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REZENSION/404: Tomás Mac Síomóin - O Mhársa go Magla (Gälisch) (SB)


Tomás Mac Síomóin


O Mhársa go Magla

Straitéis nua don Ghaeilge



Mitte Juli sorgte in Irland die gälischsprachige Wochenzeitung Foinse für Schlagzeilen, als sie vorzeitig Unbotmäßiges aus einer noch nicht veröffentlichten Regierungsstudie publik machte. Laut Foinse kommen die Verfasser einer mehr als 500.000 Euro teuren, seit zwei Jahren von den Universitäten Galway und Maynooth durchgeführten Studie zu dem alarmierenden Schluß, daß die Gaeltacht, jenes versprengte, hauptsächlich im äußersten Süden und Westen Irlands liegende Gebiet, wo Gälisch noch als Hauptsprache verwendet wird, in 20 Jahren ihren Namen nicht mehr verdienen wird, sollten bis dahin nicht energische Maßnahmen ergriffen worden sein. Demnach droht das Englische sich immer mehr zur Alltagssprache in der Gaeltacht zu etablieren.

Éamon O'Cuív, der zuständige Minister in der konservativen Regierung Bertie Aherns, weigerte sich, den Foinse-Bericht hinsichtlich der Zukunft der Gaeltacht zu kommentieren. Die Zeit dafür komme im Herbst, wenn die gesamte Studie zusammen mit einem neuen Aktionsprogramm der Regierung in Dublin für die gälische Sprache veröffentlicht werde, so O'Cuív. In der Zwischenzeit bat der Minister for Community, Rural and Gaeltacht Affairs in einer Werbekampagne jeden Interessierten um Vorschläge, wie man die Verwendung des Gälischen in allen Lebensbereichen in Irland steigern könne. Wichtige Gedankenanstöße in diese Richtung dürfte O'Cuív, Enkel des irischen Staatsgründers und langjährigen Premierministers sowie Präsidenten Éamon de Valera, bereits der Druckschrift "O Mhársa go Magla" von Tomás Mac Síomóin entnehmen können. Darin plädiert der 1938 in Dublin geborene Schriftsteller für eine radikale Neuausrichtung der Bemühungen der Irischen Republik seit 1922 um die Wiederbelebung der gälischen Sprache, um diese vor dem Aussterben zu retten.

Der Ansatz Mac Síomóins geht aus dem Titel seiner Druckschrift "O Mhársa go Magla" ("Von Mársa bis Magla"), der deshalb irritierend ist, weil "Mársa" und "Magla" keine regulären Wörter sind, hervor. Es handelt sich in beiden Fällen um Akronyme, die sich der Autor selbst ausgedacht hat, um die falsche Richtung, die seines Erachtens die Bewegung zum Erhalt der gälischen Sprache praktisch seit ihrer offiziellen Gründung im Jahre 1893 eingeschlagen hat, zu benennen und die erforderliche neue Strategie aufzuzeigen. Mit "Mársa" erteilte Mac Síomóin dem 'meon na hársaíochta", dem "Geist der Antike", der seines Erachtens wie ein Todeschleier über dem Gälischen liegt, eine radikale Absage. Demnach ist es dem "Mársa" beispielsweise zu verdanken, daß man im Gälischunterricht - bis heute Pflichtfach an allen irischen Schulen - mehr Wert auf die Vermittlung alter Gedichte und Folklore als auf die einer modernen Alltagssprache, die man außerhalb der Schule und im späteren Leben benutzen könnte, legt. Unter "Magla" setzt sich Mac Síomóin statt dessen für "meon na hathghabhála", einen "Geist der Rückeroberung", ein, um eine Gesundung des Gälischen, die diesen Namen verdiente, zu bewirken und Irland vor der endgültigen Assimilierung durch die übermächtig erscheinende, angloamerikanische Kultursphäre - einschließlich des derzeit damit einhergehenden, neoliberalen Konsumdenkens - zu retten.

