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REZENSION/745: Jürgen Tautz - Die Sprache der Bienen (SB)


Jürgen Tautz


Die Sprache der Bienen

In Deutschland hängen rund 75 % der landwirtschaftlichen Erträge mehr oder weniger von der Bestäubung der Honigbienen ab. Global wird die Bestäubungsleistung durch Bienen, andere Insekten, Fledermäuse und Vögel mit 265 Milliarden Euro veranschlagt. Aus gutem Grund zählen Honigbienen zu den am intensivsten erforschten Arten des Insektenreichs. Wohl mit keinem anderen Kerbtier hat sich die Wissenschaft schon so lange und so ausführlich befasst. Das gesammelte Wissen füllt ganze Bibliotheken. Insbesondere die Kommunikation dieser staatenbildenden Wesen übt seit langem eine Faszination auf die Menschen aus, wähnen sich diese doch nicht zuletzt aufgrund ihrer eigenen Fähigkeit zur Kommunikation über den Tieren stehend, beinahe der Natur enthoben.



Mit "Die Sprache der Bienen" hat der emeritierte Professor der Universität Würzburg Jürgen Tautz eine weiteres Buch zu seinem "Lieblingstier" herausgebracht. Diesmal führt er seine Leserinnen und Leser in die Geschichte der Entdeckung der Bienensprache ein. Für Laien verständlich aufbereitet erläutert der Autor die Experimente, die im Laufe der Jahrzehnte durchgeführt wurden, benennt die zugrundeliegenden Fragestellungen und spart auch die Lücken nicht aus, die von der Wissenschaft entweder dank neuer Ansätze geschlossen werden konnten oder bis heute offen geblieben sind. Die Schilderungen werden von zahlreichen Grafiken und Bildern unterstützt, was sehr nützlich ist, weil dadurch die räumlichen Verhältnisse der Versuche und die dabei gewonnenen Erkenntnisse nachvollziehbar werden.


Der Bienenforscher vor der Rückseite eines Holzhäuschens der Initiative 'bee careful' - Foto: © 2014 by Schattenblick

Der Autor rückt mit seinen Forschungen den Bienen näher auf ihren gelb-schwarzen Pelz
Prof. Dr. Jürgen Tautz vor einer Bienenforschungsstation in Bad Schwartau
Foto: © 2014 by Schattenblick

Das Bemühen, die Entwicklung der Bienenforschung aus der Sprache der Wissenschaft in Alltagssprache umzusetzen, kann als gelungen bezeichnet werden. Für diejenigen, die wie der Autor von der Bienenforschung fasziniert sind, bietet das Buch eine Fülle an Informationen über die Kommunikation der Honigbienen sowie an Einblicken in wissenschaftliche Vorgehensweisen. Der Sinn und Zweck dieses Buchs besteht folglich nicht darin, allgemein in die Welt der Bienen einzuführen - dazu hat Tautz bereits vor zwei Jahren ein Buch herausgegeben - oder vom Leben und Sterben der Bienenvölker in der heutigen Zeit der teils industriell betriebenen Haltungsformen, der Verwendung systemisch wirkender Pestizide wie den Neonicotinoiden in der Landwirtschaft oder der Umgestaltung der Landschaft zu insektenfeindlichen Agrarwüsten zu berichten. Es geht um nicht mehr, aber auch nicht weniger als um die Frage, wie sich die staatenbildenden Honigbienen verständigen.

Jürgen Tautz, der vor einigen Jahren heftig dafür kritisiert worden war, dass er - vermeintlich - die Bedeutung des von Karl von Frisch (Nobelpreisträger 1973) entdeckten Schwänzeltanzes der Honigbienen geringgeschätzt hat, bemüht sich in diesem nun vorgelegten historischen Abriss einmal mehr um Vermittlung zwischen den kontroversen Positionen innerhalb seiner Zunft. Respektvoll betont er die Wichtigkeit der Forschungen zum Schwänzeltanz und weiterer Beobachtungen von Frischs zum Verhalten der Bienen, wie beispielsweise deren auffällig lärmenden Brauseflug bei der Umkreisung einer Futterstelle.

