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GRUNDSÄTZLICHES/307: Auf halbem Weg - Kontrolle des internationalen Waffenhandels (ai journal)


amnesty journal 10/11/2012 - Das Magazin für die Menschenrechte

Auf halbem Weg

Eine UNO-Konferenz zur Kontrolle des internationalen Waffenhandels ist im Juli in New York ohne Einigung zu Ende gegangen. Doch vergeblich waren die vierwöchigen Verhandlungen nicht

von Katharina Spieß



Im Juli fand eine vierwöchige Konferenz der Vereinten Nationen in New York statt, auf der Vertreter von 193 Staaten über einen internationalen Waffenhandelskontrollvertrag (Arms Trade Treaty, ATT) verhandelten. Amnesty International setzt sich seit mehr als zwanzig Jahren dafür ein, dass der Handel mit konventionellen Waffen international kontrolliert wird, denn er tötet und verstümmelt jährlich Hunderttausende von Menschen.

Bei der Eröffnung der Konferenz am 3. Juli sagte UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon, die Weltgemeinschaft erwarte, dass die Delegierten diesen historischen Moment nutzten, um endlich einen starken und effektiven Vertrag zur Kontrolle des Handels mit konventionellen Rüstungsgütern zu vereinbaren. Dies seien die Staaten der Welt den unzähligen Opfer bewaffneter Gewalt schuldig.

Es war tatsächlich ein historischer Moment: Erstmals in der Geschichte der UNO versammelten sich die Staaten, um Regeln für den Waffenhandel zu vereinbaren. Dass es überhaupt zu diesen Gesprächen kam, war allein dem kontinuierlichen Druck der Zivilgesellschaft zu verdanken. Die Ausgangslage war komplex, denn die Teilnehmer der Konferenz vertraten zum Teil völlig gegensätzliche Positionen. Während sich die europäischen Staaten für eine strikte Kontrolle aller konventionellen Rüstungsgüter einsetzten, widersprachen andere diesem Vorhaben vehement. So forderte Ägypten, der Vertrag müsse auch ein Recht auf Waffenlieferungen enthalten. Einige Staaten wollten sicherstellen, dass vertraglich vereinbarte Waffenlieferungen auch dann erfolgen sollten, wenn sich die Lage in einem Land grundsätzlich gewandelt habe. So legitimierte Russland in den vergangenen Monaten seine Waffenlieferungen an die syrische Armee damit, dass lediglich bestehende Verträge erfüllt würden.

Staaten wie China wehrten sich gegen die sogenannte Goldene Regel, also den Grundsatz, dass keine Waffentransfers genehmigt werden dürfen, wenn die Gefahr besteht, dass damit schwere Menschenrechtsverletzungen begangen oder erleichtert werden. Außerdem sahen die chinesischen Vertreter auch keine Notwendigkeit, den Handel mit Klein- und Leichtwaffen zu kontrollieren. Die USA sprachen sich wiederum vehement dagegen aus, Munition in ein internationales Regelwerk einzubeziehen. Dabei stellen gerade die Klein- und Leichtwaffen sowie Munition die "Massenvernichtungswaffen des 21. Jahrhunderts" dar, wie der ehemalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan sie einst bezeichnete. Die afrikanischen Staaten betonten daher, dass für sie jeder Vertrag sinnlos sei, der nicht den Handel mit kleinen und leichten Waffen und mit Munition regulieren würde.

Die Repräsentanten der 193 Staaten verhandelten aber nicht allein. Auch Vertreter der Zivilgesellschaft aus der ganzen Welt waren in New York anwesend. Amnesty International war mit zahlreichen Experten vertreten, um die Diplomaten davon zu überzeugen, dass Waffenlieferungen, die zu schweren Menschenrechtsverletzungen führen können, verboten werden müssen. Die Amnesty-Experten mussten dabei große Hartnäckigkeit an den Tag legen. So gelang es erst nach vielen Nachfragen und freundlichem Bedrängen, einen Termin mit der chinesischen Delegation zu vereinbaren. Andere Diplomaten nahmen die Argumente und Vorschläge von Amnesty hingegen gerne auf.

Am Ende der Konferenz schien ein Konsens durchaus möglich. Tag und Nacht rangen die Diplomaten um Kompromisse - unterbrochen wurden die Verhandlungen nur durch das Fastenbrechen der muslimischen Vertreter während des Ramadans. Am vorletzten Tag legte der Vorsitzende der Konferenz, Botschafter Garcia Móritan aus Argentinien, schließlich einen Vertragsentwurf vor, der die wesentlichen Regeln für eine wirksame Waffenhandelskontrolle enthielt: Staaten sollten dann keine Rüstungsexporte genehmigen dürfen, wenn das überwiegende Risiko besteht, dass dies zu schweren Menschenrechtsverletzungen führt. Außerdem sollte auch der Handel mit Klein- und Leichtwaffen sowie Munition der Kontrolle unterliegen.

Am letzten Tag erklärte der Vertreter der US-Delegation jedoch, die Regierung der USA habe nicht genug Zeit, um den Text bis zum Ende der Konferenz zu prüfen und könne daher nicht zustimmen. Damit endete die Konferenz ohne Ergebnis - die Frustration im Konferenzraum war mit Händen zu greifen. UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon zeigte sich enttäuscht, dass die Verhandlungen gescheitert waren. Eine Einschätzung, die vom deutschen Außenminister Guido Westerwelle geteilt wurde. Er unterstrich, dass sich Deutschland weiterhin für einen starken ATT einsetzen werde.

Auch wenn der Vertrag im Juli nicht angenommen wurde, so besteht trotzdem eine kleine Chance, dass er noch in diesem Jahr verabschiedet wird. Am letzten Tag der Konferenz erklärten 93 Staaten, darunter Deutschland, sie wollten mit dem Entwurf des Vorsitzenden Móritan weiterarbeiten, um so schnell wie möglich einen ATT zu verabschieden. Bereits im Herbst könnte die UNO-Generalversammlung den Text mit einer Zwei-Drittel Mehrheit annehmen. Ein einstimmiges Votum wäre dann nicht mehr notwendig. Daher gilt es nun, jene Staaten, die sich für einen starken Waffenhandelskontrollvertrag eingesetzt haben, beim Wort zu nehmen. Und die Staaten, die sich gegen einen ATT wehren, zu überzeugen. Wir müssen hartnäckig bleiben und den Staaten zeigen, dass die Zivilgesellschaft sie nicht aus ihrer Verantwortung entlässt.


Die Autorin ist Expertin für Rüstung und Menschenrechte der deutschen Sektion von Amnesty International. Sie nahm an den Verhandlungen über einen internationalen Waffenhandelskontrollvertrag in New York teil.

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Quelle:
amnesty journal, Oktober/November 2012, S. 53
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2012