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REZENSION/736: Michael E. Mann - The New Climate War (SB)


Michael E. Mann


The New Climate War


The Fight to Take Back Our Planet


Auch wenn Donald Trump nicht mehr Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist, repräsentiert der republikanische Baulöwe, der den Klimawandel für eine Erfindung der Chinesen hält, eine breite gesellschaftliche Strömung. Angefeuert vor allem von Erdölindustrie und ihren Lobbyisten in Politik und Wirtschaft wurde nicht nur in den USA Stimmung gegen den weitreichenden wissenschaftlichen Konsens, wonach menschengemachte Treibhausgase wie Kohlenstoffdioxid die globale Erwärmung befördern, gemacht. Damit konnten die Profiteure der Förderung fossiler Energieträger wie Erdöl, Erdgas und Kohle, die wesentlich für die Emissionen klimarelevanter Abgase verantwortlich sind, weiter unverdrossen ihren Geschäften nachgehen.

Mit Hilfe gehackter privater E-Mails, die Klimaforscher untereinander ausgetauscht hatten, sowie Verdrehungen, Auslassungen und anderen übelwollenden Machenschaften wurden seitens dieser sogenannten Klimawandelleugner die "Fake News" verbreitet, in der Wissenschaft herrsche Unsicherheit hinsichtlich der Ursache der Erderwärmung vor und, mehr noch, es werde Forschungsfälschung betrieben, um der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen. Doch es stellte sich heraus, daß genau diese Unterstellung der Sand in den Augen war, nicht aber die an den Pranger gestellten Forschungsarbeiten. Noch heute muß sich die seriöse Klimaforschung gegen solche Anwürfe zur Wehr setzen.

Zu den am heftigsten angegriffenen Wissenschaftlern gehört Michael E. Mann von der Penn State University im US-Bundesstaat Pennsylvania. Er hat als Co-Autor einer 1999 in den "Geophysical Research Letters" veröffentlichten wissenschaftlichen Publikation mitgewirkt, in der aus verschiedenen Quellen sogenannte Proxydaten über die Klimaentwicklung aus der Zeit vor den systematischen Temperaturmessungen zusammengetragen worden waren. Kritisiert wurde insbesondere ein Schaubild, das als "Hockeyschläger-Diagramm" (engl.: hockey stick graph) bekannt wurde. Abgebildet ist eine mathematische Kurve, die den indirekt ermittelten Temperaturverlauf der letzten rund 1000 Jahre zeigt. Etwa ab Mitte des letzten Jahrhunderts geht die Kurve von zuvor im gewissen Rahmen bleibenden Schwankungen in einen immer steileren Anstieg über. Diese "Hockeyschläger-Kurve" wurde in der Wissenschaft häufig zitiert, unter anderem auch vom dritten Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC) aus dem Jahr 2001.

Seit 1999 wurden viele weitere Proxydaten zum historischen Temperaturverlauf gesammelt, und es hat sich erwiesen, daß Mann und seine beiden Co-Autoren mit ihrer Darstellung den Erwärmungstrend schon ziemlich gut dargestellt hatten. Zudem war nach dem vermeintlichen "Climategate"-Skandal Manns Arbeit von verschiedenen Seiten fachlich begutachtet worden, und auch diese Überprüfungen haben den Autoren eine saubere wissenschaftliche Arbeit bescheinigt.

Nun hat Mann seine "Nahkampf-"Erfahrungen aus den Arenen der Sozialen Medien und Debattierräumen der traditionellen Medien in dem Buch "The New Climate War" zusammengefaßt. Der neue Klimakrieg schildert jedoch nicht allein die fortgesetzten Versuche der "Inactivists", wie Mann jene Widersacher nennt, die seriöse Klimawissenschaft diskreditieren, sondern das Buch soll als Aufruf verstanden werden, nach Jahren der Defensive nun zum Angriff überzugehen. Nur so könnten die dringend erforderlichen Maßnahmen gegen die globale Erwärmung gesellschaftlich durchgesetzt werden. Der Autor empfiehlt die Nutzung von Marktmechanismen wie die Bepreisung von CO2-Emissionen sowie die Subventionierung von erneuerbaren Energien.

Im ersten Kapitel benennt Mann die "Architekten der Fehlinformation und Irreführung" und schildert, wie die laufenden "Klimakriege" bereits vor Jahrzehnten begonnen haben, als die Entdeckungen der Wissenschaft mit den Interessen einflußreicher Gruppen kollidierten. Ähnlich wie zuvor die Tabakindustrie die Gefährlichkeit des Rauchens verharmlost, negative Expertisen unter Verschluß gehalten und die Überbringer der (für ihre ökonomischen Interessen) schlechten Botschaft von der Gesundheitsgefährdung durch Rauchen verunglimpft hatte, waren später die Pestizidhersteller und nochmals später auch die Erdölindustrie vorgegangen. Deren hauseigenen Fachkräfte wußten schon lange, daß bei der Verbrennung von Erdöl Kohlenstoffdioxid freigesetzt wird und daß die Emissionen langfristig das Erdklima verändern werden. Aber anstatt die Weltöffentlichkeit über diese gefährliche technologische Fehlentwicklung aufzuklären und nach Wegen zu suchen, den eingeschlagenen Weg zu verlassen, verschwanden die unliebsamen Untersuchungsergebnisse in der Schublade, wurden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diskreditiert und Zweifel an deren Ergebnissen verbreitet. Der Öffentlichkeit dagegen wurde weiterhin die Harmlosigkeit unbegrenzten Wachstums vorgegaukelt.

