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REZENSION/202: Wolfgang Pohrt - FAQ (Politische Kritik) (SB)


Wolfgang Pohrt


FAQ



Der Soziologe und Publizist Wolfgang Pohrt wußte stets zu provozieren, tat dies jedoch nicht aus bloßer Effekthascherei, sondern um sich an vorherrschenden Befindlichkeiten und Gemütslagen zu reiben. Diese waren ihm um so suspekter, als zwischen der nationalistischen Genugtuung, die sich im Gefolge des Anschlusses der DDR an die BRD in beiden Teilen des Landes breit machte wie ein in Zersetzung befindlicher Weichkäse, und den Protesten gegen den Irakkrieg von 1991 eine innere Verbindung zu bestehen schien. Pohrts Eintreten für die atomare Vergeltung Israels im Falle eines irakischen Angriffs mit Chemiewaffen war nicht spektakulärer als die politische Apologetik der Enzensberger, Broder und Cohn-Bendit, die den mörderischen Angriff auf den Irak als Morgenröte der Einen Welt von Freiheit und Demokratie zu verkaufen wußten, wurde einem als radikal geltenden Linken jedoch besonders übel genommen.

Im Unterschied zu einem linken Establishment, das sich, wenn es nicht bereits auf den Kurs grüner Friedensseligkeit sprich Brandstifterei eingeschwenkt war, acht Jahre später wenn überhaupt, dann nur mühsam zu Kritik an der deutschen Beteiligung am Überfall auf Jugoslawien aufraffen konnte und jugoslawischen Demonstranten untersagte, auf gemeinsamen Märschen Plakate mit dem Bild Milosevics in die Höhe zu halten, blieb sich Pohrt zumindest in seiner Außenseiterposition treu. Indem er der serbophoben Pogromstimmung von Beginn der Zerschlagung Jugoslawiens an mit seinen Artikeln in Konkret Paroli bot und die Allianz aus linksliberalem Humanitarismus und teutonischem Revanchismus, die sich an der jugoslawischen Tragödie mit der ganzen Gier der bei der Verteilung der Beute aus vielerlei Gründen Zuspätgekommenen aufbaute, in ihrer reaktionären Intention offenlegte, leistete Pohrt wertvolle Arbeit für all diejenigen, die sich der Rache am jugoslawischen Versuch, einen praktikablen sozialistischen Weg zu beschreiten, nicht anschließen wollten.

In dem vorliegenden Buch mit dem prosaischen Titel "FAQ" beantwortet Pohrt häufig gestellte Fragen vor allem zu seinen politischen Wandlungen und Häutungen, die bei genauerem Hinsehen eher dem Wechsel der politischen Jahreszeiten als einem mutmaßlichen Opportunismus seitens Pohrts entspringen. Besonders deutlich wurde dies beim ursprünglichen Anlaß zur Herausgabe von Aufsätzen und Vorträgen dieses seit 30 Jahren aktiven Autoren, die er innerhalb der letzten sechs Jahre verfaßt hat.

Am 30. September 2003 hatte das Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus (BgAA) im Berliner Tempodrom zu einer Veranstaltung unter dem Motto "Deutschland denken 2003: Auf zu neuen Kriegen" geladen, auf der Wolfgang Pohrt und Henryk M. Broder allerdings wenig zur Mobilisierung des Publikums im Sinne der Veranstalter beitrugen. Insbesondere Pohrt, der im Vorwort des Buches feststellt, daß ihn seine "alten Feinde" trotz langer publizistischer Abstinenz nicht vergessen hätten und er sich obendrein sogar neue gemacht hätte, was sein Verleger Klaus Bittermann als "erfreulichen Beweis für ungebrochene Leserbindung" zum Anlaß der Herausgabe dieses Sammelbands genommen hätte, trat in den Augen nämlicher Kontrahenten in ein Fettnäpfchen nach dem anderen. Das wurde ihm seitens der Antideutschen mit viel Häme und einem im Grundton zwar wohlwollenden, hinsichtlich seines Auftritts im Tempodrom jedoch allzu mitleidigen Nachruf Uli Krugs in der Bahamas quittiert und rief auch unter Kritikern der Antideutschen wie Robert Kurz und Franz Schandl keine Zustimmung hervor.