Nachdem die Honigbienen qua Schwänzeltanz in die ungefähre Richtung einer Futterstelle auf die Reise geschickt werden, schließt sich insbesondere bei größeren Entfernungen zum Stock eine Suchphase an, bei dem die Sammelbienen mit Hilfe ihrer Nasanov-Drüse, eines Spalts zwischen den beiden letzten Hinterleibsegmenten, markante Duftspuren setzen, denen andere Bienen folgen können. In Phase 3 geht die Biene zum zielgerichteten Anflug über, bei dem sie den Duft der Blüten bereits "in der Nase" hat, und setzt zusätzlich ihre Nasanov-Drüse als Duftverstärker ein. Wobei die drei Verständigungsarten - Schwänzeltanz im Stock, Suchphase und Ziellandung - laut Tautz nicht gleichwertig nebeneinander stehen und noch Fragen offen lassen:

"In diesem Buch soll gezeigt werden, dass NICHT alles geklärt ist, dass NICHT alles möglich ist und NICHT alle Bausteine gleichwertig sind, dass aber ALLE angesprochenen Bausteine von den Bienen eingesetzt werden, allerdings in enger funktioneller Verbindung zueinander und nicht als von den Bienen frei wählbare Alternativen."
(S. 72)

Die drei Suchphasen laufen also nicht mechanisch auf immer gleiche Weise hintereinander ab. Phase 1, der Schwänzeltanz, kann eine Biene durchaus direkt ins Ziel führen, ebenso wie Sammelbienen nicht lange suchen müssen, falls sie das Ziel beispielsweise bereits von früheren Ausflügen her kennen; Phase 2 fällt dann weg. Auch kann es sein, dass der Blütenduft bis zum Stock weht, so dass die Suchphase übersprungen wird. Die drei Schritte stehen der Biene zur Verfügung und werden auch in Anspruch genommen, aber nicht wie ein Uhrwerk auf immer gleiche Weise.


Eine Biene auf der Hand von Tautz - Foto: © 2014 by Schattenblick

Bienenforscher Tautz mit seinem "Lieblingstier"
Foto: © 2014 by Schattenblick

Darüber hinaus haben weitere Forschungen zum Schwänzeltanz ein viel komplexeres Bild dessen ergeben, was die Bienen dabei machen, als es von Frisch auf seinem damaligen technologischen Stand nachweisen konnte. Zwar hatte auch dieser schon vermutet, dass feine Schwingungen eine wichtige Rolle bei der Tanzsprache spielen, aber erst die hochempfindliche Messtechnik der Laser-Doppler-Vibrometrie "gestattet ein berührungsloses Erfassen der unvorstellbar schwachen Vibrationen, die eine Tänzerin auf der Wabe erzeugt" (S. 100). Die Bienen berücksichtigen bereits beim Bau ihrer Waben, dass deren Wülste die feinen Schwingungen optimal in jenem Frequenzbereich (230 - 270 Hertz) weiterleiten können, die von den Tänzerinnen erzeugt werden:

"Die Honigbienen, die ihren Wabenbau bis ins letzte Detail kontrollieren können, legen ihr 'Telefonfestnetz' so an, dass sich ihre eigenen Kommunikationsfrequenzen am besten ausbreiten können. Materialeigenschaften, Architektureigenschaften und Bienenverhalten sind bestens aufeinander abgestimmt."
(S. 101)

In der Bienenforschung stehen sich seit Jahrzehnten zwei Richtungen gegenüber. Man spricht regelrecht von einem "Bienenkrieg", obschon es doch die menschlichen Forscher sind, die sich nicht nur akademisch, sondern verbal bis ins Persönliche hinein bekriegt haben. Auf der einen Seite steht Karl von Frisch (1886 - 1982), der dem Schwänzeltanz eine herausragende Bedeutung zugesprochen hat, auf der anderen Adrian Wenner (1928 -), der dem Blütenduft die entscheidende Funktion bei der Orientierung der Bienen zuschreibt. Tautz wirbt für "einen neuen Blickwinkel" (S. 10) auf die Sprache der Bienen. Offensichtlich will der Forscher die Schulen der beiden Kontrahenten unter dem Dach einer differenzierteren, dreistufigen Bienensprachentheorie vereinen. Tautz zieht das Fazit:

"Sowohl die Von-Frisch- als auch die Wenner-Schule hatten in ihren Auffassungen je in einem wesentlichen Punkt recht und in einem wesentlichen Punkt unrecht. Von Frisch lag richtig damit, dass der Tanz einen starken Einfluss darauf hat, wohin die Ausflüge von Nachtänzerinnen gerichtet sind, aber unrecht damit, dass der Tanz die Rekruten direkt zum Ziel schickt. Wenner hatte recht damit, dass allein Duftreize auch ohne Tanzrekruten zum Ziel bringen können, aber unrecht damit, dass der Tanz keinerlei Orientierungshilfe für die Rekruten bietet. So musste sich zwangsläufig eine der bekanntesten Kontroversen der Verhaltensbiologie ergeben, deren Auflösung in diesem Buch vorgestellt wird."
(S. 225)

