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GRUNDSÄTZLICHES/054: Positionspapier - Das Recht auf Nahrung und das Agribusiness (FoodFirst)


FoodFirst Ausgabe 2/2012
FIAN Deutschland - Mitgliedermagazin für das Menschenrecht auf Nahrung

FIAN verabschiedet Positionspapier: das Recht auf Nahrung und das Agribusiness



Auf der Jahresmitgliederversammlung im Mai in Kassel verabschiedete FIAN ein Positionspapier zum Agribusiness. Große transnationale Konzerne aus dem Bereich Landwirtschaft und Ernährung haben einen wachsenden Einfluss auf das globale Ernährungssystem. Immer häufiger sind sie in Menschenrechtsverletzungen - insbesondere des Rechts auf Nahrung - verwickelt. Im neuen Positionspapier werden Vorgehensweisen und Instrumente gegen die Marktmacht der großen Agrarkonzerne und Ernährungsindustrie entwickelt. Im Folgenden finden Sie einen Auszug aus dem Positionspapier.


FIAN setzt sich seit über 25 Jahren für die Durchsetzung des Menschenrechts auf Nahrung ein, wie es im Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte beschrieben ist. In unserer täglichen Arbeit beobachten wir, dass Wirtschaftsakteure, vor allem große nationale und transnationale Konzerne aus dem Bereich Landwirtschaft und Ernährung (Agribusiness) einen wachsenden Einfluss auf das globale Ernährungssystem haben und immer häufiger in Menschenrechtsverletzungen - insbesondere des Rechts auf Nahrung - verwickelt sind. Die Ausbreitung des Agribusiness zerstört in vielen Ländern lokale Ernährungssysteme, verdrängt (klein-)bäuerliche Betriebe und entsiedelt regelrecht ländliche Gebiete.

Die wachsende Machtkonzentration im Bereich des Agribusiness und dessen Versuch, die Nahrungsmittelversorgung weltweit zu kontrollieren, stellt nicht nur eine Bedrohung für die sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte sondern auch für die politischen und bürgerlichen Menschenrechte dar. Diese Beobachtungen gebieten es, diese Akteure stärker in den Blick zu nehmen, um unserem Mandat, der "Durchsetzung des Menschenrechts auf Nahrung und vor allem des Rechts sich selbst zu ernähren (...)" gerecht zu werden.

Uns geht es nicht nur um die Verantwortung von Unternehmen, sondern insbesondere um die Staatenpflicht, das Agribusiness zuhause und extraterritorial zu regulieren und einen günstigen internationalen Rahmen zu schaffen für die universelle Gewährleistung des Rechts sich zu ernähren. (...) Für FIAN Deutschland sehen wir eine besondere Verantwortung und erhöhte Einflussmöglichkeit bei der Auseinandersetzung mit deutschen Unternehmen und der deutschen Regierung.


Wie verstößt das Agribusiness gegen das Recht auf Nahrung?

Verstöße von Unternehmen gegen das Recht auf Nahrung können in vielen Bereichen auftreten. Verletzt wird insbesondere das Menschenrecht auf Nahrung von marginalisierten Gruppen, wie KleinbäuerInnen, Indigenen, PastoralistInnen, FischerInnen, LandarbeiterInnen, KleinhändlerInnen - unter ihnen besonders Frauen und Kinder.

Ein Beispiel ist die Tortilla-Krise in Mexiko 2007. Der stark monopolisierte Maishandel hatte Mais aus spekulativen Gründen zurückgehalten. Darauf folgten drastische Preisanstiege und zehntausende Menschen konnten nicht mehr ausreichend Mais für die eigene Ernährung kaufen. Der von Konzernen forcierte exzessive Einsatz von gefährlichen Agrargiften (Pestizide, Herbizide) und Gentechnik ist ein weiteres Beispiel. Dies führt in zum Beispiel in Paraguay zur Verschmutzung von Trinkwasser, Kontaminierung der Feldfrüchte anliegender Bauerngemeinden und hoher Säuglingssterblichkeit. Durch die Ausweitung meist geistiger Eigentumsansprüche des Agribusiness wird die freie Verfügung von Saatgut stark eingeschränkt und die Ernährungssouveränität gefährdet. Das Aneignen großer Agrarflächen (Land Grabbing) durch das Agribusiness führt in vielen Fällen zu Landkonflikten, Vertreibungen und letztendlich zu einer hohen Landkonzentration, eine Kernursache für Hunger und Armut. Ein zentraler Grund ist die aggressive Expansion des Anbaus von Energiepflanzen (Agrartreibstoffen), Futtermitteln und Industrierohstoffen, angetrieben durch die Konsummuster in den Industrienationen. Die industrielle Landwirtschaft ist ein zentraler Verursacher des Klimawandels, dessen Auswirkungen wiederum besonders KleinbäuerInnen und PastoralistInnen zu spüren bekommen. Auf Plantagen und in der Verarbeitungsindustrie werden ArbeiterInnenrechte missachtet (z.B. Sklavenarbeit in Brasilien). Das Agribusiness ist die Hauptursache für den Verlust der Artenvielfalt und der Bodenfurchtbarkeit - und damit der Ernährungsgrundlage der Zukunft. Großhändler können durch ihre Marktmacht Preise soweit drücken, dass BäuerInnen verelenden. Auch durch die Expansion von Supermarktketten oder Agrardumping können tausende von KleinhändlerInnen und BäuerInnen ihren Lebensunterhalt verlieren und damit nicht mehr ausreichend Nahrung kaufen.


