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GRENZEN/167: Humanitäre Notlage an Bord der Sea-Watch 3 (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro München

Humanitäre Notlage an Bord der Sea-Watch 3

Von Johannes Bayer, Sea-Watch e.V. [1], 27. Juni 2019


Weil sich die Situation der 42 auf der Sea-Watch 3 verbliebenen Menschen 15 Tage nach ihrer Rettung verzweifelter denn je darstellte, sah sich unsere Kapitänin Carola heute gezwungen, wegen der Notlage in italienische Hoheitsgewässer hineinzufahren.

Gestern hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verweigert, Italien in Berufung auf Artikel 39 anzuweisen, unsere Gäste an Land gehen zu lassen. Eine dafür notwendige Notsituation sei nicht gegeben, lautete das mutlose und offensichtlich politisch motivierte Urteil der Straßburger Richter*innen.

Kapitänin Carola entschied heute, dass die Lage an Bord ein humanitärer Notfall sei, den sie so nicht weiter verantworten kann. Ich unterstütze Carolas Entscheidung voll und ganz. Keine europäische Institution ist bereit, Verantwortung zu übernehmen und die Menschenwürde an der europäischen Grenze im Mittelmeer zu wahren. Deshalb müssen wir die Verantwortung selbst übernehmen. Wir fahren in italienische Gewässer, da es keine anderen Möglichkeiten mehr gibt, die Sicherheit unserer Gäste zu gewährleisten, deren Grundrechte lange genug verletzt wurden.

Haidi Sadik, auf der Sea-Watch 3 als Cultural Mediator aktiv, macht klar: "Wir haben Menschen an Bord, die in Libyen Schreckliches erlitten haben, die schwer gefoltert wurden, aber auch unabhängig davon muss jede auf See gerettete Person per Gesetz an einen sicheren Ort gebracht werden. Dies sind Menschen mit grundlegenden Bedürfnissen und elementaren Rechten. Eine Rettungsaktion ist erst dann abgeschlossen, wenn jede einzelne gerettete Person mit beiden Beinen auf dem Boden steht".

Zur Erinnerung: Schon vor Tagen haben sich zahlreiche deutsche Städte bereiterklärt, die Schiffbrüchigen aufzunehmen. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat sich vehement für die Geflüchteten starkgemacht und die Zuweisung eines sicheren Hafens gefordert. Italienische Kirchenvertreter sind bereit, entstehende Kosten zu übernehmen. Trotzdem stellt sich Italiens Innenminister Matteo Salvini bis heute quer und macht - gemeinsam mit der wegschauenden EU - die grundlegende Menschenwürde, die für alle gelten muss, abhängig vom Pass.

Für Sea-Watch kann die heutige Entscheidung, die Menschen in Sicherheit zu bringen - so richtig sie auch ist - schwerwiegende Folgen haben. Inzwischen ist das sogenannte Salvini-Dekret in Kraft, das NGOs mit Geldstrafen in Höhe von 50.000 EUR bedroht, wenn sie mit Geretteten in italienische Hoheitsgewässer fahren.

Da wir Spenden an Sea-Watch dem deutschen Vereinsrecht folgend nicht für juristische Strafen nutzen dürfen, hat unser ehemaliges Vorstandmitglied Matthias Kuhnt einen Rechtshilfefonds ins Leben gerufen, um zukünftig für solche Kosten aufkommen zu können. Wir bitten an dieser Stelle eindringlich, noch heute für diesen Fonds zu spenden. Leider sind diese Spenden nicht steuerwirksam (es gibt keine Spendenquittung), aber zum jetzigen Zeitpunkt ein enorm wichtiger Rückhalt für unsere Kapitänin und ihrer Crew!

Johannes Bayer
Vorsitzender Sea-Watch e.V.


Anmerkung:

[1] https://sea-watchorg.mail139.now.sh/


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Reto Thumiger
E-Mail: redaktion.berlin@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2019

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