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REZENSION/426: Brendan Walsh - The Pedagogy of Protest (Irland) (SB)


Brendan Walsh


The Pedagogy of Protest

The Educational Thought and Work of Patrick H. Pearse



In Irland ist Pádraig Pearse, der den Osteraufstand 1916 gegen die britische Herrschaft anführte, feierlich vor dem General Post Office (GPO) im Herzen Dublins die Unabhängigkeit der Irischen Republik ausrief und nach der Kapitulation nach sechs Tagen schwerer Kämpfe hingerichtet wurde, eine nicht unumstrittene Figur. In den Jahrzehnten nach der formellen Unabhängigkeit des neuen Staates 1922 offiziell vergöttert, fiel er vor dem Hintergrund der 1969 in Nordirland zwischen Nationalisten und Unionisten ausgebrochenen "Troubles" dem geschichtlichen Revisionismus zum Opfer und wurde praktisch zum Proto-Nazi erklärt, der angeblich eine Blut-und-Boden-Ideologie propagiert und mit einem antidemokratischen Verhalten den späteren Missetaten der Untergrundorganisation Irisch-Republikanische Armee (IRA) den Weg geebnet habe.

Seitdem infolge des Karfreitagsabkommens von 1998 in Ulster die Waffen schweigen und der Konflikt um den völkerrechtlichen Status der sechs nordöstlichen Grafschaften Irlands scheinbar endgültig beilegt worden ist, hat der revisionistische Impuls stark nachgelassen, was eine ausgewogenere und differenziertere Geschichtsschreibung auf der Insel wieder zuläßt - wie der jüngste Erfolg des Buchs "Judging Dev" des Historikers Diarmaid Ferriter über Éamon De Valera, einen der Anführer des Aufstandes von 1916 und späteren, langjährigen Premierminister und Präsidenten von Irland, zeigt. Ein weiteres erfreuliches Beispiel für diese Entwicklung ist das Buch "The Pedagogy of Protest - The Educational Thought and Work of Patrick H. Pearse" von Brendan Walsh, der als Dozent für History of Education, Philosophy of Education, Educational Policy sowie Advanced Teaching Methodology an der Dublin City University (DCU) arbeitet.

Während über die Jahre viel zum Thema des politischen und schriftstellerischen Wirkens Pearses geschrieben wurde, hat man das Hauptbetätigungsfeld dieses Mannes vernachlässigt. Der 1880 geborene Pearse, der als Revolutionär, Dichter und Dramatiker in Erinnerung geblieben ist, war nämlich passionierter Lehrer, der seine Stelle als Dozent für Gälisch am University College Dublin (UCD) aufgab, um mit St. Endas (Scoil Éanna) nicht nur die erste zweisprachige, sondern auch die erste säkulare Schule Irlands zu gründen. Damals lag die Leitung von Schulen in Irland - und liegt sie heute noch in den meisten Fällen - in den Händen der jeweiligen religiösen Gemeinde der Katholiken, Evangelikalen, Presbyterianer und Methodisten.

Pearses Leidenschaft galt der gälischen Sprache, die er für das wichtigste Kulturgut Irlands hielt und in Gefahr sah auszusterben. Mit sechzehn trat er 1896 der drei Jahre zuvor gegründeten Gälischen Liga (Conradh na Gaeilge) bei. 1903, obwohl nur 23 Jahre alt, wurde er Chefredakteur von deren Zeitung An Claidheamh Soluis (Das Schwert des Lichtes). In dieser Position spielte er bei der sogenannten Gälischen Wiederbelebung (Gaelic Revival) Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts neben Literaten wie William Butler Yeats, Douglas Hyde und Maud Gonne eine herausragende Rolle. Ein wichtiger Erfolg Pearses in dieser Zeit ist die von ihm maßgeblich geführte Kampagne, Gälisch als Zulassungskriterium für ein Studium an den irischen Hochschulen zu etablieren - ein Status, den die Sprache bis heute genießt.

