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REZENSION/429: Widerspruch 53 - Weltordnung, Kriege und Sicherheit (SB)


Widerspruch 53


Beiträge zu sozialistischer Politik

Weltordnung, Kriege und Sicherheit



In einer Zeit, in der die Daseinsberechtigung des Menschen zusehends nach seiner nackten Verwertbarkeit unter kapitalistischen Produktionsbedingungen bemessen wird und diese als scheinbar alternativlos der gesamten Weltgesellschaft aufoktroyiert werden sollen, ist jedes Bemühen um eine kritische Auseinandersetzung mit den vorherrschenden Gewalten von vornherein begrüßenswert. Die Heftreihe "Widerspruch - Beiträge zu sozialistischer Politik" vertritt solch eine Gegenposition bereits seit vielen Jahren und bildet auch mit ihrem Band 53, der im zweiten Halbjahr 2007 unter dem Titel "Weltordnung, Kriege und Sicherheit" erschienen ist, wieder ein Füllhorn an Einwürfen und Auslassungen zu nationalen wie globalen Themen.

Die Verschiedenartigkeit der politischen Richtungen innerhalb des sozialistischen Politikverständnisses wird durch die Vielzahl der Autorinnen und Autoren und der von ihnen behandelten Felder angemessen reflektiert. Diese spannen sich von dem grundsätzlichen Beitrag über "Die ökonomische Funktion der US-Militärmaschinerie" (Robert Kurz) über die Beobachtung einer schleichenden gesellschaftlichen Akzeptanz des staatlich sanktionierten Quälens von Menschen in "Folter und Sicherheit. Eine Foucault'sche Perspektive" (Susanne Krasmann) bis zu der Aufforderung in dem Aufsatz "Abschreckung nach der Abschreckung" (Dieter Senghaas), über die Analyse der nuklearen Abschreckungspolitik hinausgehend auch eine Kritik an derselben zu etablieren. Dem Erscheinungsort Zürich dieser halbjährlich erscheinenden Heftreihe gemäß befassen sich gleich mehrere Beiträge mit Fragen der Sicherheitspolitik, Rüstung sowie der militärischen und zivilen Verteidigungspolitik in der Schweiz. Auf drei der zahlreichen Themen, die es alle nicht minder verdient hätten, ausführlicher besprochen zu werden, wollen wir näher eingehen.

Jens Wissel legt in einem dreizehnseitigen Beitrag mit dem Titel "Der neue Imperialismus" treffend dar, daß sich der von einigen Wissenschaftlern für obsolet erklärte Imperialismusbegriff sehr wohl auf die heutigen Akteure der Weltbühne anwenden läßt. Wissel erklärt, daß im Zuge der Weiterentwicklung von imperialistisch handelnden "inneren" Bourgoisien zu ihrer "transnationalisierten" Form auf der inter- und transnationalen Ebene ein Institutionengerüst entstanden ist, "in dessen Rahmen Konflikte innerhalb dieser transnationalisierten Bourgeoisie und zwischen den metropolitanen Nationalstaaten verhandelt werden" (S. 163/164). Die ökonomischen Regulierungsinstanzen WTO, IWF und Weltbank bildeten gemeinsam mit den Zentralbanken und Finanzministerien der "westlichen" Nationalstaaten das Rückgrat eines neoliberalen Konstitutionalismus.

Der Autor bezeichnet dieses Ensemble als ein äußerst "flexibles Netzwerk", das bei Widerständen gegen seine Interessen kurzerhand die Auseinandersetzung an anderer Stelle fortführe. Als Beispiel nennt er die gescheiterte WTO-Konferenz 2003 in Cancun und die Fortsetzung des Strebens nach dem ursprünglichen Ziel - einseitige Öffnung der Märkte des Südens - durch bilaterale Freihandelsabkommen. Zwar stellt Wissel fest, daß dieses Netzwerk "labil" ist und nicht alle Akteure immer am gleichen Strang ziehen, was sich im Vorfeld des Irakkriegs gezeigt habe, aber konstatiert, daß sich die imperialistisch handelnden Kräfte anschließend wieder zusammengefunden haben. Zu guter Letzt rät er, daß "die Kritik imperialistischer nationalstaatlicher Politik und ebenso die Kritik an der die nationale Konstellation überlagernden imperialen Politik (...) in den Debatten um emanzipatorische Zielsetzungen und Alternativen einen zentralen Stellenwert einnehmen" sollte (S. 167).

