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REZENSION/458: F. William Engdahl - Apokalypse jetzt! (SB)


F. William Engdahl


Apokalypse jetzt!

Washingtons geheime Geopolitik



Als hätte die Menschheit mit der internationalen Finanzkrise nicht genug Probleme zu bewältigen, geht seit dem Kleinkrieg zwischen Rußland und Georgien um die beiden abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien im vergangenen August die Angst vor einem weiteren Kalten Krieg, vor einer Neuauflage der Konfrontation zwischen Washington und Moskau um. In den westlichen Medien wird Rußland die Hauptverantwortung für die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Ost und West angelastet. Zu Unrecht, meint F. William Engdahl, der letztes Jahr aus Sorge um die sich bereits damals zuspitzende geopolitische Lage andere schriftstellerische Projekte auf die lange Bank geschoben hat, um das mahnende Buch "Apokalypse jetzt! - Washingtons geheime Geopolitik" zu schreiben und auf den Markt zu bringen.

Für Engdahl brach der Kalte Krieg II bereits am 10. Februar 2007 aus, als Wladimir Putin auf der Sicherheitskonferenz in München eine in ihrer Direktheit bemerkenswerte und aufsehenerregende Rede hielt. Der damalige Präsident und heutige Premierminister Rußlands prangerte offen diejenigen Maßnahmen der USA an, die nach Ansicht des Kremls in den letzten Jahren in ihrer unilateralistischen Arroganz die Staatenwelt unsicherer gemacht hätten. Hierzu zählte Putin vor allem, aber nicht nur: die scheinbar unaufhaltsame NATO-Osterweiterung, die immer mehr den Charakter einer gegen Rußland gerichteten Umzingelungsstrategie annimmt; den Austritt der USA aus dem ABM-Vertrag, um ein Raketenabwehrsystem zu entwickeln und aufzubauen, das dem Pentagon eventuell eine Erstschlagskapazität gegen die strategischen russischen Streitkräfte verschaffen soll; sowie den völkerrechtlich illegalen Einmarsch in den Irak im Jahre 2003.

In München rief Putin zu einer echten Partnerschaft zwischen Ost und West und zu einer Stärkung der Vereinten Nationen als Forum für die Beilegung internationaler Dispute und Krisen auf. Gleichzeitig warnte er, daß sich Rußland, sollte die NATO unter Führung der USA weiterhin ihren aggressiven Kurs beibehalten, aus nachvollziehbaren Gründen der Selbsterhaltung irgendwann zu Gegenmaßnahmen gezwungen sehen werde. Doch im Westen wollte man die Botschaft des Noch-Partners aus Moskau nicht hören. Putin wurde von Politik und Presse zum Störenfried erklärt, der angeblich mit Drohungen und wilden Verschwörungstheorien gegen alle Regeln des diplomatischen Umgangs verstoßen hätte. Die mahnenden Worte aus Moskau ignorierend, hat die US-Regierung unter Präsident George W. Bush in diesem Jahr die serbische Provinz Kosovo als eigenständigen Staat anerkannt, Georgien und der Ukraine die Aufnahme in die NATO in Aussicht gestellt und erfolgreich auf die Stationierung von wichtigen Komponenten des US-Raketenschilds in Polen (Abfangraketen) und Tschechien (Radaranlage) gedrängt.

Im vorliegenden Buch geht es Engdahl darum, aus geopolitischer Sicht "die zentrale Bedeutung des heutigen Rußlands dem Leser darzulegen, der versucht, sich auf die scheinbar zusammenhanglosen Trends der globalen Politik einen Reim zu machen". (S. 11) Dies ist ihm auch gelungen. Rußland ist nicht nur das flächenmäßig größte Land der Erde mit fast unerschöpflichen Naturressourcen und Energiereserven, sondern ist auch mit seinen mehreren tausend Atomsprengköpfen der einzige Staat, der sich im Ernstfall der gigantischen US-Militärmaschinerie widersetzen und Amerika ausradieren könnte. Seit Jahrzehnten sind die USA um die Weltherrschaft bemüht. Zu diesem Zweck müssen sie verhindern, daß auf der eurasischen Landmasse eine Macht entsteht, die sich ihnen erfolgreich entgegenstellen könnte. Ohne Rußland - sei es im Rahmen der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) mit China oder einer Achse Paris-Berlin-Moskau wie vor dem Ausbruch des Irakkrieges - kann es eine solche Gegenmacht nicht geben. Deshalb die Unerbittlichkeit, mit der die USA nach Osteuropa, in den Kaukasus und nach Zentralasien drängen und dort überall Militärstützpunkte aufbauen sowie Öl- und Gaspipelines verlegen.

