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STANDPUNKT/412: Abschottung, Tod und Angst dürfen keine "Europäische Lösung" sein (borderline europe e.V.)


borderline europe e.V. - Presseerklärung vom 9. Januar 2020

Gemeinsames Statement zum Migrationspolitischen Forum

Abschottung, Tod und Angst dürfen keine "Europäische Lösung" sein


Am Donnerstag, den 09. Januar 2020, kommen beim Migrationspolitischen Forum (MPF) Akteur*innen aus Politik, Behörden und Wissenschaft zusammen. Unter dem Titel "Agenturen (Frontex / EASO) als Rückgrat einer 'Europäischen Lösung'" lädt der Direktor des MPF, Daniel Thym, in die Landesvertretung Baden-Württemberg beim Bund. Im Kern geht es bei dem Forum um die beiden europäischen Institutionen, die bei der Ankunft Asylsuchender an den EU-Außengrenzen eine immer mächtigere Rolle spielen.

Anfang Dezember 2019 trat die vom Europäischen Rat und Parlament im Vormonat beschlossene Verordnung zur Reform von Frontex in Kraft. Das Mandat wurde bedeutend erweitert und der Grenzschutzagentur rechtliche, administrative und fi nanzielle Autonomie verliehen. So ist Frontex nun für alle Rückkehr-Aspekte sowie die technische und operative Unterstützung der Mitgliedsstaaten verantwortlich. Vage Kontrollmechanismen, unklare Zuständigkeiten sowie Immunität verleihende Abkommen mit einzelnen Ländern verhindern, dass Beamt*innen für Verstöße und Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Zahl der von Frontex Angestellten und von den Mitgliedsstaaten entsandten Beamt*innen wird von 5.000 in 2021 auf 10.000 bis 2027 erhöht. Auch fi nanziell wird aufgestockt: der Budgetrahmen von 333 Millionen Euro im Jahr 2019 wird im Zeitraum 2021 bis 2027 auf 11,3 Milliarden Euro für die Agentur ausgeweitet.

In der europäischen Migrationspolitik dominiert das Ziel der größtmöglichen Kontrolle über Migrationsbewegungen. Der Begriff "Migration Management" ist zentral geworden für die Idee der Massenabfertigung Schutzsuchender in isolierten Zentren an den Rändern der EU, ohne die Möglichkeit, solidarische und unabhängige Unterstützung zu erfahren. Dass etwa ein Drittel der negativen Asylbescheide des BAMFs nach rechtlichem Einspruch korrigiert werden müssen, zeigt: Die Ökonomisierung der Asylprüfung droht den internationalen Schutz auszuhöhlen und nimmt es in Kauf, Menschen zu deportieren und ihr Leben in Gefahr zu bringen.

EASO, das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen, das, wie Frontex, hier als "Rückgrat einer europäischen Lösung" gepriesen wird, steht keinesfalls für faire Asylverfahren, die zum Ziel haben, Menschen in Not Schutz zu gewähren. Fehlende Übersetzungen, mangelnde Informationen zu Rechten und Abläufen der Asylverfahren sowie eine Europäisierung von Asylstandards mitsamt den innereuropäischen Machtverhältnissen sind nur einige der Kritikpunkte an der zukünftigen Asylagentur.

In Anbetracht der Pläne der deutschen Regierung, die desaströsen Hotspots noch weiter auszubauen und Asylsuchende direkt an den Außengrenzen nach Bleibeperspektive zu sortieren, wird klar, wohin der Weg führen soll: schwindende Möglichkeiten für Gefl üchtete, ihre Rechte einzufordern und die Priorisierung von "Abschiebung vor Aufnahme".

Dabei hat sich Prof. Dr. Daniel Thym als starker Befürworter von Abschiebungen bereits einen Namen gemacht und wird regelmäßig als Sachverständiger in den Bundestag eingeladen. Wie er bei einer Anhörung zum "Geordnete Rückkehr Gesetz" im Innenausschuss ausführte, sieht er ein "Vollzugsdefizit" in der Durchführung von Abschiebungen. In seiner Rolle als juristischer Berater befürwortete er so diverse Asylrechtsverschärfungen mit wissenschaftlichem Anklang. Kooperationen von Forschung und Politikberatung sind bekannt, sollten jedoch nicht einseitig instrumentalisiert werden. Die wissenschaftlichen Diskurse zu Flucht und Migration sind vielfältig, doch der Fokus der derzeitigen Politik ist deutlich: Abschottung und Abschiebung um jeden Preis.

Indem die Wissenschaft den Diskurs von Sicherheit durch Abschottung stärkt, anstatt humanitäre und solidarische Alternativen zu thematisieren, macht sie sich mitschuldig am Tod von Menschen auf der Flucht. Abschottung, Tod und Angst dürfen keine "Europäische Lösung" sein!

  • Wir fordern die Politik auf, Solidarität und Humanität zu Leitlinien ihres Handelns zu machen.
  • Wir fordern Diskussionen, in denen Migration und Flucht nicht problematisiert, sondern als Realität anerkannt werden.
  • Wir fordern menschliche Lösungen, die der Ziehung sichtbarer und unsichtbarer Grenzen Alternativen entgegensetzen und das Sterben von Menschen auf der Flucht beenden.

Fähren statt Frontex und Solidarität statt Ausgrenzung!


Statement u.a. von borderline-europe - Menschenrechte ohne Grenzen e.V., Seebrücke, Women in Exile, Sea-Watch, Forschungsgesellschaft für Flucht und Migration

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Quelle:
Statement vom 9. Januar 2020
borderline-europe - Menschenrechte ohne Grenzen e.V.
Mehringhof, Gneisenaustr. 2a, D-10961 Berlin
Telefon: +49 (0)176 420 276 55
E-Mail: mail@borderline-europe.de
Internet: www.borderline-europe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2020

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