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REZENSION/272: Michael Mandel - Pax Pentagon (Internationales Recht) (SB)


Michael Mandel


Pax Pentagon

Wie die USA der Welt den Krieg als Frieden verkaufen



Obwohl die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen immer weiter voranschreitet, steht es um die damit angeblich intendierte Gerechtigkeitsbilanz nicht gut. Die nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs unter dem Banner der Vereinten Nationen erneuerte egalitäre Weltfriedensordnung souveräner Staaten wird zusehends durch die Interessen der mächtigsten Staaten korrumpiert. Allen voran die USA nehmen sich das Recht zu eigenmächtigen Übergriffen auf das Territorium fremder Staaten heraus und unterlaufen mit imperialer Selbstherrlichkeit das System der kollektiven Sicherheit, das auf der von allen Staaten anerkannten Charta der Vereinten Nationen beruht. Von Washington präsentierte Vorwände für die angebliche Notwendigkeit humanitärer Interventionen auch ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats oder ein Aggressionen bemäntelndes Recht auf Selbstverteidigung tun das ihrige dazu, die Mißachtung des Völkerrechts zu einer Beschädigung seiner normativen Grundlagen entufern zu lassen, indem etwa behauptet wird, staatliche Souveränität könne nicht mehr von allen Nationen gleichermaßen in Anspruch genommen werden.

Paradoxerweise hat die Etablierung einer internationalen Strafverfolgung, die die Sanktionierung völkerrechtswidrig agierender Staaten durch die nun mögliche Bestrafung einzelner Funktionsträger aus Regierung und Militär ergänzt, dem Zerfall der Weltfriedensordnung keinen Einhalt bieten können, sondern diesen eher noch beschleunigt. Nun zeigt sich um so deutlicher, daß das angebliche Primat des Rechts dem machtpolitischen Kalkül derjenige Akteure nachgeordnet ist, die über das größte militärische und ökonomische Gewicht verfügen und damit besonders starken Einfluß auf inter- und transnationale Institutionen ausüben. Der Anspruch einer wirksamen Sanktionierung aller staatlichen Gewalttäter durch Gerichte, die nicht der Verfügungsgewalt einzelner Regierungen und der von ihnen protegierten Täter unterliegen, wurde durch die selektive Praxis des internationalen Strafrechts aufgehoben, die eigennützigen Ziele einiger weniger Staaten moralisch zu rechtfertigen.

Der Rechtswissenschaftler Michael Mandel interessiert sich für diese beklagenswerte Entwicklung nicht nur aus fachlichen Gründen, sondern der an der Osgoode Hall Law School der York University in Toronto lehrende Jurist ist als Vorstandsmitglied der Lawyers Against the War ein rühriger Anwalt der Opfer amerikanischer Aggressionen und gehört neben Naomi Klein und Michel Chossudovsky zu den profiliertesten Kritikern der US-Kriegsführung Kanadas. Sein Buch "Pax Pentagon" ist der Aufdeckung der schwerwiegenden Manipulationen und gezielten Irreführungen gewidmet, mit denen US- Regierungen ihre Angriffskriege rechtfertigen. Dabei legt Mandel die komplexe Materie der völkerrechtlichen Einhegung moderner Kriegsführung auch für Laien gut verständlich dar und kommt anhand einer umfassenden Analyse der angeblichen Gründe für die Angriffe auf Jugoslawien, Afghanistan und den Irak zu dem Schluß, daß die USA stets straffrei davonkommen, während ihre Opfer nicht nur mit kriegerischen, sondern auch juristischen Mitteln drangsaliert werden.

Der Originaltitel des auf englisch 2004 erschienenen Buches "How America Gets Away With Murder. Illegal Wars, Collateral Damage and Crimes Against Humanity" bringt die von vielen Menschen empfundene Empörung darüber, daß die US-Regierung ungestraft Verbrechen begeht und diese auch noch als legitime Mittel im Kampf um Freiheit und Demokratie ausgibt, auf den Punkt der in dem Buch ausführlich geübten Kritik. Mandel gehört jener Minderheit kritischer Rechtswissenschaftler an, denen der Wortlaut internationaler Verträge noch verbindliche Grundlage der Rechtspflege und keine bloße Ermessens- oder Abwägungsfrage ist. Auch wenn es angesichts der divergierenden Interessen bei Gewaltkonflikten stets problematisch ist, die faktischen Grundlagen einer Aggression zu verifizieren und daraus einen Beschluß im Konsens mit den beteiligten Parteien zu fassen, gibt es doch ein eindeutiges Prozedere, das das gewalttätige Vorgehen einzelner Akteure zugunsten einer möglichst friedlichen Konfliktlösung ausschließen soll.

