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REZENSION/556: Dorothee Bölke - Presserecht für Journalisten (Rechtsratgeber) (SB)


Dorothee Bölke


Presserecht für Journalisten

Freiheit und Grenzen der Wort- und Bildberichterstattung



Die Hamburger Rechtsanwältin Dorothee Bölke, als Dozentin und Lehrbeauftragte in der journalistischen Aus- und Fortbildung unmittelbar mit konkreten Fragen aus der praktischen Arbeit Medienschaffender konfrontiert, hat dieser Thematik schon vor Jahren ein Standardwerk für Berufsanfänger, -praktiker und allgemein Interessierte gewidmet, das heute noch aufgrund seiner zeitlosen Aktualität empfohlen werden kann. Das in der Reihe Beck-Rechtsberater im dtv 2005 erschienene Buch "Presserecht für Journalisten" behandelt, wie es im Untertitel heißt, "Freiheit und Grenzen der Wort- und Bildberichterstattung" aus Sicht bzw. unter Berücksichtigung der spezifischen Interessen und Problemstellungen von Journalisten. Die Autorin umschrieb in ihrem Vorwort die praxisorientierte Zielsetzung ihres Buches anhand folgender Fragen:

Den großen Teil seiner Arbeit erledigt der Journalist mit professioneller Routine. Doch oft genug tauchen Probleme auf, die ihn unsicher machen. Wie soll er sich entscheiden? Darf er diesen spezifischen Sachverhalt wirklich öffentlich machen? Darf er Namen nennen, zufällig aufgeschnappte Äußerungen zitieren? Muss er auf die Wünsche seines Interviewpartners wirklich eingehen? Wie geht er mit Informationen aus einer dubiosen Quelle um? Der Journalist muss in seiner täglichen Arbeit Fragen schnell und eindeutig klären.

Das formulierte Anliegen, hier sachkundige und fundierte Hilfestellungen zu geben, erfüllt der vorliegende Rechtsberater voll und ganz. Ihm ist anzumerken, daß seine Verfasserin ihre in der journalistischen Aus- und Fortbildung gesammelten Erfahrungen einfließen ließ, und so kommt dieses ungeachtet der juristischen Bezüge und Themenstellungen allgemeinverständlich und gut lesbar geschriebene Werk einem inoffiziellen Lehrbuch gleich, das Berufsanfängern und -praktikern wertvolle Unterstützung zu leisten vermag bei dem Seiltanz, den diese angesichts der sich gesellschaftlich zuspitzenden Verhältnisse, die ihren Niederschlag selbstverständlich auch im innenpolitischen und damit auch presserechtlichen Rahmen finden, zu bewältigen haben.

Wenngleich nicht unberücksichtigt bleiben darf, daß der bereits 2005 erschienene Ratgeber der damaligen Rechtslage mit Stand vom 1. Oktober 2004 entspricht, weshalb es im Einzelfall angeraten sein könnte, die seither ergangene Rechtsprechung oder ggf. veränderte Rechtslage nachzurecherchieren, vermittelt die Autorin doch ein so fundiertes Grundwissen, daß dieses kleine Manko den Gebrauchswert des Buches nicht schmälert. Fragestellungen, die über die konkreten Problemstellungen praktizierender Journalisten hinausgehen und eher von allgemeinem politischen Interesse sind, wurden in diesem Buch mit dem explizit Journalisten ansprechenden Titel nicht aufgegriffen. Dies stellte die Autorin bereits in ihrem Vorwort klar:

Aus meiner langjährigen Erfahrung als Verlagsjustiziarin, Rechtsanwältin und Presserats-Geschäftsführerin, aus meinen Aktivitäten bei der journalistischen Aus- und Fortbildung weiß ich, dass sich für Journalisten immer wieder die gleichen Fragen ergeben. Sie betreffen vor allem die Sorgfaltspflichten und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht. Wie viel Freiheit darf sich ein Journalist für seine Berichterstattung nehmen, was ist möglich? Andererseits: Welche Grenzen hat er zu beachten, was darf oder sollte nicht sein? Er muss ständig abwägen und entscheiden.

