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REZENSION/427: Christoph R. Hörstel - Sprengsatz Afghanistan (SB)


Christoph R. Hörstel


Sprengsatz Afghanistan

Die Bundeswehr in tödlicher Mission



Mit seinem eher unkonventionellen Sachbuch zum Thema des Afghanistankriegs legt der Journalist Christoph R. Hörstel Zeugnis davon ab, daß man als professioneller Beobachter kriegerischer Entwicklungen keineswegs dazu verdammt ist, die häufig die Grenze menschlichen Fassungsvermögens überschreitenden Ereignisse tatenlos zu akzeptieren. Hörstel schildert die Entwicklung in dem seit über einem Vierteljahrhundert von mehr oder minder flächendeckenden Kriegen geschundenen Land nicht nur auf kundige Weise, er erklärt auch anhand seiner eigenen Erlebnisse in Afghanistan, wie er zu seinen Erkenntnissen gelangt ist, und legt konkrete Vorschläge für eine dauerhafte Konfliktlösung unterhalb der Schwelle aggressiver militärischer Erzwingung vor.

Anhand seiner Erfahrungen während des Afghanistankriegs der 1980er Jahre schildert Hörstel, wie er Land und Leute auf eine Weise kennenlernte, die nur das Überschreiten journalistischer Distanz im Sinne einer produktiven Parteinahme ermöglicht. Der Autor macht aus seinen Sympathien für die Sache der Mujahedin im allgemeinen und der von einem der wichtigsten Akteure des damaligen Kriegs, Gulbuddin Hekmatyar, geführten Partei Hezb-i Islami Afghanistan (HIA) im besonderen kein Hehl. Was ihm Kritiker als Preisgabe journalistischer Objektivität anlasten mögen, gewährt Einblicke in die Mentalität und Vorgehensweise der gegen die afghanische Regierung und ihre sowjetischen Unterstützer kämpfenden Mujahedin, die auf andere Weise nicht zu erlangen gewesen wären.

Seine spektakulären Erlebnisse als Reporter, als Vertrauter Hekmatyars, als zeitweiliger BND-Informant und Politikberater resultieren in einem Eintreten für das Recht der Afghanen, auf die von ihnen gewünschte Weise ohne äußere Bevormundung leben zu können, dem man einen großen Widerhall in Politik und Medien wünscht. In beiden Fällen ahnt man schon aufgrund der Widerstände, auf die Hörstel mit seinem ungewöhnlichen Engagement stieß und die einigen Aufschluß über die Instrumentalisierung deutscher Medien durch herrschende Interessen geben, warum dies kaum der Fall sein wird.

Seine Analyse zur Lage in Afghanistan, zu den Opfern, die der Bevölkerung für die geostrategischen und hegemonialen Ziele der Besatzer abverlangt werden, zum größeren politischen Rahmen dieses Krieges insbesondere in Hinsicht auf Pakistan und zur Rolle der USA als Initiatorin der nun bald sieben Jahre währenden Okkupation des Landes durch westliche Streitkräfte steht in starkem Kontrast zu den dürren Verlautbarungen, mit der die Bundesregierung ihrer Pflicht zur Berichterstattung nur notgedrungen nachkommt, wie zu den euphemistischen Durchhalteparolen, mit denen deutsche Politiker die Fortsetzung der Besatzungspolitik und deren Ausweitung durch Kampfeinsätze der Bundeswehr propagieren.

Hörstel übt entschiedene Kritik an der zerstörerischen Gewalt, mit der insbesondere die US-Streitkräfte eben nicht nur gegen die Taliban, sondern alle Bewohner des Landes vorgehen. Er dokumentiert seinen Einspruch mit Angaben zu den seit der Eroberung des Landes durch die USA und ihre Verbündeten angerichteten Schäden und arbeitet den systematischen Charakter der Einbeziehung der Zivilbevölkerung in die Kriegführung heraus. Neben persönlichen Recherchen, mit denen er nachwies, daß die Luftangriffe im Krieg 2001 auf zivile Ziele alles andere als zufällig waren, nimmt er die auch auf anderen Kriegschauplätzen gültige US-Luftwaffendoktrin unter die Lupe.

Diese basiert zumindest teilweise auf der Doktrin des US-Luftkriegstrategen John A. Warden, der bereits in leitender Position an der Planung des Bombenkriegs gegen den Irak 1991 beteiligt war. Warden schuf mit seinem "Modell der fünf Ringe" eine Matrix für den erfolgreichen Luftkrieg, die auf einem hierarchischen Konzept der Verwundbarkeit des Gegners basiert. Fünf konzentrisch umeinander gruppierte Ringe werden als Rangfolge strategischer Ziele aufgefaßt, deren Zerstörung eine um so größere Wirkung verheißt, je näher am Zentrum dieses Modells sie angesiedelt sind. Dort befindet sich die militärische und politische Führungsspitze, darum herum sind die Schlüsselindustrien organisiert, der dritte Ring besteht aus der Infrastruktur, die Transportmittel als auch Strom- und Wasserversorgung sowie Telekommunikation umfaßt, der vierte Ring ist der Bevölkerung und allen aus ihr hervorgehenden Verteidigungsbemühungen wie der praktischen und moralischen Unterstützung der Streitkräfte gewidmet. Erst der äußerste, fünfte Ring bleibt den operativen Einheiten des gegnerischen Militärs vorbehalten.

Bezeichnend für die menschenfeindliche Logik dieser Rangfolge ist, daß die gegnerischen Streitkräfte als relativ belanglos für die Widerstandskraft eines Landes, das von einer weit überlegenen Luftwaffe angegriffen wird, eingeschätzt werden. Die feindlichen Truppen aus der Luft niederzumachen, zeigt laut Warden erst sehr viel später Wirkung als etwa ein Angriff auf die Führung, die Versorgungseinrichtungen oder die Bevölkerung. Deren notorische Geringschätzung durch das demagogische Feindbild, laut dem bösartige Despoten an der Spitze sogenannter Schurkenstaaten allein dafür verantwortlich seien, daß sich ihre Länder nicht dem Willen der Neuen Weltordnung unterwerfen, wird nicht umsonst durch die ökonomische Strangulierung und militärische Drangsalierung ihrer Bürger widerlegt.

Bekanntlich hat sich die Vernichtungsgewalt der Bomber der Golfkriegsallianz 1991 vor allem gegen Einrichtungen der irakischen Infrastruktur und die Bevölkerung selbst gerichtet, die mit über 100.000 Todesopfern weit stärker betroffen war, als allgemein bekannt wurde. Das gezielte Zerstören ziviler Einrichtungen, die die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Strom und Nahrungsmitteln sicherstellen, ist ebenso durch das Kriegsvölkerrecht verboten wie das direkte Attackieren der Zivilbevölkerung. Dennoch erklärt Warden in seinem 1988 in den USA erschienen Buch "Air Campaign", daß der

"Oberbefehlshaber eines Feldzugs alle Arten von Operationen in Betracht ziehen sollte, mit denen Einfluß auf den Verlauf des Krieges genommen werden kann. Wenn der Wille der feindlichen Bevölkerung verletzlich ist, könnte es sein, daß sich der Befehlshaber auf dieses Ziel konzentriert. Wenn der Feind von äußerer Versorgung abhängig ist, dann könnte ein Punkt in der Nachschubkette der Schlüssel zum Erfolg sein. (...) Daher könnten Angriffe auf eine Reihe von Zielen notwendig sein - aber von Zielen, die sorgsam ausgesucht werden, um das Gravitationszentrum des Gegners zu treffen."

Im Interview mit der Washington Post (23.06.1991) rechtfertigte der inzwischen im Ruhestand lebende Luftwaffengeneral, der nach dem Golfkrieg als Kommandant des Air Command and Staff College an der Air University in Maxwell, Alabama, die Strategie des Luftkriegs lehrte, die gezielte Zerstörung der irakischen Infrastruktur damit, daß der eigenen Führung auf diese Weise ein langfristig wirksames Mittel an die Hand gegeben wurde, Druck auf Saddam Hussein auszuüben. Im Kern hätten diese Angriffe den Zweck gehabt, die Wirkung der über den Irak verhängten UN-Sanktionen zu beschleunigen. Man war sich also allemal bewußt darüber, daß die Iraker mit der umfassenden Zerstörung der zivilen Infrastruktur unter existentiell bedrohlichen Druck gesetzt werden. Die massive Zerstörung der Versorgungssysteme dieser arabischen Industriegesellschaft in Kombination mit dem UN-Wirtschaftsembargo resultierte denn auch nach 1991 in hunderttausenden ansonsten vermeidbaren Todesopfern unter der Bevölkerung.