Der menschenrechtliche Rahmen

Staaten müssen das Menschenrecht auf Nahrung respektieren, schützen und gewährleisten. Staaten müssen daher sicherstellen, dass sie durch ihre Unterstützung des Agribusiness das Recht auf Nahrung nicht verletzen (Respektpflicht) und dass Agribusiness-Unternehmen nicht gegen die Menschenrechte verstoßen (Schutzpflicht).

Dies beinhaltet die Rechenschaftslegung zum Beispiel bei der Förderung von Unternehmen, die Kontrolle und Regulierung von Unternehmen, sowie die Bereitstellung effektiver Rechtsmittel für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen. (...) Die Gewährleistungspflicht des Staates verlangt daher die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für (...) von Hunger bedrohten und betroffenen Gruppen. Anstelle der Förderung des Agribusiness sollte daher vielmehr eine kleinbäuerliche, nachhaltige Landwirtschaft gefördert werden, durch die diese Gruppen sich selbst ernähren können.

Diese Pflichten hören nicht an der Staatsgrenze auf. Im Rahmen ihrer extraterritorialen Staatenpflichten müssen alle Staaten dort, wo sie Einfluss auf die Durchsetzung des Rechts auf Nahrung haben, diesen Einfluss geltend machen und die genannten Maßnahmen auch über die Landesgrenze hinweg und sogar global ergreifen.

Auch private Unternehmen sind im Mindesten verpflichtet, die Menschenrechte zu respektieren. Verletzungen dieser Pflicht bezeichnen wir als Menschenrechtsverstöße (im Unterschied zu den Menschenrechtsverletzungen des Staates).

Menschenrechtspflichten verlangen vom Staat, dass er vorsorglich handelt, um mögliche Menschenrechtsverstöße durch Unternehmen zu verhindern. Er darf Schutzmaßnahmen auch nicht mit der Begründung unterlassen, dass es noch keine endgültige Sicherheit über menschenrechtsrelevante Auswirkungen unternehmerischen Handelns gibt. Eine reale Gefahr ist ein ausreichender Handlungsgrund. Dieses Menschenrechtsprinzip ist im Sektor Agribusiness besonders wichtig. Unsere Erfahrung zeigt, dass Unternehmen wie Regierungen jegliche Mittel und Wege nutzen, um Beweissicherungen und Gerichtsverfahren zu verzögern. Eine Identifikation von Verantwortlichen wird wegen komplexer wirtschaftlicher Verflechtungen und geringer Transparenz oft erschwert. Dem gegenüber besteht für die betroffenen oder bedrohten Gruppen, wie Kleinbauernfamilien, meist akuter Handlungsbedarf. Entstandene Schäden können in den meisten Fällen nicht rückgängig gemacht werden.

(...) FIAN Deutschland setzt sich für eine effektive Regulierung von Unternehmen im Bereich Agrar- und Ernährungsindustrie ein. Die Rolle deutscher und europäischer Unternehmen im Globalen Süden sowie deren Unterstützung durch die hiesige Politik wird mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Wir dokumentieren entsprechende Verletzungen der Schutz- und Gewährleistungspflichten von Staaten mit besonderem Fokus auf Deutschland (inklusive dessen Rolle in der EU und multilateralen Organisationen), sowie Verstöße gegen das Recht auf Nahrung durch das Agribusiness. Zusammen mit den Betroffen dokumentieren wir solche Fälle, machen dies öffentlich und unterstützen Betroffenen dabei, ihre Rechte durchzusetzen. Die extraterritorialen Staatenpflichten (insbesondere die Maastrichter Grundsätze) sind dabei ein wichtiger handlungsleitender Rahmen.


Die vollständige Version finden Sie auf www.fian.de

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Quelle:
FoodFirst - FIAN Deutschland - Mitgliedermagazin für
das Menschenrecht auf Nahrung, Ausgabe 2/2012, Seite 6-7
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedelerstraße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/7020072, Fax 0221/7020032
E-Mail: fian@fian.de
Internet: www.fian.de
 
Erscheinungsweise 4 Ausgaben/Jahr
Einzelpreis: 4,50 Euro
Abonnement: 15,- Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2012