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REZENSION/763: Zucker im Tank (Hg.) - Glitzer im Kohlestaub (SB)


Zucker im Tank (Hg.)


Glitzer im Kohlestaub

Vom Kampf um Klimagerechtigkeit und Autonomie




Plattform mit Rotbuche - Foto: © 2014 by Schattenblick

Baumhaus im lichten Dach der Buchen des Hambacher Forstes
Foto: © 2014 by Schattenblick

Zwei Jahre Corona-Pandemie haben zwar zu einem vorübergehenden Rückgang klimaschädlicher Emissionen geführt, aber auch die Mobilisierung für den Kampf um Klimagerechtigkeit stark behindert. Dabei hatte die Klimakrise 2019 durch die von Fridays For Future initiierte Massenmobilisierung eine nie gekannte Präsenz in der Öffentlichkeit erhalten. Die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung setzten dem jedoch ein jähes Ende, wiewohl der Zusammenhang zwischen der Ausbreitung zoonotischer Infektionserkrankungen und der weltweiten Naturzerstörung inzwischen allgemein anerkannt wird, es also auch eine ökologische Dimension pandemischer Krisen gibt.

Damit nicht genug hat der Überfall Russlands auf die Ukraine und die dagegen gerichtete Politik der NATO-Staaten auch in der Klimaschutzpolitik zu einer "Zeitenwende" geführt. Der zuvor schon in der Ostukraine militärisch ausgetragenen und nun vollständig entbrannten Blockkonfrontation scheinen sich alle anderen politischen Handlungsimperative nachzuordnen, das gilt auch für das erklärte Ziel, dem fossilen Brand des Planeten Einhalt zu gebieten. So schwach ausgeprägt die Bemühungen bis dahin waren, auch nur die in Paris 2015 vereinbarten Klimaziele zu erreichen, so erweist sich die klimapolitische "Zeitenwende" als krisenimperialistisch (Tomasz Konicz) [1] begründete Stärkung der fossilen Produktionsweise, deren vollständige Überwindung schon zuvor in weiter Ferne lag. Hier hat sich nichts gewendet, hier wird mit kriegsökonomischen Mitteln fortgeschrieben, was kapitalistische Produktivkraftentwicklung überhaupt erst ermöglicht hat - die umfassende Extraktion menschlicher Arbeitskraft und fossiler Energiequellen zur Entfachung eines industriellen Brandes, dessen Produktivität die eigenen Grundlagen kannibalisiert.

So wenig die weitere Aufrüstung der Bundeswehr Einfluss auf das Kriegsgeschehen in der Ukraine nimmt, also aus ganz anderen Gründen als sofortiger Hilfe für die Angegriffenen in die Wege geleitet wurde, so wenig konnte die Erkenntnis, dass die Abhängigkeit von Energieimporten ein politisches Druckmittel erster Wahl sein kann, überraschen. In einem umfassenden Planspiel hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe 2018 die Probleme eines auch längerfristigen Gasmangels in Deutschland durchgespielt. Wenn einer dem Bundesinnenministerium unterstellten Agentur staatlichen Krisenmanagements bewusst ist, dass es sich bei der Versorgung mit Erdgas um eine kritische Infrastruktur von eminenter Bedeutung für die Funktionsfähigkeit der bundesrepublikanischen Gesellschaft handelt, kann kaum behauptet werden, dass irgendjemand auf den Kommandohöhen von Staat und Kapital am 24. Februar vor völlig neuen Bedingungen energiepolitischer Art gestanden hätte.

Der nationale Energiemix ist seit jeher eine Angelegenheit geostrategischer Aufstellung insbesondere für einen hochproduktiven Industriestandort wie die rohstoffarme Bundesrepublik. Dass deren exportorientiertes, andere Länder durch deren aktiv betriebene Verschuldung erfolgreich bewirtschaftendes Akkumulationsregime jahrzehntelang durch kostengünstige Erdöl- und Erdgaslieferungen aus Russland subventioniert wurde, wird nun als Fehlentwicklung verurteilt, weil die hegemonialen Ambitionen Deutschlands, der EU und der NATO im Osten an Grenzen gestoßen sind, die die Russische Föderation ihrerseits mit kriegerischen Mitteln wieder nach Westen verschieben will. Dass deren Führung dafür Gründe hegemonialer, geschichtspolitischer und kulturalistischer Art geltend macht, ändert an der krisenimperialistischen Genese des Problems nichts.


Bagger an der Abbruchkante vor Hambacher Forst - Foto: © 2015 by Schattenblick

Energiewüste gegen Wildwuchs
Foto: © 2015 by Schattenblick

Ernstzunehmende emanzipatorische Absichten werden wie stets bei Waffengängen zwischen kapitalistischen Staaten von keinem der aktiven und informellen Kriegsakteure verfolgt. So sehr die Ukraine als Nationalstaat ihr Recht auf Selbstverteidigung geltend machen kann, so sehr verblutet ihre Bevölkerung für Ziele, die nicht die ihren sind, sondern von den Interessen der an diesem Krieg beteiligten Staatsapparate und Kapitalfraktionen bestimmt werden. Sich von einer "multipolaren Weltordnung" mehr zu versprechen als die Fortsetzung staatlicher Krisenkonkurrenz und blutiger Hegemonialkämpfe erweist sich angesichts dessen, dass der Niedergang des selbsterklärten Welthegemons USA keineswegs das Entflammen neuer Ressourcenkriege und Territorialkonflikte verhindert, sondern geradezu befeuert, als vergebliche Hoffnung. Dem Problem eines sich selbst zu produktiv gewordenen, den Geschäftsbetrieb mit immer mehr Schulden und anwachsender soziale Verelendung aufrechterhaltenden Kapitalismus ist angesichts der unaufschiebbaren Transformation fossiler Produktion und aller dadurch bestimmten gesellschaftlichen Verhältnisse kein national organisiertes Staatswesen gewachsen.

Dass den in der Ukraine zu verteidigenden Werten "Freiheit und Demokratie" harte geopolitische Handlungsmotive zugrunde liegen, dämmert zumindest denjenigen, die sich fragen, in welchem Verhältnis die Produktion materieller Not zur Durchsetzung beanspruchter demokratischer und humanitärer Ziele beitragen soll. Diese können desto weniger glaubwürdig vertreten werden, je mehr Menschen ihr Leben bei ihrer angeblichen Verteidigung verlieren, das betrifft nicht nur die direkten Kriegsopfer in der Ukraine, sondern Millionen Menschen in aller Welt, die zusätzlich zur ohnehin grassierenden Nahrungsmittelknappheit der Mangelernährung und dem Verhungern preisgegeben werden.

