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REZENSION/242: Howard Zinn - Amerika, der Terror und der Krieg (SB)


Howard Zinn


Amerika, der Terror und der Krieg



Mit der Wiederwahl von US-Präsident George W. Bush im letzten November hat sich das Amerikabild vieler Menschen auf der Welt ins Negative gewandelt. Hatte man sich vier Jahre lang eingeredet, die imperialistisch-chauvinistische Außenpolitik des 2001 durch juristische Mauscheleien an die Macht gekommenen Bush jun. werde von der Mehrheit seiner Mitbürger nicht wirklich mitgetragen, so sieht man sich nach dem deutlichen Sieg des texanischen Republikaners über seinen demokratischen Herausforderer Senator John Kerry im letzten November schwer getäuscht. Offenbar gibt es in den USA tatsächlich eine große Anzahl von Menschen, die Bushs aggressive "Vorwärtsstrategie der Freiheit", das heißt eine unilateralistische, im krassen Widerspruch zum bisherigen Völkerrecht stehende Militärinterventionsdoktrin, gutheißen.

Man sollte jedoch nicht vergessen, daß die dem Ausland wie auch den Bürgern der USA suggerierte Einheit von Volk und Führer nicht zuletzt das Ergebnis der Hysterie nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 sowie der zunehmenden Gleichschaltung der amerikanischen Presse ist, die den als Ignoranten und nachtragenden Choleriker bekannten Bush praktisch seit seinem Einzug ins Weiße Haus mit Samthandschuhen anfaßt. Hinzu kommen die zahlreichen Hinweise, daß auch bei der Durchführung und Auszählung der Präsidentschaftswahl 2004 von seiten der Republikaner im großen Stil manipuliert worden ist. Hier stellt der Verdacht, daß die von den Republikanern nahestehenden Firmen wie Diebold bereitgestellten elektronischen Stimmenauszählungsmaschinen frisierte Ergebnisse zugunsten des Amtsinhabers Bush ablieferten, nur die Spitze des Eisbergs dar. Also sollte man die Hoffnung auf das andere Amerika - der Meinungs- und Pressefreiheit, der Antikriegs- und Bürgerrechtsbewegung sowie des generellen Mißtrauens gegenüber jeglicher staatlicher Autorität - nicht gänzlich verlieren. Als einer der wichtigsten Verfechter dieses anderen, progressiven Amerikas gilt seit mehr als vierzig Jahren der Historiker, Friedens- und Sozialaktivist Howard Zinn, dessen jüngstes Buch "Amerika, der Terror und der Krieg" vor kurzem erschienen ist.

Das vorliegende Buch besteht im wesentlichen aus einer Reihe von überarbeiteten Interviews, die Anthony Arnove mit Zinn Ende 2001, Anfang 2002 geführt hat. Damit steht der Dialog Arnoves und Zinns ganz im Zeichen der kurz zuvor angeblich von Osama Bin Ladens Al Kaida durchgeführten Flugzeuganschläge und der Reaktionen der Bush- Regierung, des Kongresses und der amerikanischen Öffentlichkeit. Hierzu gehörten das im Eilverfahren verabschiedete, polizeistaatliche USA-PATRIOT-Gesetz, der Einfall in Afghanistan, die Verschleppung Hunderter sogenannter "feindlicher Kombattanten" nach Guantánamo Bay sowie die Ankündigung weiterer Militäraktionen gegen verdächtige "Schurkenstaaten" und ihre "terroristischen" Handlanger.

Schon damals erregte Zinn zusammen mit Gleichgesinnten wie Noam Chomsky und Susan Sonntag den Zorn rechtkonservativer Tribune wie Lynne Cheney, Frau des Vizepräsidenten Dick Cheney, als er sich der auf Hochtouren laufenden Mythologisierung des "Tages, der die Welt veränderte" entgegenstemmte und öffentlich die jahrzehntelange Einmischung Washingtons in die Angelegenheiten anderer Nationen und Völker als den wesentlichen Faktor ausmachte, der zur Entstehung des modernen "Terrorismus" beigetragen hat. Im Vergleich zu dem vielen Unausgegorenen, das einem in den ersten Wochen und Monaten nach den schockierenden Ereignissen von New York und Arlington zugemutet wurde und das hauptsächlich von der These der angeblichen, menschenverachtenden Singularität der Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon getragen wurde, läßt sich die damals von Zinn eingenommene Position nach wie vor gut vertreten und hat an Aktualität nichts eingebüßt. Während sich viele Kommentatoren gedanklich im Loch von Ground Zero verloren, warnte Zinn bereits damals vor dem moralischen Schaden, welchen die USA aufgrund der von ihren Streitkräften in Afghanistan und anderswo zu erwartenden Greueltaten erleiden würden.

