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AFRIKA/198: Unkontrollierter Waffenhandel - Es geht auch anders (ai journal)


amnesty journal 08/09/2012 - Das Magazin für die Menschenrechte

Es geht auch anders

von Wolfgang Grenz



Der unkontrollierte Waffenhandel kostet in vielen afrikanischen Ländern nicht nur unzählige Opfer, sondern behindert auch eine nachhaltige Entwicklung. Ohne Nachschub wären die blutigen Auseinandersetzungen kaum möglich. Klare Regeln können dabei helfen.


Die Schrecken der Kriege und Bürgerkriege in Afrika sind vielfach beschrieben. Und immer noch kostet Waffengewalt in einigen Ländern des Kontinents unzählige Menschenleben, sind ganze Gesellschaften traumatisiert und stellen die Kriegsfolgen ein großes Entwicklungshindernis dar.

Bei dieser Beschreibung stehen zu bleiben, wäre aber doppelt falsch. Erstens sind in vielen afrikanischen Ländern ganz andere, positive Entwicklungen zu beobachten. Zweitens gilt es - wie auf anderen Kontinenten auch - Wege zu suchen, den bewaffneten Auseinandersetzungen den Boden zu entziehen.

Ein Mittel kann die Kontrolle des Waffenhandels sein. Denn Bürgerkriege haben vielfältige Ursachen, aber ohne den Nachschub an Waffen und Munition aus aller Welt wären sie kaum möglich. Besonders grausam hat uns diese einfache Wahrheit der Bürgerkrieg in Sierra Leone vor Augen geführt.

Dort starben in den Jahren 1991 bis 2001 etwa 120.000 Menschen, ein Drittel der Bevölkerung floh vor den Kämpfen. Die Milizen mordeten, vergewaltigten und verstümmelten Tausende, mehr als 5.000 Jungen und Mädchen machten sie zu Kindersoldaten. Charles Taylor, Kriegsherr und zeitweise Präsident von Liberia, lieferte im Tausch gegen Diamanten - sogenannte Blutdiamanten - Waffen in das Nachbarland. Er unterstützte die Milizen der "Revolutionären Vereinten Front" und stiftete sie zu Kriegsverbrechen an, wie der internationale Gerichtshof für Sierra Leone im Mai dieses Jahres feststellte.

Das Gericht verurteilte Taylor wegen seiner entscheidenden Rolle bei diesen Verbrechen zu 50 Jahren Haft. Ein wichtiges Signal: Auch Präsidenten müssen sich für ihre Verbrechen verantworten. Doch noch wichtiger sind vielleicht die Fragen: Hätte verhindert werden können, dass Taylor seine Verbrechen begeht? Was muss noch getan werden, um ähnlichen Verbrechen vorzubeugen? Nicht die einzige, aber eine wichtige Antwort liegt in der Kontrolle des internationalen Waffenhandels.

In Sierra Leone hielt der ständige Zufluss an Waffen, bezahlt mit Diamanten und anderen Rohstoffen, das Morden über Jahre am Laufen. Internationale Regeln, die es erlaubt hätten, den Waffenimport von vorneherein zu unterbinden, gibt es bis heute nicht. Und der Bürgerkrieg musste erst sechs Jahre wüten, bis der UNO-Sicherheitsrat endlich ein Waffenembargo über das Land verhängte.

Aber trotz Embargo flossen weiter Waffen ins Land. Gesetzeslücken erlaubten es Händlern aus den Niederlanden, Südafrika oder der Ukraine, die Geschäfte ungehindert abzuwickeln. Laxe Kontrollen machten es möglich, dass die Lieferungen über Transportunternehmen aus Hongkong, den Vereinigten Arabischen Emiraten und den USA abgewickelt wurden. Für die Zwischenhändler war es leicht, Endverbleibszertifikate zu bekommen, nach denen die Waffen angeblich für die Armeen der Nachbarländer bestimmt waren. Kontrolliert wurden diese Angaben nicht. Der Zahlungsverkehr lief ungestört über Banken in Zypern, Singapur und den USA.