Der moralische Firnis der Europäischen Wertegemeinschaft ist so ramponiert, dass der Frage nach den Beweggründen, "alles, wirklich alles tun, um den größenwahnsinnigen Kreml-Diktator in die Knie zu zwingen" (Volksstimme aus Magdeburg am 26. Juli 2022), schon auf den Grund gegangen werden sollte. Schließlich ist dies der erste Krieg in Europa, in dem auf beiden Seiten der Front Atommächte stehen, auch wenn die NATO noch keine offizielle Kriegspartei ist. Auch Deutschland soll wie im sogenannten Kalten Krieg Schlachtfeld einer finalen Zuspitzung dieses Konflikts sein, das wird von allen PolitikerInnen sehenden Auges in Kauf genommen, wenn sie einem möglichen Kriegseintritt der NATO das Wort reden.

Die nachdrücklich erhobene Forderung, die Ukraine solle um fast jeden Preis siegen, lässt sich mit der Bereitschaft, das Sterben der Flüchtenden im Mittelmeer oder die militärische Zerstörung von außereuropäischen Staaten billigend in Kauf zu nehmen, moralisch nicht in Deckung bringen. Warum sollten allein die UkrainerInnen die Zeche zahlen, wenn sie für die Verteidigung "unserer" Werte bluten und sterben, lautet die unausgesprochen im Raum stehende Frage. Niemand plant, einen Atomkrieg zu führen, so schwindet die Bedrohlichkeit dieser Option im Bewusstsein vieler Menschen desto mehr, als der Krieg zur regulären Begleiterscheinung des nun auch ganz persönlichen Krisenmanagements wird.


Gefällter und zerlegter Baum im Hambacher Forst mit Aktivist Tim - Foto: © 2014 by Schattenblick

Nach der Räumung ...
Foto: © 2014 by Schattenblick

Vor dem Hintergrund einander fast fugenlos ablösender oder ohnehin parallel verlaufender Weltkrisen ist leicht zu erkennen, dass mehr auf dem Spiel steht als die Durchsetzung eines in sich widersprüchlichen moralischen Postulats. So bietet sich für die energetische Transformation der fossil befeuerten Industriegesellschaften eine Gelegenheit, den durch erneuerbare Energien, die Etablierung von Stoffkreisläufen und technologische Effizenzsteigerng "nachhaltig" bewirtschafteten grünen Kapitalismus mit alternativloser Sachzwanglogik auf eine Weise voranzubringen, die die plausiblen Argumente von WachstumskritikerInnen und AntikapitalistInnen aus dem Feld schlägt. Das steht nicht im Widerspruch zur sanktionsbedingten Konjunktur der Preise für fossile Energieträger, diese wird als eine Art Rosskur zum Erwirtschaften anwachsender Resilienz in Sicht auf die dadurch angeblich möglich gemachte Energiewende verkauft.

Die nun auf kriegswirtschaftliche Füße gestellte Modernisierung der Energieversorgung soll in "Deutschland-Geschwindigkeit" erfolgen, so Niedersachsen Umwelt- und Energieminister Olaf Lies zum schnellen Ausbau von LNG-Terminals an den Küsten seines Bundeslandes, sprich als schockartige Überwältigung aller dagegen vorgebrachten Einwände und Bedenken. Eine Rückkehr zum Primat klimaschonender Energieerzeugung ist für mehrere Jahre ausgeschlossen, denn "Not kennt kein Gebot", so die Formel für die Durchsetzung von Ausnahmeverordnungen, die den Kriegszustand in dessen nominell noch "Frieden" genannten Vorstadium realisieren.

Was das alles mit der Sicherung der Herrschaft von Staat und Kapital zu tun hat, wäre Gegenstand einer linken Kritik, die ausfallen muss, wenn der unterstellten Alternativlosigkeit, dem russischen Angriff auf die Ukraine mit militärischen Mitteln entsprechen zu müssen, stattgegeben wird. Auch die Ansicht, diese energiepolitische Zwangslage als Chance für die Einlösung klimapolitischer Forderungen zu verstehen, übersieht, dass der Innovationskrieg (Detlef Hartmann) [2] als Motor aller Modernisierung die ihm immanente Gewalt fortschreibt. Ganz im Sinne neoliberaler Disruptionsdynamik soll erst einmal zerstört werden, was dann ganz neu und natürlich viel effizienter aufgebaut werden kann - der grüne Kapitalismus als Zukunftsmodell des exportorientierten Industriestandortes Deutschland.

Wer heute noch aus Ruinen auferstehen will, muss nicht nur über Klassenprivilegien verfügen, sondern darf es an Bereitschaft, Opfer zu bringen und die Schmerzen kriegstauglicher Abhärtung zu ertragen, nicht mangeln lassen. Resilienz im Krisenkapitalismus ist das Ergebnis eines Selektionsprozesses, in dem insbesondere die AbweichlerInnen, die Aufbegehrenden und Streitbaren aussortiert werden. So bieten die nun eintretenden Versorgungsprobleme Anlass zur Durchsetzung sozialstrategischer Maßnahmen, die neoliberalen Kapitalismus und imperialistische Hegemonialpolitik unter grünem Vorzeichen erneuern sollen. Das betrifft die Etablierung einer moralisch scharf gemachten Dichotomie von Gut und Böse, die die Existenz sozialer Gewaltverhältnisse zugunsten des Bekenntnisses zu Staat und Nation dementiert, ebenso wie das "solidarische" Hinnehmen materieller Mängel als auch die unwidersprochene Aufrüstung der Bundeswehr zu einem Kriegsakteur von globalem Rang. Das betrifft die weitere Militarisierung der Abschottung der EU gegen die absehbar anwachsenden Fluchtbewegungen, wobei die Aufnahme ukrainischer Kriegsflüchtender die geopolitisch zweckmäßige Ausnahme von der sozialdarwinistischen Regel ist.

