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GRENZEN/032: Menschenrechtsgerichtshofs zum Flüchtlingsschutz auf Hoher See (Institut für Menschenrechte)


Deutsches Institut für Menschenrechte - 23. Februar 2012

Menschenrechtsinstitut bezeichnet Entscheidung des Menschenrechtsgerichtshofs zum Flüchtlingsschutz auf Hoher See als richtungsweisend

(Fall Hirsi und andere gegen Italien)


Berlin - Das Deutsche Institut für Menschenrechte begrüßt die heute ergangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die es als richtungsweisend für den Schutz von Flüchtlingen auf Hoher See bezeichnet. "Die Menschenrechte enden nicht an den Außengrenzen der EU, sie gelten auch auf Hoher See", so Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte. "Die Staaten können sich ihren Verpflichtungen auch nicht durch den Abschluss bilateraler Abkommen entziehen. Diese Klarstellungen des Gerichtshofs müssen auch von Deutschland im Kontext europäischer Flüchtlingspolitik beachtet und umgesetzt werden", so Rudolf weiter. Die Entscheidung sei für die europäische Flüchtlingspolitik von erheblicher Bedeutung, da alle Mitgliedstaaten der EU-Vertragsstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention seien.

Der Gerichtshof hat einstimmig festgestellt, dass Italien die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt hat. Italienische Sicherheitsbeamte hatten im Mai 2009 Flüchtlinge auf Hoher See gestoppt und auf einem italienischen Militärschiff nach Libyen zurückgeführt.

Der Gerichtshof hat klargestellt, dass sich die Vertragsstaaten ihren Verpflichtungen aus den Menschenrechten nicht entziehen können, indem sie Grenzkontrollen auf die Hohe See vorverlagern. Die Staaten sind an die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden, sobald sie Hoheitsgewalt ausüben. Das ist der Fall, wenn ihre Schiffe Flüchtlinge auf Hoher See aufgreifen und verhindern, dass die Betroffenen ihre Rechte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention geltend machen können.

Nach der Europäischen Menschenrechtskonvention hat jeder Mensch, der Schutz vor schweren Menschenrechtsverletzungen sucht, das Recht auf Zugang zu einem Verfahren, in dem sein Antrag auf Schutz individuell geprüft wird. Personen, denen bei Zurückweisung oder Abschiebung Menschenrechtsverletzungen wie Folter oder unmenschliche Behandlung drohen, haben ein Recht auf Schutz. Zudem müssen den Betroffenen im Falle einer Ablehnung ihres Schutzantrages effektive Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Hendrik Cremer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut, unterstrich, dass das Urteil in einer Reihe von Entscheidungen stehe, in denen der Europäische Menschenrechtsgerichtshof die Mitgliedstaaten der EU an ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen erinnern müsse. "Die Entscheidung hat sowohl Bedeutung für die Rechtssetzungsorgane der EU als auch für ihre Mitgliedstaaten. Deutschland muss sich dafür einsetzen, dass die menschenrechtlichen Standards auf Hoher See und an den Außengrenzen der EU eingehalten werden", so Cremer. Dazu gehöre auch, dass sich Deutschland auf EU-Ebene für klare und verbindliche Regelungen einsetze. Gleichzeitig müssten Mandat und Ausrichtung der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex auf den Prüfstand. "Sofern nicht eindeutig und effektiv gewährleistet ist, dass die Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention eingehalten werden, sollte Deutschland auch jegliche Unterstützung und Beteiligung an Frontex-Einsätzen einstellen", so Cremer weiter.

Sachverhalt:
Der Gerichtshof hatte in dem Fall (Hirsi und andere gegen Italien) zu entscheiden, ob es mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar ist, dass Italien im Mai 2009 südlich von Lampedusa Flüchtlinge auf Hoher See gestoppt und auf einem italienischen Militärschiff nach Libyen zurückgeführt hat. Bei den Beschwerdeführenden handelt sich um 24 Personen aus Somalia und Eritrea, die ihre Fahrt auf dem Mittelmeer von Libyen aus gestartet hatten.

Das Urteil des EGMR:
http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/index.php?RDCT=142eb68b50165aa896a9

Literatur zum Thema:
Ruth Weinzierl/Urszula Lisson: Grenzschutz und Menschenrechte.
Eine europarechtliche und seerechtliche Studie
http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/index.php?RDCT=62c42996093bc815efa9
Deutsches Institut für Menschenrechte. Berlin 2007

Ruth Weinzierl: Menschenrechte an der EU-Außengrenze.
Empfehlungen an die Bundesregierung
http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/index.php?RDCT=5f446843c74238dd2e0a
Policy Paper, Deutsches Institut für Menschenrechte. Berlin 2007


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Quelle:
Pressemitteilung vom 23. Februar 2012
Deutsches Institut für Menschenrechte e. V.
Zimmerstr. 26/27, 10969 Berlin
Telefon: +49 30 259 359 0, Telefax: +49 30 259 359 59
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www.institut-fuer-menschenrechte.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2012