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REZENSION/457: Florian D. Pfaff - Totschlag im Amt (SB)


Florian D. Pfaff


Totschlag im Amt

Wie der Frieden verraten wurde



Die Beteiligung an militärischen Aggressionen und Angriffskriegen ist nach deutschem Recht strafbar - ebenso die Beihilfe. Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil Anfang Mai 2007 klarstellte, waren die AWACS-Einsätze aus dem Jahre 2003, welche die damalige rot-grüne Bundesregierung unter Umgehung des deutschen Bundestages im Rahmen des Irakkrieges beschlossen hatte, verfassungswidrig. Die Entscheidungsträger in Berlin hätten dafür eigentlich auf der Anklagebank Platz nehmen müssen. Doch solche höchstrichterlichen Entscheidungen rauben Altkanzler Gerhard Schröder, der schon kurz nach seinem Amtsantritt durch den parteiübergreifenden Beschluß zur aktiven Beteiligung Deutschlands am NATO-Krieg gegen Jugoslawien im Frühjahr 1999 das Grundgesetz mit Füßen trat, nicht den Schlaf, kann er sich doch der Unterstützung der Chefankläger in Karlsruhe und Leipzig sicher sein, die bisher immer einen Weg fanden, rechtliche Widersprüche zu legitimieren und die Verantwortlichen in der Politik und in den Ministerien unangreifbar zu machen.

Daß die obersten Gerichte nicht immer Recht sprechen, die eigentlichen Täter durch geschickte Rechtsauslegungen sogar schützen, diese beklemmende Erfahrung hat auch Major Florian D. Pfaff machen müssen, nachdem er im März 2003 einen Befehl zur logistischen Unterstützung des US-amerikanischen Angriffs auf den Irak verweigerte. In seinem Buch "Totschlag im Amt - Wie der Friede verraten wurde" schildert der Autor auf eindrückliche Weise seine persönlichen Erlebnisse mit Gerichten und Vorgesetzten bei der Bundeswehr.

Das Nichtausführen gesetzwidriger Befehle, erklärt Pfaff in seinem Buch, sei Pflicht eines jeden Soldaten und sogar vom Gesetzgeber gefordert. Der von den USA durchgeführte Einmarsch in den Irak und die deutsche Unterstützung, z.B. durch die Beteiligung von Bundeswehrsoldaten in AWACS-Flugzeugen über der Nordtürkei, mit ABC-Spürpanzern in Kuweit oder durch die Bewachung des US-Stützpunkts Ramstein, verstieß gegen Artikel 26 Absatz 1 des Grundgesetzes, der schon die Planung und Vorbereitung eines Angriffskrieges als verfassungswidrig definiert, sowie Paragraph 80 des Strafgesetzbuches, der den gleichen Fall mit einem Strafmaß zwischen zehn Jahren bis lebenslanger Freiheitsstrafe belegt. Pfaffs ablehnende Haltung gegenüber dem Irakabenteuer der Regierung von George W. Bush brachte den Berufssoldaten, der er einst aus Überzeugung war, unweigerlich in Konflikt mit seinem Dienstherrn, der ihn, man mag es kaum glauben, zur Untersuchung seines Geisteszustandes in das Bundeszentralkrankenhaus in Koblenz beorderte, um den unbequemen Befehlsverweigerer aus dem Verkehr zu ziehen.

