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REZENSION/605: Adam J. Silverstein - Islamische Geschichte (SB)


Adam J. Silverstein


Islamische Geschichte



Neoliberale Zeiten lancieren aus gutem Grund ihre eigenen Debatten. Je nachhaltiger hohe Steuerabgaben und sinkende Löhne, prekäre Arbeitsverhältnisse und die Marginalisierung bewährter sozialer Standards auf den Schultern der Bürger lasten, desto drängender wird die Suche nach einem Ventil, um den Druck gesellschaftspolitischer Widersprüche zu kanalisieren. Dann richtet sich der Blick plötzlich auf Minderheiten, die ansonsten kaum Beachtung finden, um ihnen die Schuld an der allgemeinen Verschlechterung der Lebensumstände anzuhängen. Und so dreht sich der aktuelle Diskurs um den Islam und Kulturalismus um nichts geringeres als die Instrumentalisierung von Menschen aus fremden Kulturkreisen zum Sündenbock.

Moslems bringen alle Voraussetzungen für eine Inkriminierung mit. Ihre Bräuche, ihr religiöser Ritus, überhaupt der ganze Umstand, daß sie ihre Art zu leben und ihre tief in den eigenen Kulturen verankerten Traditionen lieber beibehalten als die Segnungen der westlichen Modernität anzunehmen, muten fremd und unnahbar an, so daß es gerechtfertigt scheint, sie des gewaltbereiten Fanatismus und der Mißachtung von Frauenrechten zu bezichtigen. Der Vorwurf lautet schlicht, daß sie die Kultur des Westens und dessen moderne Errungenschaften geradeheraus ablehnten. Dies gelte umso mehr, als sie in ihrer archaischen Borniertheit die Höherentwicklung der westlich-zivilisierten Welt einfach leugneten. Ihr Blick auf die Geschichte sei durch den Islam getrübt.

Wie dem Klappentext zu entnehmen ist, will Adam J. Silverstein einem Laienpublikum "die spezifische Sicht des Islam auf die Geschichte" nahebringen, da dies "für jeden substanziellen europäisch-muslimischen Dialog" von fundamentaler Bedeutung sei. Unsere "'Islamdebatten'" seien oftmals durch die Trübungen eines ideologischen Konfliktes zum Kampf der Kulturen verzerrt, so daß sie auf beiden Seiten Mißverständnisse, Intoleranzen und Feindseligkeiten hervorriefen.

Fragen in der Art: "Haben Kopftücher und Gesichtsschleier einen Platz in der westlichen Gesellschaft oder verhindern sie (...) eine Verständigung und sind eine Bedrohung für unsere 'westlichen Werte' und die Sicherheit?" (S.7) nähren die im Westen propagierte Sichtweise von der Rückständigkeit vormoderner Muslime und sind daher kaum geeignet, die Wesenseigentümlichkeiten sowohl des Islam als eine der großen monotheistischen Religionen als auch seine durchaus ambivalente, durch vielfältige Kämpfe und Konflikte gekennzeichnete, jedenfalls nicht unwidersprüchliche Rolle für die Menschen jenes Kulturkreises angemessen darzustellen.

Für einen Muslimen ist, ob nun Akademiker oder Analphabet, die Geschichte des Islam nichts Abstraktes, kein verwelktes Blatt im Wind der Zeit, sondern eine fühlbar gegenwärtige, ja verlebendigte Erzählung von Mohammed und seinen Gefährten. Deren Leben wird sowohl für die eigene als auch die weitere Entwicklung der muslimischen Gemeinschaft als beispielhaft genommen, gilt als Musterfall für eine ethisch bereinigte und gottgefällige Lebensführung. Wer durch die Koranschule gegangen ist, sieht sich inspiriert durch ein Geschichtsbild, das weniger auf die Faktizität von Daten und Dynastien abhebt, wie es für ein westliches Verständnis von Historie grundlegend ist. Für einen gläubigen Muslimen ist Geschichte nichts anderes als das Durchschimmern der Prophetie im aufwirbelnden Staub der Zeitenläufe - immer aktuell.

