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REZENSION/197: Kristina Borjesson, Hg. - Zensor USA (SB)


Kristina Borjesson


Zensor USA

Wie die amerikanische Presse zum Schweigen gebracht wird



In keinem anderen Land wird die Pressefreiheit so hochgehalten wie in den Vereinigten Staaten von Amerika. Dies liegt daran, daß die Presse nach dem ausdrücklichen Willen der Gründungsväter, vor allem Thomas Jeffersons, neben Exekutive, Legislative und Judikative als "vierte Gewalt" im Staat das Volk informieren und somit die ihm zugewiesene Rolle als eigentlicher Souverän garantieren sollte. Folglich hat man bereits 1791 die gerade drei Jahre zuvor in Kraft getretene Verfassung des Landes um das Recht der US-Bürger auf Meinungs- und Pressefreiheit - den berühmten ersten Zusatz - ergänzt. Doch in einer Zeit, in der die letzten republikanischen Ideale auf dem Altar der imperialistischen Weltmission Washingtons geopfert werden, steht es um die Pressefreiheit Amerikas schlecht. Wichtiges Zeugnis dieser besorgniserregenden Entwicklung, deren Folgewirkungen sich wegen der globalen Vorreiterrolle der US-Medien auch in Europa bemerkbar machen, ist das von Kristina Borjesson herausgegebene Buch "Zensor USA".

In dieser Essay-Sammlung zeigen Borjesson und zwölf weitere, namhafte und mehrheitlich preisgekrönte US-Journalisten, wie in den neunziger Jahren unter Bill Clinton die Konzentration in der Medienbranche zusammen mit der starren Ausrichtung auf Aktienkurse, Auflagen und Einschaltquoten die wenigen letzten Freiräume des unabhängigen Enthüllungsjournalismus faktisch zunichte machten. Nicht umsonst hat Gore Vidal, der große Romancier und Chronist amerikanischer Politik, der sein Land inzwischen von einer "Pentagon-Junta" regiert sieht, das Vorwort zu der Ende 2001 erschienenen US-Ausgabe dieses aufrüttelnden Buchs verfaßt.

In "Zensor USA" werden mitunter zwei der prägendsten und nachhaltigsten Phänomene unseres Zeitalters, nämlich der Antiterrorkrieg und sein älterer Vorgänger, der Antidrogenkrieg, kritisch beleuchtet. In der Einleitung erläutert Emmy-Preisträgerin Kristina Borjesson den englischen Titel des Buchs "Into the Buzzsaw", was mit "ins offene Messer" übersetzt wird, mit folgenden Worten:

Dieses Buch hat seine Entstehung einer schrecklichen Erfahrung zu verdanken, die ich bei CBS (einem der vier großen, landesweiten US- Fernsehsender - Anm. d. Red.) machte. Das Unheil nahm seinen Lauf, als ich den Auftrag erhielt herauszufinden, warum die Maschine des TWA-Flugs 800 vor der Küste explodiert war. Ich verließ CBS, kurz nachdem das FBI bei dem Sender aufgetaucht war und nach Beweismitteln gesucht hatte, die ich angeblich in einem Hangar auf New Island gestohlen hatte, in dem FBI-Beamte ermittelten. Meine Erfahrung bei CBS führte zu weiteren seltsamen und beunruhigenden Ereignissen, die mir in ihrer Gesamtheit ein Gefühl vermittelten, als ob ich ins offene Messer laufen würde. Mit offenem Messer meine ich ein mächtiges Zensursystem in den USA, mit dem man Bekanntschaft macht, wenn man an besonders brisanten Reportagen arbeitet, die in der Regel mit einem Fehlverhalten hoher Regierungsstellen und/oder großer Konzerne zu tun haben.

Bei ihrer Arbeit am Fall des Absturzes des TWA-800-Flugs am 17. Juli 1996 war Borjesson in Zusammenhang mit den Ermittlungen des FBI und der amerikanischen Luftfahrtsicherheitsbehörde National Transportation Safety Board (NTSB) auf zahlreiche Ungereimtheiten und Widersprüche gestoßen. Bei dem Vorhaben, einen kritischen Bericht über die TWA-800-Ermittlungen entweder bei CBS News oder beim angesehenen CBS-Politmagazin "60 Minutes" unterzubringen, ist Borjesson am Widerstand der Vorgesetzten gescheitert. Die CBS- Führungsetage weigerte sich strikt, einen Bericht über handfeste Beweise zu senden, die darauf hindeuteten, daß der Jumbo nicht, wie von den Behörden später behauptet, aufgrund eines technischen Fehlers - eines von Stromkabeln ausgelösten Funkens - explodiert war, sondern von einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen wurde.