Der bis vor kurzem an der Universität Osnabrück lehrende Sozialwissenschaftler Mosshen Massarat schlägt in seinem Beitrag "Alternativen zum UN-Sicherheitsrat. Dezentralisierung der Sicherheitspolitik am Beispiel Mittlerer und Naher Osten" eine Lösung des festgefahrenen Nahostkonflikts vor. Es sollte nach dem Vorbild der KSZE eine KSZMNO ins Leben gerufen werden, in der alle Staaten im Mittleren und Nahen Osten unter der einzigen Vorbedingung der Dialogbereitschaft sich auf den Weg zur Bildung einer Zone gemeinsamer Sicherheit und Kooperation begeben sollten (S. 27). Das bedeutet nach Ansicht des Autors, daß sich der Iran und die arabischen Staaten auf die Anerkennung Israels einlassen und dessen Existenz auf Dauer garantieren müßten, während sich Israel als Gegenleistung endgültig auf die Grenzen von 1967 zurückziehen müsse und die Gründung eines lebensfähigen Palästinenserstaats nicht länger blockieren dürfe.

So wünschenswert Massarats Idee eines umfänglichen Dialogs auch ist, haben sich doch die Voraussetzungen dafür in jüngster Zeit erheblich verschlechtert: Beispielsweise kam ans Licht, daß die US-Regierung, wie von einigen Analysten zuvor vermutet, tatsächlich einen Sturz der vom palästinensischen Volk gewählten Hamas-Regierung durch die unterlegene Fatah ausgeheckt und diese indirekt dazu aufgerüstet hat; zudem dominieren innerhalb Israels rechtszionistische Interessen mehr denn je; und die palästinensische Führung ist aufgrund der westlichen Obstruktionsstrategie tief gespalten. Das alles erweckt nicht den Anschein, als sollten die Palästinenser jemals einen eigenständigen, territorial zusammenhängenden und nur unter dieser Bedingung funktionierenden Staat erhalten.

Darüber hinaus hat der Rücktritt des Oberbefehlshabers der US-Streitkräfte für den Nahen und Mittleren Osten (CENTCOM), Admiral William J. Fallon, die Befürchtung aufkommen lassen, daß ein Angriffskrieg der imperialistischen Macht USA - mit oder ohne Israel und die NATO-Verbündeten - gegen die Islamische Republik Iran wieder ein Stück nähergerückt ist.

Somit bleibt festzustellen, daß sich am Horizont nicht einmal der Minimalkonsens einer Dialogbereitschaft, auf den Massarat hofft, abzeichnet. Dem Autor ist zwar unbedingt zuzustimmen, wenn er in der militärischen Dominanz der USA und im UN-Sicherheitsrat einen zentralen Quell des Nahostkonflikts erkennt, aber genau deswegen müßte seinem Vorschlag zur Gründung einer KSZMNO zunächst eine Entmachtung dieses Weltgremiums vorausgehen, da dessen ständige Mitglieder gar keinen Anlaß haben, auf die weitreichenden Einflußmöglichkeiten zur Durchsetzung ihrer globalhegemonialen Interessen zu verzichten.

In ihrem Beitrag über "Militär als geschlechterpolitisches Terrain" zeichnet Ruth Seifert eine Debatte unter Linken über exemplarische Fragen nach, ob das Militär den Männern überlassen bleiben sollte, ob nicht der weibliche Einfluß besänftigend auf den Militärapparat wirken könne und ob es nicht eine emanzipatorische Errungenschaft sei, wenn Frauen von diesem gesellschaftlichen Bereich nicht mehr ausgeschlossen werden.