Nun befinden wir uns in einer neuen Phase der Klimakriege, schreibt Mann. Nachdem die Beweise für den menschengemachten Klimawandel dermaßen überwältigend sind, hätten sich fossile Energiewirtschaft, rechtsgerichtete Plutokraten, Erdölstaaten und andere gesellschaftliche Interessengruppen darauf verlegt, den Klimawandel nicht mehr zu leugnen, sondern statt dessen zu täuschen, abzulenken und Gegenmaßnahmen zu verzögern.

Zu seinen Widersachern zählt der Autor allerdings nicht allein die Industrie. So warnt er ebenfalls vor der Spaltung der Klimaschutzbewegung beispielsweise durch Personen, die es seiner Meinung nach übertreiben, wenn sie andere dafür kritisieren, daß sie Flugreisen unternehmen oder Fleisch essen. Oder auch durch Personen, die unrealistische Maßnahmen des Geoengineerings zur Lösung des Klimaproblems propagieren. Besonders scharf grenzt sich Mann gegenüber Bewegungen wie "Deep Adaptation" (z. Dt.: tiefe Anpassung) ab.

Deren Anhängerinnen und Anhänger haben wissenschaftliche Studien ausgewertet und sind zu dem Ergebnis gelangt, daß die Menschheit nicht in der Lage sein wird, die Erderwärmung rechtzeitig zu bremsen, bevor gravierende, sich selbst verstärkende Entwicklungen eintreten, durch die die Erde in vielen Regionen unbewohnbar wird. Deshalb, so die Bewegung, solle man sich schon jetzt auf die Zeit nach dem ökologisch bedingten gesellschaftlichen Kollaps vorbereiten.

Innerhalb von Deep Adaptation existieren jedoch unterschiedliche Strömungen, und Mann kritisiert insbesondere jene Fatalismus verbreitende Richtung, in der dazu geraten wird, die Hände in den Schoß zu legen und das Leben zu genießen, solange es noch geht. Das war aber keineswegs die Kernaussage des Initiators der Bewegung, Jem Bendell, der diese vor rund drei Jahren mit der Veröffentlichung eines sozialwissenschaftlichen Papiers initiiert und zur Diskussion darüber aufgefordert hat, seine Analyse zu kommunizieren und sich bei der Erforschung des unvermeidlichen gesellschaftlichen Zusammenbruchs gegenseitig zu unterstützen.

Im Unterschied zu den Trumpisten, der Erdöllobby und den einschlägigen gesellschaftlichen "Inaktivisten", die Mann in seinem Buch kritisiert, würde sich Bendell vermutlich einem Kampf zur Rückeroberung des Planeten, wie es im Untertitel dieses Buchs vorgeschlagen wird, nicht entgegenstellen. Manns eigene Arbeit zum exponentiellen Anstieg der globalen Erwärmung zählt zu den Gründen, weswegen eine Bewegung wie Deep Adaptation überhaupt entstanden ist. Selbstverständlich versucht die Wirtschaft, Protestbewegungen zu okkupieren und nach ihren Wünschen zu lenken. Wer aber hinter Deep Adaptation die Machenschaften der fossilen Industrie vermutet, leugnet die Legitimation einer potentiell emanzipatorischen Bewegung, die in Anbetracht der zum gegenwärtigen Zeitpunkt desaströsen klimatischen Trends kein Vertrauen darin hat, daß die gesellschaftlich vorherrschenden Kräfte rechtzeitig das Notwendige gegen den Klimawandel tun und nicht zuletzt für Klimagerechtigkeit sorgen. Ein differenzierterer Blick an dieser Stelle hätte Manns Streitbarkeit gewiß nicht geschmälert.

Dennoch ist das Buch allen, die an klimapolitischen Fragen interessiert sind, zu empfehlen, da es den konfliktbeladenen Grenzbereich zwischen Wissenschaft und Politik beleuchtet und von jemandem geschrieben wurde, der zwar ursprünglich gar nicht geplant hatte, an vorderster Front im "Klimakrieg" zu agieren, jedoch das Kreuzfeuer nicht scheut. Seit kurzem liegt das Buch auch in deutscher Übersetzung durch die Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS) vor.

17. März 2021


Michael E. Mann
The New Climate War
The Fight to Take Back Our Planet
Public Affairs, Januar 2021
368 Seiten
ISBN-13: 978-1541758230


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