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BERICHT/027: Streifzüge Literaturfest Berlin - Input Narrativ ... (SB)


15. internationales literaturfestival berlin

Writing Climate Change

Einige Ein- und Auslassungen zur Abschlußveranstaltung des internationalen Projekts "Weather Stations" am 11. September 2015 im Literaturhaus Berlin


Es besteht eine offenkundige Diskrepanz zwischen der Dringlichkeit, mit der Experten vor den Auswirkungen des Klimawandels warnen, und dem, wie die Gesellschaft im allgemeinen darauf reagiert. Die wissenschaftlichen Projektionen zeigen, daß am besten schon gestern drastische Maßnahmen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen hätten ergriffen werden sollen und daß, je länger die Menschheit damit wartet, es um so schneller und schwerwiegender zunächst diejenigen Länder und Einwohner treffen wird, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben und ihm auch am wenigsten entgegensetzen können.


Power-point-Bild des Veranstaltungsplakats, u.a. mit Ankündigung 'Writing Climate Change - Anthologieveröffentlichung' - Foto: © 2015 by Schattenblick

Klimawandel (be)schreiben - Abschluß eines 18monatigen literarischen Projekts
Foto: © 2015 by Schattenblick

Haben Wissenschaft und Journalismus dabei versagt, der Öffentlichkeit deutlich genug vor Augen zu führen, welche Folgen der Klimawandel auf sämtliche Lebensbereiche hat? Dieser immer wieder zu vernehmenden Ansicht sind offenbar auch die Organisatoren der Initiative "Weather Stations", in der sich vier Autoren und eine Autorin aus England, Polen, Irland, Australien und Deutschland 18 Monate lang literarisch mit dem Klimawandel auseinandergesetzt haben. [1]

"Wissenschaftler verwirren mit Statistiken, Journalisten überwältigen mit Fakten und zu häufig sind die Darstellungen des Klimawandels abstrakt, düster und abschreckend", heißt es in einer Anthologie, die am 11. September 2015 im Rahmen des 15. internationalen literaturfestivals berlin nach der Veranstaltung "Writing Climate Change", die den Abschluß des Projekts Weather Stations bildete, verteilt wurde. Die englische Version der 160seitigen Anthologie ist auf der Internetseite von Free Word, den Initiatoren des unter anderem von der Europäischen Kommission unterstützten Gesamtprojekts, abrufbar. [2]

Free Word (London), das internationale literaturfestival berlin (Berlin), Krytyka Polityczna (Warschau), Tallaght Community Arts (Dublin) und The Wheeler Centre (Melbourne) hatten vor über 18 Monaten jeweils einen "Writer in Residence" benannt, "der gemeinsam mit den KollegInnen erkundet, wie Literatur angesichts des Klimawandels, und damit des fundamentalsten Wandels, mit dem die Menschheit heute konfrontiert ist, Inspiration für neue Lebensweisen sein kann", heißt es auf der dreisprachigen Website der Weather Stations. Zu "Wetterstationen" wurden Tony Birch (Australien), Xiaolu Guo (England), Oisín McGann (Irland), Jas Kapela (Polen) und Mirko Bonné (Deutschland) benannt.

In jenen 18 Monaten sind Gedichte, Essays, Erzählungen, Comics, Wetterbeobachtungen und vieles mehr entstanden, jeweils in der Muttersprache geschrieben und dann in die anderen Sprachen (englisch, deutsch oder polnisch) übersetzt. Darüber hinaus hat jeder Writer in Residence mit einer Schulklasse ("substation") vor Ort zusammengearbeitet, um gemeinsam mit ihr zu untersuchen, "wie verantwortungsvolle junge BürgerInnen mit dem Wissen, der Motivation und den Instrumenten versorgt werden können, die es braucht, um eine nachhaltige Zukunft zu schaffen".

Bonné betonte im Interview mit dem Schattenblick, daß es für einen Literaten sehr wichtig sei, sich nicht instrumentalisieren zu lassen, und solch ein Projekt immer eine Gratwanderung darstelle. [3] Solche nachvollziehbaren Bedenken dürften nicht zuletzt aus der deutschen Geschichte heraus zu erklären sein, in der sich manche Literaten politisch aufs engste einbinden ließen oder mit dem politischen System von vornherein konform gingen. Ohne hier die unterschiedlich repressiv auftretenden politischen Systeme über einen Kamm scheren zu wollen, läßt sich allerdings feststellen, daß ein Literat sowieso niemals in einem gesellschaftspolitischen "Vakuum" schreibt. Einfluß ist immer vorhanden. Woher sonst, wenn nicht aus dem gesellschaftlichen Kontext, in dem er sich bewegt, nimmt jemand seine Inspirationen? Da erscheint die doch sehr allgemein gehaltene thematische Vorgabe, etwas zum Thema Klimawandel zu schreiben, eher unverfänglich.

