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STANDPUNKT/024: Friedensgrüße statt Kriegstrommeln (Sabine Schiffer)


Friedensgrüße statt Kriegstrommeln
Wenn die Menschen nicht mitspielen beim Kriegsgeheul ihrer Vertreter

Rede von Sabine Schiffer beim Ostermarschauftakt in Erlangen am 7. April 2012



Alle reden vom Irankrieg. Seit über 15 Jahren wird die Warnung davor, dass der Iran in wenigen Monaten über die Atombombe verfügen würde, durch die Medien gejagt - mal mit weniger, mal mit mehr Vehemenz. Nun scheint es einigen zu bunt geworden zu sein und israelische und iranische Bürger, denen die bellizistische Rhetorik ihrer Staatsführer zu bedrohlich erschien, setzten ein Zeichen dagegen. Ein Zeichen gegen den Krieg, ja mehr noch, ein Zeichen für die Liebe und den gegenseitigen Respekt.

Wer hätte das gedacht? Bahnt sich da etwa eine transnationale Facebook-Revolution an? Via social networks hat der israelische Designer Ronny Edry die Initiative "Iranians, we love you - we will never bomb your country" gestartet. Er gab alles dafür, seine Frau und sein Kind posierten für die Poster. Und prompt kam die Reaktion aus dem Osten. Iraner eröffneten die Facebook-Seite "Iran loves Israel" und sendeten per Youtube-Video ihre Friedensbotschaften zurück, wobei sie eine mögliche Verfolgung im eigenen Land in Kauf nahmen. Niemand verbarg sein Gesicht, versuchte seine Identität zu verschleiern. Man setzt sich über die üblichen Grenzziehungen und Angstszenarien hinweg. Großartig!

Dies ist ein anschauliches Beispiel für das, was Herrmann Göring bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen bedauerte und wofür er das Mittel der Propaganda lobte:

"Natürlich wollen die einfachen Leute keinen Krieg: Weder in Rußland noch in England und auch nicht in Deutschland. Das ist klar. Aber schließlich sind es die Führer des Landes, die die Politik bestimmen und es ist immer eine einfache Sache, die Leute mitzuziehen, ob in Demokratie oder faschistischer Diktatur oder einem Parlament oder kommunistischer Diktatur. Stimme oder nicht, die Leute können immer dazu gebracht werden, den Wünschen ihrer Führer zu folgen. Das ist einfach. Alles, was Sie tun müssen, ist, ihnen zu sagen, daß sie angegriffen werden und die Kriegsgegner dafür zu denunzieren, daß ihnen Patriotismus fehlt und sie das Land einer Gefahr aussetzen. Es funktioniert in jedem Land gleichermaßen."(1)

Vielleicht bieten die neuen Medien tatsächlich mehr Möglichkeiten, den Teufelskreis erfolgreicher Kriegs-PR zu durchbrechen?! Wir dürfen gespannt sein. Wobei bei aller Rhetorik gar nicht klar ersichtlich ist, ob "der Westen" wirklich im Iran oder auch in Syrien ein neues Kriegsfass aufmachen will. Hier erscheinen mir einige unserer Medien etwas vorlaut. Fakt ist, dass die geostrategischen Interessen in der Region des Mittleren Ostens intensiver werden. Angesichts von Rohstoffverknappung und mehr Migration ist man bereit, für deren Durchsetzung noch massiver aufzutreten. Die Aufstockung von Rüstungsexport, Bundeswehretat und NATO sprechen eine deutliche Sprache. Nicht Verhandlungen fairer Preise für Rohstoffe und Fertigwaren stehen auf dem Programm, sondern Kontrolle und Unterdrückung. Allerdings ist auch etlichen Strategen klar geworden, dass Krieg vielleicht gar nicht das probate Mittel zur Erreichung dieser Ziele ist, wie u.a. die Eskalation und das vielfache Leiden in Afghanistan zeigt. Es gibt freilich noch andere Mittel und Wege zu Dominanz und seltenen Erden... Dabei kann man am Beispiel Afghanistans gut sehen, was auf uns zukommt: Redet man vor dem Krieg nicht mit den Gegnern, muss man es eben nach dem Krieg tun - das gleiche Ergebnis also, nur mit vielen zerstörten Leben hüben wie drüben auf dem künstlich verlängerten Weg.

Dass es nun bei der gesamten Rhetorik um einen Angriff auf Iran mitnichten um Hilfe für Israel geht, sondern das kleine Land notfalls auf dem Altar der Geschichte geopfert wird, wird angesichts der "höheren Ziele", die in Strategiepapieren von PNAC (Project for a New American Century) bis zum besagten Konzept des Greater Middle East formuliert sind, deutlich. Umso dringlicher erscheint da eine langjährige Kampagne wie die Gideon Spiros, der einen atom- und chemiewaffenfreien Nahen Osten fordert. Dies würde bedeuten, dass auch Deutschland keine Waffen mehr in die Region liefert - und wir überhaupt mehr über den Zusammenhang zwischen Waffenproduktion und deren Gebrauch nachdenken.