Seit dem jüngsten Krieg im Kaukasus werden US-Präsident George W. Bush und seine Außenministerin Condoleezza Rice nicht müde zu behaupten, Rußlands Verhalten gegenüber Georgien zeuge von einem überholten Großmachtdenken, das dem 19. Jahrhundert verhaftet sei. Im 21. Jahrhundert gäbe es "keine Einflußsphären mehr", so Bush und Rice. Was dies im Umkehrschluß bedeutet, ist klar. In einer Welt, die das US-Verteidigungsministerium komplett aufgeteilt und einer Reihe von zuständigen Regionalkommandos - NORTHCOM (Nordamerika), SOUTHCOM (Süd- und Mittelamerika), EUCOM (Europa), AFRICOM (Afrika), CENTCOM (Zentral-und Südasien sowie der Nahe Osten) und PACOM (pazifisch-ostasiatischer Raum) - untergeordnet hat, sollen die Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen Washingtons Vorrang haben. Es soll keine Region geben, in der die USA nicht mitreden. Wenn Washington sich zum Welthegemon erklärt, dann sind Interessenssphären irgendwelcher Regionalmächte illegitim.

Hauptbefürworter jenes absoluten Führungsanspruchs der USA sind die Angehörigen der neokonservativen Kamarilla Amerikas, deren Entstehung und schier unglaublichen Einfluß Engdahl dezidiert erläutert. Die wichtigsten Vertreter dieser gefährlichen Ideologie wie Richard Perle, Paul Wolfowitz und Michael Ledeen werden einzeln vorgestellt und ihre engen Verbindungen zur US-Rüstungslobby, zu den christlichen Zionisten und zu Israel sorgfältig analysiert. Auch die inzestuöse Zusammenarbeit zwischen den wichtigsten neokonservativen und pro-israelischen Denkfabriken wie AEI, AIPAC, JINSA und CSP, den führenden konservativen Stiftungen wie Olin, Bradley-Scaife und Smith & Richardson und Amerikas Waffenfabrikanten und Finanzjongleuren an der Wall Street nimmt Engdahl unter die Lupe. Eben diesen Kreisen verdanken wir den "globalen Antiterrorkrieg" - ein Synonym für einen Kreuzzug gegen Amerikas und Israels Feinde in der islamischen Welt -, die neue US-Militärdoktrin des präemptiven Krieges, der notfalls auch den Einsatz vom Kernwaffen gegen Nicht-Atomstaaten vorsieht, die Militarisierung des Weltalls und einen Pentagon-Haushalt, der seit Jahren die Wehretats aller anderen Länder zusammen übersteigt und dadurch nicht unwesentlich zur Entstehung der derzeitigen Finanzkrise in den USA beigetragen hat.

Engdahl hält die Neokonservativen für verrückt, ihre Methoden für verbrecherisch und ihre Ziele für menschenfeindlich, denn für letztere wären sie bereit, einen Dritten Weltkrieg vom Zaun zu brechen. Tatsächlich sind Amerikas Neokonservative davon überzeugt, daß ein Atomkrieg für die USA zu gewinnen wäre, selbst wenn dieser Abermillionen von Menschen das Leben kosten sollte. Als 1986 Michail Gorbatschow, der damalige Generalsekretär der Sowjetunion, beim Gipfeltreffen in der isländischen Hauptstadt Reykjavik Ronald Reagan ernsthaft die Verschrottung aller amerikanischen und sowjetischen Nuklearwaffen vorschlug, war es gerade Perle, damals Stellvertretender US-Verteidigungsminister, der dem eigenen Präsidenten ausredete, diese einzigartige Gelegenheit für eine Welt ohne Atomkriegsbedrohung zu ergreifen. Perle argumentierte, daß der Preis eines solchen Deals, die von Kreml geforderte Aufgabe der Entwicklung eines US-Raketenabwehrsystems - das bis heute trotz Milliardenbeträgen an Subventionen nicht funktioniert und vermutlich niemals funktionieren wird, an dem aber letztlich der Traum von Amerikas Kriegsfalken hinsichtlich einer atomaren Erstschlagskapazität hängt -, zu hoch wäre. Folgt man dieser Logik, dann hieße das, es dürfe keinen Frieden auf Erden geben, nur weil sich die Neocons die Option auf einen Atomkrieg nicht nehmen lassen wollen.