Zu den wichtigsten von Borjesson aufgeführten Beweisen, welche ein solches Szenario zur plausibelsten Erklärung für die Katastrophe machen, gehören: die Aussagen der mehr als 600 Augenzeugen, die am fraglichen Abend von der Küste Long Islands aus gesehen haben wollen, wie eine Rakete von der Wasserfläche aufstieg, die TWA-800 traf und diese zur Explosion brachte; Radaraufzeichnungen der amerikanischen Luftfahrtbehörde Federal Aviation Authority (FAA), auf denen die Flugbahn der Rakete festgehalten wurde; von Forensikern in den Polstern einiger der geborgenen Flugzeugsitze gefundene Sprengstoffspuren, die vermutlich aus einem Raketensprengkopf stammen. Borjessons journalistischer Coup, in den Besitz eines Teils dieser Reststoffe zu gelangen, rief das FBI auf dem Plan und führte schließlich zur Trennung von CBS, der seine mutige Reporterin im Kampf gegen den Washingtoner Sicherheitsapparat nicht unterstützen wollte.

Neben den entlarvenden Ausführungen Borjessons über den TWA-800- Absturz gehört die Reise Michael Levines in die Niederungen des sogenannten Antidrogenkrieges zu den Highlights dieses Buchs. Levine war früher ein führender Undercover-Agent des US-Zolls und der amerikanischen Drogenbekämpfungsbehörde Drug Enforcement Agency (DEA) und hat sowohl Erfahrungen im Goldenen Dreieck Indochinas wie auch in Mittel- und Südamerika gesammelt. Nach mehr als zwei Jahrzehnten an der Front zieht Levine das Fazit, daß es sich bei dem Antidrogenkrieg um nichts weniger als eine gigantische "Betrugsmasche" handelt, bei der die Konzernmedien für die Regierung den "Bauernfänger" spielen und die Bevölkerung hinsichtlich Sinn und Zweck des ganzen Mammutprojekts in die Irre führen. Kurz bevor er den Dienst quittierte, leitete Levine in New York sogar eine Sonderabteilung, deren Hauptaufgabe darin bestand, Razzien für die großen Fernsehgesellschaften durchzuführen, damit diese an ruhigen Tagen etwas in den Abendnachrichten zu senden hatten.

Daß das Resümee Levines keineswegs übertrieben ist, untermauert das in "Zensor USA" ebenfalls enthaltene Essay Gary Webbs über seine berühmt-berüchtigte Reportage "Dark Alliance". Mit dieser 1996 bei der kalifornischen Tageszeitung San Jose Mercury News erschienenen Artikelreihe hat sich Webb, wenn auch ungewollt, ganz schön in die Nesseln gesetzt. Seine Recherche über die jahrelange Zusammenarbeit der CIA, der kolumbianischen Drogenmafia und der nicaraguanischen Contras im Bereich des Kokainschmuggels schlug hohe Wellen. Die wütenden Proteste der schwarzen Bevölkerung in Los Angeles wegen der Verantwortung des US-Auslandsgeheimdienstes für die damalige Crack- Plage veranlaßte in November desselben Jahres CIA-Chef John Deutch in einem verzweifelten Akt der Schadensbegrenzung, an die Westküste zu fliegen und die Demonstranten zu beschwichtigen. Obwohl Webbs Angaben später von der CIA und dem US-Justizministerium bestätigt werden sollten, geriet die San Jose Mercury News dermaßen unter Druck - New York Times, Washington Post und Los Angeles Times sprachen abwertend von "Viel Lärm um nichts" -, daß die Zeitung ihren besten Reporter im Regen stehenließ und sich bald von ihm trennte.