Pohrt hat mit seinem Text "Zoff im Altersheim", den er für die Veranstaltung vorbereitet hatte und der den Auftakt des Buches bildet, gegen einige Gewißheiten linken Bewußtseins verstoßen, an deren Gültigkeit mehr zu hängen scheint, als daß sachliche Analyse und kritische Reflexion alleine zu ihrer Überprüfung ausreichten. So verwahrt er sich gegen eine allzu pauschale Anprangerung der Ausländerfeindlichkeit unter anderem mit der Behauptung, "dass sich dergleichen derzeit am stärksten bei türkischen Jugendlichen entwickelt, nämlich ein ausgeprägter Deutschenhass" (S. 14). Für Pohrt stellt sich die Lage differenzierter dar, als daß es ein klares Täter-Opfer-Schema gäbe, wie es etwa im Rahmen der staatlichen Kampagne gegen Fremdenfeindlichkeit propagiert wird.

Daß der von Bundeskanzler Schröder anläßlich eines eher geringfügigen Anschlags auf eine Düsseldorfer Synagoge ausgerufene "Aufstand der Anständigen" den Antirassismus der Linken kooptierte, während die Bundesregierung niemals etwas anderes als eine extrem flüchtlingsfeindliche Asylpolitik betrieben hat, fiel schon zu Hochzeiten dieser von oben verordneten und mit Steuergeldern alimentierten Erhebung kaum jemandem auf. Diese ein Jahr nach der erfolgreichen Integration des bürgerlichen Pazifismus in den Krieg der Anständigen gegen Jugoslawien erfolgte Zangenbewegung aus programmatischer Fremdenfreundlichkeit und praktiziertem Sozialchauvinismus, der sich gegen Ausländer wie Deutsche richtete und den Klassenwiderspruch durch ein Toleranzedikt neutralisierte, das die Aufforderung zur Duldung ethnischer Minderheiten mit der Schaffung einer Kaste von Unberührbaren, dem Lumpenproletariat der "Modernisierungsverlierer", kombinierte, kann als zweite Stufe des Angriffs der rot-grünen Regierungskoalition auf die verbliebenen Reste linken Protestpotentials verstanden werden.

Pohrts Kritik am konventionellen Antirassismus ist auf jeden Fall insofern zuzustimmen, als daß sie die analytische Trägheit und ideologische Borniertheit einer Linken angreift, die Gefahr läuft, mit der Qualifikation der Immunabwehr des kapitalistischen Systems gegen seine Infragestellung nicht Schritt zu halten. So wird der Schauplatz der Auseinandersetzung häufig in eigens zur Neutralisierung wirksamer Opposition vorgehaltenen, für die Durchsetzung konkreter Raubabsichten jedoch irrelevant gewordenen Symbolismen nationalistischer Selbstbehauptung und ethnischer Identität angesiedelt, während der subversive Charakter einer Kriegsführung verkannt wird, mit der Technokraten und Manager die vertikale Raubordnung des Kapitals weltweit durchsetzen und zementieren.

Pohrt löst den tagesaktuellen "Volksfeind" von den ideologischen Konflikten und gesellschaftlichen Diskursen, die seiner Verwerflichkeit den Anschein einer rationalen Basis verleihen, und reduziert ihn auf eine Funktion der Herrschaftssicherung, für die es vor allem von Belang ist, daß sich der zweckdienliche Popanz des öffentlichen Ressentiments aufgrund seines minoritären Charakters widerstandslos durch die Mangel staatlich protegierter Haßprediger drehen läßt. Ausländer stehen dem Autoren zufolge seit mindestens drei Jahren in Deutschland gerade nicht auf der Kandidatenliste, dafür aber "Killerkids, Kinder, die Papas Kanone schnappen und damit Jagd auf Lehrer, Kameraden, Passanten machen; Österreicher mit Haider; die Kampfhunde und deren Halter; Rechtsradikale; Kinderschänder; Schwarzarbeiter; Al Kaida; Sozialschmarotzer" (S. 15).

Die Aufzählung wirkt wie ein Themenkatalog, den Redakteure der Bild-Zeitung zusammengestellt haben, und verweist auf den irrationalen Charakter der vollzogenen Stigmatisierung. Der jugendliche Schulattentäter ist ein Symptom aus sozialökonomischen Gründen ausgebliebener Erziehung zu Verantwortlichkeit und kameradschaftlicher Solidarität, die heute schon vor Schulbeginn durch den Konkurrenzkampf zwischen Kindern, die den Sozialdarwinismus bereits mit der Muttermilch einsaugen, ausgehebelt wird. Die rechten Österreicher haben sich als Musterknaben neoliberaler Verwahrlosung erwiesen, wurden aber nicht wegen dieser allgemein erwünschten Tugend kritisiert, sondern aufgrund einiger nazifreundlicher Sprüche Haiders vorgeführt, die in ihrer menschenverachtenden Qualität längst zum Standardrepertoire durchaus akzeptierter Politiker von Bush über Berlusconi bis Putin gehören. Das Halten aggressiver Hunde ist der medialen Kultur der Gewaltverherrlichung so gemäß wie der Mißbrauch von Kindern einer permissiven Gesellschaft, in der Sexualität als Lohn der Anpassung ausgebeutet wird. Die Ökonomie der informellen Arbeit entspricht dem deregulierten Kapitalismus so sehr wie die Bezichtigung von Menschen, die von ihm ausgegrenzt werden und dennoch leben möchten. Al Kaida schließlich ist ein Etikett von derart schillerndem Charakter, daß es auf viele Töpfe paßt, ohne daß man Genaueres über die Beschaffenheit einer Organisation wissen müßte, die im Umfeld amerikanischer Geheimdienstaktivitäten entstanden und bis heute von ambivalentem Charakter hinsichtlich ihrer Funktion für die Protagonisten des Terrorkriegs ist.