Natürlich fragt man sich zunächst, wenn man in der Unterhose vor dem Nervenarzt steht, auf und ab laufen und seine Reflexe belegen muß, was man denn falsch gemacht hat. Man grübelt, ob man nicht irgendwie geahnt hat, als möglicher Spinner betrachtet zu werden. Ich war am ersten Tag alles andere als begeistert, allerdings überzeugt, die seltsamen Gefilde bald wieder verlassen zu können.
(S. 80)

Mit dieser Einschätzung lag Pfaff falsch. Eine Woche lang wurde er in Koblenz von oben bis unten durchgecheckt, sein Kopf dreidimensional durchleuchtet, er mußte Fragebögen mit den schönen Namen MMPI (Minnesota Multiple Personality Inventory) und FPI (Freiburger Persönlichkeitsinventar) beantworten und widersinnige Gespräche mit Psychologen führen. Als man schließlich einsah, daß Pfaff nicht zu einem politisch motivierten Verbrechen anzustiften sei, bescheinigte ihm der Nervenarzt ein hohes Maß an Ehrlichkeit und eine sehr gesunde rationale Auffassungsgabe.

Nach seinem stationären Aufenthalt meldete sich Pfaff zum Dienst zurück, wurde aber schon bald darauf von seinen Vorgesetzten erneut mit Entlassung bedroht, um ihn zur Mißachtung seiner Pflicht und zur Beachtung der ihm erteilten Befehle zu nötigen. Als der Major herausfand, daß er sich durch seine Mitarbeit an der Entwicklung eines Softwareprogramms indirekt am Angriffskrieg gegen den Irak beteiligte und jede weitere Arbeit daran verweigerte, wurde ihm befohlen, die gesetzlich vorgeschriebene Prüfung zu unterlassen, ob er an völkerrechtswidrigen Verbrechen mitwirke. Im Februar 2004 mußte Pfaff sich einem Disziplinarverfahren wegen Befehlsverweigerung und Ungehorsam stellen. Das Truppengericht Münster lehnte seine Entlassung aus der Bundeswehr ab und degradierte ihn statt dessen zum Hauptmann. Gegen die Herabsetzung seines Dienstrangs legte Pfaff Berufung ein und wurde 2005 vom Bundesverwaltungsgericht rehabilitiert.

Die Leipziger Richter haben in ihrem Urteil festgestellt, daß Pfaff aus Gewissensgründen verweigern durfte, sich aber nicht dazu geäußert, ob der Irak-Krieg oder die Unterstützungleistungen der Bundesrepublik tatsächlich völkerrechtswidrig waren, ebensowenig wurde darauf eingegangen, ob die dienstliche Tätigkeit von Pfaff ein Verbrechen dargestellt hätte. Auch hatte das Gremium darauf verzichtet, sich mit der Entschließung des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof vom 21. März 2003 auseinanderzusetzen, mit der der ehemalige Chefankläger Kay Nehm die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Mitglieder der damaligen Bundesregierung mangels Anfangsverdachts abgelehnt hatte. Indem der Senat in der Frage, ob es sich beim Irak-Krieg um ein Verbrechen handelte, eine juristisch verbindliche Aussage vermied, wurde möglichen Massenklagen der Riegel vorgeschoben.

Auch oberste Bundesgerichte müssen mit einem Auge ja immer auf die Außenpolitik schielen. Es ist weniger aufsehenerregend, wenn ein Major in Deutschland wegen seines Gewissens freigesprochen wird, als wenn die Verwerflichkeit des Krieges an sich gerichtlich bescheinigt würde. Auch diejenigen, die das Delikt noch immer unterstützen, sogar die, die es in der Vergangenheit unterstützt haben, müßten nach einem Urteil, das nicht auf die Gewissensentscheidung abhebt, sondern auf das Straf- und Wehrstrafgsetz, zur Rechenschaft gezogen werden. (...) Aber ein Gericht, dessen Ziel neben der Rechtssicherheit vor allem auch der Konsens im Land ist, wird, solange es noch Leute gibt, die anders denken und den Krieg befürworten, diese, und wenn es noch so wenige sind, nicht hart angehen wollen.
(S. 122)

Und eben diese Kriegsbefürworter waren es, die anschließend ein Papier herausbrachten mit dem Namen "Hinweise für Rechtsberater und Rechtslehrer. Umgang mit Soldaten und Soldatinnen, die aus Gewissensgründen Befehle nicht befolgen wollen". Darin scheint das Verteidigungsministerium nahezulegen, gewissenhafte und dem Gewissen verhaftete Soldaten wie Pfaff dazu zu veranlassen, gegen das Grundgesetz zu verstoßen und das Strafgesetzbuch zu ignorieren.

