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MUMIA/919: Mike Africa in Freiheit (Mumia Abu-Jamal)


Kolumne 930
Mike Africa in Freiheit

Von Mumia Abu-Jamal, November 2018


Es ist unfassbare 40 Jahre her, dass Mike Africa, damals 23 Jahre altes Mitglied der Move-Organisation in Philadelphia, sich frei in den Straßen seiner Stadt bewegen konnte. Es folgten Jahrzehnte der Haft als politischer Gefangener nach dem Überfall einer schwerbewaffneten Polizeiarmee im Sommer 1978 auf das Move-Gemeinschaftshaus in Powelton Village in Philadelphia.

Nun ist Mike zurück in seinem Viertel! Mit einer schlichten Nachricht unter dem Hashtag »freethemove9« gab sein Sohn Mike Africa jun. der Welt bekannt: »Endlich frei! Am 8. August 1978 wurde mir mein Vater weggenommen. Erst am 23. Oktober 2018 habe ich ihn zurückbekommen.« Mike senior ist das zweite Mitglied der Gefangenengruppe »Move 9«, das auf Bewährung entlassen wurde. Seine Frau Debbie Africa war die erste, die im Juni freikam. »Es ist irgendwie surreal, dass ich jetzt mit meinem Sohn und seiner Familie auf der Veranda sitzen kann und auch meine Frau hier ist«, sagte Mike Africa sen. kurz nach seiner Heimkehr zu einem Reporter von Telesur. »Vor ein paar Stunden saß ich noch in einer Gefängniszelle. Nun versuche ich, das alles zu begreifen und mich zu orientieren.«

Mike Africa war immer schon als passionierter Läufer bekannt. Bereits als er im »Old Holmesburg«, dem Bezirksgefängnis von Philadelphia, in Untersuchungshaft saß, joggte er beim Hofgang wie ein flinker Hirsch am Rand des Freigeländes entlang. Er ist ein ruhiger, ernsthafter Mann, der während der Haft ganz besonderen Repressalien ausgesetzt war. Licht in diese dunklen Zeiten brachten seine Frau Debbie und ihre beiden Kinder Whit und Mike jun., die ihn inzwischen auch zum Großvater machten.

Was Move am 8. August 1978 an Unrecht geschah, wurde im Prozess gegen die »Move 9« noch übertroffen. Richter Edwin Malmed lynchte sie juristisch, indem er sie wegen gemeinschaftlichen Totschlags an einem Polizisten zu 30 bis 100 Jahren Gefängnis verurteilte. Einer der am Überfall auf das Move-Haus beteiligten Cops war unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommen. Im Radiosender WWDB-FM antwortete Malmed nach dem Prozess auf meine telefonisch an ihn gerichtete Frage, wer den Polizisten getötet habe: »Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«

Nur sieben der »Move 9« haben überlebt. Merle und Phil Africa starben in der Haft. Fünf warten immer noch auf ihre Entlassung auf Bewährung, wofür sie die Bedingungen seit zehn Jahren erfüllt haben. Sie sind nicht anders als Debbie und Mike. Warum wird ihnen ihre Entlassung auf Bewährung immer noch verweigert?

1976 arbeitete ich als Reporter für den Sender What Radio. Ich lud die Leute von Move zu mir in den Sender ein, um ein paar Interviews mit ihnen vorzubereiten. Kurz darauf erschienen vier oder fünf Männer von Move in der Redaktion, und als ich einen Blick auf den Parkplatz warf, war ich überrascht, dort keinen Kombi oder Bus von ihnen zu sehen. Als ich die Brüder fragte, wo sie geparkt hätten, brachen sie in Gelächter aus. Als ich sie verdutzt fragte, warum sie denn lachten, antwortete einer von ihnen, sie seien halt nicht zum Sender gefahren, sondern gerannt. Ich staunte, denn von ihrem alten Haus und Hauptquartier in Powelton Village bis zum Sender waren es immerhin einige Kilometer!

Vor seiner Verhaftung war Mike auch ein sehr engagierter Musikstudent, und über viele Jahre war die Gitarre sein Lieblingsinstrument. Entsprechend hatte er bei mir im Sender nur eins im Sinn, als er mich fragte: »Sag mal, Alter, welche Musik ist denn bei euch gerade angesagt?« Das ist lange her, aber an Mikes Liebe zur Musik erinnere ich mich noch sehr gut. Jetzt kann er wieder Musik aus der ganzen Welt hören - Mike Africa sen. ist endlich frei!


Copyright: Mumia Abu-Jamal
mit freundlicher Genehmigung des Autors

Übersetzung: Jürgen Heiser
Erstveröffentlicht in "junge Welt" Nr. 257 vom 5. November 2018

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Quelle:
Der Beitrag entstammt der Website www.freedom-now.de
mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Heiser
Internationales Verteidigungskomitee (IVK)
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E-Mail: ivk(at)freedom-now(dot)de
Internet: www.freedom-now.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. November 2018

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