Was nicht bedeutet, daß nicht zu manchen Vorgaben und Ergebnissen des Projekts Fragen gestellt werden könnten. Wenn es beispielsweise im obigen Zitat heißt, daß die Darstellungen des Klimawandels "düster und abschreckend" sind, dann drückt sich darin eine Ablehnung von düsteren und abschreckenden Geschichten aus, was umgekehrt den Wunsch zu implizieren scheint, auch einmal Positives zum Klimawandel erfahren zu wollen.

An positiven "Geschichten" besteht eigentlich kein Mangel, man muß allerdings hinsehen. Nur ein übergreifendes Beispiel: Die Energiewende war in Deutschland ein so durchschlagender Erfolg, daß sie politisch extrem ausgebremst wurde, da immer mehr Bürgerinnen und Bürger Solarzellen auf ihr Dach geschraubt oder Windräder aufgestellt haben. Der Traum von der Energieautarkie ist in der Bundesrepublik absolut virulent - eine beispiellose Erfolgsgeschichte des energetischen Umbaus und des Bewußtseins für den Klimawandel. Es mangelt weder an Informationen zum Klimawandel noch an Einsichten der Öffentlichkeit. Sogar in Kinderschulbüchern wird pädagogisch auf die Heranwachsenden eingewirkt, daß sie ihren Müll trennen und Energie sparen, kurzum daß sie lernen, ihre Ansprüche auch mal zurückzuschrauben.


Nebeneinander auf dem Podium sitzend, Tony Birch liest vor - Foto: © 2015 by Schattenblick

Die "Weather Station" (von links): Xiaolu Guo, Mirko Bonné, Tony Birch, Oisín McGann und Jas Kapela.
Foto: © 2015 by Schattenblick

Falls nach Ansicht der Weather-Stations-Initiatoren Literaten diese gesellschaftliche Stimmung bisher nicht genügend aufgegriffen und verarbeitet haben, ist es ihnen selbstverständlich unbenommen, dem ein wenig nachzuhelfen. Als literarisches Projekt übten die "Weather Stations", abgesehen von dem, was sie in dieser Zeit geschaffen haben, allein schon aufgrund ihrer internationalen Vernetzung einen besonderen Reiz aus. So kam es an dem Abschlußabend beim Publikum sehr gut an, daß Jas Kapela seine Gedichte im Original vorgetragen hat und so selbst der Sprachunkundige zumindest die Melodie des Polnischen genießen konnte.

Doch eigentlich müßte die schreibende Zunft nicht in besonderer Weise auf den Klimawandel aufmerksam gemacht werden, es gibt dazu bereits seit vielen Jahren Literatur. Ohne hiermit Leseempfehlungen abgeben zu wollen, seien beispielhaft auf die Romane "Eves Welt. Liebe in Zeiten des Klimawandels" (Maik Hosang, Phänomen Verlag, 2008), "Solar" (Ian McEwan, Diogenes Verlag, 2010), "EisTau" (Ilija Trojanow, Carl Hanser Verlag,2011) und "2084. Noras Welt" (Jostein Gaarder, Carl Hanser Verlag, 2013) verwiesen.

Der Abschlußabend der "Wetterstationen" gipfelte in dem Auftritt einer Gruppe von Schülerinnen und Schülern der "Substations" (ausgenommen nur Australien - der lange Flug nach Berlin und das Thema Klimawandel, das hätte doch wohl etwas "geknirscht", meinte Moderatorin Birte Hendricks), die einen kleinen Teil einer bereits am Morgen aufgeführten Performance präsentierten und ein Feuerwerk an Versprechungen abgaben, was sie künftig tun werden, um klimabewußter zu leben. Versprochen wurde, künftig mehr mit dem Fahrrad zu fahren, den Müll zu trennen, Leitungs- statt Mineralwasser zu trinken, immer das Licht auszuschalten, wenn es nicht gebraucht wird, sich lieber einen Pulli überzuziehen, anstatt die Heizung aufzudrehen, Plastiktüten zu vermeiden und durch Stoffbeutel zu ersetzen und vieles mehr.