Dabei soll ihm dieses Buch helfen, dessen Aufbau und Sprache sich an den Erfordernissen der Praxis ausrichten. Es verzichtet auf rechtsdogmatische Erörterungen und stützt sich überwiegend auf Argumente der Rechtsprechung, die für das journalistische Alltagsgeschäft entscheidend sind. Es zitiert vor allem Urteile und deren Begründungen, um deutlich zu machen, welchen Freiraum die Gerichte den Journalisten zubilligen und wo dieser Freiraum endet. Es bezieht ein zweites Sanktionssystem mit eigenen Standards ein: Entscheidungen des Deutschen Presserats auf der Grundlage des Pressekodex. Dessen Handlungsanweisungen sollen offenkundig gemacht und neben die entsprechenden Argumente der Rechtsprechung gestellt werden.

Fraglos geht Bölke vom Berufsbild eines im Mediengeschäft tätigen Journalisten aus, der seine beruflichen Aufgaben erfüllen möchte, ohne sich presserechtlich, aber auch zivil- oder gar strafrechtlich in Schwierigkeiten zu bringen. Ihr Werk enthält nützliche und wertvolle Tips, so etwa in dem dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gewidmeten Teil, in dem sie darlegt, daß nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen, also Wirtschaftsunternehmen oder auch Behörden und Stellen der öffentlichen Verwaltung, den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und damit eine der gesetzlichen Schranken der Presse- und Meinungsfreiheit in Anspruch nehmen können.

Unter dem Stichwort "Machtkritik" stellt sie klar, daß "Kritik schärfer formuliert werden [darf], wenn sie nicht auf Einzelpersonen, sondern auf staatliche Einrichtungen bezogen wird" (S. 112). Die Autorin vermittelt in ihrem Werk das in diesem Berufsbereich weitverbreitete Konzept einer vermeintlichen gesellschaftspolitischen Neutralität, die als kritikwürdig bestenfalls Vorfälle, Entwicklungen und dergleichen gelten läßt, die sich im weitesten Sinne unter den Begriff "Fehlverhalten" subsumieren lassen. So definiert sie als "legitime Aufgabe der Presse, Misstände aufzudecken und darüber zu berichten" (S. 135). In diesem Punkt kann sie sich mit dem Deutschen Presserat einig wissen, dessen Beschluß vom 25. November 1987 sie dahingehend zitiert, daß vermutetes Fehlverhalten staatlicher Instanzen öffentlich gemacht werden müsse, um die "Kontroll- und Wächterfunktion der Medien" zu gewährleisten.

Dies ist nachvollziehbar und akzeptabel, insoweit darunter zu verstehen ist, daß Medien nicht erst über "politisch, gesellschaftlich oder wirtschaftlich brisante Themen" berichten dürfen, wenn "die Wahrheit fest steht" (S. 135). Die Verwendung des Begriffs "Fehlverhalten" allerdings offenbart an dieser Stelle ein behavioristisch anmutendes Verständnis presserechtlicher Bestimmungen sowie des journalistischen Arbeitens, so als könnte eine unter konsequenter Berücksichtigung der Sorgfaltspflichten erstellte Berichterstattung über soziale Wirklichkeiten in der Bundesrepublik Deutschland nicht einer Grundsatzkritik an der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung, die mit einem etwaigen "Fehlverhalten" öffentlicher Stellen nichts zu tun hat, Raum und Nahrung geben.

Hierzulande wird die Presse gern als die vierte Macht im Staate bezeichnet wohlwissend, daß diese den hohen Stellenwert der grundgesetzlich durch Art. 5 (Meinungsfreiheit) eigens geschützten Medien betonende Bezeichnung faktisch unkorrekt ist. Der Begriff "vierte Macht" spielt bekanntlich auf das Prinzip der Gewaltentrennung an, unter dem die Aufteilung und wechselseitige Kontrolle staatlicher Funktionen verstanden wird zu dem Zweck, die Gewaltausübung des Staates im Interesse der ihr unterworfenen Bürger zu mäßigen. Bei den zum Schutz der Bevölkerung und damit des eigentlichen Souveräns angeblich geteilten Gewalten handelt es sich, wie es schon Schulkinder lernen, um die gesetzgeberische (Legislative), die ausführende (Exekutive) und die richterliche bzw. rechtsprechende Gewalt (Judikative). Von Presse und Medien ist im streng-juristische Sinne in diesem Zusammenhang weit und breit nicht die Rede - wäre deshalb der veröffentlichte Satz eines Journalisten, die Presse sei die vierte Gewalt im Staate, eine wahrheitswidrige Tatsachenbehauptung?

