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BERICHT/112: 24. Linke Literaturmesse - Frauenkampf auf breiter Basis ... (SB)


Das Ziel besteht darin, sichtbar zu machen, wie soziale Hierarchien und Geschlechterverhältnisse reproduziert werden durch sexuelle Gewalt, Belästigung bei der Arbeit und geschlechtliche Arbeitsteilung auf allen Ebenen. Den Streik sozial zu machen bedeutet daher, die Verbindung zwischen patriarchaler Gewalt und Ausbeutung, die den Kern der neoliberalen Gesellschaft ausmacht, herauszustellen und zu bekämpfen. Der Streik wird sozial, wenn er darauf abzielt, die institutionellen und sozialen Prozesse der Hierarchisierung zu treffen - diejenigen Prozesse, die Prekarität durch das Erzeugen von Isolation und Spaltung intensivieren. Daher wird der Streik durch die vielfältigen Praktiken und Aktionen, zu der bei seiner Durchführung in aller Welt gegriffen wird, nicht auf eine symbolische Aktion reduziert. Vielmehr werden die Versuche vervielfältigt, die Position der Frauen innerhalb der Gesellschaft zu politisieren, indem die Ränder in die Mitte gerückt werden.
Transnational Social Strike: Power Upside Down. Women's Global Strike [1]


Wer sich in einer patriarchalen Gesellschaft aufmacht, Geschlechterverhältnisse in Frage zu stellen und zu verändern, stößt spätestens dann auf tiefsitzende Vorbehalte, wenn damit mehr als die Realisierung bürgerlicher Gerechtigkeitsvorstellungen im Sinne einer bloßen Gleichstellungspolitik gemeint ist. Nichts zeigt dies besser als der Vormarsch einer Neuen Rechten, die die Eroberung der politischen Kommandohöhen vorzugsweise mit kulturalistischen Mitteln bestreitet. Da ihr mit dem Niedergang der "kommunistischen" Welt der Gegner abhanden gekommen ist, die kapitalistische Vergesellschaftung ihr noch nie Probleme bereitet hat und die weltweite Entwicklung zu autoritärer Herrschaft und zur Renationalisierung der Staatssubjekte ebenfalls in ihre Richtung läuft, führt sie den Kampf um die gesellschaftliche Hegemonie vorzugsweise mit dem Schüren antimigrantischer, antifeministischer und gegen die Bewegung für Klimagerechtigkeit gerichteter Ressentiments.

Die Schwäche einer Linken, die im bürgerlichen Mainstream mit antikapitalistischer und antirassistischer Kritik auf Granit beißt und bei Mobilisierungen gegen die extreme Rechte zu Bündnissen mit staatstragenden Parteien genötigt ist, die schon mit dem Begriff des Antifaschismus Probleme haben, könnte positiv gewendet auch als Aufruf für eine feministische Aktion verstanden werden, die linke Positionen unter besonderer Beachtung der gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse neu aufgreift. Die besonders benachteiligte Situation von Frauen und nicht im binären Geschlechterraster lebender Menschen zum Ausgangspunkt eines sozialen Widerstandes zu machen, der ein neues Potential kämpferischer Mobilisierung erschließt, könnte die neoliberale Bourgeoisie und ihren neurechten Schatten wirksam in die Defensive manövrieren. Gerade weil sich die zwischen ML und Trotzkismus aufgestellte Linke immer schwer mit emanzipatorischen Strömungen getan hat, die den Kampf gegen ihre spezifische Unterdrückungsform nicht als sekundär gegenüber der Überwindung der kapitalistischen Klassengesellschaft herabstufen lassen wollten, könnte mit neuem Mut gegen etablierte, von maskuliner Dominanz und patriarchalen Ordnungsvorstellungen bestimmte Herrschaftsstrukturen vorgegangen werden.