Inzwischen bereut Gorbatschow viele der Zugeständnisse, die er damals gegenüber dem Westen im allgemeinen und den USA im besonderen gemacht hat. Seine Nachfolger im Kreml, Putin und der neue russische Präsident Dimitri Medwedew, scheinen diese Fehler nicht wiederholen zu wollen. Jetzt, wo die USA alles unternehmen, die Ukraine, traditionell Rußlands wichtigsten Verbündeten, in die NATO zu holen, haben Putin und Medwedew die Samthandschuhe ausgezogen. Wenige Wochen nach dem Kaukasus-Krieg fliegen dieser Tage russische Langstreckenbomber erstmals seit 1992 wieder mit scharfen Atomwaffen Manöver. Dies berichtete am 6. Oktober die Londoner Times unter Verweis auf russische Nachrichtenagenturen. An dem Manöver namens Stabilität 2008 nimmt die größte russische Luftflotte, zu der bis zu 20 strategische Bombenflugzeuge vom Typ Tu-160 Blackjack und Tu-95MS Bear-H gehören, seit Ende der Sowjetunion teil. Unterdessen hat der russische Außenminister Sergej Lawrow vor den Plänen der USA, den 1991 von Gorbatschow und George Bush sen. vereinbarten Strategic Arms Reduction Treaty I (Vertrag zur Verringerung strategischer Atomwaffen) Ende des Jahres auslaufen zu lassen, gewarnt.

Vor diesem Hintergrund hat Engdahls informatives Buch höchste Aktualität. Selbst wenn, wie erwartet, der demokratische Bewerber Senator Barack Obama am 4. November die Präsidentenwahl in den USA gewinnen sollte, wird Amerikas Anspruch auf die internationale Führungsposition erhalten bleiben. Schließlich gilt Obamas außenpolitischer Berater Zbigniew Brzezinski, der in den siebziger Jahren Nationaler Sicherheitsberater unter Jimmy Carter war und damals den Kampf der afghanischen Mudschaheddin gegen die Sowjetunion initiierte, als führender Verfechter der These, daß die USA die Kontrolle über Eurasien behalten und dort die Entstehung eines ebenbürtigen Rivalen auf alle Fälle verhindern müßten.

Es enttäuscht, bei "Apokalypse jetzt!" auf die gleichen Lektoratsmängel zu stoßen, welche der Schattenblick bereits bei dem letzten Buch Engdahls, dem 2006 ebenfalls beim Kopp Verlag erschienenen "Mit der Ölwaffe zur Weltmacht", moniert hatte. Sachverhalte werden zu keinem nachvollziehbaren Zweck mehrmals geschildert - zum Beispiel das Mitwirken Douglas Feiths an der Lobby-Organisation One Jerusalem. Angaben werden gemacht, die gar keinen oder einen falschen zeitlichen Bezug haben. "In Afghanistan sah Marshall im letzten Herbst vieles, was seine Thesen bestätigte" - In diesem auf Seite 106 geschilderten Fall geht es um die militärische Transformationstheorie des Pentagon-Gurus Andrew Marshall, die dieser höchstens in Afghanistan im Herbst 2001, auf keinen Fall aber im Herbst 2006 hätte bestätigt sehen können. Offenbar entstammt der Satz einem vor Jahren geschriebenen Zeitungsartikel Engdahls, und man hat es versäumt, den richtigen Zeitbezug herzustellen. Auf Seite 173 heißt es (nachdem im vorangegangenen Absatz der letzte Zeitbezug 1996 lautete): "Die enge Verbindung zwischen Bush sen., damals noch US-Vizepräsident, und Sun Myung Moon war für ersteren sehr nützlich, als er sich damals aus seiner Verwicklung in die Iran-Contra-Affäre des Oberst Oliver North herauslügen mußte, um eine Amtsenthebung zu umgehen." 1996 war jedoch Al Gore Vizepräsident, die beschriebene Episode spielt irgendwann in der zweiten Amtszeit Ronald Reagans, die im Januar 1989 zu Ende ging. Solche Fehler, von denen die erwähnten nicht die einzigen darstellen, sind angesichts der gewichtigen und begründeten Vorwürfe, die Engdahl an die Adresse der politischen Führungselite in Washington richtet, sehr ärgerlich.

8. Oktober 2008


F. William Engdahl
Apokalypse jetzt!
Washingtons geheime Geopolitik
Kopp Verlag, Rottenburg, 2008
288 Seiten
ISBN: 978-3-938516-54-6