Zinn, der selbst als Bombenschütze bei der US-Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg die Schrecken der militärischen Gewalt miterlebte, glaubt, obwohl er sich selbst nicht als Pazifist sieht, in einer Zeit der hochtechnisierten Streitkräfte nicht mehr an die Lehre vom "gerechten Krieg":

Wenn der Tod von Zivilisten bei den Bombardements (in Afghanistan - Anm. d. Red.) unvermeidbar ist, wie Donald Rumsfeld zugestanden hat, ist er kein Unfall. Die Menschen, die diesen Krieg führen, begehen Morde. Sie begehen terroristische Akte. (S. 104)

Um diese Tatsache zu verschleiern, würden laut Zinn seit langem ausnahmslos alle US-Regierungen sowie die wichtigsten Presseorgane das amerikanische Volk hinsichtlich des Wesens des Krieges sowie der Ziele der Außenpolitik Washingtons belügen.

In den Gesprächen mit Anthony Arnove bietet Zinn, der emeritierter Professor der Boston University ist, dem Leser einen leicht verdaulichen Exkurs zu den wichtigsten Stationen des US-Imperialismus seit der Eroberung des Nordens Mexikos in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Gleichzeitig erinnert Zinn, dessen wichtigstes Buch der 1980 erschienene Klassiker "A People's History of the United States" ist, stets an die Bedeutung der Klassenfrage sowie an die lange, nicht gänzlich erfolglose Tradition der Kriegsgegner und Sozialaktivisten Amerikas. Gerade der Vietnamkrieg zeigt, daß das amerikanische Volk den Militaristen in Washington das Handwerk legen kann, sobald es beginnt, deren hobbessche Vorstellungen - Stichwort "Dominotheorie" - in Frage zu stellen. Belegt wird diese These Zinns durch die unablässigen Bemühungen von namhaften Spitzenvertretern des militärisch-industriellen Komplexes der USA wie dem derzeitigen Verteidigungsminister Rumsfeld, das sogenannte "Vietnam-Syndrom" ein für allemal zu begraben.

Bis heute hat Zinn, der bereits in der US-Bürgerrechtsbewegung der fünfziger und sechziger Jahre eine wichtige Führungspersönlichkeit war, nichts von seinem humanistischen Optimismus und seiner Streitbarkeit verloren. Dies zeigt beispielsweise seine öffentliche Unterstützung für die Ende letzten Jahres aufgestellte Forderung der Angehörigen der Opfer vom 11. September nach einer wirklich unabhängigen Untersuchung des ganzen Wusts an nicht zu übersehenden Widersprüchen und Ungereimtheiten in der offiziellen Verschwörungstheorie wie auch sein gerade erst am 22. Januar in der Tageszeitung Miami Herald erschienener bissiger Kommentar, in dem er unter der Überschrift "Support Our Troops: Bring Them Home" den sofortigen Abzug der US-Streitkräfte aus dem Irak fordert. Vor allem für diejenigen, die bislang nichts von Howard Zinn gelesen haben, bietet das nur 158 Seiten starke Bändchen "Amerika, der Terror und der Krieg" einen idealen Einstieg in das Lebenswerk dieses wichtigen und zurecht vielbeachteten Historikers.

24. Januar 2005


Howard Zinn
Amerika, der Terror und der Krieg
Aus dem Englischen von Andrea Schleipen
Originaltitel "Terrorism and War"
Herder Verlag, Freiburg 2003
158 Seiten, 9,90 Euro
ISBN 3-451-05329-2