Als Laie gesprochen muss es allerdings schon verwundern, dass irgendjemand annehmen könnte, dass die in enger Gemeinschaft lebenden Bienen, die sogar als "Superorganismus" bezeichnet werden, nicht auch außerhalb ihres Stocks auf die für sie zweckmäßige Art und Weise miteinander kommunizieren. Naheliegenderweise dürfte es dabei darum gehen, um was es beim Verhalten von stoffwechselabhängigen Lebensformen meistens geht, nämlich ums Überleben, also um Nahrungsbeschaffung und Sicherung des eigenen sozialen Umfelds. Und nochmals laienhaft gesprochen mutet die Annahme wie eine grobe Vereinfachung an, dass, nur weil die Beobachtung von Bienen im Stock technisch einfacher ist als im freien Feld, eben dort keine Kommunikation stattfindet. Hätte man nicht von jeher davon ausgehen müssen, dass die Bienen vor ihrer Haustür eine ähnliche Zielstrebigkeit und bieneninteressengerechte Rationalität an den Tag legen wie im Innern ihrer Behausung?

Somit erscheint die Theorie des Bienenforschers Tautz nachvollziehbar, dass eine Biene ihrem Volk über den Schwänzeltanz die grobe Richtung eines attraktiven Futterplatzes vermittelt, dass damit aber die Verständigung und Orientierung nicht abgeschlossen ist, sondern zwei weitere Kommunikationsschritte zur Verfügung stehen, um eine blütenprächtige Futterstelle zu finden.

Nach der Lektüre dieses faktenreichen Buchs kommt die Ahnung auf, dass nicht nur mit dem Wissen über die Bienen ganze Bibliotheken gefüllt werden können, sondern dass auch das gesammelte Nicht-Wissen kein geringeres Ausmaß annehmen würde. Beispielsweise die Kommunikation der Bienen mittels Pheromonen. Tautz schreibt dazu:

"Es gehört zu den erstaunlichen Tatsachen in der Erforschung der Kommunikation der Honigbienen, dass keine einzige (!) physiologische Arbeit zur Empfindlichkeit der Arbeitsbienen gegenüber dem Pheromon der für die Kommunikation extrem wichtigen Nasanov-Drüse vorliegt."
(S. 201)

Auf die offenen Fragen zu verweisen, zählt zu den weiteren Stärken dieses Buchs. Wohingegen man einen kritischen Blick auf die Art und Weise, wie in der Biologie Forschung betrieben wird, nicht erwarten darf. Bei aller Zuneigung der Forschenden zur Biene - wie in der Verhaltensforschung üblich werden auch dort die Tiere zum Objekt gemacht. Unter dem nach Wissen strebenden Zugriff des Menschen geraten sie zum Forschungs"gegenstand". Beispielsweise wurden den Bienen in einer Reihe von Versuchen die drei Punktaugen (Ocellen), die auf der Stirn zwischen den beiden großen Facettenaugen sitzen, verklebt, weil man herausfinden wollte, wie sich die Bienen bei Ausschaltung dieses Teils ihres komplexen Sehsinns orientieren. (S. 82)

Für das Erforschen von Tieren werden also Tiere verstümmelt und verbraucht. Hier einen ganz anderen Ansatz zu verfolgen, setzt wohl ein gänzlich anderes Verständnis von Forschung voraus. Die Wissenschaft, die solche Ein- und Übergriffe nicht nötig hat, muss wohl erst noch erfunden werden - ebenso wie die Gesellschaft, die auf Erkenntnisse aus der gängigen Art der Forschung zu verzichten bereit ist.


16. August 2021


Biene im Anflug auf Blüte - Foto: Bgelo777, CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0), via Wikimedia Commons

Schwer mit Pollen beladene Biene bei der Arbeit
Foto: Bgelo777, CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0), via Wikimedia Commons


Jürgen Tautz
Die Sprache der Bienen
Knesebeck Verlag, München 2021
256 Seiten mit 20 farbigen Abbildungen und 30 Illustrationen
22,- Euro
ISBN-13: 978-3957285034

veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 166 vom 21. August 2021


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