Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → AMNESTY INTERNATIONAL

AFRIKA/183: Ostkongo - Kindersoldaten bekommen Chance auf ein friedliches Leben (ai journal)


amnesty journal 08/09/2010 - Das Magazin für die Menschenrechte

Das zweite Leben

Mitten im gewaltsamen Konflikt im Ostkongo gelingt es der Organisation BVES, Kindersoldaten die Chance auf ein friedliches Leben zu bieten.

Von Andrea Riethmüller


Das neue Leben beim BVES, dem "Freiwilligenbüro für Kinder und Gesundheit", beginnt für alle ehemaligen Kindersoldaten mit einer kleinen Zeremonie: sie ziehen ihre Uniformen aus und verbrennen sie - ein wichtiger erster Schritt in eine neue Identität. Der Organisation gelingt es mit ihrem Programm, jeden Monat etwa 40 Kinder aus den Milizen oder Armeeeinheiten herauszulösen.

Im Ostkongo ist kein stabiler Friede in Sicht. Trotz verschiedener Friedensabkommen und Versuche, die bewaffneten Gruppen in die Armee zu integrieren, fordert der Konflikt pro Tag etwa 1.500 Menschenleben, entweder durch direkte Gewalteinwirkung oder durch die humanitäre Krise, die er verursacht. Amnesty International geht von aktuell 6.000 Kindersoldaten in Kampfeinheiten aus. Die meisten sind zwischen zehn und 16 Jahren alt, viele sind bei ihrer Rekrutierung sogar jünger. Der Einsatz von Kindersoldaten ist nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs ein Kriegsverbrechen. Mit jeder Gruppe demobilisierter Kindersoldaten interveniert das BVES gegen diese fortdauernden Kriegsverbrechen.

Für die Mädchen und Jungen im Kinderhilfszentrum des BVES in der ostkongolesischen Stadt Bukavu ist die Rückkehr in ein ziviles Leben nicht einfach: Sie haben Schreckliches erlebt und erlitten. Sie mussten kämpfen und töten. Viele haben unter Zwang und Drogen selbst Verbrechen an der Zivilbevölkerung begangen.

Besonders schwierig sind die ersten Wochen. Meistens betreuen zwei Mitarbeiter in dieser Zeit eine Gruppe von acht bis zehn Kindern und Jugendlichen rund um die Uhr. Sie bieten ihnen Programme zur Aggressions- und Stressbewältigung. Aber auch wenn die ersten Wochen überstanden sind, ist der Weg in eine friedliche Zukunft noch lang, voller Angst und traumatisierender Erinnerungen. In die Schule zu gehen, sich in eine Klasse einzufügen, zu lernen, das alles fällt ehemaligen Kindersoldaten schwer. Nach dem Alltag im Feldlager mit brutalen nächtlichen Überfällen im Kampfverband müssen die Kinder und Jugendlichen erst lernen, in einer Wohngruppe des Zentrums Matratze an Matratze friedlich mit Gleichaltrigen zu leben, die zum Teil aus gegnerischen Kampfeinheiten demobilisiert sind oder verfeindeten Ethnien angehören.

In seinen Zentren in der Umgebung von Bukavu bietet das BVES den Kindern nicht nur Alphabetisierungskurse und Grundschulunterricht. Daneben lernen die ehemaligen Kindersoldaten grundlegende Fertigkeiten im Schreinern, im Nähen, der Ziegenzucht oder dem Gemüseanbau, um ihnen eine Perspektive zu bieten, Oft muss der Rückkehr in Familie und Heimatgemeinde aber auch ein langwieriger Versöhnungsprozess vorangehen. Sehr jung rekrutierte Kinder erinnern sich nicht an ihre Familie, andere haben Eltern und Angehörige in den Kriegswirren verloren. Daher betreuen die Mitarbeiter der Organisation sie auch während ihrer Wiedereingliederung in die Familien und Heimatgemeinden.

Das BVES arbeitet nicht nur mit den ehemaligen Kindersoldaten. In Workshops zur Menschenrechtsbildung und zu Rechten von Kindern in bewaffneten Konflikten leistet die Organisation Aufklärungsarbeit bei der Armee und den bewaffneten Gruppen der Region Süd-Kivu, die schwere Menschenrechtsverbrechen mit der Rekrutierung von Kindern begehen, leitet damit die Demobilisierung weiterer Kindersoldaten ein und wirkt der Re-Rekrutierung entgegen.

Das BVES betreibt 27 Hilfszentren und hat 18 Jahre Erfahrung in der Entwaffnung, Demobilisierung und gemeindegestützten Reintegration von Kindersoldaten. In 70 Prozent der Fälle gelingt es der Organisation, die Kinder dauerhaft in ein ziviles Leben zu integrieren - angesichts der Verhältnisse im Ostkongo eine sehr hohe Erfolgsquote.


Die Autorin ist die Länderkoordinatorin zur Demokratischen Republik Kongo der deutschen Amnesty-Sektion.

Die deutsche Amnesty-Sektion arbeitet seit 2006 mit dem BVES und fünf weiteren kongolesischen Nichtregierungsorganisationen zusammen und fördert diese auch finanziell.


*


Quelle:
amnesty journal, August/September 2010, S. 50
Herausgeber: amnesty international
Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., 53108 Bonn
Telefon: 0228/98 37 30, E-Mail: info@amnesty.de
Redaktionsanschrift: Amnesty International, Redaktion amnesty journal,
Postfach 58 01 61, 10411 Berlin, E-Mail: ai-journal@amnesty.de,
Internet: www.amnesty.de

Das amnesty journal erscheint monatlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.
Nichtmitglieder können das amnesty journal für
30 Euro pro Jahr abonnieren.


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. August 2010