Unter einem anderen schlecht umgesetzten Waffenembargo leidet die Demokratische Republik Kongo bis heute. Das ohnehin vielfach gebrochene Embargo wurde 2008 sogar gelockert. Seither kann die Regierung fast ungehindert Waffen und Munition für Armee und Polizei importieren. Das Problem: Erstens begeht auch die Armee weiterhin Verbrechen an der Zivilbevölkerung. Zweitens gibt es keine wirksamen Kontrollen, die sicherstellen, dass die Waffen auch in der Hand der Armee bleiben. Die Waffen werden meistens gar nicht so markiert und registriert, dass man ihren Verbleib überhaupt kontrollieren könnte.

Wie ein im Juni veröffentlichter Bericht von Amnesty International dokumentiert, gelangen deshalb weiterhin große Mengen Waffen und Munition an Milizen, die vor allem im Osten des Landes die Bevölkerung terrorisieren. Oft verkaufen auch hochrangige kongolesische Soldaten Material an Rebellengruppen. Teilweise an die gleichen Gruppen, die sie bekämpfen sollen. So sorgen auch legale Rüstungsimporte im Kongo dafür, dass die bewaffneten Konflikte trotz des Friedensvertrags von 2002 weiter schwelen.

Dass es auch anders geht, zeigte sich in Liberia. Nach den leidvollen Erfahrungen des Bürgerkriegs und dem erzwungenen Rücktritt Taylors 2003, lockerte die UNO das Waffenembargo gegen das Land erst 2006. Lieferungen an Polizei und Armee wurden erlaubt, aber nur unter strengen Auflagen. Die Waffen werden markiert und der Bestand streng kontrolliert, damit sie nicht in falsche Hände geraten. Mit sichtbarem Erfolg auch bei der gewöhnlichen Kriminalität: Obwohl die Hauptstadt Monrovia unter einer steigenden Kriminalitätsrate litt, sank die Zahl der bewaffneten Überfälle.

Das Beispiel zeigt: Es gibt Waffenlieferungen, gegen die aus Sicht der Menschenrechte nichts einzuwenden ist. Aber allzu oft trägt der internationale Waffenhandel zu Unterdrückung, Korruption, Tod und Elend bei. Nicht zuletzt verschlingen die Rüstungsausgaben Geld, das den Staaten bei der Armutsbekämpfung fehlt. Solche unverantwortlichen Geschäfte müssen international geächtet werden.

Eine unrealistische Utopie? Nein, eine konkrete Möglichkeit: Im Juli soll auf einer UNO-Konferenz in New York der Text eines internationalen Waffenhandelskontrollvertrags, des "Arms Trade Treaty", ausgehandelt werden. Aus Beispielen wie Sierra Leone, Liberia oder dem Kongo lässt sich ablesen, welche Elemente ein wirksames Abkommen enthalten muss: Die Lieferung von Rüstungsgütern darf nicht genehmigt werden, wenn abzusehen ist, dass damit schwere Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts begangen werden oder die Armutsbekämpfung in den Empfängerländern gefährdet wird. Zudem müssen alle Arten von konventionellen Rüstungsgütern, also Waffen ebenso wie Munition und Technik, sowie alle Arten des Transfers von dem Vertrag erfasst sein. Jede Waffenlieferung muss vorab geprüft und genehmigt werden. Illegaler Waffenhandel muss konsequent bestraft werden. Alle Staaten müssen ihre Rüstungsexporte und -importe transparent machen.

"Die afrikanischen Staaten stünden gut da, wenn sie ihre knappen Ressourcen statt für die Rehabilitierung von Opfern bewaffneter Konflikte für andere Entwicklungsprojekte ausgeben könnten." So begründete die liberianische Regierung ihre Unterstützung für einen starken "Arms Trade Treaty". Auch die EU unterstützt bisher weitgehend einen Text, der diese Elemente enthält. Andere große Waffenexporteure wie die USA, Russland und China versuchen dagegen, den Text zu verwässern.

Dass die Staaten überhaupt einen solchen Vertrag verhandeln, ist dem Druck der internationalen Zivilgesellschaft zu verdanken. Jetzt kommt es darauf an, noch einmal lautstark ein wirklich wirksames Abkommen zu fordern. Denn die Erfahrungen in Ländern wie Liberia, Sierra Leone und dem Kongo zeigen: Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass es zwar internationale Regeln für den Handel mit Bananen und Dinosaurierknochen gibt, aber nicht für den Waffenhandel.


Wolfgang Grenz ist Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland. Weitere Informationen: www.amnesty.de/haendehoch

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Quelle:
amnesty journal, August/September 2012, S. 44-45
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Oktober 2012