Internationaler Frauenkampftag in Hamburg mit lateinamerikanischer Beteiligung - Foto: © 2019 by Schattenblick

Nicht eine weniger ... gegen Femizide ... Marielle Franco presente
Foto: © 2019 by Schattenblick


Das Patriarchat erzeugt Schmerzen ohne Ende

Wie relevant diese Auseinandersetzung für eine außerparlamentarische Linke heute ist, war auch daran abzulesen, daß zeitgleich zur 24. Linken Literaturmesse im Nürnberger Stadtteil Eberhardtshof in der historischen Altstadt der Deutsche Genderkongress stattfand. Dieser Zusammenkunft eines breiten Spektrums aus der sogenannten Männerrechtsbewegung, christlich-fundamentalistischer AbtreibungsgegnerInnen und neurechter Bewegungen war eine kleine Zahl feministischer Aktivistinnen mit einer Protestkundgebung entgegengetreten [2].

Am darauffolgenden Sonntag stellte die langjährige feministische Aktivistin, Rechtsanwältin und Publizistin Brigitte Kiechle in einem bis auf den letzten Platz besetzten Raum ihr Buch "Frauen*streik - Die Welt steht still, wenn wir die Arbeit niederlegen" vor. Dabei ging es weniger um das Buch selbst als um die inhaltliche Bestimmung des Frauenstreikes, der im Folgenden ohne Genderstern geschrieben wird. Nicht weil es darum ginge, LGBTIQ-Menschen auszuschließen oder den sozial erzeugten Charakter von Geschlechtlichkeit zu negieren, sondern weil die Autorin in ihrem Buch unter Verweis auf den unterschiedlichen Diskussionsstand zur jeweiligen Schreibweise und auf historische Bezüge, die nicht verfremdet werden sollen, zu dieser Schreibpraxis gegriffen hat. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, führt sie Simone de Beauvoir an, die bereits in ihrem Standardwerk "Das andere Geschlecht" 1949 klargestellt hat, daß Frauen unabhängig von der biologischen Kategorie Frau "nicht als Frauen geboren sind, sondern durch die rollenspezifische Sozialisation zur Frau gemacht werden" [3].

Brigitte Kiechle hat auch zur kurdischen Frauenbefreiung publiziert, so zum Beispiel 2019 in "Partisanen einer neuen Welt" [4], dem von Nick Brauns und Murat Cakir herausgegebenen Grundlagenwerk zur Geschichte der Linken und Arbeiterbewegung in der Türkei. Sie begann ihren Vortrag denn auch mit einer Würdigung der kurdischen Frauenbewegung, die das 21. Jahrhundert zum Jahrhundert der Frauenemanzipation ausgerufen und selber sehr viel zur neuen Diskussion der Geschlechterfrage nicht nur Nahen Osten beigetragen habe. Dem schloß sich eine tour d'horizon zu Frauenkämpfen in aller Welt an, die die Referentin schlaglichtartig beleuchtete.

So sei die Freilassung von der islamistischen Organisation Boko Haram verschleppter Mädchen und junger Frauen eine zentrale Forderung an die Regierung Nigerias, wo Frauenrechte auch sonst mit Füßen getreten werden, wie die Existenz sogenannter Babyfabriken belegt, über die kürzlich berichtet wurde [5]. Frauen werden in Häuser verschleppt und dort festgehalten, um ihre Kinder verkaufen zu können. Wenn sie nicht schon bei ihrer Entführung schwanger sind, werden sie vergewaltigt. Im Sudan werde Widerstand gegen eine Sittenpolizei geleistet, von der Frauen regelmäßig öffentlich ausgepeitscht werden und wo viele Frauen einfach im Gefängnis sterben. In Marokko bekannten sich Frauen dazu, abgetrieben zu haben. In einem Land, wo Vergewaltigungen in der Ehe gang und gäbe sind und erst 2018 ein Gesetz abgeschafft wurde, das Vergewaltigern Straffreiheit gewährte, wenn sie ihr Opfer heirateten, während den betroffenen Frauen keine Wahl blieb, so daß sie sich aus ihrem Schicksal bisweilen in den Suizid flüchteten [6], erfordert jede Form des Eintretens für Frauenrechte großen Mut. Bis heute wird in Vergewaltigungsprozessen in mehrheitlich islamischen Ländern meist zugunsten des Mannes entschieden. Ihm wird gesellschaftlich zugestanden, seine Sexualität freizügig auszuleben, während Frauen bei vorehelichem Geschlechtsverkehr, selbst wenn sie vergewaltigt werden, als befleckt, schmutzig und Schlimmeres beschimpft werden.