Statt Warenembargos bräuchten wir also Waffenembargos!

Dass sich einige Israelis von der Verteidigungs- und Loyalitätsrhetorik nicht mehr blenden lassen, ist umso besser. Man kann nur hoffen, dass dies anderen Menschen ebenso gelingt, in Afrika, Sri Lanka, auf dem Balkan und anderswo, wo Menschengruppen gezielt gegeneinander aufgebracht wurden, um Einmischung und Kontrolle zu erzielen.

Für die Friedensbewegung steht beim Handeln im Kleinen also immer das Große und Ganze mit auf dem Programm. Fairer Handel und dezentrale Energiegewinnung ohne neokoloniale Strukturen, wie sie sich bei einem Großprojekt wie Desertec schon wieder abzeichnen, gehören damit ebenso zum friedenspolitischen Engagement wie das Anprangern von Rüstungsforschung und die Rekrutierung unserer Kinder als Kanonenfutter in den Schulen. Natürlich arbeitet auch die Bundeswehr mit PR und versucht aktuell mittels Loyalität fürs Soldatenschicksal für den Krieg zu werben. Das sich Mischen unter die Jobbörsen an den Bildungseinrichtungen suggeriert zudem, dass das Töten ein ganz normaler Beruf sei. Können wir es zulassen, dass der Ausruf des Entsetzens von 1945 "Nie wieder Krieg!" zum Auslaufmodell werden soll?

Junge Rekruten sagen mir, dass sie es für legitim erachten, dass sie für die Sicherung von Rohstoffen und deren Transportwegen in sog. Auslandseinsätze geschickt werden. Viele finden es o.k., zur Sicherung eines unnatürlichen Wohlstands für wenige hierzulande und auf Kosten der Mehrheit der Menschen hier wie anderswo auf der Welt auch das Mittel der Gewalt einzusetzen - eine Gewalt, die sie hinter dem Begriff "Sicherheit" kaum noch zu erkennen vermögen.

Wie viele Firmen sind inzwischen bereit, für den Schutz ihrer Patente Gewalt anzuwenden?

Und wie viele Menschen sind inzwischen bereit, für ihre vermeintliche Sicherheit den Einsatz von Gewalt und Kontrolle zu tolerieren?

Dabei stehen auch sie auf der Liste derjenigen, die die Zeche für die Aufrüstung zu zahlen haben - mit weniger sozialer Sicherung, weniger Bildung und mehr Arbeit für weniger Auskommen.

Solange wir aber auf ein ominöses Wirtschaftswachstum setzen, das nicht das existenzielle Gemeinwohl aller verfolgt, wird die Gewalt als zwanghafter Begleiter von Ausbeute und Konsum, welche manche mit Wohlstand oder gar Glück verwechseln, weiter seine Opfer fordern. Und Gewalt und Unterdrückung stärken bekanntlich die radikalen Kräfte, die dann wiederum den Vorwand für noch mehr Gewalt und Kontrolle liefern können.

Traditionell an Ostern wird dieser Zusammenhänge gedacht, aber Friedensgrüße statt Kriegsgetrommel - wie es uns Israelis und Iraner derzeit vormachen - sind jederzeit eine Option für die Mehrheit der Menschen, die wissen, dass sich Ungerechtigkeit und künstliche Hierarchien langfristig nicht halten werden.


Anmerkung: (1)‍ ‍"Nun, natürlich, das Volk will keinen Krieg. Warum sollte auch irgendein armer Landarbeiter im Krieg sein Leben aufs Spiel setzen wollen, wenn das Beste ist, was er dabei herausholen kann, daß er mit heilen Knochen zurückkommt? Natürlich, das einfache Volk will keinen Krieg; weder in Rußland, noch in England, noch in Amerika, und ebenso wenig in Deutschland. Das ist klar. Aber schließlich sind es die Führer eines Landes, die die Politik bestimmen, und es ist immer leicht, das Volk zum Mitmachen zu bringen, ob es sich nun um eine Demokratie, eine faschistische Diktatur, um ein Parlament oder eine kommunistische Diktatur handelt. (...) Das Volk kann mit oder ohne Stimmrecht immer dazu gebracht werden, den Befehlen der Führer zu folgen. Das ist ganz einfach. Man braucht nichts zu tun, als dem Volk zu sagen, es würde angegriffen, und den Pazifisten ihren Mangel an Patriotismus vorzuwerfen und zu behaupten, sie brächten das Land in Gefahr. Diese Methode funktioniert in jedem Land." (Hermann Göring, 18. April 1946, Nürnberg, abends in seiner Zelle; vgl. G.M. Gilbert, "Nürnberger Tagebuch", Fischer Frankfurt a. M., 1962, S. 270.)

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Quelle:
© 2012 by Dr. Sabine Schiffer
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Mit freundlicher Genehmigung der Autorin


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. April 2012