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ITALIEN/022: Immunitätsausschuss des Senats beantragt Ausschluss von Berlusconi (Gerhard Feldbauer)


Immunitätsausschuss des Senats beantragt Berlusconi aus Senat auszuschließen

Ex-Premier attackiert Richter als "Handlanger der Linken"

von Gerhard Feldbauer, 20. September 2013



Der Immunitätsausschuss des italienischen Senats hat am Mittwoch (18.09.2013) mit 15 zu 1 Stimmen für den Ausschluss des Ex-Premier Silvio Berlusconi aus der zweiten Kammer des Parlaments gestimmt. Die Senatoren von Berlusconis Partei Volk der Freiheit (PdL) und der Lega Nord nahmen nicht teil. Der Beschluss folgt einem im Dezember 2012 verabschiedeten Antikorruptionsgesetz, nach dem niemand, der zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilt wurde, für das italienische Parlament kandidieren oder Abgeordneter bzw. Senator sein darf. Berlusconi wurde nach zahlreichen Strafverfahren im August 2013 in letzter Instanz rechtskräftig wegen Steuerbetrugs und Korruption zu vier Jahren Haft verurteilt, wovon er drei Jahre nicht verbüßen muss. Weitere Verfahren laufen, darunter eines wegen Sex mit einer minderjährigen Prostituierten und Amtsmissbrauch.


Abfuhr beim alten Industrieadel

Soeben hat der Kassationsgerichtshof in Rom, die dritte und letzte Instanz im italienischen Strafrechtssystem, ein weiteres Urteil gefällt und Berlusconis Fininvest-Holding zur Zahlung einer Entschädigung von 541 Millionen Euro an die Mailänder Industriegruppe CIR (Compagnie Industriali Riunite) verurteilt. Auch wenn Berlusconi wegen Verjährung nicht mehr selbst belangt werden konnte, ist der Richterspruch ein vernichtendes Urteil. Die CIR ist nicht irgendein beliebiges Unternehmen, sondern eine von der Familie De Benedetti, einem der ärgsten Widersacher Berlusconis, kontrollierte Industrieholding und eines der größten börsennotierten Unternehmen Italiens. Ein deutliches Zeichen, dass der als Newcomer abqualifizierte Milliardär und reichste Unternehmer des Landes beim alten Industrieadel keinen Rückhalt mehr hat. Bei einer Teilübernahme der CIR, mit der er mehrere Zeitungen und den Montadori-Verlag an sich brachte, hatte sich Berlusconi durch Bestechung eines Richters die Zustimmung verschafft.


Eine langwierige Prozedur

Berlusconi machte geltend, das Antikorruptionsgesetz dürfe nicht rückwirkend angewandt werden. Der ihm zur Last gelegte Straftatbestand liege ein Jahrzehnt zurück. Die Justiz argumentiert, das Verfahren habe nicht geruht, es sei keine Verjährung eingetreten und das Urteil rechtskräftig im August dieses Jahres gefällt worden. Damit ist die Prozedur aber noch nicht zu Ende. Über den Beschluss des Ausschusses muss das Plenum des Senats noch entscheiden, was Ende September, Anfang Oktober erwartet wird. Dann hat das Mailänder Gericht festzulegen, wie viel Jahre der Ex-Premier keine öffentlichen Ämter bekleiden, also auch nicht für Wahlen kandidieren darf. Dagegen kann Berlusconi nochmals Berufung einlegen und erst der Oberste Gerichtshof kann dann das letztendliche Urteil fällen. Dazwischen muss Berlusconi entscheiden, ob er seine Reststrafe von einem Jahr unter Hausarrest oder mit Sozialarbeit verbüßen will, oder beim Staatspräsidenten ein Gnadengesuch einreicht.


"Aufs Schlachtfeld gegen die Linke"

Berlusconi reagierte noch vor der Abstimmung in einer über seine Privatsender verbreiteten Video-Botschaft mit wütender Hetze und bezeichnete sich als unschuldig Verurteilter. Er werde "Politik auch außerhalb des Parlaments machen", womit er erstmals die Möglichkeit seines Ausschlusses einräumte. An Stelle seiner zerstrittenen PdL, deren Unterstützung er nicht mehr sicher ist, will er seine 1993 gegründete Partei Forza Italia erneuern. Seine Anhänger rief er in einem "letzten Appell vor der Katastrophe" auf, mit ihm "aufs Schlachtfeld gegen die Linke" zu ziehen. In einem, wie "Unita" schrieb, regelrechten "Urbi et Orbi", appellierte er, sie sollten als "Missionare der Forza Italia" für ihn handeln. Der Vorsitzende der Demokratischen Partei (PD) Guglielmo Epifani nannte die Rede "verantwortungslos" und im "Ton des kalten Krieges" gehalten. Entgegen vorherigen ständigen Ankündigungen forderte Berlusconi keinen Bruch mit der Regierung.


"Unita": Berlusconi bereits gestürzt

Den Hintergrund dafür bildet, wie Beobachter in Rom äußern, dass die öffentliche Meinung sich zunehmend gegen den Medientycoon richtet und die PdL im Kabinett mehr Störfeuer geben kann. Die "Unita" schrieb "im Grunde ist Berlusconi bereits gestürzt und das weiß er auch". Der Vorsitzende der Linkspartei Umwelt und Freiheit (SEL), Nichi Vendola, sagte, dass Berlusconi nicht aus eigenen Stücken zurücktrete, sei eine "Ausnahme im Panorama der westlichen Demokratien". In anderen Ländern würden Politiker bereits das Handtuch werfen, wenn einfache Ermittlungen gegen sie eingeleitet werden. Premier Enrico Letta (PD) hatte erklärt, er werde "sich nicht erpressen" lassen, EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso hat vor einem Sturz der Regierung gewarnt.


Rückhalt in eigener Partei schwindet

Selbst der Fraktionschef der PdL in der Abgeordnetenkammer, Renato Brunetta, befürchtet, ein Sturz der Regierung durch die PdL könnte zu einem Linksruck führen. Nicht wenige in der Partei sehen Berlusconi mehr und mehr als eine Belastung und möchten, dass er sich zurückzieht. Laut Sondierungen könnte die PdL jetzt bei Neuwahlen, so Brunetta, nur noch mit etwa einem Viertel der Wähler rechnen, während sie im März dieses Jahres noch mit rund einem Drittel in der Abgeordnetenkammer auf Platz zwei und im Senat zu einem Patt mit der PD kam. Dafür spricht auch, dass 20 Parlamentarier der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) bekannt gaben, ihre Partei zu verlassen, um eine mehrheitsfähige Koalition aus PD und SEL aufzubauen.

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Quelle:
© 2013 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2013