Was an der islamischen Geschichte ist jedoch genuin islamisch und unterscheidet sich prinzipiell von anderen Zentren der Machtentwicklung? Um diese Frage zu klären, hat sich der Autor vor allem mit den Frühstadien in der Entstehung der islamischen Zivilisation auseinandergesetzt, wobei er besonderen Wert auf eine kritisch-wissenschaftliche Analyse historiographischer Zeugnisse und Überlieferungen der Jahre 800 bis 1100 legte und nicht so sehr auf die Textexegese des Korans.

Das Buch ist in sieben Kapiteln und einem Schlußwort untergliedert. Gut ein Drittel des Werks nimmt dabei, konzise zusammengefaßt, die geschichtliche Darstellung der ausgedehnten Eroberungszüge, der Machtkämpfe der verschiedenen Herrscherhäuser und des bis heute fortwährenden Grundkonflikts zwischen den säkularen Kräften und den religiösen Sachwaltern in Form islamischer Religionsgelehrter (ulama) und sektiererischer Gruppen ein. Das zweite Kapitel umfaßt die Rolle und Bedeutung der Völker und Kulturen, die einesteils vom Islam usurpiert wurden, ihrerseits aber einen weitreichenden Einfluß auf die Ausprägungen des islamischen Geisteslebens und Rechts hatten, und zum anderen im Islam ein Machtinstrument zur Konsolidierung eines Großreiches sahen. Im nächsten Kapitel widmet sich Silverstein dem Aufbau islamischer Institutionen (Moschee, Dschihad und Kalifat) und untersucht die daraus resultierenden Folgen politischer und theologischer Zersplitterung innerhalb der islamischen Gemeinschaft. Im vierten Kapitel hinterfragt der Autor die Quellen islamischer Geschichtsschreibung auf ihre Authentizität bzw. Widerspruchslage hin, gefolgt von den konkurrierenden Ansätzen sowohl westlicher als auch islamischer Geschichtsforscher, die Grundrisse der islamischen Dogmengeschichte im Kontext aktueller Entwicklungen aufzuschlüsseln. Im Kapitel zur religiösen Verbindlichkeit schildert der Autor das seit Jahrhunderten von Rivalität und Argwohn belastete Verhältnis zwischen Sunniten und Schiiten, ehe er auf die Politisierung islamischer Heilsbegriffe und historischer Ereignisse zu sprechen kommt, um dann im Schlußwort ein Plädoyer für ein friedliches Miteinander von Muslimen und Nichtmuslimen zu halten.

"Die traditionellen Darstellungen von der Entstehung des Islam erzählen, dass in einer abgelegenen, isolierten Region Arabiens (dem Hedschas), in einer heidnischen, mit dem Monotheismus nicht vertrauten Stadt (Mekka) ein Analphabet (Mohammed) begonnen habe, Verse voller Anspielungen auf biblische Gestalten und bestehende monotheistische Ideen zu rezitieren."
(S.123)

Silverstein greift diese Legendenbildung auf, deutet sie jedoch innerhalb der islamischen Religionsgeschichte nach Form und Inhalt als weitverbreitetes Topos der nahöstlichen Heilslehre. Gleichzeitig fragt er nach der zeitlichen Datierung und den soziokulturellen Umständen, die zur Ausformung dieses Stiftungsmythos führten. Tatsächlich sei der Islam in seinen frühen Anfängen nach Ansicht des Autors keineswegs eine schon vorgefertigte Religion gewesen, die dann infolge der Invasion der arabischen Beduinenstämme in die antiken Hochkulturen des Byzantinischen und Sassanidischen Reichs importiert wurde und dabei die angestammten Glaubenssysteme verdrängt habe.