Während das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat, daß ich aus Gewissensgründen verweigern durfte, verlangt die Bundeswehr "Loyalität", wie sie das nennt, und meint das Befolgen ihrer rechtswidrigen Befehle. Sie meint, Soldaten wie ich müßten in Angriffskriege folgen. Sie behauptet den Vorrang der Macht des Ministeriums vor dem Grundgesetz. Und sie meint, mich beleidigen zu dürfen, ich habe gar keine existentielle Gewissensentscheidung vorgenommen. Man versucht, mich trotz des eindeutigen Urteils zu meinen Gunsten doch noch zum Gehorsam zu zwingen, der in diesem Fall sicher nicht verlangt werden darf.
(Friedensbündnis Karlsruhe, Redebeitrag von Florian Pfaff, 26.4.2006)

Der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder und der Grünen-Außenminister Joseph Fischer redeten seinerzeit gegen den Irak-Krieg und davon, daß es keine deutsche Beteiligung an diesem Krieg, ob mit oder ohne UN-Mandat, geben werde. Tatsächlich jedoch hatte Schröder, wie Regierungssprecher Thomas Steg später bestätigte, im Vorfeld der Besetzung des Irak den USA die volle Nutzung der militärischen Infrastruktur in Deutschland zugesichert. Die Verurteilung der AWACS-Einsätze durch das Bundesverfassungsgericht im Mai vergangenen Jahres ist eine klare Absage an die aktive Teilnahme Deutschlands an einem völkerrechtswidrigen Krieg und eine späte Bestätigung für die Argumentation in der Friedens- und Antikriegsbewegung. Die Zeiten, in denen behauptet wurde, vom deutschen Boden würde nie wieder Krieg ausgehen, sind jedoch vorbei, wie der Umgang mit Florian Pfaff beweist.

Wir Soldaten haben früher gelernt, das Völkerrecht habe Vorrang vor nationalen Befehlen. Nach dem Völkerrecht war der Irak-Krieg verboten. Ist ein Angriff nur auf Grund von Interessen, aber ohne zuvor selbst angegriffen worden zu sein, nun Bürgerpflicht, oder bleibt er, auch wenn ein Bündnispartner darum bittet, Mord und Totschlag? Das bleibt Mord - und zwar auch dann, wenn wir glauben, keine Angst mehr haben zu müssen, unmittelbar in einen Krieg verwickelt zu werden, weil wir den Angegriffenen etwa für relativ schwach halten.

Mord und Totschlag sind immer verwerflich, auch ohne für sich selbst Nachteile befürchten zu müssen. Dabei sehen wir doch bereits deutlich die Folgen: Wir können inzwischen nicht einmal mehr mit einer Tüte Milch in ein Flugzeug steigen. Unsere Freiheit geht verloren. Von Recht und Moral, dem Fundament unserer Gesellschaft, ganz zu schweigen.
(Dankesrede von Florian Pfaff anläßlich der Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille, 2006)

Derzeit bemüht sich Pfaff darum, daß sein Dienstherr, der seinen Freispruch, obwohl letztinstanzlich und verbindlich, im Kern ignoriert, gezwungen wird, das Urteil des Senats zu respektieren. Er setzt sich vehement dafür ein, daß Soldaten wie er nicht länger genötigt werden, verwerfliche gewissensbelastende Mitwirkungshandlungen zu erbringen.

7. Oktober 2008


Florian D. Pfaff
Totschlag im Amt - Wie der Frieden verraten wurde
HWK-Verlag, Wassertrüdingen 2008
204 Seiten, 29,80 Euro
ISBN: 978-3-937245-03-4