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REZENSION/623: Heinrich Böll Stiftung / Ute Scheub (Hrsg.) - Gute Nachrichten! Wie Frauen und Männer weltweit Kriege beenden und die Umwelt retten (SB)


Heinrich Böll Stiftung / Ute Scheub (Hrsg.)


Gute Nachrichten!

Wie Frauen und Männer weltweit Kriege beenden und die Umwelt retten



Seit vielen Jahren bereichert die Nachrichtenagentur Inter Press Service (IPS) die hiesige Medienlandschaft mit Berichten über Menschen aus den Ländern des Südens. Dabei nimmt sie oftmals den Standpunkt der Schwächeren ein, die sich entweder gegenüber den sie bedrängenden gesellschaftlichen Umständen behaupten müssen, dies bereits erfolgreich getan haben oder deren Wunsch nach einem weniger sorgengeplagten, unverfügten Leben weiterhin vereitelt wird. Seien es Bauern in Lateinamerika, die sich dank eines Wechsels zur kollektiven Bewirtschaftung ihrer Felder mehr Sicherheit und ein kleines Plus auf der Einkommenseite erarbeiten, oder Fischer in Afrika, die weder ein noch aus wissen, weil sie dem Konkurrenzdruck durch ausländische Fabrikschiffe nichts entgegenzusetzen haben, charakteristisch für IPS ist die Vielfalt der Themen.

Die Herausgeberinnen des vorliegenden, 176 Seiten umfassenden Taschenbuchs sind wie mit einem Kamm durch diese IPS-Berichte gefahren und haben solche herausgebürstet, die aus ihrer Sicht eine positive Botschaft verbreiten. Angereichert mit einigen weiteren "guten Nachrichten" aus anderen Quellen wurden daraus Erfolgsgeschichten von Menschen aus aller Welt, die etwas bewegt haben.

Ralf Fücks und Barbara Unmüßig vom Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung begründen die Auswahl der Reportagen damit, daß sie den "bad news" etwas entgegensetzen wollen und "exemplarisch zeigen, dass Veränderungen auch zum Positiven möglich sind". (S. 9) Ute Scheub geht in der Einleitung noch weiter. Mit den Reportagen solle der "unausgesprochenen Medienlogik 'Only bad news are good news'" widersprochen werden. Zwar würden viele "bad news" auch publiziert, weil "die sie verfassenden Reporterinnen und Berichterstatter der Aufklärung dienen wollen", doch ein "Übermaß" an schlechten Nachrichten könne das Gegenteil bewirken, "nämlich Menschen entmutigen, deprimieren und zum Rückzug ins Private bewegen". (S. 12)

Die Frage, wo die angenommene Grenze zwischen maßvoll und übermäßig liegt und nach welchen Kriterien sich das richtet, bleibt offen. Die hier gemutmaßte "Medienlogik", so scheint es, ist ihrerseits ein Produkt der Medien, das heißt, sie wird offenbar zur Gegenüberstellung der eigenen Sichtweise konstruiert, die wohl nur unter Ausblendung des schier endlosen Stroms aus Erfolgsgeschichten (good news) auf den Gebieten Sport, Kultur und Wissenschaft, aber auch Wirtschaft und Politik behauptet werden kann.

Zugestanden, aus den Ländern des Südens wird hierzulande vor allem dann berichtet, wenn eine Katastrophe über die Menschen hereingebrochen ist, beispielsweise in Form eines bewaffneten Konflikts, eines Unwetters oder Erdbebens. Deshalb besteht ja auch das Anliegen des IPS seit jeher in einer Berichterstattung auf Augenhöhe, so daß die Bewohner des Nordens nicht immer nur die schlechten Nachrichten aus dem globalen Süden erhalten.

Auf Augenhöhe bedeutet aber umgekehrt eben auch, daß sie nicht einfach nur mit guten Nachrichten beliefert werden. Oder, anders gesagt, die "guten Nachrichten" bilden das Pendant zu den "schlechten Nachrichten" und bestätigen dadurch ihre Existenzberechtigung. Folgerichtig könnte man sogar sagen, daß damit das Bemühen um eine Begegnung auf Augenhöhe wieder zunichte gemacht wird und es sich bei dem sicherlich im guten Glauben vorgetragenen Unterfangen, etwas Positives berichten zu wollen, um einen Schritt zurück handelt. Der ist Ausdruck der gleichen Sichtweise, der hier etwas entgegengehalten werden soll, nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Nach dem Motto: Seht mal, sooo schlimm sind die Verhältnisse in den Ländern des Südens gar nicht, es gibt doch auch was Gutes zu vermelden ...

Konsequent ist Ute Scheubs Schlußfolgerung, daß es "eine strategische Chance für alle Gesellschaften" bietet, "die es zu nutzen gilt" (S. 15), daß Frauen eine "historisch gewachsene größere Distanz zu gewalttätigen Konfliktaustragungen und zum Militär" haben, da sie "jahrhundertelang von Waffen, Armeen und Kriegsdienst ferngehalten" wurden. Das an dieser und anderen Stellen hindurchscheinende Anliegen, Gewalt, wo auch immer sie ausgeübt wird, nicht zuletzt in ihrer auffälligsten Variante als bewaffneter Konflikt oder Krieg, zu beenden, ist allemal zu begrüßen.

So bemerkenswert viele der hier geschilderten Lebensgeschichten im einzelnen auch sind, der Sammelband selbst arbeitet manchmal mit recht groben Rastern. Das erste Kapitel "Wir sind stark" handelt davon, "wie Frauen sich politische Macht und Einfluss an Friedenstischen erkämpfen, um die Gesellschaft zu verändern", so der Untertitel. In Kapitel 2, "Du brauchst kein Supermann zu sein", geht es um "männliche Vorbilder im Kampf gegen Gewalt". Diese Gegenüberstellung in Stories von Frauen, die stark werden, und Männern, die weniger auf Stärke setzen, dürfte dem Wunsch geschuldet sein, über solch eine Sortierung Mechanismen herauszuarbeiten, von denen man sich eine Vorbildfunktion für andere versprechen könnte, wirkt aber letztlich etwas holzschnittartig.

Kapitel 3 ist mit "Hopfen und Mais sind noch nicht verloren - Erfolgreiche Projekte zu Klima, Umwelt, Ernährung" überschrieben. Eingeleitet wird es von einer Reportage über ein Ehepaar in China, das sprichwörtlich die Wüste zum Blühen gebracht hat. Yin Yuzhen und "ihr Mann" (vielleicht fällt es deshalb auf, weil es in der hiesigen Medienlandschaft meist umgekehrt ist, aber in diesem Fall ist der Mann und nicht die Frau das namenlose Anhängsel) leben in der Wüste Gobi. Als sie vor 35 Jahren dorthin zogen, gab es in ihrer Region keinerlei Vegetation. Inzwischen haben sie die Wüste auf einer Fläche von der Größe Andorras mittels zahlloser Oasen, die nur noch miteinander verbunden zu werden brauchen, begrünt, dadurch Einfluß auf das lokale Klima genommen und dafür gesorgt, daß es zumindest hin und wieder regnet.

Im vierten und letzten Kapitel, "Agentinnen des Wandels. Wie Frauen gestärkt werden und sich selbst stärken", widmen sich die Herausgeberinnen wieder dem Thema Frauen, dem erklärten Schwerpunkt der Sammlung. Deren Titel wirft allerdings Fragen auf. Die Heinrich-Böll-Stiftung und die erfahrene Journalistin Ute Scheub dürften der Sprache mächtig genug sein, um zu wissen, daß "gute Nachrichten" eine direkte Übersetzung des altgriechischen Worts "euangelion" - "Evangelium" - ist und häufig so verwendet wird. Durch den Titel kommt also ein quasireligiöser Tenor hinein, den frau/man sich eigentlich nicht wünschen kann, wenn es denn darum geht, Unterdrückungsverhältnisse in Angriff zu nehmen.

Dieser Eindruck wird eher noch bekräftigt als gemildert, wenn man sich die Internetseite der von Scheub angeregten Initiative "Visionnews" anschaut und dort in der Selbstdarstellung liest, sie verbreite "positive Nachrichten und Geschichten des Gelingens" (http://www.visionews.net/de/uber-uns/). Das schließt Geschichten des vergeblichen Bemühens und Scheiterns nicht minder engagierter Personen aus. Haben wir es hier demnach mit einer quasireligiösen Verkündigung, einer "frohen Botschaft" des Erfolgs zu tun?

Das anzunehmen wirkt vielleicht übertrieben, doch zeigt die vorliegende Sammlung, daß durchaus anregende Reportagen über die Lebenserfahrung und -praxis von Menschen vorwiegend aus den Ländern des Südens durch den Kontext, in den sie gestellt werden, plötzlich einen befremdlichen Touch erhalten. Dem Anliegen des Buchs ist nur insofern beizupflichten, daß wir nicht ständig Katastrophenmeldungen aus den ärmeren Regionen dieser Welt hören wollen. Wenn man aber daraus die Konsequenz zieht, Erfolgsgeschichten zu verbreiten, anstatt dafür Sorge zu tragen, daß die Katastrophen enden (und nicht die Meldungen darüber), ist das dann nicht ein bißchen so, als würde man hierzulande einer Frau, die unter der Rollenzuweisung als Hausfrau leidet, eine positive Geschichte darüber berichten, daß sich andere Frauen eine Spülmaschine angeschafft und dadurch Zeit gewonnen haben, um mehr für sich tun zu können?

Die Analyse des sich wie ein roter Faden durch das vorliegende Buch ziehenden Themas Gewalt in von Männern dominierten Gesellschaften gegenüber Frauen muß ungenügend bleiben, wenn nicht bedacht wird, daß es erst die vermeintlich "schlechten Nachrichten" von der Unterdrückung der Frauen waren, die dazu geführt haben, daß sich diese zur Wehr setzen. Es darf vermutet werden, daß es ohne die hier geschmähten "schlechten Nachrichten" wohl kaum vor vierzehn Jahren zur Verabschiedung der UN-Resolution 1325, auf die in dem Buch häufiger positiv Bezug genommen wird und durch die die Rechte der Frauen gestärkt werden, gekommen wäre.

8. Mai 2014


Heinrich Böll Stiftung / Ute Scheub (Hrsg.)
Gute Nachrichten!
Wie Frauen und Männer weltweit Kriege beenden und die Umwelt retten
Berlin 2012
176 Seiten, kostenlos (zu bestellen bei der Heinrich-Böll-Stiftung)
ISBN 978-3-86928-092-9