Nicht der Religionstransfer und die Bekehrung der Heiden und Ungläubigen stand am Beginn als vielmehr der Streit um die Nachfolge Mohammeds, der bereits in Medina seinen verhängnisvollen Lauf genommen habe. Die Umayyadenherrscher, einst ein in Mekka residierendes Adelsgeschlecht, die Mohammed mit allen Mitteln bekämpft hatten, rissen nach dem Tode des Religionsstifters die Macht an sich und gründeten in Damaskus einen neuen Herrschaftssitz. Ihre Dynastie hielt jedoch nicht lange an. Die Abbasiden, die sich durch einen Onkel Mohammeds legitimiert sahen, die Nachfolge und damit das Kalifenamt für sich zu beanspruchen, vernichteten die Umayyaden, von denen nur ein einziger überlebte und schließlich in Spanien das Reich der Mauren errichtete. Die Abbasiden wiederum bauten Bagdad zum Nabel eines islamischen Imperiums aus, von wo aus sie im Osten neue Provinzen eroberten und so bis nach Indien vordrangen. Erst im Zuge der abbasidischen Ausdehnung sei laut Silverstein im Sinne souveränitätspolitischen Kalküls die Notwendigkeit entstanden, in Abgrenzung zu den christlichen und jüdischen Ethnien in den unterworfenen Gebieten eine eigene religiöse Identität und damit die Einheitsidee einer islamischen Gemeinschaft (umma) auszuformen.

Silverstein beruft sich dabei unter anderem auf die Arbeiten von John Wansborough, Patricia Crone und Michael Cook, die in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit der These an die Öffentlichkeit traten, daß die klassischen Darstellungen und Dokumente zur Frühzeit des Islam teils Jahrhunderte später mit der Absicht verfaßt wurden, die simple Eroberungspolitik der Araber unter den Deckmantel einer vom Missionsdrang inspirierten theologischen Heilsbotschaft zu hüllen als auch einen einheitlichen, normativen Kanon für den Koran herzuleiten. Der vornehmlich im 8. und 9. Jahrhundert zusammengetragene Korpus von Heilslegenden mit Bezugnahme auf eine aus westlicher Sicht umstrittene paradigmatische Figur der Geschichte mit Namen Mohammed diente in erster Linie zur legitimatorischen Fixierung der arabischen Feldzüge. Der Mohammedmythos stiftete in dem Sinne eine stärker von machtpolitischen Interessen beeinflußte Version der nahöstlichen Heilsgeschichte, in der Mohammed als Siegel der Propheten auftritt, der Letzte, der Gottes Wort empfangen habe.

Ferner schildert Silverstein auf sehr eindrückliche Weise die einzelnen Etappen im jahrhundertelangen Kampf der weltlichen Macht der Kalifen, Wesire und Sultane mit der religiösen Autorität der Korangelehrten. Der Autor verdeutlicht zudem, wie persischer, türkstämmiger und mongolischer Einfluß auf das kulturelle Milieu einwirkten und verschiedenartige politische Konstellationen in dieser Dauerfehde der islamischen Welt hervorriefen. Und er erläutert schließlich, wie der Wahhabismus im 17. Jahrhundert und später in der modernen Zeit die saudischen Könige mit ihren Ölmillionen das innerislamische Machtgefüge in Richtung auf einen fast schon puritanischen Konservatismus verschoben, und daß all diese verschlungenen Entwicklungen und Kontraste in der Neuzeit, sei es als säkularer oder salafistischer Islam, aufeinandertreffen und im Westen das Bild einer heillos zerstrittenen, von Fanatismus und strengen Ehrenkodizes dominierten Religionsgemeinschaft erzeugen.

Auf die Frage allerdings, was am Islam echt und gewissermaßen mohammedanisch sei, geht der Autor ebensowenig ein, wie er aus der naheliegenden Tatsache, daß Mohammed den Monotheismus nicht erst neu zu erfinden brauchte, keine weiterführenden Schlüsse zieht. Auch daß die Perser ihrerseits als Vermittler des spätantiken Hellenismus die islamische Theologie entscheidend mitprägten und zum anderen aus den tausendjährigen Quellen ihres reichen Kulturerbes die Sphäre der Spiritualität überhaupt im Islam erweckten und so zu Wegbereitern des Sufismus wurden, wäre einen zu Ende gebrachten Gedanken wert gewesen. So allerdings kämpft sich der Autor mühsam durch das Unterholz der islamischen Geschichte hindurch auf der Suche nach den Spuren einer semitischen Gotteswurzel in den drei großen monotheistischen Weltreligionen.