Das betrifft vor allem den Umbau der Arbeitsgesellschaft im Sinne eines Grünen Kapitalismus, der an die massenhafte Verwertung von Lohnarbeit im Fordismus bei weitem nicht heranreichen kann und daher von vornherein jene Mangellogik antizipiert, die momentan mit dem Argument, Russland ökonomisch in die Knie zu zwingen, implementiert wird. Was in der Überprüfung des individuellen Verbrauchsverhaltens anhand des CO2-Fußabdrucks vorgedacht wurde, kann im Krieg erst recht als Produktion und Verbrauch regulierende Sozialkontrolle mit informationstechnischen Mitteln etabliert werden. Während die Sicherung der Produktion durch industrie-, handels- und klimapolitische Maßnahmen Sache von Staat und Kapital bleibt, wird der Nimbus marktwirtschaftlicher Freiheit mit administrativer Verfügungsgewalt auf eine Weise befestigt, die Subjektivitäten der Anpassung und Unterwerfung hervorbringen, anhand derer sich die brüchige Kohärenz wertebasierter Politik perfekt verfugen lässt.


Grüne Parteispitze hinter Transparent am Tagebau Hambach - Foto: © 2017 by Schattenblick

Als die Welt der Grünen noch intakt war ... klimapolitischer Ortstermin im Rheinischen Braunkohlerevier 2017
Foto: © 2017 by Schattenblick

Wurden in Russland und der Ukraine die Rechte von ArbeiterInnen mit dem Argument eines kriegsbedingten Notstandes bereits eingeschränkt, so geraten die Tarifforderungen EU-europäischer Gewerkschaften unter Verdacht, der Kriegsmobilisierung in den Rücken zu fallen. In Italien werden antimilitaristische ArbeiterInnen unter Hausarrest gestellt, um keine Waffentransporte in die Ukraine mehr behindern zu können. Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall fordert die Lohnabhängigen auf, mehr zu arbeiten und erst mit 70 in Rente zu gehen. Die ökologische Begründung für Konsumeinschränkungen wird als nationaler Opfergang inszeniert. Obgleich ganz unterschiedlich davon betroffen, machen alle mit, entweder aus Angst vor Ausgrenzung oder aus der tiefen Überzeugung heraus, dass die eigene Zukunft mit dem Erfolg von Staat und Nation unauflöslich verknüpft ist.

Die Möglichkeit einer Ausweitung dieses Krieges über die Grenzen der Ukraine hinaus und das Entflammen weiterer militärisch ausgetragener Konflikte in seiner Folge könnte in eine viele Jahre andauernde Epoche heißer Kriege in Europa und darüber hinaus münden, wie am Konflikt um Taiwan, der Beanspruchung griechischer Inseln durch die Türkei, den anwachsenden Spannungen zwischen Flussanrainern wie Ägypten und Sudan oder eingefrorener separatistischer Konflikte in diversen Regionen zu sehen. Emanzipatorische Projekte wie die konföderale Selbstorganisation in Nordsyrien geraten als erstes unter die Räder eines Gewaltgetriebes, das Despoten wie dem türkischen Präsident Erdogan mit Segen Berlins freie Hand bei der Verfolgung von Zielen gibt, deren Legitimationsdefizit unter anderen Bedingungen schwerer wöge. Hier scheut die Bundesregierung nicht einmal davor zurück, einer dementsprechenden Übereinkunft von Erdogan und Putin keine Knüppel in den Weg zu legen. Die wertebasierte Formel, in der Ukraine würde ein Krieg zwischen "Demokratien und Autokratien" geführt, wurde darüber hinaus schon in den ersten Wochen des Krieges anhand des Umwerbens altbewährter Despoten, die den Ausfall russischer Gaslieferungen kompensieren sollen, ad absurdum geführt.

So geraten alle sozialen und ökologischen Probleme in den Schlagschatten einer militaristischen Staatsdoktrin. Die kriegsökonomische Bewirtschaftung gesellschaftlicher Naturverhältnisse ist ein extrem verbrauchsintensives Manöver, wie die neue Konjunktur fossiler Energien, das Wiederanfahren von Kohlekraftwerken und der Streit um die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken zeigt. Der Kapitalismus rüstet lodengrün auf, es wird zum Halali auf alle AbweichlerInnen, KommunistInnen, Autonome und auch KlimaaktivistInnen geblasen, die ihr Anliegen so ernst nehmen, dass es mit kapitalistischer Vergesellschaftung und imperialistischer Kriegführung nicht vereinbar ist.


Mehrstöckiges Bauwerk aus Holzpfählen - Foto: © 2012 by Schattenblick

Hambacher Waldbesetzung im Aufbau im Juni 2012
Foto: © 2012 by Schattenblick


Innensichten des Klimaaktivismus

Was hat all das mit einem Buch zu tun, dessen AutorInnen aus Binnensicht über den Kampf um Klimagerechtigkeit und Autonomie berichten? Leider so viel, dass ein Blick auf den Sachstand kriegerischer Konfrontation nicht unterbleiben kann, die sich mit seiner Veröffentlichung im Juni 2022 gekreuzt hat, so dass eine Positionierung zu dieser tiefen Zäsur auch für alle klimapolitischen Fragen wohl nicht mehr angemessen diskutiert werden konnte.

Sind die über 60 Beiträge des Bandes auch zu einem Gutteil der jüngeren Geschichte sozialökologischer Basisbewegungen in der Bundesrepublik gewidmet, so sind deren Kämpfe nicht von der Jagd nach Energieressourcen in aller Welt und der weiteren Befeuerung eines auf Wachstum um fast jeden Preis abonnierten Kapitalismus zu lösen. Dem wird zum einen mit einer Zeitleiste am unteren Seitenrand Rechnung getragen, die Akte antikolonialen Widerstands durch die Jahrhunderte dokumentiert. Zum andern wird Klimagerechtigkeit in vielen Beiträgen unter Verweis auf die im Globalen Süden erfolgende Ausbeutung natürlicher Ressourcen und menschlicher Arbeitskraft, dem nicht eingelösten Versprechen, den der Verwertung fossiler Energiequellen und kolonialistischer Raubzüge geschuldeten ökonomischen Vorsprung der europäischen und nordamerikanischen Industriestaaten durch Ausgleichszahlungen an die am meisten von der Klimakrise betroffenen Länder zu kompensieren und der rassistischen Zuspitzung sozialökologischer Benachteiligung als zentrales Anliegen dieser sozialen Bewegung unterstrichen.