Vergewaltigte Frauen sind allerdings auch in der EU strukturellen Benachteiligungen ausgesetzt. Das belegt die geringe Zahl von 10 Prozent der zur Anzeige gelangenden Vergewaltigungen, sei es aus Gründen der Abhängigkeit vom Täter oder aufgrund mangelnden Vertrauens in eine potentiell Männer bevorzugende Justiz. Weibliche Vergewaltigungsopfer werden häufig bezichtigt, selbst schuld zu sein, weil sie die Täter angeblich unausgesprochen dazu aufgefordert haben oder etwa betrunken waren, was Frauen eher zur Last gelegt wird, während es bei Männern eher strafmindernd wirkt. Überhaupt werden Akte sexueller Gewalt am häufigsten in Ehe und Partnerschaft und nicht auf der Straße vollzogen. In 90 Prozent der Fälle war das Opfer dem Täter bekannt, was zeigt, daß nicht angezeigte Vergewaltigungen häufig von der sozialen Umgebung tabuisiert und damit qualitativ wie quantitativ unterschätzt werden.


Fronttransparent der Demonstration - Foto: © 2019 by Schattenblick

Frauenstreik am 8. März 2019 in Hamburg [7]
Foto: © 2019 by Schattenblick


Den feministischen Streik auf Massenbasis stellen

Während sich Erzählungen über die von Frauen erlittene Ohnmacht endlos aneinanderreihen lassen, ging es der Referentin darum, Beispiele für erfolgreichen Widerstand gegen maskuline Gewalt und Dominanz zu schildern. So hätten sich in Indien Frauen zur Selbstverteidigung organisiert und griffen in Fällen männlicher Gewalt aktiv zum Schutz der davon betroffenen Frauen ein. Selbst in der EU, so in Polen, müssen Frauen und LGBTIQ-Menschen ihr Recht auf Selbstbestimmung erstreiten, weil es ihnen gesetzlich nicht gewährt wird.

Das Thema Frauenstreik leitete die Referentin mit Blick auf Spanien ein, wo am 8. März 2018, dem Internationalen Frauenkampftag, Millionen Aktivistinnen auf die Straße gingen. Dem vorwiegend jüngeren Publikum führte sie die historische Dimension des Frauenstreikes vor Augen, indem sie an die vielen Arbeiterinnen und weiblichen Angestellten erinnerte, die in den 70er und 80er mit wilden Streiks ohne Unterstützung durch Gewerkschaften mit Nachdruck dafür eintraten, gleiche Rechte für gleiche Arbeit zu erhalten. Besondere Erwähnung verdienten die Frauenkomitees bei Streiks in der Metallbranche des Ruhrgebietes. Ehefrauen, Töchter, Verwandte hätten sich zum Teil in Stärke von 500 Frauen zusammengetan, um die Öffentlichkeitsarbeit bei einer Betriebsbesetzung zu übernehmen, die Versorgung der Streikenden zu organisieren oder die Betriebstore zu blockieren.

Am Beginn einer Diskussion um den Frauenstreik stehe die Bestimmung des Arbeitsbegriffes. Frauen stellten sich seit jeher die Frage, warum ein Job als Krankenschwester als Arbeit gilt und bezahlt wird, während das Pflegen der kranken Eltern zu Hause keine Arbeit sein soll. Warum gilt es als Arbeit, wenn eine Frau in der Kita als Betreuerin tätig ist und Geld dafür bekommt, nicht aber, wenn sie zu Hause drei Kinder betreut? Auch heute noch werde eine alleinerziehende Mutter mit drei Kindern möglicherweise als nicht arbeitend dargestellt. Wie könne die Bedeutung vermeintlicher Frauentätigkeiten für die Herstellung der Ware Arbeitskraft geltend gemacht werden? Insbesondere italienische Feministinnen hätten diese Frage daraufhin zugespitzt, daß Frauen alle zur Produktion wie Reproduktion erforderlichen Tätigkeiten einstellten und dies solange täten, bis auf ihre Forderungen reagiert werde. In vielen Diskussionen etwa um die Frage der Entlohnung von Hausarbeit sei es um die Entwicklung eines neuen, erweiterten Arbeitsbegriffes gegangen, laut dem auch häusliche Reproduktionsarbeit als Arbeit im konventionellen gesellschaftlichen Sinne anerkannt werde.

