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STANDPUNKT/493: WSF 2022 - Frauen und die informelle Wirtschaft. Herausforderungen der Prekarität (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

WSF 2022: Frauen und die informelle Wirtschaft
Herausforderungen der Prekarität

Von Amina Mezdour, Mitglied des Internationalen Kollektivs junger Frankophoner auf dem Weltsozialforum 2022 vom 1. bis 6. Mai in Mexiko Stadt



Straßenstände mit bunter Kleidung hinter denen Frauen sitzen - eine Kundin steht vor einem Stand. - Foto: User: (WT-shared) Shoestring at wts wikivoyage, CC BY-SA 1.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/1.0], via Wikimedia Commons

Alltag des informellen Marktes in den Straßen Boliviens.
Foto: User: (WT-shared) Shoestring at wts wikivoyage, CC BY-SA 1.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/1.0], via Wikimedia Commons

Pressenza IPA, 09.05.22 - Manche Themen erfordern Zeit zum Nachdenken, um die erhaltenen Informationen aufzunehmen, sie zu verstehen und sie mit unserem Wissen in einen Dialog zu bringen. Dies war der Fall bei dieser Podiumsdiskussion mit sechs Redner:innen aus verschiedenen Ländern (Guatemala, El Salvador, Mexiko, Honduras, Euskeria [Baskenland, Spanien] und Tunesien).

Diese Vielfalt der Kontexte verlieh dem Austausch zwischen den Redner:innen und den Zuhörer:innen ein sehr interessantes internationales Profil. Obwohl jeder der Diskussionsteilnehmer:innen nur zehn Minuten Zeit hatte, um die schädlichen Auswirkungen der informellen Beschäftigung in seinem Land darzustellen, waren die Präsentationen sehr bereichernd.

Es gibt viele Gemeinsamkeiten bei den Erfahrungen mit informeller Arbeit auf der ganzen Welt. Diese Art der informellen Wirtschaft stellt in mehreren Ländern einen wichtigen Teil des nationalen Wirtschaftssektors dar. Zum Beispiel macht der informelle Sektor in El Salvador 70 % und in Honduras 60 % der Wirtschaftstätigkeit aus. Die informelle Wirtschaft ist in einer Vielzahl von Sektoren wie Landwirtschaft, Industrie, Handel und Bergbau vertreten.

Die informelle Wirtschaft ist ein überwiegend von Frauen dominierter Wirtschaftszweig, der Frauen und Mädchen in eine wirtschaftlich unsichere und in vielerlei Hinsicht gefährliche Lage bringt:

  1. Frauen und Mädchen leiden aufgrund ihrer anhaltenden finanziellen Unsicherheit unter physischer Unsicherheit. Nach Aussage der Diskussionsteilnehmerinnen leben viele von ihnen von der Deckung ihres täglichen Bedarfs.
  2. Frauen und Mädchen sind mit Arbeiten beschäftigt, die ihre Gesundheit stark beeinträchtigen. Sie erkranken schwer, weil sie am Arbeitsplatz gefährlichen Chemikalien ausgesetzt sind, unter anderem Pestiziden auf landwirtschaftlichen Feldern.
  3. Frauen und Mädchen arbeiten in ungesunden Räumen (z. B. in Fabriken, auf Märkten) und in unsicheren Räumen für Notfälle (z. B. Brände), was ihren Stress aufgrund mangelnder Sicherheit erhöht.
  4. Frauen und Mädchen sind auf dem Weg zur Arbeit der Gefahr tödlicher Unfälle ausgesetzt, da es keine sicheren öffentlichen Verkehrsmittel gibt.

Die Podiumsteilnehmer:innen waren sich einig, dass die Auswirkungen der informellen Arbeit auf Frauen nicht zufällig sind, da sie auf soziale Ungleichheiten zurückzuführen sind. Im Konferenzraum herrschte Einigkeit darüber, dass es sich vielmehr um einen sexistischen und diskriminierenden sozialen Kontext für Frauen und Mädchen handelt. Über den nationalen Kontext hinaus ist es unbestreitbar, dass die informelle Arbeit das Ergebnis des herrschenden neoliberalen patriarchalischen Systems ist, das sich nicht um das Wohlergehen der Menschen und schon gar nicht um das der Frauen kümmert. Frauen und Mädchen zahlen den Preis für dieses ungleiche System in Form von finanzieller Unsicherheit, ihrer Gesundheit und sogar ihrem Leben.

Die Frage ist: Wie lange wollen wir noch so leben? Wann wird die Widerstandsbewegung auf lokaler, nationaler und globaler Ebene dieses doppelte Wirtschaftssystem abschaffen, das Frauen und Mädchen in prekären Verhältnissen hält?

Abschließend berichteten die Redner:innen über lokale Down-up-Mobilisierungsinitiativen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen und Mädchen, angefangen bei der Formalisierung ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten. Dies wird es ihnen ermöglichen, sich aus der wirtschaftlichen Unsicherheit zu befreien und ihnen grundlegende Arbeitnehmerrechte wie Mindestlohn, Sozialversicherung, Arbeitsunfallversicherung und bezahlten Urlaub zu gewähren. Das Problem besteht in der Schwierigkeit, zivilgesellschaftliche Organisationen, Vereinigungen, Kollektive oder Gewerkschaften zu gründen, die diese Frauen und Mädchen, die zu lange im Schatten geblieben sind, sichtbar machen.


Die Übersetzung aus dem Französischen wurde von Alina Kulik vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt.


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Reto Thumiger
E-Mail: redaktion.berlin@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 21. Mai 2022

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