In einem berühmten Essay mit dem Titel "The Murder Machine" kritisierte Pearse das britische Bildungssystem, das seines Erachtens in Irland dazu gedacht war, die gälische Sprache auszurotten, das Land unwiederbringlich in eine kulturelle Provinz Englands zu verwandeln und aus den irischen Schulkindern brave Untertanen der britischen Krone und stimmlose Roboter der modernen Industriewelt zu machen. Mit Scoil Éanna sollte der Nachweis angetreten werden, daß eine progressive Bildung jedes Kind zur vollen Entfaltung seiner Persönlichkeit bringt und ihm die Annahme des eigenen kulturellen Erbes ermöglicht. Diese Bemühungen Pearses von 1908 bis zu seinem Lebensende acht Jahre später stehen im Mittelpunkt des Buchs von Brendan Walsh. Dieser bezeichnet Pearse als einen "important, innovative and original thinker", der in der "radical education tradition" des Westens stand.

Pearse hatte das zweisprachige Schulsystem in Belgien studiert und war zudem von den damals neuen Bildungsansätzen in Deutschland und den USA angetan. Daß Pearse zur internationalen Avantgarde in der Bildungspolitik gehörte, belegt Walsh, indem er mehrere Aussagen des irischen Rebellenführers mit späteren Zitaten des englischen Philosophen Bertrand Russell vergleicht. Bereits vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges predigte Pearse eine kinderzentrierte Pädagogik, wie sie der spätere Literaturnobelpreisträger Russell in seinen weltberühmten Manifesten "On Education" von 1926 und "Education and the Social Order" von 1931 propagieren sollte.

In der 1908 gegründeten Scoil Éanna gelang es Pearse, seine Theorien erfolgreich in die Tat umzusetzen. Die Schule war die erste in Irland nicht nur mit einem eigenen Debattierclub, sondern auch mit einem eigenen Schülerrat, der sich aktiv in alle Belange der Lehranstalt einmischen durfte. Die Schüler von Scoil Éanna sprachen den ganzen Tag über gälisch, wiesen überdurchschnittlich gute Noten in Staatsexamen auf, machten Ausflüge zum Gaeltacht, der gälischsprechenden Region an der irischen Westküste, nahmen erfolgreich an Sportwettbewerben - besonders im Hurling und Gälischen Fußball - teil und führten sogar mit Bravour Dramen am später berühmt gewordenen Abbey Theatre in Dublin auf. Leider hatte sich Pearse in seinem Tatendrang übernommen, als er 1910 die Schule vom Süddubliner Stadtviertel Rathgar nach Rathfarnham am Fuße der Wicklower Berge verlegte. Zwar stand die Schule nun auf einem stattlichen Anwesen, wo die Kinder viel Platz hatten und die Natur entdecken konnten, doch durch den Umzug hatte Pearse jene Hälfte seiner Schüler verloren, für deren Eltern der tägliche Anfahrtsweg zu lang war. Dies führte zu finanziellen Schwierigkeiten, die Scoil Éanna vermutlich das Genick gebrochen hätten, wäre der Osteraufstand, an dem fünf Lehrer der Schule (die anschließend alle hingerichtet wurden) und zwölf ehemalige Schüler teilnahmen, nicht dazwischen gekommen.

Auch wenn Pearses Traum von einem Irland, das nicht nur frei ist, sondern in dem auch Gälisch weit verbreitet ist, noch lange nicht realisiert wurde, wird sein Erbe heute von der stetig wachsenden Bewegung der Gaelscoileanna - das sind Schulen, in denen alle Fächer auf gälisch unterrichtet werden - weitergetragen. In einer Zeit, in der auf breiter Front die Bildung dank der Vorgaben von mächtigen Instanzen wie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa (OECD) in zunehmendem Maße den Erfordernissen des internationalen Großkapitals unterworfen wird, ist es um so wichtiger, sich auf die Gedanken jener Pädagogen wie Pádraig Pearse zu besinnen, denen eine ganz andere Entwicklung für die Menschheit vorschwebte. Folglich kann man Brendan Walshs eingehende und hochinteressante Auseinandersetzung mit Pearses Unterrichtsphilosophie und -tätigkeit jedem empfehlen, der sich für Bildungspolitik interessiert.

19. Februar 2008


Brendan Walsh
The Pedagogy of Protest
The Educational Thought and Work of Patrick H. Pearse
Peter Lang Verlag, Bern, 2007
373 Seiten
ISBN: 978-3-03-910941-8
US-ISNB: 987-0-8204-8333-7