Dem gegen Pohrt erhobenen Vorwurf einer Verharmlosung des Faschismus oder gar Adaption rechten Gedankenguts im Rahmen einer Querfrontstrategie ist entgegenzuhalten, daß er lediglich auf recht unsentimentale Weise einen gesellschaftlichen Niedergang diagnostiziert, der vom Zerfall tragender Elemente faschistischer Gesinnung ebenso gekennzeichnet ist wie vom Mangel an antikapitalistischer Opposition. In dem mit "FAQ" überschriebenen Kapitel, das in Form eines fingierten Interviews verfaßt wurde, läßt sich Pohrt detailliert über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe aus und versäumt es dabei nicht, zu den bereits erfolgten Verstößen gegen den antifaschistischen Konsens neue hinzuzufügen.

So erinnert er daran, daß der CDU-Politiker Hohmann vor allem deshalb angegangen wurde, weil er im Rahmen seiner vielzitierten Ausfälle zu dem Schluß gelangt ist, daß weder Juden noch Deutsche ein Tätervolk seien. Anstatt sich mit diesem kalkulierten Fauxpas in die Riege der Holocaustverharmloser einzureihen, deutet Pohrt die Massenvernichtung an den europäischen Juden als Antrieb zur negativen Überhöhung eines dennoch nationalistischen Selbstverständnisses. So kokettiert man selbst im Deutschen Bundestag mit der Wiederholung des Holocaust, anstatt das Niemals-Wieder in einem der Zukunft zugewandten Sinne durch emanzipatorische und sozial gerechte Politik zu gewährleisten.

Einmal abgesehen davon, daß die Kategorie des Volkes in jedem Fall eine Verallgemeinerung darstellt, die in den trüben Gewässern antiaufklärerischer Zuweisungen fischt, und man daher gut beraten wäre, auch den Begriff des Tätervolks als ein Instrument politischer Demagogie zu begreifen, ist Pohrt die antideutsche Linke suspekt, weil sie den proletarischen Antikapitalismus aufgrund zu geringer Erfolgsaussichten aufgesteckt hat, um sich auf die Seite der Sieger im globalen Verteilungskampf zu schlagen:

Jetzt, wo die Verelendung der Armen beschlossene Sache ist, auf dass der Reichtum der Reichen wachse, ziehen sich die Volksfreunde enttäuscht zurück. Sie hatten sich als Fürsprecher der Arbeiter und der Armen aufgeführt, weil sie in ihren Schützlingen die Sieger von morgen sahen und von ihnen mit Erfolg und Ruhm belohnt zu werden hofften. Sie merken jetzt: Sie hatten auf das falsche Pferd gesetzt. Die Armen sind wirklich nur noch arm, und seither hat das Thema für diese Linke jeden Reiz verloren. Kein siegreiches Proletariat in der Sowjetunion mehr, unter dessen Schutz man sich stellte, wenn man die Schwachen hier zu schützen vorgab. Anlehnung wird seither anderswo gesucht, aber auf die gleiche Weise. In manchen Gemütshaushalten anlehnungsbedürftiger Menschen scheinen die USA heute eine ähnliche Rolle zu spielen, wie die Sowjetunion sie zu Zeiten des Ostblocks eingenommen hat. Während die Armen auf den Status von Almosenempfängern zurückgeworfen werden und die arbeitende Bevölkerung zwecks Altersvorsorge zum Kauf von Spekulationspapieren angehalten ist, welche dem Verkäufer einen Platz an der Sonne und dem Besitzer einen im Armenhaus sichern, währenddessen also kennt diese Linke keine Klassen mehr, nur noch Rassen. Rassismus, Antisemitismus, nichts sonst. (S. 23)

Pohrt treibt den Vorwurf des linken Sozialchauvinisums mit dem Verweis darauf, daß es obdachlosen Juden nicht anders erginge als anderen Obdachlosen, da sie keine Solidarität in Anspruch nehmen könnten und sich insbesondere Antideutsche keineswegs für benachteiligte Juden interessierten, auf eine schmerzhafte Spitze:

Die Antideutschen bieten ihre Hilfe stets Personen an, die bewiesen haben, dass sie sich sehr gut selber helfen können, weit besser als die unerbetenen Helfer. Menschen hingegen, denen man sogar das Klo wegnimmt, sind für sie kein Thema. Das ungefähr war mit der Formulierung gemeint, dass die Antideutschen gerettet werden möchten, wenn sie vorgeben, retten zu wollen. (S. 25)

Pohrts Philippika ist zwar an die Antideutschen als Exponenten einer opportunistischen Linken, die sich auf ihren Seitenwegen in die bürgerliche Wohlanständigkeit in immer absurdere Widersprüche verwickelt, adressiert, doch trifft seine Kritik an der Erfolgsorientierung politisch denkender Menschen den Kern eines Problems, das der Verwirklichung des Kommunismus stets im Wege stand. Wer geht auf eine Weise voran, daß er nicht die eigenen Vor- und Nachteile im Auge hat und gegen die der anderen abwägt, also Ernst macht mit der von Marx attestierten Vergleichslosigkeit menschlicher Arbeit in Bezug auf jeden Bereich der Lebenspraxis? Wer sabotiert den Verwertungsanspruch des Kapitals bereits im persönlichen sozialen Umgang, indem er die Eigentumsfrage konsequent ihrer Aufhebung entgegentreibt? Wer ist im politischen Kampf immun gegen die Angebote der Herrschenden, es sich doch bei einem Gläschen Wein gemütlich zu machen und die aussichtslos erscheinende Auseinandersetzung mit übermächtigen und zwingenden Gewaltverhältnissen anderen zu überlassen?

Die Pohrt bei aller ironischen Leichtigkeit und satirischen Zuspitzung anzumerkende Verzweiflung ob des Zustandes einer Linken, der er seit vielen Jahren angehört, hat sicherlich auch mit Fragen einer revolutionären Praxis zu tun, an die sich in der Einöde des schnellen Verbrauchens und Wegwerfens kaum mehr jemand erinnert. Um so berechtigter ist eine politische Kritik, die sich an den Gralshütern einer Gesinnung vergreift, die an ihren Ambitionen auf Anerkennung und Erfolg längst so marode geworden ist, daß sie dem Konter breiten Raum gibt. Es stünde einer publizistischen Debattierrunde, die den Kontakt mit dem alltäglichen Elend außerhalb arrivierter Sozialarbeiterexistenzen kaum mehr sucht, weil sie dort Farbe bekennen müßte ob ihres mangelnden Elans, für andere einzutreten, gut an, Pohrts Beispiel zu folgen und in aller Respektlosigkeit produktiven Streit anzuzetteln, anstatt Wagenburgen der Selbstvergewisserung zu bilden, um die herum längst nicht mehr Indianer reiten, sondern vor denen die Sturmtruppen des Imperiums mit schwerem Gerät aufmarschieren.

Pohrt zufolge gehen jugendliche Schläger nicht nur auf Farbige, sondern auf "Obdachlose, Asoziale und Behinderte" los, weil sie einem Grundsatz folgten, "der fortan das Gesetz des Handelns nicht nur im wiedervereinigten Deutschland, sondern weltweit bestimmen sollte: Kein Mitleid mit den Armen, Schwäche wird bestraft" (S. 30). Die bittere Realität der sozialen Selektion an marginale Phänomene wie Nazis zu delegieren, ohne den größeren Zusammenhang kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung beim Namen zu nennen, kommt einer Rechtfertigung dieses Systems gleich. Wer die Kritik an vorherrschenden Gewaltverhältnissen nur deshalb denunziert, weil sie keine vertrauten Feindbilder auflegt, sondern habituelle Abwehrreflexe zugunsten einer Annäherung an essentielle Fragestellungen zum Thema Herrschaft unterbricht, erledigt das Geschäft derjenigen, deren Vormacht er angeblich brechen will.

Pohrts Buch ist bei aller Beiläufigkeit in der Abhandlung eines Themenspektrums, das in dieser Rezension nur angerissen wurde, eine Fundgrube für unorthodoxe Ansichten und zeitgemäße Kritik. Ihm ist gerade deshalb viel Beachtung zu wünschen, weil der Autor einige durchaus schmerzempfindliche Punkte der linken Seelenverfassung berührt, die man nicht einfach übergehen sollte, wenn man Interesse an grundlegender Veränderung hat.


Wolfgang Pohrt
FAQ
Edition TIAMAT, Berlin, 2004
176 Seiten
ISBN 3-89320-074-6