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EUROPA/639: Wolfskinder - Letzte Chance auf Wiedergutmachung


Gesellschaft für bedrohte Völker - Pressemitteilung vom 19. Dezember 2017

Frist endet am 31.12.2017: Letzte Chance für Wolfskinder auf Wiedergutmachung und offizielle Anerkennung ihres besonders schweren Schicksals


Göttingen, den 19.12.2017 Noch nicht alle ostpreußischen Wolfskinder haben sich dazu durchringen können, einen Antrag auf Anerkennung ihres schweren Schicksals zu stellen, fürchtet die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). "Wir möchten die Betroffenen dazu ermutigen, sich unbedingt vor Ablauf der Frist am 31.12.2017 zu melden, so wie Leni K. aus der Seestadt Pillau", sagt die GfbV-Referentin Jasna Causevic. Leni K. hatte sich schwergetan mit ihrem Antrag. "Das Ganze wühlt doch sehr in meinem Innern", erzählt die 85-Jährige. "Aber nun habe ich die Papiere eingereicht. So kurz vor Weihnachten muss ich immer mit meinen Erinnerungen kämpfen. Heiligabend 1946 habe ich mir mit meinem Vater und meinen vier jüngeren Geschwistern die letzte Scheibe Brot geteilt. Fünf Wochen später waren sie alle tot, verhungert. Ich habe immer gedacht, dass ich auch bald sterben werde."

Doch Leni K. hat überlebt und eine furchtbare Zeit durchstehen müssen. Sie sagt: "In Ostpreußen musste ich nach dem Krieg Leichen aus den Wäldern ziehen und sie in Bombentrichtern und Schützengräben verscharren. In Königsberg hatten wir die Keller von eingestürzten Häusern freizulegen und Möbel und Teppiche für den Abtransport in die Sowjetunion zusammenzutragen. Später in Litauen habe ich Vieh gehütet und für die Bauern Holz gehackt. ... Vom deutschen Staat habe ich bis heute nichts bekommen, nicht ein einziges Paar Strümpfe. ... Wenn es mit der Entschädigung klappt, werde ich noch mal nach Eckernförde fahren. Dort treffen sich jeden Sommer die Pillauer und ihre Nachfahren. Ich mag die Ostsee. In dieses Meer soll eines Tages meine Asche gestreut werden."

Viele Wolfskinder hatten nach der Eroberung Königsbergs durch die Rote Armee 1945 ihre Eltern durch Mord, Vergewaltigung und Verschleppung verloren. Mehr als 100.000 Menschen starben an Seuchen oder verhungerten. Leni K. pendelte zwischen Königsberg und Litauen, wurde 1948 wie alle Deutschen aus Ostpreußen ausgewiesen und fand im Rheinland ihre zwei ältesten Schwestern wieder, die vor Kriegsende rechtzeitig geflüchtet waren. Leni K. lebt heute in Mönchengladbach.

Die GfbV setzt sich seit Jahren dafür ein, dass die Wolfskinder entschädigt werden. Darauf können die Betroffenen jetzt hoffen, aber sie müssen glaubhaft machen, dass sie zur Arbeit gezwungen wurden, so wie Leni K.. Die GfbV empfiehlt den noch Zögernden, vor Jahresende einen Brief an das Bundesverwaltungsamt, Außenstelle Hamm, Alter Uentroper Weg 2 in 59071 Hamm zu senden mit dem Text: "Hiermit beantrage ich eine Anerkennungsleistung für ehemalige deutsche Zwangsarbeiter. Die notwendigen Papiere reiche ich nach." In Deutschland gibt es noch einige Tausend Wolfskinder und ehemalige Kinderhausinsassen. In Litauen und im Königsberger Gebiet leben nur noch wenige.

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Quelle:
Pressemitteilung vom 19. Dezember 2017
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Dezember 2017

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