Baumstumpf am Hambacher Tagebau 2014 - Foto: © 2014 by Schattenblick

Wer braucht Bäume, wenn die Kohle in der Erde liegt?
Foto: © 2014 by Schattenblick

Insgesamt vertreten die diverse Initiativen, Gruppen und autonome Zusammenhänge repräsentierenden AutorInnen intersektionale, antikapitalistische, antikoloniale, antirassistische, queere, also fundamental herrschaftskritische Positionen. VertreterInnen politischer Parteien, als NGO institutionalisierter Klimaschutzorganisationen und marxistischer wie ökofeministischer Konzepte sind zumindest nicht als solche zu erkennen, so dass die Autorenschaft des Buches nicht die ganze Breite mit der Bekämpfung der Klimakrise befasster Menschen und Organisationen umfasst. Auf diese Weise erhält die Klimagerechtigkeitsbewegung ein politisch exklusives Profil, was sich zu staatlicher Klimaschutzpolitik ebenso abgrenzt wie zu einer als staatsautoritär verworfenen Restlinken.

Instruktiv und spannend zu lesen sind die Texte überall dort, wo die Schilderung subjektiver Erfahrungen Einsichten ermöglichen, bei denen soziale Konflikte und organisatorische Probleme nicht zu kurz kommen. Planung und Durchführung von Protesten werden ausführlich abgehandelt und in ihrer jeweiligen Wirkung auf Öffentlichkeit und Politik als auch des dabei eingegangenen Grades an Gefährdung von AktivistInnen diskutiert. So gut wie alle größeren Proteste der letzten 20 Jahre in der Bundesrepublik gegen die Standorte und Fabriken fossilistischer Produktion, bei Klimagipfeln, gegen den Ausbau des motorisierten Individualverkehrs, gegen Flugzeugindustrie und Kreuzfahrtschiffe, Schlachtfabriken und Düngemittelfirmen werden mehr oder minder selbstkritisch reflektiert.

Ob angemeldete Demonstrationen, an die breite Öffentlichkeit adressierte Kampagnen, Direkte Aktionen, die Durchführung von Blockaden oder andere Formen des zivilen Ungehorsams wie das Eindringen in Tagebaue, konspirative Interventionen des Sabotierens der fossilen Maschine - wer sich für basisdemokratische Proteste innerhalb wie außerhalb der staatlich zugestandenen Formen sozialökologischen Widerstands interessiert, erfährt in diesem Buch vieles aus erster Hand über Geschichte und Gegenwart der Klimagerechtigkeitsbewegung.

Den größten Raum nimmt dabei der Widerstand gegen die Kohleverstromung im Rheinischen Braunkohlerevier ein. Dort steht die Wald- und Wiesenbesetzung im Hambacher Forst im Mittelpunkt, deren Anfänge 2012 wiederum auf die Besetzung im Kelsterbacher Wald verweisen, die sich gegen den weiteren Ausbau des Frankfurter Flughafens richtete. Die Aktivitäten und Proteste rund um die mehr als zehn Jahre existierende Besetzung des Hambacher Forstes haben die Klimakämpfe der letzten zehn Jahre in der Bundesrepublik stark beeinflusst. Die dort erarbeiteten Praktiken und gemachten Erfahrungen nicht zuletzt mit staatlicher Repression haben den Wissenshorizont und das Aktionspotential der heutigen Klimagerechtigkeitsbewegung inspiriert und erweitert, so etwa bei der Waldbesetzung im Dannenröder Forst zur Verhinderung des Ausbaus der Autobahn A 49 oder dem Widerstand im Dorf Lützerath, das dem Ausbau des Braunkohletagebaus Garzweiler II weichen soll.

Zugleich zeigt die im Buch reflektierte Entwicklung des Klimaaktivismus, dass die gesellschaftliche Wissensproduktion selbst den langsam verlaufenden Naturprozessen weit hinterherhinkt. Eine der sich abzeichnenden Klimakatastrophe adäquate Aufmerksamkeit hat das Thema in Deutschland erst 2019 mit den großen Demonstrationen von Fridays For Future erhalten. Zuvor konnten bereits die Aktionen von Ende Gelände gegen Braunkohletagebaue einige Aufmerksamkeit erregen, doch die Mobilisierung der Jugend ließ die Klaviatur massenmedialer Erregung zu Höchstform auflaufen, zumal FFF sich kaum zu antikapitalistischen oder gar linksradikalen Forderungen verstieg.

Wissenschaftliche Erkenntnisse zur erderwärmenden Konsequenz fossiler Energieproduktion und industrieller Produktionsprozesse liegen seit Anfang der 1960er Jahre vor. Das hat damals nicht verhindert, dass sich die Regierungen markt- oder staatskapitalistischer Bündnissysteme bei aller Konkurrenz untereinander darin einig waren, die soziale Opposition, die auch aus radikalökologischen Gründen für die Überwindung von Kapital, Patriarchat, Krieg und Kolonialismus kämpfte, nach Kräften zu unterdrücken, und das ist heute nicht anders.


Installation mit Sonnenschirmen und Liegestühlen - Foto: © 2014 by Schattenblick

An der Riviera des fossilen Kapitalismus
Foto: © 2014 by Schattenblick


Radikaler Protest ruft Befriedungsstrategien auf den Plan

Zudem liegt die systemstabilisierende Integration widerständiger Bewegungen geradezu auf der Straße. Deren Befriedung durch Strategien politischer Partizipation, in dem Buch an den Beispielen des Kohlekompromisses und des Runden Tisches im Rheinischen Braunkohlerevier geschildert, funktioniert desto besser, als auch einige Nichtregierungsorganisationen und Kampagnenplattformen ihr Geschäft mit der systemkonformen Zurichtung sozialen Widerstandes machen. Diese Kritik wird in mehreren Beiträgen zwar angedeutet, aber nicht explizit gemacht oder gar als prinzipieller Ausdruck des Prinzips Teile und Herrsche kritisiert, das in den Drehtüren zwischen selbstorganisiertem Aktivismus, institutioneller Professionalisierung und Karriereplanung in politischen Parteien oder Unternehmensverbänden den Ton angibt.

Dabei bietet das Adaptionsvermögen kapitalistischer Vergesellschaftung reichlich Anlass, den Strukturen und Praktiken, mit Hilfe derer ein dem Entwicklungsstand herrschender Gewaltverhältnisse angemessener sozialer Widerstand verhindert werden soll, auf den Grund zu gehen. So hat die Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen 2017 bereits zugesagte Fördergelder für die Degrowth-Sommerschule, die auf dem Klimacamp bei Erkelenz stattfand, kurzfristig gestrichen, weil auf deren Seminaren Aktionen zivilen Ungehorsams geplant werden könnten. [3]

So lange finanzielle Abhängigkeiten zu institutionellen Förderern bestehen, können Versuche inhaltlicher Einflussnahme ebenso wenig ausgeschlossen werden wie eine im Vorweg erfolgende Orientierung an den Interessen der GeldgeberInnen. Die leicht verdauliche Simulation zivilgesellschaftlichen Protestes ist ein altbewährtes Mittel, den Zahn jener Radikalität zu ziehen, derer es bedarf, die unumkehrbare Überwindung allseits beklagter, aber selten konkret angegriffener gesellschaftlicher Widersprüche zu vollziehen.