Wie wenig den Angaben, Erklärungen und Verlautbarungen des Pentagons zu trauen ist, zeigen die Beiträge von April Oliver zu ihrer angeblich diskreditierten CNN-Reportage über Operation Tailwind, bei der im Vietnamkrieg in den Dschungel geflohene US-Deserteure von der eigenen Luftwaffe mit Giftgas besprüht wurden, und von Monika Jensen- Stevenson über den erschütternden Fall Bobby Garwood. Dem US- Marineinfanteristen gelang 1979 die Flucht aus vietnamesischer Gefangenschaft. Weil es zu diesem Zeitpunkt offiziell keine US- Soldaten mehr in Gefangenschaft in Vietnam geben sollte, wurde Garwood vor ein Standgericht zitiert und als Überläufer verurteilt. Hintergrund des Falls Garwood war ein Streit zwischen Washington und Hanoi nach dem Vietnamkrieg über nicht eingehaltene Wiedergutmachungszusagen der USA in Höhe von drei Milliarden Dollar. Weil Washington sein Versprechen nicht einhielt, haben die Vietnamesen eine unbekannte Zahl gefangener US-Soldaten als Druckmittel behalten. Nach einigen Jahren war dieser Tatbestand beiden Seiten dermaßen peinlich, daß er auf gar keinen Fall öffentlich zugegeben werden durfte.

Neben den bereits erwähnten Essays finden sich im vorliegenden Buch weitere lesenswerte Berichte über den Niedergang des klassischen amerikanischen Journalismus. Hierzu gehört die Beschwerde von Greg Palast über das offensichtliche Versäumnis der US-Medien im November 2000, damals bereits bekannte Details über den Wahlbetrug der Republikaner in Florida, welche den Einzug des texanischen Gouverneurs George W. Bush ins Weiße Haus erst ermöglichten, aufzugreifen, wie auch die Erkenntnisse Charlotte Dennetts und Gerard Colbys, wie schwierig es in den USA ist, etwas wirklich Kritisches über die Aktivitäten mächtiger Industriellenfamilien wie die Du Ponts oder die Rockefellers beziehungsweise über die Nahostpolitik Washingtons zu veröffentlichen. Der mögliche Einwand, daß die Pressefreiheit in den USA noch funktioniere, da man dieses Buch lesen könne, sticht nicht. Denn letztlich wird die von Jefferson anvisierte regulative Funktion der vierten Gewalt von den Medien nicht mehr richtig wahrgenommen.

Wenn es etwas an diesem Buch zu kritisieren gibt, dann höchstens die Art und Weise, wie einige Autoren für sich den investigativen Journalismus als Größe oder Maßstab an sich reklamieren. Dies liegt vermutlich daran, daß die wenigsten Menschen wissen, daß die angebliche Sternstunde des Enthüllungsjournalismus, nämlich der Watergate-Skandal und der historische Rücktritt des US-Präsidenten Richard Nixon, eher das Ergebnis einer Palastintrige als der unerschrockenen Recherchearbeit der gefeierten Helden jener Staatsaffäre, der beiden Washington-Post-Journalisten Carl Bernstein und Bob Woodward, war. Woodward nämlich hatte Ende der sechziger Jahre - vor Beginn seiner journalistischen Karriere bei der Washington Post - im Rang eines Leutnants beim US-Marinegeheimdienst Office of Naval Intelligence (ONI) unter anderem als Rechercheur für General Alexander Haig, dem damals wichtigsten Assistenten von Nixons Nationalem Sicherheitsberater Henry Kissinger, gearbeitet. Nicht umsonst vermutet man seit fast drei Jahrzehnten in Journalisten- und Politikerkreisen der USA, daß sich General Haig, der später unter Ronald Reagan Außenminister wurde, hinter Bersteins und Woodwards anonymem, unter dem Tarnnamen "Deep Throat" weltberühmt gewordenen Informanten im Watergate-Skandal verbirgt. Bis heute gilt Woodward neben Seymour Hersh als einer der Journalisten in Washington, die über die besten Kontakte zu amerikanischen Geheimdienst- und Militärkreisen verfügen - was auch seine beiden jüngsten Erfolgsbücher "Bush at War" und "Plan of Attack" eindrücklich belegen.

10. Mai 2004


Kristina Borjesson
Zensor USA
Wie die amerikanische Presse zum Schweigen gebracht wird
Originaltitel: "Into the Buzzsaw -
Leading journalists expose the myth of a free press"
Pendo Verlag, Zürich 2004
468 Seiten, 24,90 Euro
ISBN 3-85842-577-X