute existieren, besser verstehen und sich ein Bild von ihrer geistesgeschichtlichen Untermauerung machen wollen, kann man dieses Buch nur empfehlen.

30. Januar 2004


Heleño Sana
Macht ohne Moral
Die Herrschaft des Westens und ihre Grundlagen
PapyRossa Verlag, Köln, 2003
261 Seiten, 15,90 Euro
ISBN 3-89438-271-6