Insbesondere Bildmedien kommerzieller wie öffentlich-rechtlicher Art legen Wert darauf, in ihrer Berichterstattung auf individuelle AnsprechpartnerInnen zurückgreifen zu können, die als Gesicht mit hohem Wiedererkennungswert ansonsten abstrakt bleibender Vorgänge fungieren. Die daraus resultierende Etablierung prominenter SprecherInnen wird von sozialen Bewegungen aus dem autonomen Spektrum meist abgelehnt, weil damit hierarchische Strukturen in den eigenen Reihen befördert, die gleichberechtigte Mitsprache aller AktivistInnen unterlaufen und schlimmstenfalls Karriereambitionen geschürt werden, die den Weg in eine arrivierte bürgerliche Existenz zum Preis der Aufgabe bislang vertretener Radikalität ermöglichen.

Wenn eine ehemalige Pressesprecherin von Ende Gelände als Bundestagsabgeordnete der Grünen der Schaffung eines Sondervermögens für die Aufrüstung der Bundeswehr zustimmt, dann ist das nur ein Beispiel dafür, wie der Parlamentarismus alle Ecken und Kanten wirksamer sozialer Opposition abschleift. Es wäre mithin gut gewesen, auch einige Worte über das Verhältnis der Klimagerechtigkeitsbewegung zur Regierungspartei Die Grünen zu verlieren, steht und fällt mit dieser Beziehung doch die Radikalität des titelgebenden "Kampfes um Klimagerechtigkeit und Autonomie".

Am Beispiel dieser Partei kann sich die Rolle, die "progressistische Eliten" (Detlef Hartmann) [4] bei der Zurichtung der Bevölkerung auf ihre widerstandslose Einspeisung in kapitalistische Verwertungsprozesse und ihre Rekrutierung für imperialistische Kriege einnehmen, kaum besser dokumentieren lassen. Hat schon die erste Beteiligung der Grünen an einer Bundesregierung 1999 den Weg für das neue Disziplinierungsregime der Arbeitsgesellschaft namens Agenda 2010, eine Gesundheitsreform, die mit der Einführung des Fallpauschalensystems den Markt direkt ins Krankenhausbett gebracht hat, und den ersten Kriegseinsatz deutscher Streitkräfte nach dem Zweiten Weltkrieg frei gemacht, so toppt die militaristische Rhetorik der Hofreiter, Beck, Habeck und Baerbock alles, was an politischer Flexibilität und Wandlungsfähigkeit vorstellbar ist.


RWE-Arbeiter fotografieren, stopppen und neutralisieren AktivistInnen - Fotos: © 2015 by Schattenblick RWE-Arbeiter fotografieren, stopppen und neutralisieren AktivistInnen - Fotos: © 2015 by Schattenblick RWE-Arbeiter fotografieren, stopppen und neutralisieren AktivistInnen - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Staat und Energiewirtschaft - Garzweiler II am 15. August 2015
Fotos: © 2015 by Schattenblick


Herrschaftsfreiheit versus Handlungsfähigkeit

So heterogen die Schilderungen und Analysen der namentlich stets ungenannt bleibenden AutorInnen des Buches sind, so sehr scheinen sie sich darin einig zu sein, sich mit politischen Forderungen, die die Breite der Bewegung umfassen, zurückzuhalten. Auf den gemeinsamen Anspruch auf Systemveränderung kann sich die herausgebende Gruppe Zucker im Tank in ihrem abschließenden Resümee zweifellos berufen, doch wie dies im einzelnen erfolgen soll, bleibt außerhalb des auf Klimakämpfe gerichteten Fokus eher vage. Der Kampf gegen jede Form von Diskriminierung ist selbstverständlicher Konsens, doch die sich dabei auftuenden Konflikte würden zweifellos ein eigenes Buch füllen.

Allein der Anspruch auf Herrschaftsfreiheit ist so schwierig zu verwirklichen, dass dieses Problem umfassend diskutiert werden müsste, wenn es von Relevanz für gesellschaftliche Veränderung sein sollte. Dieses Ideal verwirklichen zu wollen kann selbst unter dazu entschlossenen Menschen lähmende Folgen für die Entfaltung kollektiver Handlungsfähigkeit haben, bleibt schon die Ausbildung bloßer Sachkompetenz selten ohne Folgen für ein soziales Beziehungsgeflecht, in dem vielfältige individuelle Interessen zu kämpferischer Einheit gelangen sollen. Ein interessanter Beitrag zu dieser Diskussion ist einem verschriftlichen Gespräch von drei AktivistInnen aus verschiedenen Waldbesetzungen zu entnehmen:

"Auch im Hambi gab es den Anspruch hierarchiefrei und anarchistisch zusammenzuleben. Im eigentlichen Sinne gab es keine Herrschaft, aber meiner Ansicht nach hat man Hierarchien, sobald es eine Aufgabenverteilung gibt. (...) Ich finde auch, dass institutionalisierte Rollen nicht automatisch Herrschaft darstellen. Es kommt darauf an, wie leicht Personen aus einer Rolle rausgekickt werden können, wenn andere Leute nicht mehr glücklich damit sind, was sie tun. Aber solche Strukturen waren im Hambi und Danni nicht konsensfähig. Ich denke, dass es durch dieses Dogma der Strukturlosigkeit stärkere informelle Hierarchien im Hambi gab, weil die Leute halt nicht abwählbar waren." (S. 178 f.)


Frontransparent 'Queer We Go' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Premiere auf dem Klimacamp 2017 im Rheinischen Braunkohlerevier
Foto: © 2017 by Schattenblick


Kampfbegriff "Identität"

Das in diesem Zusammenhang aufgeworfene Problem sexueller Übergriffe und sexistischer Diskriminierung verlangt den Menschen in aktivistischen Freiräumen ab, die Bürde des Jahrtausende alten Patriarchats praktisch unverzögert abzuwerfen, was angesichts seiner Einübung in den Rollenbildern kleinfamiliärer Sozialisation fast unmöglich erscheint. Um so mehr kann die vollständige Aufhebung der Dichotomie binärer Geschlechtlichkeit als Voraussetzung zur Befreiung von jeglichem Identifikationszwang und aller normativen Stereotypie, die gesellschaftlich vermittelt und eingefordert wird, verstanden werden. Sei es auch nur ein Fernziel, so bedarf die gelebte Utopie der Arbeit am unmöglich Erscheinenden, wie sonst sollte mit der Aussichtslosigkeit umgegangen werden, die sich allen Lebewesen stellenden Herausforderungen zerstörerischer Art zu meistern.