Das System der kollektiven Friedenssicherung durch die Vereinten Nationen könnte durchaus funktionieren, wenn die beteiligten Staaten einen Vorteil darin sähen, zugunsten des Allgemeinwohls auf individuelle Gewaltakte gegen andere Staaten zu verzichten. Offensichtlich jedoch wird der Anreiz zur Selbstbeschränkung schon durch das bloße Vorhandensein einer potenten Kriegsmaschinerie korrumpiert, denn befände sich etwa die EU in der Position der mächtigsten Militärmacht der Welt, wäre ihr Vorgehen, wie die Geschichte ihrer größten Mitgliedstaaten zeigt, kaum weniger rücksichtslos als das der USA.

Mandel schildert im ersten Teil "Völkerrechtswidrige Kriege und Kollateralschäden", wie die USA im Irak, in Afghanistan und im Kosovo das Völkerrecht ihren Machtinteressen unterwarfen und entweder offen mißachteten oder bis zur Unkenntlichkeit verbogen. Dabei stellt er die völkerrechtliche Basis des Gewaltverbots der UN-Charta und die Regulation der Mißachtung dieses Verbots durch den UN-Sicherheitsrat auf exemplarische Weise anhand der Kriegsführung Washingtons vor, so daß der Leser den Nutzen der seit 1945 gültigen Weltfriedensordnung anschaulich vorgeführt bekommt. Vertieft wird dies durch den Verweis auf die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, in denen insbesondere das Verbot des Angriffskrieges statuiert wurde, den man dort als das "größte internationale Verbrechen" (S. 27) brandmarkte. Anhand der damaligen Urteilsbegründung stellt Mandel fest, die US-Regierung hätte sich "nach Recht und Gesetz des Mordes an Tausenden Menschen schuldig gemacht, ganz zu schweigen vom schweren Überfall auf Zehntausende weiterer Menschen bis hin zu den schwersten Vergehen im Strafrecht eines jeden Landes der Welt" (S. 28). In der Folge widerlegt er ausführlich die Ausflüchte und Irreführungen, mit denen die Washingtoner Winkeladvokaten, wie es im deutschen Untertitel des Buches heißt, "der Welt den Krieg als Frieden verkaufen" wollen.

Noch während des Überfalls der NATO auf Jugoslawien hat Mandel Beschwerde beim Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (IStGHJ) aufgrund der Weigerung seiner Chefanklägerin Carla Del Ponte, wegen Kriegsverbrechen der Militärallianz auch nur ermitteln zu wollen, erhoben. In "Pax Pentagon" legt er nun noch einmal anhand der wichtigsten Stationen auf dem Weg zu diesem Krieg unter besonderer Berücksichtigung des sogenannten Massakers von Racak und der sogenannten Friedenskonferenz von Rambouillet dar, daß es sich um eine gezielte Aggression der USA und ihrer Verbündeten handelte. Dabei widerlegt er am Beispiel Ruandas die These von einer "Lähmung" des UN-Sicherheitsrats, die von den Apologeten der NATO aufgrund der fehlenden Zustimmung Rußlands gerne herangezogen wird, um nicht nur den völkerrechtswidrigen Charakter des Jugoslawienkriegs in Abrede zu stellen, sondern das Kriegsvölkerrecht selbst als überholt darzustellen und einem willkürlichen humanitären Interventionismus zu öffnen.

Daß mit der These von der ungenügenden Kompetenz der UNO zur Friedenssicherung den Interessen imperialistischer Staaten zugearbeitet wird, ist anhand der irreführenden Argumente, mit denen die Kriege gegen Jugoslawien, Afghanistan und den Irak begründet wurden, unschwer zu erkennen. Mandel legt ausführlich dar, wie die Vereinten Nationen zum Spielball der Interessen Washingtons gemacht wurden, indem der machtpolitische Utilitarismus der US-Regierung gezielt vermeintliche Sachzwänge schuf, die den letztinstanzlichen Regelungsanspruch der UNO in Fragen von Krieg und Frieden dementieren sollten. So machte Washington seine Dominanz bei der Besetzung des Generalsekretärspostens mit dem pflegeleichten Kofi Annan geltend und übte erheblichen Druck auf Regierungen aus, um sie zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten im Sicherheitsrat zu nötigen.