Keine Frage, hier hat die oft geforderte Bewußtmachung des Klimawandels längst gewirkt. Woran es aber gelegen hat, daß sich die Schülerinnen und Schüler zumindest an diesem Abend auf die Zusage individueller Verhaltensänderungen beschränkten, und der gesellschaftliche Kontext, in dem der Klimawandel stattfindet, weitgehend unreflektiert blieb, ist unklar. Denn immerhin ist Deutschland Mitglied eines Staatenbunds, der sich dem Wirtschaftswachstum verpflichtet hat, was ohne Verbrauch und auf absehbare Zeit auch ohne Emissionen, die den Klimawandel antreiben, nicht zu haben ist. Da sollten entsprechende Fragen nicht ungestellt bleiben. Das wäre dann natürlich politisch. Aber bedeutete unpolitisch sein zu wollen nicht, die Augen vor dem gesellschaftspolitischen Kontext zu verschließen, aus dem heraus und immer wieder neu die globale Erwärmung vorangetrieben wird?

Seit langem wird in der Umweltbewegung kontrovers über den vermeintlichen Widerspruch zwischen der Veränderung des eigenen Konsumverhaltens auf der einen und dem Ruf nach einem radikalen gesellschaftlichen Umbau auf der anderen Seite diskutiert. Ein solcher Bogen an verschiedenen Herangehensweisen an die Klimawandelproblematik wurde an diesem Abend nicht aufgespannt, was durchaus als Versäumnis angesehen werden kann. Zumal auch die Literatur mehr Möglichkeiten hätte, den Finger in die Wunde einer vom Wachstumszwang vor sich hergetriebenen Wirtschaft zu legen.

Man könnte etwas provokant die These vertreten, daß weniger die Frage besteht, ob Literatur überhaupt in der Lage ist, das allgemeine Bewußtsein für die Gefahren des Klimawandels zu schärfen, sondern vielmehr, ob sie sich zur Nonkonformität bekennt und auch, wie sie sich im Verhältnis zur administrativ wohlgelittenen Individualisierung des Klimaproblems in Gestalt der sozialen Bezichtigung mutmaßlichen Fehlverhaltens stellt. Denn wenn sich Umweltschutzorganisationen anschicken, Autos zu kontrollieren, ob sie über eine ordnungsgemäße Feinstaubplakette verfügen, und gegebenenfalls Anzeige erstatten [4], oder wenn britische Gemeinden Wärmebildaufnahmen von Gebäuden ins Internet stellen, also eine Art Öko-Pranger einrichten, um Druck auf Hauseigentümer auszuüben, damit sie für eine bessere Wärmeisolierung sorgen [5], dann sind solche Formen der Sozialkontrolle durchaus kritikwürdig.


Am Stehpult - Foto: © 2015 by Schattenblick

Einfühlsamer Vortrag der Übersetzungen durch den Sprecher und Schauspieler Matthias Scherwenikas
Foto: © 2015 by Schattenblick

Rund 90 Prozent aller bekannten Reserven an fossilen Energieträgern müssen im Boden bleiben und dürfen nicht verbrannt werden, damit die globale Durchschnittstemperatur nicht um mehr als zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit steigt, sagt der Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimawandelfolgen, Prof. Dr. Ottmar Edenhofer. [6] Bis jetzt gibt es keinen Anhaltungspunkt für die Hoffnung, daß sich Regierungen und Wirtschaft daran halten werden.

Vermutlich würden die Schülerinnen und Schüler der Substations die zensorische Enge des Bildungssystems zu spüren bekommen, praktizierten sie als persönliche Konsequenz aus der Bedrohung durch die Klimawandelfolgen die totale Konsumverweigerung oder riefen gar an ihren Schulen so etwas wie eine ökofundamentalistische Revolution aus.