Auch deshalb sind autonome und anarchistische Freiräume für Menschen, die sich in kein gängiges Raster pressen lassen wollen, von großer Attraktivität. Die Befreiung von heteronormativen Geschlechterrollen wird von interessierter Seite her häufig als "Identitätspolitik" verworfen, die von angeblich wichtigeren gesellschaftlichen Problemen ablenke. Mit Identitäten wird allerdings überall gehandelt, wenn Menschen sich ethnisch, religiös, national, politisch oder sonst wie zuordnen. Das fällt bei der ArbeiterIn, der ChristIn, dem weißen Mann oder der deutschen Frau nur weniger auf als bei Menschen, die in den Kategorien einer potentiell unendlichen Zahl von Geschlechtsidentitäten unterwegs sind. Der tiefe Graben, der sich dabei zwischen queerfeministischen AktivistInnen und FeministInnen der zweiten Generation aufgetan hat, ist gerade auch für die Klimagerechtigkeitsbewegung von schwerwiegender Konsequenz, wie die weitgehende Abwesenheit ökofeministischen Positionen in diesem Buch belegt.

Die prinzipielle Gemeinsamkeit zwischen mehrheitlich akzeptierten und als randständig ausgegrenzten Identitäten besteht allerdings darin, sich auf eine Weise kenntlich machen zu müssen, die als Voraussetzung zur Etablierung sozialer Kontrolle, nationaler Bevölkerungspolitik und biopolitischer Gesellschaftsorganisation eingefordert wird. Die wachsende Akzeptanz von Minderheiten aus dem LGBTIA-Spektrum und die familienpolitische Liberalisierung ihrer gesellschaftlichen Existenzform schützt nicht davor, diese Errungenschaft als Legitimation für ganz andere Zwecke zu missbrauchen.

So wurde die Eroberung und Besetzung Afghanistans maßgeblich mit dem Argument legitimiert, dass es um die Befreiung der dort lebenden Frauen vom Joch islamistischer Herrschaft ginge. 20 Jahre später müssen in Afghanistan lebende Frauen, die diese Freiheit für sich im Schutz der NATO-Truppen in Anspruch genommen haben, erneut um ihr Leben fürchten. Zahlreiche Frauen und Kinder fielen während dieser Zeit militärischer Gewalt von beiden Seiten zum Opfer. Nun kommt hinzu, dass die Hälfte der Bevölkerung hungert, was wiederum Frauen in der Festlegung darauf, die soziale Reproduktion der Familie zu sichern, besonders hart trifft. Dennoch nimmt diese Bundesregierung, deren Koalitionäre diese Politik stets mitgetragen haben, für sich in Anspruch, eine "feministische Außenpolitik" zu betreiben.

Heute stehen die NATO-Staaten indirekt mit einem Russland im Krieg, dessen homo- und transphobe wie antifeministische Gesellschaftspolitik unter der Mehrheit der Bevölkerung viel Zustimmung zu finden scheint. Dies allerdings als Argument zu nutzen, die kaum weniger homo- und transphobe Ukraine in einem langfristigen Abnutzungskrieg zum Sieg zu führen, kann kaum im Interesse derjenigen LGTBIA-Personen sein, die dabei ihr Leben verlieren oder an der Ausreise mit dem Argument gehindert werden, sie wollten sich der Pflicht zur Landesverteidigung entziehen. Gleichzeitig ist der antifeministische Rollback in den USA in vollem Gange, wurde die Uhr der Frauenrechte mit der höchstrichterlichen Aufhebung legaler Abtreibungen doch um 50 Jahre zurückgedreht. Dennoch steht das Land, dessen Gesellschaft unter dem letzten Präsidenten eine erhebliche Rechtsdrift vollzogen hat und wo der rassistische Furor weißer Suprematie und mörderischer Polizeigewalt gegen Schwarze trotz oder gerade wegen Black Lives Matter ohne Unterlass tobt, im Krieg in der Ukraine auf der Seite von "Freiheit und Demokratie".

Wenn in Berlin anlässlich des Christopher Street Days am 23. Juli die Regenbogenflagge auf dem Reichstag gehisst wird, dann sollte die staatsoffizielle Feier schwuler, lesbischer, bi-, trans-, inter-, nonbinärer, asexueller und weiterer Identitäten schon Anlass zu der Frage geben, ob dies dem antagonistischen Charakter des dazu in den öffentlich-rechtlichen Medien verwendeten Oberbegriffs "queer" nicht zutiefst widerspricht. "Queer Liberation, Not Rainbow Capitalism" lautet eine Antwort auf die Vereinnahmung einer Bewegung, die auch in Zeiten, in denen die Regenbogenfarben zum Kodex der Social Governance unternehmerischer Reputationspflege gehören, überdurchschnittlich mit polizeilicher und maskuliner Gewalt konfrontiert ist.

In anarchistischen Kreisen wird darauf verwiesen, dass "queer" im ursprünglichen Sinne den völligen Bruch mit gesellschaftlichen Anerkennungspraktiken und die Negation jeglicher Teilhabe an der Befriedung kapitalistischer Gewaltverhältnisse meint. Unter Verweis auf den queeren Theoretiker und Revolutionär Guy Hocquenghem, der an den Aufständen im Mai 1968 in Paris beteiligt war, wird der antisoziale Charakter der Queerness als Mittel, sich jeglicher Vereinnahmung zu widersetzen, hervorgehoben. Das betrifft auch alle Formen des Konstrukts der Identität, deren vorrangiger Zweck in Unterwerfung und Vereinnahmung besteht, so zumindest aus Sicht der AutorInnen des queeren Journals Baedan. [5]


Vorne die Hambacher Grube, dahinter drei Kohlekraftwerke mit wolkenartigen Rauchsäulen - Foto: © 2014 by Schattenblick

Freigesetzt zum endlichen Verbrauch ...
Foto: © 2014 by Schattenblick


Bewegungsgeschichte im Umbruch

"Aktiver Widerstand ist für mich ein Geschenk. Das Geschenk der Selbstermächtigung, das wir uns und anderen machen können, in einer Welt, in der der Kampf um die bloße Existenz für einige von uns schon der größte und bewundernswerteste Akt des Widerstandes ist." (S. 121)