Dem Versuch des UN-Generalsekretärs und vornehmlich westlicher Rechtswissenschaftler, die Souveränität der UN-Mitgliedstaaten zu unterminieren, hält Mandel entgegen, daß "an die Stelle staatlicher Souveränität nicht individuelle Souveränität treten soll, sondern die Souveränität der Großmächte, was individuelle Unterordnung unter sie und ihre Verbündeten bedeutet" (S. 171). Zudem erfolge die angebliche "'Evolution' der Souveränität nur partiell und gilt seltsamerweise nicht für die 'fortschrittlichsten' Länder, weil die staatliche Souveränität nur für die schwächeren Länder abgeschafft" (S. 171) werde. Das der Selektivität im Umgang mit dieser zentralen staatsrechtlichen Kategorie zugrundeliegende Gewaltverhältnis illustriert Mandel mit der Absurdität des Gedankens, man würde in den USA intervenieren, "die für die Menschenrechtsverletzungen ihres eigenen Volkes berüchtigt sind, ein Land, in dem Rassentrennung, Armut inmitten üppigsten Reichtums, Brutalität der Polizei, überfüllte Gefängnisse und die Todesstrafe an der Tagesordnung sind" (S.171).

Zum Ende des ersten Teils, in dem Mandel gewissermaßen Anklage erhebt, stellt er noch einmal prinzipiell klar, worum es ihm bei der Analyse der Machenschaften geht, mit denen US-Präsidenten dem Rest der Welt ihre machiavellistische Maxime uneingeschränkter Machtpolitik aufzwingen:

Hier geht es nicht um eine Frage der Inhalte, sondern des Verfahrens, nicht um Ziele, sondern um Mittel - nicht darum, ob die 'internationale Gemeinschaft' eingreifen sollte, wenn es im Interesse der Menschheit unbedingt erforderlich ist, sondern darum, wer für die internationale Gemeinschaft sprechen darf. Es geht nicht nur darum, dass die Befürworter unilateraler Intervention die von ihnen beklagten Mängel des Sicherheitsrats selbst verschuldet hatten, sondern vielmehr darum, dass die unilaterale Alternative nicht einmal einen äquivalenten Ausdruck der 'internationalen Gemeinschaft' darstellt, geschweige denn einen besseren. Die Frage ist nicht, wie wir zulassen können, dass einer oder zwei Staaten die Wünsche der internationalen Gemeinschaft mit ihrem Vetorecht vereiteln; die Frage lautet vielmehr, woher wir wissen, ob etwas dem Willen der internationalen Gemeinschaft entspricht, wenn es weder die Zustimmung des Sicherheitsrates noch die der Generalversammlung hat. (S. 169)

Mandel setzt sich vehement für eine Rückkehr zu den Prinzipien der UN-Charta ein, die er für durchaus geeignet hält, den Frieden auf der Welt zu sichern, wenn man sich ihrer nur richtig bediente und sie nicht durch die imperialistischen Ambitionen einzelner Staaten demontiert würden. Paradoxerweise scheint letzteres die vorherrschende Intention bei der Anwendung der internationalen Strafverfolgung zu sein, wie der Autor im zweiten, "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" überschriebenen Teil des Buches darstellt.

Hier leistet Mandel eine gründliche Kritik am internationalen Rechtssystem, das, wie er im Vorwort zur deutschen Ausgabe schreibt, "offensichtlich nicht in der Lage ist: die USA und ihre Komplizen der Verbrechen anzuklagen, die sie an den Menschen im Irak, in Afghanistan und Jugoslawien begangen haben", während es "sehr wohl in der Lage ist, die Feinde der USA bis ans Ende der Welt zu verfolgen ..." (S. 9). Am Beispiel des Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (IStGHJ) stellt Mandel die Instrumentalisierung des Den Haager Tribunals für Zwecke und Ziele dar, die für seine Ankläger und Richter selbst Anlaß zu Klageerhebung und Verurteilung sein müßten. Eben das findet nicht statt, weil, wie der Autor mit profunder Sachkenntnis erläutert, der IStGHJ von Beginn seiner Einrichtung im Mai 1993 an das Ziel verfolgte, der politisch gewollten Dämonisierung der Serben als legalistische Verifikationsinstanz zu dienen.