Seifert stellt fest, daß die Frage des Verhältnisses von Militär und Geschlecht "eigentlich kein Randthema der politischen Debatte sein" darf (S. 97), und bedauert, daß es wie bei vielen anderen militärbezogenen Themen im deutschsprachigen Raum nach wie vor an einem "politischen, gesellschaftlichen und akademischen Interesse" (S. 98) mangelt. Hier wäre es wünschenswert gewesen, wenn die Professorin an der Fachhochschule Regensburg es nicht beim Beschreiben der Diskussion belassen, sondern ihren eigenen Standpunkt zu der Frage, ob sie Frauen an der Waffe als einen emanzipatorischen Fortschritt ansieht oder nicht, deutlich gemacht hätte.

Es wäre zumindest theoretisch denkbar, daß Frauen ihre in diesem Kontext als gesellschaftliche Unterdrückung empfundene Position - die allerdings aus der Sicht eines zur Waffe gezwungenen Mannes als Privileg empfunden werden dürfte - in ein politisches Werkzeug gewandelt und daran gearbeitet hätten, daß das Militär an sich in Frage gestellt wird. Im Zuge der faktischen Angliederung der DDR an die Bundesrepublik ab 1989 stand durchaus die Frage im Raum, ob sich damit nicht der Existenszweck der Bundeswehr erübrigt hätte und die Institution ganz abgeschafft werden könnte. Das klang illusorisch - aber wäre nicht auch jeder, der in den Jahren zuvor vorausgesagt hätte, daß 1989 die Mauer fällt, als Phantast bezeichnet worden?

Jedenfalls müssen sich die Befürworter von Frauen in der Bundeswehr fragen lassen, ob der Preis für die Befreiung vom Zwang einer spezifischen Form der Unterdrückung - die Exklusion vom Militär - nicht in der Unterwerfung unter einen um vieles weitreichenderen Zwang bestand, nämlich Leib und Leben auf direkte Weise der Verfügungsgewalt anderer zu überantworten. Ein Polemiker könnte zugespitzt sagen, nun werden auch Frauen vom Staat legitimiert, andere Menschen zu erschießen. Um ein Beispiel zu nennen: Das Shock-and-awe-Bombardement 2003 auf Bagdad wurde auch von Kampfpilotinnen durchgeführt.

Grundsätzlich wäre es eine Bereicherung gewesen, wenn Seifert, aber auch einige andere Autorinnen und Autoren, deutlicher herausgestellt hätten, was eine typisch sozialistische Sichtweise ist und worin sie sich von anderen politischen Konzepten unterscheidet. Nun mag man das als einen allzu strengen Maßstab an eine halbjährlich erscheinende Aufsatzsammlung ansehen, zumal durch den programmatischen Titel "Widerspruch" nicht der Anspruch erhoben wird, über die Kritik hinaus Konzepte für Alternativen aufzeigen zu wollen. Doch hätte dem einen oder anderen Aufsatz eine deutlichere Positionierung gut getan, und wenn es nur dem Zweck diente, Sand ins Getriebe der gesellschaftlichen Profiteure zu streuen, die unter dem Vorwand der Sicherheit menschenvernichtende Kriege führen und eine Weltordnung generieren, in der eine sozialistische Politik zur Fußnote der Geschichte verkommen soll. Der Erfolg der Partei der Linken in Deutschland indessen beweist, daß der Widerspruch weiter verbreitet ist, als es den vorherrschenden Kräften recht sein kann. Dem Heft gleichnamigen Titels wäre das gleiche zu wünschen.

17. März 2008

Widerspruch 53
Beiträge zu sozialistischer Politik
Weltordnung, Kriege und Sicherheit
27. Jg./2. Halbjahr 2007
232 Seiten, 16,- Euro
ISSN 1420-0945

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