Das führte zu der Erkenntnis, daß die Verweigerung dieser Arbeit als Kampfmittel im Sinne eines Streikes, und zwar auf beiden Ebenen, der Produktion wie Reproduktion, eingesetzt werden könne. Die Referentin erinnerte an die Frauenstreiks 1975 in Island, 1991 in der Schweiz und 1994 in Deutschland. Die Entwicklung in der Bundesrepublik sei insbesondere von der sogenannten Wiedervereinigung geprägt gewesen. Durch die Annexion der DDR sei die Situation entstanden, daß viele Frauen mit einer Verschlechterung ihrer Lage konfrontiert waren, weil zuvor erkämpfte Frauenrechte wieder zur Disposition standen oder unter Haushaltsvorbehalt gestellt wurden. Aus dieser Lage heraus wurde ein Aufruf zum Frauenstreik 1994 verfaßt, in dem gefordert wurde, daß das vereinigte Deutschland ein Land werden müsse, in dem Frauenrechte nicht abgebaut, Flüchtlinge akzeptiert und Mauern überall abgebaut würden.

Als sie den Aufruf noch einmal gelesen habe, fand Kiechle erschreckend, daß er nach so vielen Jahren noch hochaktuell sei, weil sich an vielen Punkten nichts geändert habe. Leider sei der von einer Million Frauen in der Bundesrepublik getragene Streik, der auch in die Betriebe hineingewirkt habe, verebbt. Aufgenommen wurde die Idee erst wieder, als Argentinierinnen massenhaft gegen Frauenmorde und die Kriminalisierung von Abtreibungen auf die Straße gingen. Dieser 2016 begonnen Aufstand war von Anfang an eine Massenbewegung mit Hunderttausenden Beteiligten, die unter dem Motto Ni Una Menos (Keine einzige weniger) auf die Straße gingen. Damit wurde eine Politisierung eingeleitet, die im Anliegen einer grundsätzlichen Gesellschaftsveränderung manifest wurde. Die Frauen in Argentinien hätten zum Mittel des politischen Streiks gegriffen und damit ein Vorbild für die Frauenbewegungen Lateinamerikas und darüber hinaus gegeben [8].

Diese Entwicklung habe mit dem Amtsantritt Präsident Trumps auch auf die USA übergegriffen. Ein bekennender Sexist als Staatschef löste eine Massenbewegung unter den Frauen des Landes aus, zu der auch linken Feministinnen gehörten, die seit jeher den Kampf für die Rechte der Frauen mit dem Kampf gegen Rassismus und Kapitalismus zu verbinden versuchen. Diese Aktivistinnen verfaßten einen Aufruf für einen Feminismus der 99 Prozent. Sie forderten, zu einem Feminismus zurückzukehren, der von der Basis, von den Interessen und der Betroffenheit der Frauen in ihrem breiten Spektrum ausgeht. Bei aller Verschiedenheit und individuell unterschiedlichen Erfahrungen gehe es darum, diejenigen Probleme, die Frauen kollektiv betreffen, zu benennen und daraus eine politische Kraft zu entwickeln. Gefordert wurde auch, die Exklusivität des akademischen Diskurse, an dem viele Frauen nicht teilhaben könnten, zu öffnen und breitere Kreise anzusprechen. Gleiches gelte für die in den USA geführte Debatte um den Queerfeminismus, bei der es nicht um eine Nivellierung gehe, sondern darum, all das, was jede einzelne mitbringt, in einer kollektiven Bewegung zusammenfassen. Dieser Aufruf richtete sich direkt an die schwarzen Frauen der USA wie der Welt, um klarzustellen, daß Antirassismus ein zentrales Element einer basisdemokratischen feministischen Massenbewegung sein müsse.