Besonders empört ist Mandel, dessen Familie aus der polnischen Stadt Apt stammt, von deren 8000 Juden nur 300 den Zweiten Weltkrieg überlebten, darüber, daß britische, amerikanische und deutsche Politiker die Vernichtung der europäischen Juden durch Nazideutschland als Rechtfertigung für den Überfall auf Jugoslawien heranzogen. Schon im ersten Teil erinnert Mandel daran, wie stimmig die Verurteilung des Angriffskriegs durch das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal auch hinsichtlich des Holocaust war:

Insbesondere für polnische Juden wie mich ist diese Wertung logisch: Denn hätte Deutschland nicht Polen überfallen, hätten polnische Juden nicht in den Gaskammern sterben müssen. Das sollten wir immer bedenken, wenn wir Versuche, eine 'humanitäre Intervention' unter Verletzung des Völkerrechts und der staatlichen Souveränität mit dem Holocaust zu rechtfertigen, richtig einschätzen wollen. Tatsächlich beweist der Holocaust das Gegenteil. Denn hätten die Westmächte Nazideutschland am Überschreiten ihrer Grenzen gehindert - wären sie also für das Völkerrecht und die staatliche Souveränität eingetreten -, wozu sie 1938 durchaus in der Lage waren, so hätte der Holocaust gar nicht stattgefunden. (S. 149)

Der im Vorfeld des Jugoslawienkriegs erhobene Vorwurf, die Belgrader Regierung beginge in der serbischen Provinz Kosovo einen Völkermord, und die zur Dramatisierung des angeblichen Geschehens verwendeten Vergleiche mit den Kriegsverbrechen der Nazis waren entscheidend für die Selbstermächtigung der NATO- Staaten, diesen Krieg zu führen und das internationale Recht zu diesem Zweck außer Kraft zu setzen. Tatsächlich wurde der Vorwurf des Völkermords in dem den Kosovo betreffenden Teil der Anklage gegen den damaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic fallengelassen, obwohl sich das Den Haager Tribunal, wie Mandel ausführlich belegt, einer "absurd schwachen Definition von 'Völkermord'" (S. 183) bedient.

Insbesondere dieser Prozeß dient dem Autor als Beispiel für den selektiven wie rechtsbeugenden Charakters der internationalen Strafverfolgung. Die eklatante Benachteiligung des Angeklagten durch das IStGHJ und die Manipulationen, die seine Richter zugunsten einer Rechtfertigung des Angriffskriegs der NATO vornehmen, bringt Mandel in Zusammenhang mit dem politischen Auftrag des Gerichts, den er anhand seiner Entstehung und Protektion durch die Regierungen der NATO-Staaten nachweist. Daß der Milosevic-Prozeß, der zu seinem Beginn im Februar 2002 von den Medien triumphal als "Jahrhundertprozeß" gefeiert wurde, weitgehend aus der Berichterstattung verschwunden ist, liegt daran, daß es der Ex-Präsident Jugoslawiens trotz der Hindernisse, die ihm das Gericht in den Weg legt, verstanden hat, den Spieß umzudrehen und die Regierungen der NATO-Staaten als eigentliche Rechtsbrecher vorzuführen. Das wird ihm jedoch wenig nützen, denn es handelt sich bei seinem Verfahren um ein Exempel politischer Justiz, das "mit seinen schon zur Routine gewordenen Verstößen gegen die elementarsten Regeln einer fairen Prozessführung selbst Zyniker (wie mich) immer wieder zu überraschen" (S. 13) vermag, so Mandel im Vorwort zur deutschen Ausgabe vom Mai 2005.

Während die Instrumentalisierung des IStGHJ so offensichtlich ist, daß es schon vieler Weglassungen und Beschönigungen bedarf, den Eindruck zu erwecken, vor seinen Schranken fände eine faire Form der Rechtspflege statt, ist die Sachlage beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) längst nicht so eindeutig. So genießt dieses seit dem 1. Juli 2002 tätige Organ der internationalen Strafverfolgung auch unter Kritikern westlicher Regierungen durchaus den Ruf, mit ihm könne das Völkerrecht wirksam ermächtigt werden, über die Sanktionierung von Staaten hinaus durch die individuelle Bestrafung der Verantwortlichen Gerechtigkeit für die Opfer und ihre Angehörigen herzustellen sowie den Weltfrieden durch abschreckende Wirkung auf potentielle Kriegsverbrecher zu sichern.