Wenn man wollte, könnte man dies so sehen. Eine solche Einschätzung ließe sich womöglich sogar presserechtlich begründen. Gleichwohl mutet sie absurd an und würde vor den Gerichten kaum Bestand haben nicht zuletzt deshalb, weil der in diesem Satz zum Ausdruck gebrachte hohe Stellenwert der Presse und der Pressefreiheit den Grundkonsens eines Staates mit demokratischem Eigenanspruch im Kern trifft. Wie sollte dies, noch dazu aus Sicht entscheidungsbefugter Gerichte und damit der Judikative, also einem der drei Standbeine der Gewaltentrennung, "wahrheitswidrig" sein können? Tatsächlich ist der Wahrheitsbegriff aus dem Presserecht ungeachtet der hier angedeuteten Problematik nicht wegzudenken.

Dies hat seinen Grund, denn wie sollten sich veröffentlichte Äußerungen jedweder Art justitiabel machen lassen ohne eine Axiomatik, die in ihrem Kern eine Null-Eins-Dualität, in diesem Fall den Gegensatz zwischen "richtig" und "falsch", aufweist? Es liegt auf der Hand, daß die Durchsetzung des Bezugspunktes für "richtig", dem sich alles übrige nachordnen läßt, eine Frage der Macht und damit letzten Endes der Gewaltausübung ist. Aus diesem Grunde scheint die These, daß die Definition welcher Wahrheiten auch immer stets in der Hand des jeweils Stärksten liege, wesentlich plausibler zu sein als die Annahme, es gäbe, wie aus dem Nirgendwo gespeist, tatsächlich so etwas wie eine wertneutrale und vor allen Dingen interessenunabhängige "Wahrheit".

Bölke entwirft das Bild eines Journalisten, der, wenn er seinen Beruf ernstnimmt, "ständig auf der Suche nach der Wahrheit" (S. 3) ist. Das sich daraus ableitende Dilemma, durch diese Festlegung umgehen zu müssen, daß bei gesellschaftlichen Gegensätzen, divergierenden Interessenlagen und Standpunkten die vermeintliche Wahrheit eine Frage der Stellungnahme ist, weshalb sich das Konstrukt einer einzigen, allgemeingültigen Wahrheit in der journalistischen Praxis schwerlich realisieren läßt, sucht sie zu bewältigen, indem sie diese Frage der Philosophie zuweist:

Aber was ist Wahrheit? Philosophen haben sich immer wieder mit dieser Frage beschäftigt, doch mit abstrakten Definitionen sind Probleme in der journalistischen Tagesarbeit nicht zu lösen. Ganz gewiss ist die Wahrheit nicht immer das Offensichtliche, sie verbirgt sich oft hinter vielen bisweilen widersprüchlichen Einzelheiten.
(S. 3)

Der Pflicht zur "wahrheitsgemäßen Berichterstattung", vom Presserat wie auch vom Bundesverfassungsgericht als oberstes Gebot der Presse definiert, können Journalisten, wie Bölke darlegt, nur durch eine "möglichst dichte Annäherung an die Wahrheit" (S. 3) nachkommen unter Berücksichtigung der journalistischen Sorgfaltspflichten, die in dem vorliegenden Band unter ausführlicher Berücksichtigung der Rechtsprechung der obersten Gerichte ebenso systematisch wie verständlich beschrieben und erklärt werden. Angesichts des Spagats, den die Angehörigen dieser Berufsgruppe im Spannungsfeld zwischen ihrem beruflichen Auftrag und Selbstverständnis, sprich einer im Zweifelsfall auch kritischen und schonungslosen Berichterstattung, Kommentierung und Meinungsäußerung, und den gesetzlichen Grenzen, die ihnen dabei auferlegt sind, zu vollziehen sich oftmals gezwungen sehen, kann dieses Buch nur wärmstens empfohlen werden.

28. April 2011


Dorothee Bölke
Presserecht für Journalisten
Freiheit und Grenzen der Wort- und Bildberichterstattung
Beck-Rechtsberater im dtv
Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 1. Auflage 2005
Redaktionelle Verantwortung: Verlag C.H. Beck oHG
Stand: 1. Oktober 2004, Originalausgabe, 235 Seiten
ISBN 3 423 50627 X (dtv)
ISBN 3 406 51349 2 (C.H. Beck)