Wenn man den Berichten der Klimaforschung Glauben schenkt, dann bedarf es möglicherweise einer revolutionären Bewegung, damit der Klimawandel nicht zu dem wird, was er zu werden droht, nämlich einem Todesengel für die am wenigsten wehrhaften, mittellosen Menschen. Das mag übertrieben klingen, aber wohl nur deshalb, weil "Klimawandel" eine abstrakte Chiffre für konkrete Schadentwicklungen ist, die hierunter subsumiert werden, sei es der Verlust an Biodiversität, die Degradierung von Böden, der Meeresspiegelanstieg, die Zunahme von Unwetterkatastrophen wie Dürren, Überschwemmungen und schweren Stürmen. Der deutsche Schriftsteller Mirko Bonné sagte auf der Berliner Veranstaltung, er habe den Eindruck, daß die Flüchtlingsströme, die gegenwärtig zu uns kämen, letztendlich auch mit dem Klimawandel zusammenhängen.

Ob er damit auf die wissenschaftlichen Untersuchungen abzielt, denen zufolge der Bürgerkrieg in Syrien wohl nicht zufällig in einer Zeit mehrjähriger Dürre ausbrach [7], ist nicht bekannt. Doch hat die Wissenschaft festgestellt, daß Dürren zu politischen Spannungen führen können, die unter Umständen in Revolten münden. Solche Thesen stehen nicht im Widerspruch dazu, daß Syrien zum Gefechtsfeld sich bestreitender regionaler wie auch geopolitischer Interessen geworden ist. Ohne die Dürre, so könnte vermutet werden, wäre die syrische Regierung nicht so stark unter Druck seitens der eigenen Bevölkerung geraten. Grundsätzlich schätzen Institutionen wie die Bundeswehr, die EU-Kommission oder auch die Streitkräfte der USA den Klimawandel als "Bedrohungsverstärker" ein.

Vielleicht bedarf es tatsächlich sehr viel weitreichenderer und fundamentaler Maßnahmen, damit die zu erwartenden negativen Folgen der Erderwärmung für alle Betroffenen so weit wie möglich abgewendet werden. Vielleicht genügt es nicht - wenngleich in bester Absicht verkündet -, den individuellen Konsumstil an Nachhaltigkeitsideen auszurichten. Vielleicht bedarf es sowohl einer Aufhebung des Wohlstandsgefälles zwischen den Ländern des Nordens und des Südens als auch einer Trendumkehr von der gegenwärtig wachsenden Öffnung der Einkommensschere innerhalb sowohl der reichen als auch armen Staaten.

Heute ist es kaum vorstellbar, daß sich Spanien entschließen könnte, seine bis zu sieben Meter hohen, stacheldrahtbewehrten, teils dreifach gestaffelten Zäune an seinen Exklaven Ceuta und Melilla in Marokko abzubauen. Und doch ist es gerade mal 25 Jahre her, da gab es noch keine Zäune, und die Grenze konnte ohne Kontrolle von Süd nach Nord passiert werden. Das Wohlstandsgefälle lag damals bei rund eins zu drei, was für die Bewohner der Länder des Südens kein Anlaß war, nach Europa auszuwandern. Heute hingegen liegt es bei mindestens eins zu zehn - ganz abgesehen von Kriegsschauplätzen wie Syrien und Krisengebieten wie Somalia.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es wohl weniger an Romanen, Essays, Gedichten und anderen literarischen Formen mangelt, in denen das Thema Klimawandel aufgegriffen wird, sondern daran, daß das Resultat in der Lage wäre, Menschen anzusprechen und aufzurühren, so daß sie in den Stand versetzt werden und willens sind, die vorherrschenden gesellschaftspolitischen Verhältnisse, die noch immer den Hintergrund für jede individuelle Konsumentscheidung bilden, in Frage zu stellen.


Außenansicht des zweieinhalbgeschossigen, neoklassizistischen Gebäudes; davor ein kleiner, runder Gartenteich - Foto: © 2015 by Schattenblick

Das Literaturhaus Berlin - wohltemperierter Veranstaltungsort für Klimawandeldebatten
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://globalweatherstations.com/?page_id=93

[2] https://www.freewordcentre.com/assets/public/files/Weather_Stations_Writing_Climate_Change_ALL.pdf

[3] http://schattenblick.com/infopool/d-brille/report/dbri0024.html

[4] tinyurl.com/nqx3hu6

[5] http://www.heise.de/tp/artikel/25/25212/1.html

[6] http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0098.html

[7] http://www.fr-online.de/syrien/syrien-erst-die-duerre--dann-der-buergerkrieg,24136514,31773606.html

22. September 2015


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