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ASIEN/022: Indiens Nationales Nahrungssicherungsgesetz - die Perspektiven (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 3/2010
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Indiens Nationales Nahrungssicherungsgesetz: Perspektiven und Herausforderungen

Von Suman Suman


Angesichts der steigenden Nahrungsmittelpreise, des großen Ausmaßes an Unterernährung insbesondere bei Kindern und Frauen und der Zunahme von Hunger und Ungleichheit hatte die indische Regierung einen Prozess zur Implementierung des Nationalen Nahrungssicherungsgesetzes National Food Security Act (NFSA) gestartet.


FIAN Indien begrüßt das geplante Nahrungssicherungsgesetz. Die Gewährleistung von angemessener und nährstoffreicher Nahrung ist von grundlegender Bedeutung für die Ausübung aller anderen Rechte. Die Ernährungssicherung gesetzlich zu verankern entspricht den Verpflichtungen aus der von Indien ratifizierten Menschenrechtsgesetzgebung.

Das im Gesetz vorgesehene staatliche Verteilungssystem Public Distribution System (PDS) wird Familien unterhalb der Armutsgrenze einen sicheren Zugang zu erschwinglichem Getreide ermöglichen. Solche Maßnahmen sind dringend erforderlich, zumal nach einer kürzlich veröffentlichten UNDP-Studie die Zahl der Armen in Indien mit 645 Millionen beziffert worden ist.

Leider hat die Regierung den Umfang des Gesetzes ausschließlich auf das staatliche Verteilungssystem beschränkt. Die Umsetzung des Rechts auf Nahrung kann jedoch nicht allein durch ein staatliches Nahrungsmittelverteilungssystem erreicht werden, ohne erneute Abhängigkeit zu schaffen. Ernährungssicherheit kann nicht getrennt von den Fragen der Existenzgrundlage, des Rechts auf Zugang zu natürlichen Ressourcen, zu angemessenem Lohn und zu gerechter Bezahlung betrachtet werden. Die indische Regierung muss das Nahrungssicherungsgesetz für einen breiteren Ansatz für die Nahrungssicherheit nutzen. Daher muss das Gesetz auch die Achtung und den Schutz von produktiven Ressourcen sowie die Verringerung der Anzahl an Haushalten unterhalb der Armutsgrenze mit einbeziehen. Die Regierung muss allen Menschen das Recht auf Nahrung und zugehörige Rechte gewährleisten und ihnen einen wirksamen Zugang zu zeitnahen und dezentralen Anspruchs- und Einspruchsmechanismen geben, welche die Umsetzung dieser Rechte garantieren können.

Der Zugang zu Land, Wasser, Wäldern und Saatgut muss explizit garantiert werden. Zudem muss das Gesetz ein striktes Verbot gegen die Vertreibung von Bäuerinnen und Bauern und gegen den Erwerb von landwirtschaftlichen Nutzflächen für nicht-landwirtschaftliche Zwecke umfassen.

Trotz der Existenz von Mindestlöhnen zahlen die Unternehmen den Arbeiterinnen und Arbeitern weitaus weniger als für eine ausgewogene und nährstoffreiche Ernährung einer Einzelperson erforderlich ist. Die Regierung muss Mindestlohngesetze festlegen sowie gewährleisten, dass diese in allen Sektoren konsequent umgesetzt werden.

Die Unterscheidung zwischen Haushalten oberhalb und unterhalb der Armutsgrenze muss auf einer rationalen Definition von Armut basieren. Die Regierung muss die Armutsgrenze oberhalb des Betrags ansetzen, der für die Beschaffung von Nahrung für einen Haushalt erforderlich ist, und die Armutsgrenze muss regional unterschiedlich definiert werden (1). Wenn eine realistische Armutsgrenze umgesetzt ist, muss die Regierung Maßnahmen ergreifen, um die Zahl der Haushalte unterhalb der Armutsgrenze reduzieren zu können. Zu diesem Zweck muss das Nahrungssicherungsgesetz Maßnahmen umfassen, die sicherstellen, dass Einnahmen aus dem staatlichen Verteilungssystem in Einkommen für indische Familien und nicht für große Getreideproduzenten umgewandelt wird. Das Nahrungssicherungsgesetz muss festlegen, dass die zu verteilenden Nahrungsmittel lokal angebaut werden, um das gesamte Landwirtschaftssystem zu fördern und Einkommen für die Bäuerinnen und Bauern zu generieren, so dass diesen ein Leben oberhalb der Armutsgrenze ermöglicht wird.

Ein Bericht der Planungskommission aus dem Jahr 2005 hat aufgezeigt, dass 58 Prozent des subventionierten Getreides aus dem staatlichen Verteilungssystem nie die armen Haushalte erreicht hat. Daher sind wirksame Maßnahmen zur Durchsetzung entscheidend für den Erfolg des Gesetzes. Die Umsetzung muss von unabhängigen Organisationen überwacht werden, darunter insbesondere die Panchayati Raj-Institutionen (gewählte Vertretungen auf lokaler Ebene), NRO und die Zivilgesellschaft.


Suman Suman ist Menschenrechtsaktivistin und Mitglied des nationalen Exekutivrats bei FIAN Indien.


Anmerkung:
(1) Die Berechnung der Nahrungsmittelausgaben eines Haushalts kann anhand der Preise für Nahrungsmittel erfolgen, wie sie vom indischen Ministerium für Verbraucherangelegenheiten veröffentlicht werden.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 3/2010, November 2010, S. 14
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2011