Ausnehmend widmet er sich hingegen im Schlußwort dem Verhältnis der muslimischen Welt zur jüdisch-christlichen Kultur. Die gegenwärtigen Spannungen ließen sich seiner Ansicht nach historisch deuten: "Erinnerungen an westliche Feindseligkeit, Unterdrückung und Kolonisierung können moderne Muslime davon abhalten, sich auf die westliche Kultur einzulassen." (S.172 f.) Überhaupt könne aus dieser fehlenden Einlassungsbereitschaft ein Teufelskreis resultieren, der umso enger werde, je größer die wechselseitige Skepsis auf beiden Seiten anwachse.

Wie auch immer verspielt und in versteckten Andeutungen, blumig daherkommend oder geradeheraus polternd, und obgleich Silverstein liberales Gedankengut vorhält, so ist er doch jener Gruppe von Historikern zugehörig, die mit Bedacht und Opportunität die jüdisch-christlichen Wurzeln Europas in postkolonialer Überlegenheitspose der islamischen Welt und ihrer rückwärtsgewandten, angeblich bornierten, aber auf jeden Fall unbelehrbaren Sicht der Dinge entgegenhalten. Was in den 1970er Jahren von einem Kreis sogenannter neuer Geschichtsforscher westlich-imperialistischer Prägung ersonnen wurde, um die Religion des Islam in ihren Grundfesten zu erschüttern, erfährt in Silversteins Buch eine zweite Auflage. Nur daß er nicht durch offensichtliche Provokationen verhärtete Fronten herausfordert, sondern im Duktus moderater Aufgeklärtheit den Zeitgeist selbst aufwiegelt.

Der Stand des Geschichtswissenschaftlers und seine Einflußnahme auf gesellschaftliche Debatten müssen stets im Kontext politischer Realitäten gesehen werden. So gibt sich Silverstein denn auch unverblümt als Anhänger von Samuel P. Huntington und seiner These vom Kampf der Kulturen zu erkennen: "Warum scheinen die muslimischen und die westlichen Gesellschaften auf einen Zusammenstoß zuzulaufen, obwohl sie doch gemeinsame Wurzeln im semitischen Monotheismus des Nahen Ostens haben?" (S.171)

Eine geschickte Fragestellung, wenn auch unter Umgehung viel älterer humanistischer Prinzipien, die Silverstein durch die Hervorhebung der Religion als eines angeblich verständnisstiftenden Bindeglieds zur Koexistenz der Kulturen ganz offensichtlich außer acht läßt. Schließlich haben Christen gegen Christen Kriege geführt, obschon sie den gleichen Gott verehrten. Mit der Gegenüberstellung von "Muslimen und den Menschen des Westens" betritt Silverstein gar kulturrassistischen Boden. Selbst wenn er sich zur Rechtfertigung dessen auf Persönlichkeiten "in herausragenden Positionen sowohl in muslimischen als auch in westlichen Gesellschaften" beruft, "die glauben, ein Zusammenstoß zwischen 'dem Islam' und 'dem Westen' habe stattgefunden, finde statt oder werde unvermeidlich stattfinden" (S.171), entlarvt er sich doch als Sachwalter kulturalistischer, gefährlich am Rand des Krieges agierender Geostrategen.

Kaum weniger tragisch ist der tiefe Kniefall vor der Macht, wenn ein Wissenschaftler konzediert, daß "zur Beantwortung allgemeiner Fragen gelegentlich der Rückgriff auf (zugegeben unvollkommene) Verallgemeinerungen erforderlich ist". (S.171) Gerade weil sich Silverstein allgemein gibt und moderne Politiken, einer wie auch immer gearteten Sachzwanglogik folgend, zum Erfordernis der Zeit verklärt, kann er sich auf akademischem Feld der in seiner Lächerlichkeit fast schon grotesken Pointe hingeben, daß der Islam dem christlich-jüdischen Westen aufgrund seines religionsideologischen Fundaments in patriarchaler Konkurrenz gegenüberstehe. Islamkritik hat bekanntlich Hochkonjunktur.

Lesenswert an dem Buch sind nicht die seit Jahrzehnten bekannten historischen Allgemeinplätze zur Entwicklung und Ausbreitung des Islam, seiner Durchmischung oder wechselseitigen Beeinflussung mit anderen Kulturen oder gar seiner Verwurzelung im abrahamitischen Erdreich des Nahen Ostens, also daß Judentum und Islam und in Teilen auch das Christentum einen gemeinsamen genetischen Code aufweisen.

Islamwissenschaftler wie Ignaz Goldziher haben, aber mit mehr Respekt vor ihrem Untersuchungsgegenstand, bereits im 19. Jahrhundert darauf hingewiesen, daß den islamischen Quellen und Manuskripten über das Leben und Wirken des Religionsstifters Mohammed die historische Echtheit fehle und sich das Glaubens- wie auch Herrschaftskonzept, das uns in Geschichte und Gegenwart unter dem Namen Islam begegnet, schrittweise und unter dem Einfluß und Wandel vielfältiger Kulturen, Gesellschaften und Administrationen als auch im Spannungsbogen sozialkämpferischer und sektiererischer Gegenbewegungen entwickelt hat und auch weiter entwickeln wird.

Mit der gleichen Logik ließe sich allerdings auch die jüdische oder christliche Religionsgeschichte als Fiktion abtun auf Grundlage dessen, daß über die Propheten des Alten Testaments als auch über den Weg des Nazareners, der in späteren Texten zum Christus verklärt wurde, ein gesicherter historischer Nachweis nicht zu führen ist. Andererseits wird Platons Ideengeschichte nicht dadurch hinfällig, daß sich die philosophischen Inhalte nicht mit dem Lauf der Geschichte decken. Das Fehlen einer historischen Faktenlage verweist vielmehr auf die Grenzen einer kognitiven Geisteswissenschaft. Ein Roman, der von einer friedvollen Welt ohne Gewalt und herrschaftlicher Willkür erzählt, müßte aus historischer Perspektive ins Reich der Utopien verwiesen werden. Und doch durchziehen sein Narrativ wie jedes politische Ideal Fragen, die in der Geschichte emanzipatorischer Freiheitskämpfe einen hohen Stellenwert besitzen.

Daß der Islam wie überhaupt jede Religion, so sie die Dogmatisierung herrschaftlicher Ideologien im Dienste eines Klerus oder Patriziats betreibt, als Immunreaktion auf virulente sozialrevolutionäre Bewegungen, deren Ziele stets den bestehenden Eigentums- und Herrschaftsinteressen zuwiderliefen, verstanden werden könnte, findet im akademischen Betrieb der Geschichtswissenschaften schon deshalb keinen Widerhall, weil die programmatische Entpolitisierung sozialer Konflikte, die allenfalls in der Gestalt innerreligiöser Zwistigkeiten zwischen Sunniten und Schiiten um eine nebulöse Nachfolge thematisiert werden, die Tinte ihrer Gelehrsamkeit ausmacht.

Das im Studienfach Orientalistik aus Sicht eurozentrischer Suprematie langgehegte Vorurteil von der kulturellen Rückständigkeit der Gesellschaften des Nahen Ostens wird in öffentlichen Debatten gerne und in zahlreichen Spielarten zitiert. So kann es nicht verwundern, daß sowohl Wansborough als auch Cook und Crone, wenngleich in abgestufter Konsequenz, die akademische Delegitimierung des Islam als einer eigenständigen Religion ausgerechnet als Dozenten der London University School of Oriental and African Studies (SOAS) betrieben, an der Generationen von Diplomaten für das Auswärtige Amt ausgebildet wurden. Diese Arbeiten gipfeln in der aus heutiger Sicht weitgehend als widerlegt geltenden Schlußfolgerung, daß der Islam sich keineswegs unter Mohammed in dem von Stammesfehden zerrissenen Arabien des 7. Jahrhunderts entwickelt habe, sondern erst später von einer jüdisch-christlichen Sekte, die in den arabischen Kulturraum vordrang, als Instrument einer angeblich arabisch-imperialistischen Verschwörung gegen das Byzantinische Reich und dessen Staatskirche geschaffen worden sei.

Crone und Cook verstiegen sich aufgrund sprachwissenschaftlicher Kapriolen gar in den Mummenschanz, daß Mohammed keineswegs den Islam gepredigt habe, sondern verwiesen vielmehr auf einen sogenannten Hagarismus, namensentlehnt von Hagar, der Zweitfrau und ägyptischen Magd Abrahams, die mit ihrem Sohn Ismail in die Wüste geschickt, aber von einem Engelswesen errettet wurde. Religiöse Sprachbilder und die darin geborgenen Reste mythologischer Erinnerungen zu einer Art Marienkult zu verklären, ist nicht nur ein abstruses Unterfangen, sondern untergräbt zuallererst wesentlich ältere Quellen der nahöstlichen Tradition. Daß Hagar in den Wüsten Arabiens durch einen religiösen Kult verehrt wurde, läßt sich weder durch museale Fragmente noch durch die zeitgenössische Überlieferung belegen.

Dennoch greift Silverstein, der ebenfalls an der SOAS doziert hatte und nach eigenem Bekunden zumindest mit Crone in einem intensiven Austausch stand, auf dieses Thesenkonglomerat zurück. Er gesteht dessen Strittigkeit zwar zu, aber nur, um gleich im nächsten Schritt zu betonen, daß es "interessante Feststellungen zur Entwicklung der islamischen Zivilisation in ihrem nahöstlichen Kontext" enthält, viele Gelehrte sich jedoch aus Gründen, "die sich jenseits der üblichen akademischen Auseinandersetzungen und Debatten bewegen", weigerten, der "islamischen Ausnahmestellung" (S.124) konkret nachzugehen. Sei es, daß sie fertigen "Antworten auf leitende Fragen" den Vorzug geben, da es besser sei, "eine unvollkommene Version der Geschichte zu haben als gar keine" (S.126) oder aus Rücksicht auf muslimische Empfindlichkeiten von einer Revision Abstand nehmen, zumal man es "mit gegenwärtig herrschenden, aus den Sozialwissenschaften stammenden akademischen Trends zu tun [hat], nach denen es in erster Linie darauf ankomme, 'die Erfahrung der Gläubigen' zu verstehen" (S.127). Silverstein erweckt so gewissermaßen den Eindruck, daß die Wahrheit über den synkretistischen Charakter des Islam auf gesellschaftlichem und politischem Druck nicht ans Licht treten könne, womit sich der Kreis einer mutmaßlich antiakademischen Verschwörung schließt.

Um zu enden, wo er angefangen hat, spricht Silverstein noch einmal durch die Blume und betont in Anlehnung an religionssoziologische Standards, "dass sich die Muslime und die Menschen aus dem Westen, was die Grundfragen und -probleme des Lebens angeht, weitgehend einig sind: Wir alle wollen Frieden, Gesundheit, Wohlstand, Respekt und eine bessere Zukunft, und wir alle fürchten ein Leben ohne sie." (S.178) Wenn es um nichts anderes geht und jede politische Brisanz, die das Buch und sein Anliegen durchaus verdient hätten, im Keim erstickt ist, warum sträuben sich die Muslime dann, so könnte man naiverweise fragen, sich der Gesellschaftsordnung mit dem größeren Versprechen anzupassen? Ein Kampf der Kulturen findet tatsächlich statt, aber in den Köpfen und Entwürfen ganz andersartiger Interessen als denen der Kulturzugehörigkeit. Diese Spur galt es im Buch offenbar zu verwischen.

9. Januar 2013


Adam J. Silverstein
Islamische Geschichte
Reclam, Stuttgart, 2012
ISBN: 978-3-15-010815-4
197 S., 19,95 Euro