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EUROPA/533: Türkei - Sechs prokurdische Abgeordnete noch inhaftiert


Presseerklärung vom 14. Juni 2011

Sechs prokurdische Abgeordnete noch in türkischer Haft - Gesellschaft für bedrohte Völker fordert Freilassung


Sechs inhaftierte Politiker, die als unabhängige Kandidaten für die prokurdische Allianz für Arbeit, Freiheit und Demokratie nominiert und nun ins türkische Parlament gewählt wurden, sitzen nach Informationen der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen noch immer im Gefängnis. Die Menschenrechtsorganisation forderte am Dienstag die sofortige Freilassung der künftigen Abgeordneten, die wegen angeblicher "Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation" im Vorfeld der Wahlen eingesperrt wurden. Tatsächlich setzten sich die Politiker nach GfbV-Angaben für politische, kulturelle und nationale Rechte der kurdischen Bevölkerung in der Türkei ein. Unter den Gefangenen befindet sich der populäre kurdische Politiker Hatip Dicle aus der südanatolischen Kurden-Metropole Diyarbakir. Er errang dort mit 80.000 Stimmen den Wahlsieg.

Auch seine prokurdischen Parteifreundinnen und Freunde Selma Irmak aus Sirnak (46.000 Stimmen), Faysal Sar?y?ld?z aus Sirnak (40.000 Stimmen), Gülseren Y?ld?r?m aus Mardin (56.000 Stimmen), ?brahim Ayhan aus Urfa (77.000 Stimmen) und Kemal Akta? aus Van (65.000 Stimmen) wurden mit großer Mehrheit ins Parlament gewählt.

Um Dicle den Weg ins Parlament noch schnell zu versperren, verurteilte ihn ein Gericht drei Tage vor der Wahl am 9. Juni zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und acht Monaten. Dicle wurde zum ersten Mal 1991 ins türkische Parlament gewählt. Weil er sich jedoch für ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Türken und Kurden einsetzte, hob das Parlament 1994 die politische Immunität des Politikers und seiner Freunde auf. Im Dezember des gleichen Jahres wurden Dicle und die früheren Abgeordneten Leyla Zana, Orhan Do?an und Selim Sadak wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation und Landesverrat mit 15 Jahren Gefängnis bestraft. Aufgrund großer internationaler Solidarität wurden die Politiker jedoch nach fast zehn Jahren Haft im Juni 2004 freigelassen. Dicle erhielt politisches Betätigungsverbot und erneut im April 2010 festgenommen. Seitdem befindet er sich in Haft.

"Hatip Dicle wird bestraft, weil er sich für eine demokratische und vielfältige Türkei einsetzt, in der neben Türken auch Kurden, Assyrer-Aramäer, Armenier, Lasen, Aleviten und Yeziden frei und gleichberechtigt leben können", kritisiert der GfbV-Gründer Tilman Zülch. Bei den Wahlen am vergangenen Sonntag hat die prokurdische Allianz trotz Massenverhaftungen und Schikanen wie Kandidaturverboten einen großen Sieg errungen. Es wurden 36 prokurdische unabhängige Kandidaten ins Parlament gewählt, unter ihnen auch ein Vertreter der christlichen Minderheit der Assyrer-Aramäer. Erol Dora wird der erste assyro-aramäische Politiker sein, der je in einem türkischen Parlament saß. Er wurde von der prokurdischen Partei BDP nominiert und von der kurdischen muslimischen Bevölkerung in der Provinz Mardin unterstützt, für ihn votierten etwa 53.000 Wahlberechtigte.


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 14. Juni 2011
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
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E-Mail: presse@gfbv.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2011