Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → POLITIK

ITALIEN/071: Staatspräsident Napolitano kündigt Rücktritt für Mitte Januar 2015 an (Gerhard Feldbauer)


Staatspräsident Napolitano kündigt seinen Rücktritt jetzt für Mitte Januar 2015 an

Generalstreik gegen Jobs act verurteilt
Neuwahlen, die die Kollaboration Premier Renzis mit Berlusconi beenden könnten, lehnte er ab

von Gerhard Feldbauer, 19. Dezember 2014



Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano hat den Spekulationen über den Zeitpunkt seines Rücktritts ein Ende gesetzt und erklärt, dass er nur noch bis Mitte Januar 2015 im Amt bleiben werde. Nachdem er das bereits am Dienstag in einer Rede vor führenden Repräsentanten des Staates und der Gesellschaft gesagt hatte, bekräftigte er diesen Zeitpunkt am Donnerstag auf einem Empfang für das diplomatische Korps zum Jahreswechsel, wobei er sich jedoch nicht auf den Tag genau festlegte. Der Chef der Protestbewegung M5S, Beppe Grillo, verlangte deshalb, er solle sich exakt festlegen. Während der Staatschef sich vor den Diplomaten auf eine Tour d'Horizon beschränkte, hatte er sich zwei Tage vorher zu grundsätzlichen Fragen des Regierungskurses Renzis geäußert. Mit der Forderung an die Gewerkschaften, zum Dialog zurückzukehren, stellte der frühere Führungskader im Politbüro der PCI sich ausdrücklich hinter dessen gewerkschaftsfeindliche Politik und verurteilte den Generalstreik von Millionen am Freitag vergangener Woche. Die Gewerkschaften haben die Äußerungen des Staatsoberhauptes vorerst mit Schweigen übergangen und ließen Leser der regierungsnahen "Repubblica" zu Wort kommen, von denen einer schrieb, das sei mit demokratischen Prinzipien nicht zu vereinbaren.


Lob für arbeiterfeindlichen Kurs Renzis

Ausdrücklich lobte Napolitano in seiner vom Fernsehen übertragenen Rede am Dienstag die in der sozialdemokratischen Regierungspartei (Demokratische Partei - PD), der er selbst angehört, heftig umstrittene Arbeitsmarktreform, (Jobs act), die den Kündigungsschutz für die Beschäftigten beseitigt und Hunderttausende in die Arbeitslosigkeit stürzen wird. Mit dem "Stabilitätsgesetz" der Regierung drohen breiten Bevölkerungsschichten, besonders den Arbeitslosen und Rentnern, neue soziale Verschlechterungen. Napolitano nannte diesen "Weg der Reformen" jedoch "richtig" und mahnte, bei der Verwirklichung "keine Zeit" zu verlieren. Entschieden verurteilte er die Absicht der linken Minderheit in der PD, aus Protest gegen den Rechtskurs des Partei- und Regierungschefs auszutreten, und rief "zur Einheit der Partei" auf.


Angst vor Auftrieb der Linken

Der Staatschef äußerte sich zu den in der PD und der Linkspartei SEL erhobenen Forderungen, der Kollaboration Renzis mit der rechtsextremen Forza Italia (FI) von Ex-Premier Berlusconi durch vorgezogene Neuwahlen ein Ende zu setzen. Renzi hatte die Regierungsdekrete zu den Reformen im Senat mit Hilfe der FI-Stimmen durchgesetzt. Obwohl von der Nachrichtenagentur ANSA am Mittwoch veröffentlichte Prognosen der PD mit derzeit 38 Prozent einen haushohen Wahlerfolg voraussagen, während der in einer Krise steckenden FI nur noch 13 Prozent (gegenüber 29,18 bei den Wahlen im Februar 2013) zugerechnet werden, wandte sich Napolitano gegen einen neuen Wahlgang. Er befürchte, das könnte "das Gespenst der Instabilität wieder heraufbeschwören". Stimmen der SEL und der Kommunisten (PdCI und PRC) oder von der kommunistischen Zeitschrift "Contrepiano" vermerkten, dass Napolitano wohl vor allem befürchtet, Wahlen könnten den Linken Auftrieb verschaffen.


Staatssilber wird verscherbelt

Zu Neuwahlen herrscht zwischen Staats- und Regierungschef jedoch keine Übereinstimmung. Renzi hat angedroht, wenn seine weiteren Reformen zur Auflösung des Senats sowie zur Annahme eines neuen Wahlgesetzes nicht die erforderliche Mehrheit erhalten, zurückzutreten, was Neuwahlen erfordern würde. Kurzfristig plant Renzi, durch weitere Teilprivatisierungen staatlicher Unternehmen zehn Mrd. Euro in die leeren Staatskassen zu bringen, um das Haushaltsdefizit abzubauen. Der Verkauf betrifft Post und Staatsbahn, die Fluglinie Enav und den Energiekonzern Enel. Auch dieses Verscherbeln des Staatssilbers stößt auf scharfe Kritik der Gewerkschaften, nicht zuletzt, weil auch hier der Abbau von Arbeitsplätzen befürchtet wird.


Draghi bereits für Nachfolge in Stellung gebracht

Auch der von Renzi verfolgten Beseitigung des 1946 bei der Proklamation der Republik hingenommenen Senats als Zweiter Kammer stimmte Napolitano zu. Das Dilemma ist hier, dass die Auflösung des Senats in dieser Form (er soll zahlenmäßig reduziert und mit einigen Beratungsrechten weiter bestehen) ebenfalls der Zustimmung der FI bedarf. Während die Linken das Problem eben durch vorgezogene Neuwahlen lösen wollen, begünstigt der Staatschef, dass Renzi das auf dem Weg eines neuen Kuhhandels mit Berlusconi ausmacht. Die Entscheidung darüber soll Anfang Januar fallen. Um den Prozess noch selbst zu kontrollieren, hat Napolitano wohl seinen ursprünglich für den 31. Dezember angekündigten Rücktritt korrigiert und will nun bis Mitte Januar im Amt bleiben. Die Machtprobe um die Nachfolge ist bereits im Gange. Von Mitte Links wird der mehrmalige Chef linker Zentrumsregierungen Romano Prodi, favorisiert. Ihn will M5S unterstützen, womit er eine Mehrheit bereits im ersten Wahlgang (der eine Zwei-Drittel-Mehrheit verlangt) erhalten könnte. Gegen ihn bringt die Rechte als "Kompromisskandidaten" bereits den EZB-Präsidenten Mario Draghi in Stellung. Es wird befürchtet, Renzi könnte dem in einem neuen Kuhhandel mit Berlusconi zustimmen.

*

Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Dezember 2014


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang