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REZENSION/684: Rainer Fischbach - Mensch-Natur-Stoffwechsel (SB)


Rainer Fischbach


Mensch-Natur-Stoffwechsel

Versuche zur Politischen Technologie



Sich mit der "totalitär gewordenen, instrumentellen Vernunft" (S. 48) anzulegen, ist dem Informatiker und Verfasser gesellschaftskritischer Sachbücher Rainer Fischbach ein Herzensanliegen. Wie schon in "Mythos Netz" (2005) und aktuell in "Die schöne Utopie" (2017) unterzieht er die Exponenten dieser "kongenialen Geisteskrankheit der herrschenden Verhältnisse" (S. 49) einer Überprüfung der von ihnen selbst in Anspruch genommenen Ratio, die häufig genug vernichtend ausfällt. Leisten kann sich der Autor dies, weil er "die willige Übernahme der von den Autoritäten gerade als besonders vorteilhaft dargestellten Denk- und Verhaltensweisen" aus grundsätzlichem Interesse an einer Zukunft kritisiert, die nicht als zerstörerischen und katastrophalen Niedergang zu erleiden voraussetzt, den seiner Ansicht nach längst aufgezehrten "zentralen Impuls aufklärerischen Denkens, dass die Menschheit immer das Ziel und nie Mittel unseres Handelns bilden solle", (S. 49) aufzugreifen und weiterzuentwickeln.

Das fundamentale Verhältnis des "Mensch-Natur-Stoffwechsels" und seine krisenhafte Entgleisung zum Thema zu machen kann nicht gelingen, wenn der Frage nach dem handelnden Subjekt mit weltanschaulicher und ideologischer Selbstevidenz ausgewichen wird. Wer zur Abstraktion der Menschheit greift, tut dies häufig in der beschwichtigenden Gewißheit, schon die evolutionäre Entwicklung eines aufrechtgehenden und sprachbefähigten Primaten begründe seine allen anderen Lebewesen überlegene Intelligenz und Dauer. Wie allein der Mensch damit ist, sich in einer begrifflich von ihm geschaffenen Natur zu situieren und deren Kräfte auf eine Weise zu adaptieren, die einen qualitativen Unterschied zu den alles Leben treibenden Wechselverhältnissen tierlicher und pflanzlicher Existenz unterstellt, ist Fischbach in seinem humanistischen Selbstverständnis allerdings gewahr.

Wo Menschen sich als "Stücke vom gleichen Fleisch, Bündel vom gleichen, kosmischen Stoff" (S. 27) begreifen, müßte die "über allem stehende Forderung" eines "Erhalts der Naturvoraussetzungen" eigentlich selbstverständlich sein. Warum das nicht so ist und was man dafür tun könnte, diese Forderung praktisch zu verwirklichen, ohne den Fehler zu begehen, mit der "formelhaften Beschwörung einer umfassenden Nachhaltigkeit" der "Dystopie einer totalen Naturbeherrschung, die auch den Menschen total unterwirft" (S. 27 f.) zu verfallen, ist das Thema des Buches. Derartige Funktions- und Regulationstotalitäten greift Fischbach aus der Position eines Menschen an, der sich der Widersprüchlichkeit selbst in Anspruch genommener Humanität durchaus bewußt ist. Wer die Haltlosigkeit menschlicher Existenz beim Namen nennt und ihrem Gattungsbegriff lediglich einen Entwurfscharakter zugesteht, kämpft im Widerstreit mit handelsüblichen Wahrheiten nicht zuletzt um die eigene Position. Sich dabei wie von selbst in eine Außenseiterstellung zu manövrieren, von der, wenn sie denn überhaupt wahrgenommen wird, nichts anderes als Ruhestörung zu erwarten ist, kann in Anbetracht der immer stärker rechtslastigen oder einfach nur doktrinär zu nennenden gesellschaftlichen Konsensproduktion nicht ausbleiben.

"Versuche zur politischen Technologie" - mit profunder Kenntnis technischer Prozesse und industrieller Organisation kommentiert und kritisiert der Autor im Vorwort und den vier Kapiteln des Buches die maßgeblichen Entwicklungspfade, auf denen der Mensch-Natur-Stoffwechsel seine heutige Gestalt angenommen hat, stets unter dem Primat des Politischen. Zwischen den Antipoden von Mensch und Natur fungieren materielle Produktivkräfte, die natürlicher Ressourcen ebenso bedürfen wie menschlicher Arbeit, was mithin gesellschaftlich zu organisieren ist. Der Bewältigung der manifesten multidimensionalen Krise ist die Erarbeitung von Prinzipien gewidmet, "denen die Gestalt der Produktivkräfte folgen muss, die ein humanes Leben der Menschheit ermöglichen" (S. 18). In seinen einleitenden Thesen faßt Fischbach zusammen, was über die ganze Strecke der Lektüre in verschiedene Kontexte eingebettet bis ins Detail konkreter technischer Entwicklungen und kontroverser Diskurse ausdifferenziert wird.

So warnt er vor einer "Engführung des Naturverhältnisses der Menschheit auf isolierte Aspekte", seien außer der CO2-Problematik doch diverse andere Bedrohungen akut wie etwa "Erosion und Desertifikation fruchtbarer Böden, die schwindende Biodiversität und die Verschmutzung der Biosphäre durch menschengemachte Stoffe, die mit jener in nur unzureichend aufgeklärter Weise wechselwirken" (S. 11). Insgesamt sei die Komplexität des Mensch-Natur-Stoffwechsel von zu vielen subtilen Wechselwirkungen bestimmt, als daß eine vollständige Beherrschbarkeit der Natur zu erreichen wäre. Daß Naturbeherrschung für ein Überleben unter humanen Bedingungen unverzichtbar sei, bedeute nicht, daß es um ihre Totalisierung ginge, wie allerdings auch ein Abschied von der Naturbeherrschung "keine rationale, sondern nur eine illusionäre Perspektive" (S. 11) sei.

Fischbach fällt es offenkundig schwer, mit der konzedierten Notwendigkeit der "Beherrschung der Natur als Voraussetzung menschlicher Zivilisation" (S. 26) ins Reine zu kommen. Zum einen bindet er die "Beherrschung der Naturbeherrschung" (S. 26) an ein "Bewußtsein der Menschheit von sich als globalem Körper" (S. 27), zum andern gesteht er ein, daß "der Glaube an das transzendente Prinzip im Innern der Materie, das unfehlbar auf die globale Bewusstwerdung ziele, unverfügbar ist" (S. 27). Wird der erforderlichen Menschwerdung mit einer idealistischen Zielvorstellung vorgegriffen, die das Negative menschlicher Naturwüchsigkeit und sozialer Gewaltverhältnisse ins Positive eines Bewußtseins umschlagen läßt, das dem Prinzip des Herrschens auch durch seine Anwendung auf sich selbst nicht entkommt, dann wäre es fast einfacher, den Kommunismus als Ende aller Herrschaft dort zu verwirklichen, wo das Feuer des Stoffwechsels und die Not der Bedürftigkeit auf den Ausgangspunkt aller Horizonte und Perspektiven zurückverweisen.

Nicht, daß der Autor den Kommunismus propagierte, wie er sich auch mit marxistischer Orthodoxie auf allerdings produktive Weise schwertut. Sicherlich selbst dieser Tradition entwachsen, lastet Fischbach der Marxschen Werttheorie anhand der dort vertretenen Vorstellung von Geld als werthaltiger Ware und einer quasi naturgesetzlichen Akkumulationstendenz an, einem "unvoreingenommenen Verständnis von Geld, Ersparnis und Investition ebenso wie der Tendenz des heutigen Kapitalismus zur Stagnation" (S. 16) im Wege zu stehen. Dennoch bleibe das Werk von Marx "ein Bezugspunkt für jedes, die Gegenwart überschreitende Denken (...), doch ohne letzteres von der Pflicht zu entbinden, über es hinaus zu denken" (S. 16). Zu diesem Zweck nimmt der Autor wiederholt auf Ökonomen wie Kalecki, Keynes und Polanyi Bezug.

Scheint ihm die Überwindung des Kapitalismus zumindest ein Fernziel zu sein, so sind seine Vorschläge zur Bewältigung der ökologischen und sozialen Krise fest eingebettet in ein staatlich administriertes System, das Wettbewerbselemente ebenso enthält wie daß es auf einer kreditbasierten und steuerlich regulierten Volkswirtschaft beruht. Dabei verwahrt er sich allerdings gegen marktwirtschaftliche Lösungen der Ressourcenfrage, könne es eine nach ökologischen Kriterien bestimmte Preisbildung doch nicht geben, weil die "Natur kein Haushalt im Sinne der Wirtschaftswissenschaften" sei, sie "kein Einkommen und für Geld auch keine Verwendung" (S. 11) habe. Einen Preis hingegen habe "Arbeit, die erforderlich ist, um dem menschlichen Stoffwechsel mit der Natur eine Form zu geben, die menschlichen Lebensbedingungen ausgedehnte Dauer verleiht" (S. 12).

Vordenkern der ökologischen Transformation, die Leitbegriffe wie "dezentral", "solar" oder "elektromobil" propagieren, lastet er an, "fundamentale technische, ökonomische, ressourcenökonomische und soziale Zusammenhänge zugunsten ideologischer Erwartungen" zu ignorieren, "wie der, dass 'dezentral' und 'regenerativ' sich wie von selbst auf 'demokratisch' und 'transkapitalistisch' reimten, obwohl die Geschichte von Beispielen zum Gegenteil voll ist" (S. 12). Insbesondere der grundsätzlichen Ablehnung zentralisierter industrieller Massenfertigung weist er anhand mehrerer Beispiele den kontraproduktiven Effekt eines Naturverbrauchs nach, der sich durch an gesellschaftlichem Bedarf und ökologischer Verträglichkeit orientierte Industrien weit besser minimieren lasse als durch kleinteilige Lösungen.

So untersucht Fischbach anhand verschiedener Beispiele der Güterproduktion und ihrer infrastrukturellen Organisation, wo überall ökologische Verluste anfallen, die der vordergründigen Kosten-Nutzen-Analyse entgehen. Ein wesentliches Kriterium, um Entscheidungen über die Art und Weise gesellschaftlicher Produktion und Reproduktion zu treffen, sei, den "Ressourceneinsatz über den gesamten Lebenszyklus von technisch-organisatorischen Lösungen" ins "Verhältnis zu der durch sie erbrachten Leistung" zu setzen. "Langlebigkeit, Reparierbarkeit und ein hoher Nutzungsgrad von Produkten und Anlagen" (S. 12) stellen wesentliche Kriterien zur Beurteilung ihrer sozialökologischen Verträglichkeit dar. So wichtig eine Steigerung der technischen Effizienz sei, so sei die "gesellschaftliche Effizienz" (S. 13) noch wichtiger. Für Fischbach muß die Konsumption selbst zur Produktivkraft werden, was nicht mißzuverstehen ist mit der Erzeugung von Nachfrage zur Steigerung des Absatzes, sondern die Frage des spezifischen, sozialökologisch adäquaten Gebrauchs von Gütern und Ressourcen aller Art aufwirft.

Für den IT-Experten ist die informationstechnische Infrastruktur unerläßlich zum Umbau des soziotechnischen Systems, allerdings nicht in privater, sondern öffentlicher Hand. Um gesellschaftlichen Zielen zu dienen, bedürfe es anstelle privatwirtschaftlich agierender IT-Konzerne, die sich "durch die Anwender kollektiv geschaffene, Informationen aneignen, also Netzwerkexternalitäten privatisieren", der Schaffung eines "zeitgemäßen, gebührenfinanzierten Universaldienstes (...), innerhalb dessen Funktion klar zwischen schützenswerten persönlichen und öffentlichen Daten zu trennen und dafür auch eine technische und institutionelle Infrastruktur bereitzustellen wäre" (S. 14).

Mit anwachsender Kapitalproduktivität, also der Verbilligung der Produktionsmittel bei gleichzeitiger Steigerung ihrer Leistung, stagnierten auch die Investitionen weltweit. Um die depressive makroökonomische Entwicklung zu überwinden, sei der Staat gefragt, für den es genügend Aufgaben bei der Lösung der ökologischen und sozialen Krise gebe. Dennoch ist Fischbach kein Verfechter kapitalistischer Wachstumslogik, er will die Produktion vielmehr seinem humanistischen Credo gemäß den Erfordernissen einer globalen Situation anpassen, deren Widersprüche keine schnellen und einfachen Lösungen zulassen:

Das Dilemma, mit dem die Menschheit heute konfrontiert ist, besteht darin, dass ein Fortschreiten auf dem bisherigen Wachstumspfad ebenso desaströs wäre wie die, sich abzeichnende, Stagnation unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen. Erst eine egalitäre, die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse vor den Statuskonsum setzende, Gesellschaft, die den Rahmen für den Aufbau und Unterhalt der dazu erforderlichen Produktionsmittel vorausschauend bestimmt, wird auch den langfristig unausweichlichen Übergang in die Stagnation meistern. Wachstum wird bis dahin vor allem darin bestehen müssen, die Voraussetzungen für eine ressourcensparende Wirtschaft zu schaffen und besonders dort stattfinden müssen, wo ein angemessener Kapitalstock noch nicht vorhanden ist. Die Degrowth-Debatte ist verfrüht.
(S. 17)

Wenn es so etwas wie eine diskutable Version des Green New Deal, also einen unter starker Staatsbeteiligung vollzogenen Umbau zu einer sozial weniger ungleichen und in Produktion und Infrastruktur ressourcenschonenden Gesellschaft geben könnte, dann wäre Rainer Fischbach ein glaubwürdiger Verfechter ihrer Agenda. Nicht umsonst lastet er den Grünen an, daß "sie die Prinzipien eines solchen weder verstanden haben noch überhaupt verstehen wollen" (S. 235). Selbst der Linken sei nicht klar, was ein solcher Green New Deal alles erfordert:

Der unter Zielsetzung einer entscheidenden Reduktion und Rekonfiguration des menschlichen Naturstoffwechsels auf kürzere Sicht (d.h. innerhalb von 5-10 Jahren) notwendige Um- bzw. Aufbau zentraler Infrastrukturen, die auf mittlere Frist (innerhalb von 10-20 Jahren) umzusetzende Reorientierung der Produktgestaltung und -verwendung auf Langlebigkeit, Reparierbarkeit, Ressourcensparsamkeit und Wiederverwendung sowie die auf längere Sicht (innerhalb von 20-60 Jahren) angezeigte Restrukturierung des menschlichen Siedlungsraumes erfordern, ungeachtet der Diskussion um, in einzelnen Punkten mehr oder weniger aufwendige, Varianten, allein ein EUROPA schon in den nächsten Jahren Investitionen in Billionenhöhe - und viel mehr Arbeit als die voreiligen Verkünder eines Endes der Arbeitsgesellschaft sich vorzustellen in der Lage sind.
(S. 235)

Im Grund genommen werden mit dem Umbau der Infrastrukturen der Energie und des Verkehrs, mit der thermischen Sanierung des Gebäudebestandes, des Aufbaus eines allgemein verfügbaren Telekommunikationsnetzes, der Umstrukturierung einer auf Automobilität und Eigenheim ausgerichteten Siedlungsstruktur und nicht zuletzt einer Nahrungsmittelproduktion, die Tiere, Pflanzen, Boden und Gewässer schont, Versäumnisse einer auf Kapitalverwertung und Profitmaximierung orientierten Produktivkraftentwicklung korrigiert. Hier handelt es sich nicht um ein Zukunftsprojekt im Sinne eines echten Fortschrittes, sondern die Kompensation von Fehlern, die schon früher als Irrwege technischer und gesellschaftlicher Entwicklung erkannt wurden. Wo Fischbach die herrschenden Verhältnisse als technisch ineffizient und unfunktional, als sozial ungerecht und inhaltlich irrational kritisiert, trifft er auch das professionelle Greenwashing grünkapitalistischer Mimikry, daß die notwendige Korrektur gemachter Fehler als Fortschritt der Menschheit verkauft, um die Fortschreibung etablierter Eigentums- und Machtverhältnisse zu sichern.

Auch wer mit der politischen Position des Autors nicht konform geht, kann von der Lektüre seiner Bemühungen um die Ausarbeitung der Grundzüge einer Politischen Technologie sehr profitieren. Indem Rainer Fischbach weitverbreitete Gewißheiten der sozialökologischen Transformation in Frage stellt, stärkt er im Zweifelsfall auch diejenigen, die sie anhand seiner Argumente überprüfen und dann erst recht an ihnen festhalten. Mit seinem Plädoyer für ein nüchternes Technikverständnis und den nachvollziehbaren Schritten, die er vom Allgemeinen notwendigen Handlungsbedarfes ins Besondere der Umstrukturierung menschlicher Lebens- und Arbeitswelten geht, macht der Autor ein Diskussionsangebot, das auszuschlagen unklug wäre, denn die von ihm gestellten Fragen betreffen eine Menschheit, die den unabgegoltenen Imperativen humanistischer Weltanschauung gemäß wenn überhaupt, dann im Werden begriffen ist.

19. Oktober 2017


Rainer Fischbach
Mensch-Natur-Stoffwechsel
Versuche zur Politischen Technologie
PapyRossa Verlag, Köln 2016
285 Seiten, 19,90 Euro
ISBN 978-3-89438-628-3


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