Brigitte Kiechle freut sich darüber, daß dieser Aufruf international Verbreitung gefunden hat und zu einer Art inoffiziellem Manifest der Frauenstreikbewegung 2018 wurde. Sie betont zudem, wie wichtig der internationalistische Charakter dieser Bewegung sei nicht nur in dem Sinne, daß frau sich solidarisch zeigt mit den feministischen Kämpfen in Rojava, in Argentinien und anderswo. Wichtig sei auch zu fragen, welche Auswirkungen die eigenen Kämpfe auf Frauen in anderen Ländern haben. So solle beim Kampf um das Recht auf Abtreibung auch gefordert werden, daß Frauen sich frei entscheiden können, wann und wie viele Kinder sie haben wollen. Das betreffe auch den Widerstand gegen bevölkerungspolitische Maßnahmen wie Zwangsterilisation, so Kiechle, die den umfassenden und inklusiven Charakter dieses Kampfes betonte. Letztlich gehe es um die Schaffung einer Fraueninternationale, die sich von früheren Versuchen, wo Frauenabteilungen in kommunistischen Parteien aufgebaut und Frauenbeauftragte ernannt wurden, auf basisdemokratische und selbstorganisierte Weise unterschieden.

Es fehle die Möglichkeit, daß Frauen über Kontinente hinweg diskutierten und sich absprechen, ohne über die Privilegien einer Funktionärselite zu verfügen, die im Auftrag von Regierungen oder der UNO weltweit von einem Treffen zum andern fliegen kann. Als positiven Gegenentwurf stellte sie die Zusammenarbeit der kurdischen und zapatistischen Frauenbewegung vor. Sie wurde durch einem Aufruf der kurdischen Frauen initiiert, die das 21. Jahrhundert zum Jahrhundert der Frauenbefreiung erklärt. Während dieser Aufruf hierzulande nur wenig Wiederhall fand, hätten die Frauen der Zapatistas geantwortet und herausgearbeitet, wo sich gemeinsame Ansätze ausmachen lassen, um sich auf basisdemokratischer Ebene zu organisieren. Wenn wir die Frauenkämpfe nicht voranbringen und die Frauenemanzipation nicht bis zu dem Punkt treiben, an dem keine Frau irgendwo auf der Welt mehr unterdrückt wird, Gewalt erleben muß oder an der Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechtes gehindert wird, werde es auch keine soziale Revolution geben, so das Credo ihrer fortgesetzten Zusammenarbeit.

Dies, so Kiechle, sei der Geist dessen, was derzeit als Frauenstreikbewegung existiert. Für sie gebe es nicht nur den 8. März, wiewohl das ein guter, weil weltumspannender Anlaß sei, sondern Frauenstreikbewegung heiße "365 Tage im Jahr für unsere Sachen einzutreten, damit wir einen Punkt erreichen können, an dem tatsächlich die Welt stillsteht, wenn wir die Arbeit niederlegen."


Transparent 'Feminismus bleibt antirassistisch' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Unteilbar und inklusiv
Foto: © 2019 by Schattenblick


Nicht nur am 8. März, sondern immer und überall

In der viel zu kurzen verbleibenden Zeit nach dem Vortrag Kiechles wurden noch einige Fragen gestellt und Probleme angesprochen, die zeigten, wie groß der Gesprächsbedarf zur Frauenstreikbewegung ist. Die Referentin wies noch einmal auf die bei aller Gleichstellungspolitik unverändert existierenden Privilegien von Männern hin, die auch von denjenigen genutzt würden, die innerhalb des Klassenwiderspruchs nicht zur Bourgeoisie gehörten. Auch diese Männer akzeptierten die Rechte der Frauen häufig nicht in vollem Umfang, weil es ihnen mehrheitlich zum Nachteil gereiche. Das gehe bis zu trivial erscheinenden Fragen der Haushaltsarbeit, die nicht zu gleichen Teilen bewältigt würden, sondern weiterhin auf den Schultern der meist ebenfalls berufstätigen Frauen lasteten.