Wie Mandel anhand des Verzichts, den IStGH zu ermächtigen, auch das schwerste Verbrechen, das Begehen eines Angriffskriegs, durch die Verfolgung der dafür verantwortlichen Politiker und Militärs zu ahnden, nachweist, handelt es sich auch bei diesem als weit unabhängiger als das IStGHJ geltenden Gericht um eine zahnlose Rechtsinstanz, die durch eine eng umgrenzte Jurisdiktion wie die Boykottierung durch die USA kaum in der Lage ist, die mächtigsten Staaten der Erde durch eine wirksame Strafverfolgung zu zwingen, sich an die Regeln des Völkerrechts zu halten.

Zur Darstellung der Mängel des IStGH greift Mandel weit aus und macht den Leser mit den rechtsphilosophischen Grundlagen des Problems, auf internationaler Ebene Gerechtigkeit herzustellen, vertraut. Er erinnert daran, daß sich die Rechtsfindung nicht um ethische Fragen dreht, sondern um die Durchsetzung konkreter Interessen sozial oder politisch unterdrückter Menschen. Diese beim Namen zu nennen sei unverzichtbar, wenn man das Anliegen, durch internationale Strafverfolgung Kriege zu verhindern, ernsthaft verfolgen wolle. Er warnt vor dem Glauben daran, die "Rechtfertigungen des Krieges ('Terrorbekämpfung' oder 'Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit') seien zugleich auch die Kriegsgründe" (S. 357).

Die sich in dieser Verwechslung manifestierende Ansicht, "internationale Strafverfahren böten eine realistische Alternative zum Krieg" (S. 357), widerlegt Mandel anhand des Versäumnisses, das Verbrechen des Angriffskriegs unter die Jurisdiktion des IStGH zu stellen. Dabei deutet er ein Manko an, das allen Institutionen und Methoden der Friedenssicherung anhaftet - anstatt den Krieg zu beseitigen, fungieren sie als eine Form der Qualitätssicherung und erwirtschaften damit zusätzliche Legitimität für Aggressoren:

"Der kritische Wert des internationalen Strafrechts reduziert sich also darauf festzustellen, welche Seite im Kampf die Kriegsregeln besser einhält. Es stellt den Angreifer und den Angegriffenen auf die gleiche Stufe und lässt die Frage völlig außer Acht, wer und was den Krieg überhaupt ausgelöst hat." (S. 358)

Das Erfrischende an der Lektüre des Buches ergibt sich nicht nur aus dem von Mandel einleitend bekundeten Anliegen, die politische Seite der juristischen Fragen zum internationalen Strafrecht für engagierte Laien verständlich aufzubereiten, so daß sie sich an der Debatte beteiligen können, sondern vor allem aus seinem dezidierten Eintreten für diejenigen, die trotz aller hehren Absichten, die auf politischen Gipfeln bekundet und in Menschenrechtskonventionen verankert werden, mit Gewalt an der Wahrnehmung ihrer Rechte gehindert werden. Paradoxerweise gilt dies gerade auch für die neue internationale Strafverfolgung, die schließlich beansprucht, genau das zu verhindern. In Mandels Augen handelt es sich um "eine Einrichtung, mit der der Norden den Süden erobert und ihm den Prozess macht. Die auf Bestrafung abzielende Vision internationaler Menschenrechte scheint nicht mehr zu sein als eine globalisierte amerikanische Law-and-Order-Politik, vergleichbar mit Musikvideos und Jeans, das, was man früher als 'Coca-Cola-Kolonisierung' bezeichnete ..." (S. 361).

Dieses harsche Urteil begründet Mandel mit der Verrechtlichung politischer und gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse, die nicht nur im Bereich der internationalen Beziehungen den Eindruck einer möglichen Regulation aller Probleme durch ihre zivil- wie strafrechtliche Aufarbeitung erweckt:

In einer 'verkriminalisierten Politik' werden alle Fragen nach den gesellschaftlichen Ursachen von Gewalt, die meist in der sozialen Ungleichheit liegen, marginalisiert und als irrelevant hingestellt zugunsten einer zielstrebigen Bestrafungsstrategie, die sämtliche Erklärungen, abgesehen von der frei schwebenden Schuld des Täters, als Versuch abtut, sich der Verantwortung zu entziehen. Dass man die Strafstrategie verfolgt, weil sie weniger 'teuer' sei, ist lediglich ein Scheinargument, mit dem sich die Eliten jeglichen Veränderungen eines Systems widersetzen, das sehr zu ihren Gunsten arbeitet, auch wenn es allen anderen enorme Kosten an Ungleichheit, Unsicherheit, Gewalt und Repression aufbürdet. Das internationale Strafrecht lässt sich als Globalisierung dieses Phänomens sehen: Die reichen Länder schaffen aus reiner Gier unerträgliche Bedingungen in der ganzen Welt und nutzen die Kämpfe, die diese Bedingungen hervorbringen, als Vorwand, um ihre eigenen Interessen unter Einsatz von Gewalt durchzusetzen. Die reichen Länder finden es 'weniger teuer', Bedingungen zu schaffen, in denen Menschenrechte mit hoher Wahrscheinlichkeit verletzt werden, und anschließend über die Täter herzufallen und sie zu bestrafen, als von vorneherein Bedingungen zu schaffen, in denen die Menschenrechte gewahrt werden können. (S. 362)

Wie zutreffend Mandels Analyse der die internationale Strafverfolgung treibenden Kräfte und Interessen ist, zeigt der Fall der in Deutschland erhobenen Klage gegen US- Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und weitere Mitglieder der amerikanischen Regierung und Streitkräfte wegen Kriegsverbrechen im Irak. Die vom New Yorker Center for Constitutional Rights (CCR) unter Inanspruchnahme des deutschen Völkerstrafgesetzbuches (VStGB) erhobene Klage wurde von der Bundesanwaltschaft mit dem Argument abgelehnt, es gebe "keine Anhaltspunkte, dass die Behörden und Gerichte der Vereinigten Staaten von Amerika wegen der in der Strafanzeige geschilderten Übergriffe von strafrechtlichen Maßnahmen Abstand genommen hätten oder Abstand nehmen würden" (S. 15).

Anhand der Berichterstattung über die Folterung irakischer Gefangener in US-Gewahrsam und die daraus gezogenen Konsequenzen kann sich jeder davon überzeugen, daß dies nicht stimmt. Außer gegen einige untergeordnete Chargen wurden keine Strafverfahren gegen politische Verantwortungsträger oder hochrangige militärische Befehlshaber eingeleitet, obwohl es genügend Beweismittel gibt, mit denen sich deren Schuld, gegen das absolute Folterverbot verstoßen zu haben, belegen ließe. Inzwischen wurde auch das beim Oberlandesgericht Karlsruhe beantragte Klageerzwingungsverfahren trotz umfassender Begründung durch ein Rechtsgutachten, in dem zwei renommierte Völkerrechtler unterstrichen, daß das VStGB aufgrund des universalen Geltungsanspruchs des darin verankerten Weltrechtsprinzips die deutsche Justiz zur Verfolgung der in der Klage des CCR angeführten Straftaten verpflichte, abgelehnt. Die politischen Gründe, sich nicht mit den USA anzulegen, wogen weit schwerer als die Buchstaben eines Gesetzes, das von der Bundesregierung mit der Absicht verabschiedet wurde, die eigenen hegemonialen Ambitionen legalistisch zu flankieren.

"Pax Pentagon" bietet jedem, der die legitimationsheischenden Verdrehungen kriegsführender Staaten nicht hinnehmen will, eine überaus ergiebige Lektüre, entschlüsselt es doch die komplizierte Materie politischer Manöver auf der Ebene des UN-Sicherheitsrats und der völkerrechtlichen Regulation internationaler Beziehungen den davon am meisten Betroffenen. Als eigentlicher Souverän allen politischen Handelns sind die Bevölkerungen der angreifenden wie angegriffenen Staaten dazu aufgerufen, den Regierungen der USA und EU die Instrumente der Aggression aus der Hand zu schlagen. Dazu bedarf es im ersten Schritt der Offenlegung ihrer Absichten und der Mittel, mit denen sie ihre imperialistischen Ziele als menschenfreundlich und unabdinglich darstellen. Für diesen Zweck ist das vorliegende Buch Basislektüre. In den umfangreichen Anmerkungen finden sich zudem Hinweise auf Dokumente und Publikationen, mit denen sich das Thema des internationalen Rechts auf kritische Weise vertiefen läßt.

10. Juli 2005


Michael Mandel
Pax Pentagon
Wie die USA der Welt den Krieg als Frieden verkaufen
Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2005
441 Seiten, 15,- Euro
ISBN 3-86150-715-3