Hörstel belegt, daß Wardens Konzept heute noch die Grundlage der US-amerikanischen Luftkriegsdoktrin bildet, und weist die Einbeziehung ziviler Einrichtungen in die Kriegführung 2001 anhand einiger Beispiele nach. Daß dies auch am Hindukusch nicht zu dem angeblich erwünschten Ergebnis einer Befriedung des Landes führt, liegt auf der Hand. Allerdings muß schon die Frage gestellt werden, wieso in diesem beanspruchten Sinne ungeeignete Konzepte völlig unbeeindruckt von der Kritik vieler Experten selbst aus den eigenen Reihen, laut denen Angriffe auf die Zivilbevölkerung eigentlich immer den Widerstandswillen der betroffenen Menschen stärken, weiterverfolgt werden.

Hier liegt der Verdacht nahe, daß es um eine Befriedung, bei der die Bevölkerung geschont, für die Besatzungsmächte eingenommen und auf eine bessere Zukunft in Wohlstand und Demokratie vorbereitet werden soll, ohnehin niemals ging. Mit seiner berechtigten, aber zu einseitigen Kritik an der Kriegführung Washingtons und der Behauptung, daß die USA, nicht jedoch die Bundesrepublik in Afghanistan nach Hegemonie strebten, frönt Hörstel einem guten Glauben, den er schon aufgrund seiner Erfahrungen in Afghanistan und des antiislamischen Tenors im Globalen Krieg gegen den Terrorismus verloren haben müßte.

Seine Empfehlung zu einer Stärkung der ISAF unter der Voraussetzung, daß man einen Friedensplan wie den von ihm vorgelegten umsetzt und die humanitäre Entwicklungshilfe stark aufstockt, beruht auf der Annahme, die Bundesrepublik verfolge in Afghanistan tatsächlich Ziele einer Befriedungspolitik, die nicht oder nur nachrangig auf geostrategischen Interessen beruht. Diese Differenzierung zwischen dem imperialistischen Charakter der US-Kriegführung und den wohlwollenden Absichten deutscher respektive EU-europäischer Außenpolitik wird durch Militärkonzepte expansiven Charakters auf Ebene der NATO, der EU und Bundesrepublik, in denen die Ressourcensicherung zum strategischen Ziel erklärt wird, wie durch eine Antiterrordoktrin, die starke Zweifel am rationalen Gehalt politischer Entscheidungsfindung wachruft respektive auf ihren Vorwandscharakter verweist, auf eine Weise konterkariert, die die Gutheißung deutscher Geopolitik mit dem Anspruch der Afghanen auf Selbstbestimmung unvereinbar erscheinen läßt.

Hörstels Buch stellt anhand des Widerspruchs zwischen offizieller Afghanistanpolitik und den von ihm eröffneten Einblicken in die geographischen, kulturellen, religiösen und politischen Bedingungen des Guerillakriegs, mit dem die Taliban und andere Gruppen versuchen, die Besatzer aus dem Land zu treiben, klar, daß eine Fortsetzung des bisherigen Kurses noch mehr Schaden anrichten und Schmerzen hervorrufen wird, ohne daß irgend etwas Wünschenswertes daraus resultierte. Wenn seine afghanischen Gesprächspartner den vollständigen Abzug der Besatzungstruppen verlangen, dann sollte man sie beim Wort nehmen.

25. Februar 2008


Christoph R. Hörstel
Sprengsatz Afghanistan
Die Bundeswehr in tödlicher Mission
Knaur Taschenbuch Verlag, München, 2007
288 Seiten, 8,95 Euro
ISBN 978-3-426-78116-6