Die Referentin erinnerte an die Lage der Frauen in den Ländern des Südens, wo etwa in den Textilfabriken Bangladeshs, Indiens und neuerdings Äthiopiens meist Frauen mit ihrer Arbeit ganze Familien ernähren und trotzdem so wenig verdienen, daß es nicht zum Leben reicht. Sie würden bevorzugt eingestellt, weil sich ihr Lohn leichter drücken läßt. Ihr gehe es beim Frauenstreik nicht nur um den Aufruf zu einer Aktionsform, sondern zu einer inhaltlichen Debatte, bei der die Frage um die politische Positionierung des Feminismus im Mittelpunkt stehe. In Deutschland stelle die Frauenbewegung im Moment noch keine zentrale politische Kraft dar, ohne eine solche werde es aber auch keine breite Mobilisierung geben. Wichtig sei nach wie vor die Frage, worin die Qualität des Frauenstreiks liege, so Kiechle, die am Beispiel der Stadt Freiburg schilderte, was zu kurz kommen kann. So hätten viele Frauen aus dem universitären Bereich das Frauenstreikkomitee gebildet, Veranstaltungen organisiert und Aktionen durchgeführt. Sie hätten allerdings zu spät gemerkt, daß es an der Universität auch berufstätige Frauen wie Sekretärinnen oder Reinigungskräfte gebe, zu denen keine Kommunikation bestand, so daß die Aktivistinnen auf den Kreis der Studierenden beschränkt blieben.

Kiechle fehlt es an Bemühungen darum herauszufinden, womit die Herrschenden in einer bestimmten Situation am meisten zu treffen seien, um die größten Spielräume für die Frauenbewegung zu entwickeln. Das gehe über die Auseinandersetzung um das Selbstbestimmungsrecht der Frau hinaus, wiewohl das ein guter Maßstab für gesellschaftlichen Fortschritt sei. Am Aktionstag für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen sei die Auseinandersetzung mit der AfD und mit Neonazis, die solche Anlässe für ihre Propaganda nutzten, zu kurz gekommen. Es gelte, die Kräfte zu bündeln, um zumindest eine große Mobilisierung zum 8. März zu schaffen, nur dann sei die Frauenbewegung in der Bundesrepublik in der Lage, zu feministischen Massenbewegungen wie in der Schweiz oder Spanien aufzuschließen. Dafür bedürfe es noch viel Basisarbeit. Frauen sollten mutig das Gespräch mit den Nachbarn und den Kolleginnen am Arbeitsplatz aufnehmen, um Diskussionen zu entfachen, die auch streitbar geführt werden können. Sie sollten sich nicht davor scheuen, sich als Feministinnen zu bezeichnen und anderen Frauen damit zu zeigen, daß es Menschen gibt, die den Kampf um ihre Rechte in die Hand nehmen.

Aus dem reichhaltigen Angebot an Buchpräsentationen stach diese Veranstaltung dadurch hervor, daß explizit zur Sache künftiger Aufgaben und zu führender Kämpfe gesprochen wurde. Dem Interesse der vielen jüngeren Zuhörerinnen war anzumerken, wie sehr sie sich für konkrete Fragen der Mobilisierung und inhaltlichen Positionierung interessierten. Gerade in Hinsicht auf die anwachsende Handlungsfähigkeit der Neuen Rechten, ihren maskulin geprägten Habitus und das aggressive Propagieren antifeministischer Parolen ist die unabgegoltene Emanzipation der Frau und die Kritik der naturalistischen patriarchalen Geschlechterdoktrin von zentraler Bedeutung. Steht die Frage einer Positionsbestimmung dessen, was in der ideologischen Unbestimmtheit politischer Bewegungen heute als links verstanden kann, im Raum, dann bietet das Insistieren auf ihren antirassistischen, antisexistischen und antipatriarchalen Gehalt ein zuverlässiges Kriterium, um die Aufladung vermeintlich kapitalismuskritischer Rhetorik mit deutschnationalen, antisemitischen und sozialrassistischen Motiven als antiemanzipatorisch und reaktionär herauszustellen.


Fußnoten:


[1] In eigener Übersetzung aus der Einleitung des TSS Journals "Power Upside Down. Women's Global Strike"
https://www.transnational-strike.info/wp-content/uploads/TSSJ-03_Power-Upside-Down.pdf

[2] https://www.schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbrb0106.html

[3] Brigitte Kiechle: Frauen*streik, Stuttgart 2019, S. 7

[4] https://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar704.html

[5] https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2019/11/22/1000_euro_fuer_ein_kind_nigerias_problem_mit_babyfabriken_dlf_20191122_0750_b1eb30ab.mp3

[6] https://www.dw.com/de/marokko-keine-zwangshochzeit-mehr-nach-vergewaltigungen/a-17383505

[7] https://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0119.html

[8] https://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0124.html


28. November 2019


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