Wer meint, hier werde einem kleingeistigen, gälischen Isolationismus das Wort geredet, liegt vollkommen falsch. Mac Síomóin hat seinen Doktor im Bereich der Virologie an der Cornell Universität von New York gemacht, lebt inzwischen in Girona in Katalonien und hat Werke des Dichters Ernesto Cardenal und des Romanciers Victor Mora vom Spanischen respektive Katalonischen ins Gälische übersetzt. Seit den achtziger Jahren gilt er als einer der wichtigsten Dichter Irlands. Von ihm sind auf deutsch bislang nur 1979 eine Kurzgeschichte in der Sammlung "Einsamkeit in Erkundungen - 30 irische Erzähler" und 1998 ein Gedicht in der Sammlung "Das Zweimaleins des Steins - Poesie aus Irland" erschienen. Im letzten Oktober wurde sein neustes Buch "An Tionscadal" ("Das Projekt") auf dem Oireachtas von Conradh na Gaeilge, dem Fest der Gälischen Sprachgesellschaft, als Roman des Jahres ausgezeichnet. Mac Síomóins Ideen über neue, bisher unerschlossene Wege zur Wiederbelebung der gälischen Sprache speisen sich unter anderem aus dem Denken des Polen Zygmunt Baumann, des Engländers Terry Eagleton, des Tunesiers Albert Memmi, des Palästinensers Edward Said, des Spaniers Josep Maria Terribracas. Hinzu kommen Erkenntnisse über die Art und Weise, wie seit einigen Jahren auf den Philippinen erfolgreich Tagalog gegen den Einfluß des Spanischen und des Englischen von einer scheinbar minderwertigen Sprache der Armen und Entrechteten zum allgemeinen gesellschaftlichen Diskursmittel einschließlich der intellektuellen Elite im Lande gemacht wird.

Mit Nachdruck setzt sich Mac Síomóin gegen den zu erwartenden Vorwurf des Chauvinismus zur Wehr und demonstriert eindrücklich, wie häufig diejenigen, die unter dem Banner eines vermeintlich befreienden, multikulturellen Weltbürgertums regelmäßig gegen die Verteidiger regionaler Eigenständigkeit zu Felde ziehen, selbst - ohne es natürlich zu merken - die schlimmsten Verfechter eines ideologischen Totalitarismus sind. Mac Síomóin hebt auf die Einzigartigkeit (uathúlacht) ab, die jede Sprache zur Schatztruhe macht, "in der Bräuche, Gedanken und Vorhaben der Generationen aufbewahrt werden" - "ina gcaomhnaítear cleacht, smaointe agus tionscadail na nglún" - und die deshalb erhaltenswert ist. Laut Mac Síomóin haben die Iren eine moralische Pflicht nicht nur gegenüber den eigenen Ahnen, sondern auch gegenüber der ganzen Menschheit, die gälische Sprache, den wichtigsten Teil ihres kulturellen Erbes, am Leben zu erhalten.

Mac Síomóin macht eine Reihe von Vorschlägen, wie im Bezug auf das Gälische der Paradigmenwechsel von der Orientierung an der Antike hin zur Wiederaneignung der Sprache als Mittel der Verständigung der Iren untereinander sowie der Interaktion mit dem Weltgeschehen und dessen Interpretation zu vollziehen wäre. Hierzu gehörten eine schonungslose Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, eine offene Konfrontation mit dem stets geleugneten, in Irland um so nachhaltiger herrschenden Minderwertigkeitkomplex gegenüber Großbritannien und den USA sowie die Unterstützung und der Ausbau des derzeit geringen Bevölkerungsteils, der Gälisch noch als erste Sprache in allen Lebenslagen verwendet.

Der unbestreitbare Erfolg des erst seit zehn Jahren bestehenden, gälischsprachigen Fernsehsenders TG4 und der Bewegung zur Gründung sogenannter Gaelscoileanna - Schulen, in denen alle Fächer auf gälisch unterrichtet werden - zeigt, daß in der irischen Bevölkerung insgesamt ein großes Potential an noch nicht freigesetzten Kräften für die Wiederbelebung der gälischen Sprache vorhanden ist. Leider scheint es von der Frage, inwieweit die Elite aus Medien und Politik in Dublin bereit ist, sich von ihrer eigenen Fixierung auf die von der Anglosphäre ausgehenden, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Impulse zu befreien, abzuhängen, ob es in den nächsten Jahren tatsächlich gelingt, Gälisch aus seinem bisherigen Dornröschenschlaf zu erwecken. Zum Erreichen dieses Ziels hat Mac Síomóin mit dem "O Mhársa go Magla" auf jeden Fall einen wichtigen Beitrag geleistet.

21. August 2007


Tomás Mac Síomóin
O Mhársa go Magla
Straitéis nua don Ghaeilge
Coiscéim Verlag, Dublin, 2006
62 Seiten
ISSN: 1649-3079