Gerade in Sicht darauf, dass die existenziellen Probleme vieler Menschen eine ohnmächtige Lage erzeugen, die nicht nur aus mangelnder Verteilungsgerechtigkeit resultiert, sondern systematisch als Herrschaftsmittel hergestellt wird, ist das Ziel der "Selbstermächtigung", neudeutsch Self Empowerment, allzu bescheiden. Wer sich nicht in einer Notlage befindet, die das bloße Überleben in Frage stellt, ist durchaus in der Lage, die Machtfrage im Grundsatz zu stellen und nicht auf ein psychologistisches Moment subjektiver Handlungsfähigkeit zu reduzieren. An deren gesellschaftliche und politische Grenzen zu stoßen ist eine unangenehme, mithin in ihrer Fortdauer inakzeptable Erfahrung. Die Überwindung dieser Grenzen nicht in Angriff zu nehmen kann angesichts des schieren Ausmaßes der Probleme bereitwillig in Kauf genommenen Arrangements mit den zu bekämpfenden Gewalten oder regressiven Tendenzen wie der Flucht in die bürgerliche Isolation Vorschub leisten.

Auf der anderen Seite gibt es Beispiele persönlichen Engagements, das allein aus der Überzeugung, das Notwendige tun zu müssen, entsteht. Wenn bürgerliches Ansehen und berufliches Einkommen dabei Schaden nehmen, dann aufgrund von Überzeugungen und Grundsätzen, die Staat und Wirtschaft aus gutem Grund unheimlich sind. So hat der Eigentümer der Wiese am Hambacher Forst seit deren Besetzung zu den AktivistInnen gehalten und diese dort leben lassen, während er selbst teure Rechtsstreitigkeiten mit dem Betreiber des Braunkohletagebaus RWE auszufechten hatte. Kurt Claßen [6] ist ein gutes Beispiel für die potentielle Streitbarkeit ganz normaler BürgerInnen, auf deren Unterstützung auch die Klimagerechtigkeitsbewegung angewiesen ist.


Tripod vor Wiesencamp - Foto: © 2015 by Schattenblick

Wiesenbesetzung 2015 - "Melancholia" für finale Zeiten
Foto: © 2015 by Schattenblick

"Während die Repressionsorgane taktisches Wissen von Aktion zu Aktion ansammeln, besteht in der Bewegung die Gefahr, dieselben Fehler immer wieder zu begehen. Aber das ist bei weitem nicht der einzige Grund, weshalb Geschichtsbewusstsein entscheidend für den Erfolg von sozialen Bewegungen ist. In dem Moment, in dem wir uns bewusst werden, dass die Generationen vor uns dieselben (oder sehr ähnliche) Kämpfe ausgefochten haben, passiert etwas durchaus Entscheidendes: Es entsteht eine Traditionslinie, die uns den Rücken stärkt, die unseren Kämpfen eine ganz andere Selbstverständlichkeit gibt und die die diskursive Marginalisierung durchbricht". (S. 185)

Wie tief die Brüche heute aktiver Generationen zur Gegengeschichte der radikalen Linken sind, zeigen nicht nur die fließenden Übergänge zwischen radikalökologischem Basisaktivismus und etablierten bürgerlichen Parteien. Das unter in den 1960er und 1970er Jahren sozialisierten Linken selbstverständliche Wissen um die unheiligen Korrespondenzen zwischen parlamentarischer Demokratie, kapitalistischer Herrschaft und imperialistischem Krieg ist unter den Verwerfungen neoliberaler Subjektivierung weitgehend verschütt gegangen. Die von italienischen ArbeiterInnen einst ausgefochtenen Kämpfe um Autonomie zum Beispiel waren von einer streitbaren Kompromisslosigkeit und einem radikalen Reflexionsniveau bestimmt, die wieder einzufangen es der ganzen Aggressivität staatlicher Gewalt und ideologischer Indoktrination bedurfte. Wenn in Italien heute rechtspopulistische PolitikerInnen den Ton angeben, dann ist das auch ein Ergebnis dieser epochalen Herausforderung.

Empfehlenswert ist auf jeden Fall, den Blick zu weiten und marxistischen TheoretikerInnen ebenso Aufmerksamkeit zu schenken wie indigenen AktivistInnen oder selbstorganisierten KleinbäuerInnen in aller Welt. Was etwa der 1947 geborene Linkskommunist Gilles Dauvé zum Verhältnis von Ökologie und Ökonomie zu sagen hat [7], wird im Zweifelsfall auch sehr junge KlimaaktivistInnen inspirieren, sich für die Wurzeln linksradikaler Widerständigkeit zu interessieren.


Futuristisches Bauwerk bei Nacht - Foto: © 2013 by Schattenblick

Zappenduster im fossilen Kapitalismus - RWE-Zentrale in Essen
Foto: © 2013 by Schattenblick


Hände und Köpfe grün gewaschen

Die vor mehr als einem halben Jahrhundert ausgefochtenen Kämpfe gegen Imperialismus, Kolonialismus, Patriarchat und Rassismus werfen ihren Schatten bis heute in Form ihrer anhaltenden Unterdrückung durch die Agenturen herrschender Deutungsmacht und Eigentumsordnung. Die erfolgreiche Bekämpfung jeder Idee von sozialökologischer Revolution, derer es bedarf, um der Zerstörungskraft des fossilen Kapitalismus Einhalt zu gebieten, ist ein Ergebnis der vielen Brüche linker Theoriebildung. Während klimapolitische Weichenstellungen, die den fossilen Brand mit grüner Farbenpracht illuminieren, in dem Buch unter dem Titel "False Solutions" abgehandelt werden, wird über die Behauptung, eine postfossile Gesellschaft ließe sich mit marktwirtschaftlichen Mitteln schaffen, zu wenig gesprochen.

Technologische "Klimascheinlösungen" (S. 386) in Form von CO2-Abscheidungsprojekten, des Entkoppelns von Produktion und Emission durch technische Effizienzsteigerung, von Kompensationsmechanismen wie dem Emissionshandel, die das Projekt der Dekarbonisierung als mit "Netto Null" bezifferten buchhalterischen Trick betreiben, auch nur in ihrem irreführenden Charakter zu verstehen überfordert viele Menschen. Indem ihnen erklärt wird, dass eine nachträglich noch umzukehrende Anreicherung der Atmosphäre mit klimaschädlichen Gasen möglich sei, stimmen sie klaglos der Unantastbarkeit marktwirtschaftlich regulierten Eigentums zu, selbst wenn sie dadurch stark eingeschränkt werden. Zudem bleibt das große Potential kollektiven Selbermachens und kleinbäuerlicher indigener Subsistenz auf der Strecke eines industriepolitisch geförderten und monopolkapitalistisch exklusiven Modernisierungsregimes, das in seinen destruktiven Auswirkungen zu analysieren und kritisieren desto dringlicher ist, als es mit Gewaltmitteln und Zwangslogiken durchgesetzt wird.


Polizisten mit Räumgerät im Hambacher Forst - Foto: © 2017 by Schattenblick

Räumkommando im Hambacher Forst 2017
Foto: © 2017 by Schattenblick


Zukunft des Krieges, Vergangenheit des Fossilismus

Auch deshalb ist die Leerstelle antimilitaristischer Kritik in der Klimagerechtigkeitsbewegung von so großer Bedeutung. Sie hätte schon anlässlich der Ausnahmebestimmungen für das Militär im Kyoto-Protokoll von 1997 gefüllt werden müssen, die nicht in die nationalen Emissionen eingerechnet oder überhaupt angegeben werden. Auch wenn diese Ausnahmeregeln im Pariser Abkommen 2015 nicht erneuert wurden, bleibt das Erfassen und Offenlegen der Militäremissionen für die Unterzeichnerstaaten freiwillig. Doch anstelle eine grüne Bundeswehr zu fordern, gilt zumindest beim Thema Klimagerechtigkeit, die Rolle bewaffneter Staatsgewalt bei der Durchsetzung extraktivistischer und fossilistischer Projekte in aller Welt wie der Sicherung der herrschenden Eigentumsordnung zuhause zu kritisieren.

Nationalismus, Faschismus und Militarismus sind von zentraler Bedeutung für die rücksichtslose Inwertsetzung allen Lebens und die Ideologie von der Unabdinglichkeit kapitalistischer Verwertung. Deren Akteure haben die Zukunft seit langem in der Tasche, steht sie doch zur Disposition der Produktion realer Unwerte. Sich für entfremdete Arbeit verdingen zu müssen setzt die Unterwerfung der ArbeiterInnen unter den Takt der Maschinen und den Primat zerstörerischen Wachstums von was auch immer voraus, wenn es nur die weitere Aneignung von Mehrwert ermöglicht. Die Vektoren ökonomischer Entwicklung weisen in eine Zukunft, die durch öffentliche wie private Verschuldung und den als Lohnabzug realisierten Mehrwert, mithin ihrer Vergangenheit, längst okkupiert ist. Daher verläuft die Front der Veränderung im Nirgendwo einer Ort- und Zeitlosigkeit, die all denjenigen Menschen Handlungsmacht gewährt, die nichts zu verlieren haben, also auch nicht beherrschbar sein müssen.

Klimakämpfe sind soziale Kämpfe, sie werden um Probleme sozialer Reproduktion geführt und nicht um die Deutungsmacht auf den Kommandohöhen von Staat und Kapital. Gerade in Deutschland mit seiner langen Tradition industrieller Rationalisierung und erfinderischer Ingenieurskunst kommt die soziale Konstitution gesellschaftlicher Konflikte häufig zu kurz. Ohne die Zuspitzung der Kritik an einer Fortschrittsdoktrin, die allen verheerenden Entwicklungen zuwider vom Licht am Ende des Tunnels kündet und im Omnipotenzwahn euro- und androzentrischer Wissenskulturen nicht dazu bereit ist, über die Abkehr von kapitalistischer Gesellschaftsorganisation überhaupt nachzudenken, könnten die sozialdarwinistischen Verteilungs- und Überlebenskämpfe auf jeder Ebene katastrophale Ausmaße annehmen.

Fossile Produktionsweise, kolonialistischen Extraktivismus und imperialistischen Krieg voneinander zu separieren ist nur dann möglich, wenn eine Kritik, die sich nicht nur auf der Höhe sozialer Kämpfe und politischer Herausforderungen befindet, sondern diese zur Stärkung der eigenen Position antizipiert, vermieden werden soll. Die Konvergenz der verschiedenen Kämpfe entspricht der Totalität gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse, damit werden die AktivistInnen sozialer Bewegungen in Zukunft verstärkt konfrontiert werden. Die anlässlich des Krieges in der Ukraine in Anschlag gebrachten Transformationen herrschaftlicher Gewalt waren stets absehbar, nur hat sich das Tempo ihrer Umsetzung rasant gesteigert. Das nicht ganz unabsichtlich, kommen die davon betroffenen Menschen doch um so weniger zur Besinnung und damit zum Ausgangsspunkt einer widerständigen Entwicklung, je mehr sie von der täglichen Not, den Anforderungen des Überlebens und dem Vollzug staatlicher Notstandsdekrete zu genügen, in Schach gehalten werden. Klimagerechtigkeit und Autonomie sind gerade dann zu verwirklichen, wenn die Handlungsspielräume enger werden und die Saat der Strategie, Menschen zu spalten, zu isolieren und gegeneinander aufzubringen, aufzugehen droht.


Fußnoten:

[1] https://www.konicz.info/2022/06/23/was-ist-krisenimperialismus/

[2] https://archiv.materialien.org/texte/hartmann/Krise_Innovationskrieg.html

[3] https://degrowth.info/es/blog/wir-lassen-uns-unsere-arbeit-nicht-kaputt-machen

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar725.html

[5] https://theanarchistlibrary.org/library/baedan-baedan

[6] GESCHICHTEN AUS DEM WIDERSTAND/011: Krieg der Bäume - ein Christ steht zu seinen Freunden ... Kurt Claßen im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/redaktio/report/rrgw0011.html

[7] https://www.xn--untergrund-blttle-2qb.ch/gesellschaft/oekologie/gilles-dauve-kartoffeln-gegen-wolkenkratzer-zur-oekologie-6806.html


Zelte, Fahrräder und untergehende Sonne - Foto: © 2017 by Schattenblick

Abendliches Klimacamp im Rheinischen Braunkohlerevier 2017
Foto: © 2017 by Schattenblick

7. August 2022

Zucker im Tank (Hg.)
Glitzer im Kohlestaub
Vom Kampf um Klimagerechtigkeit und Autonomie
Verlag Assoziation A, Berlin/Hamburg, 2022
416 Seiten
19,80 Euro
ISBN: 9783862414871


veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 176 vom 13. August 2022


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