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ITALIEN/079: Renzi verscherbelt das Tafelsilber (Gerhard Feldbauer)


Renzi verscherbelt das Tafelsilber

Privatisierung zahlreicher Staatsbetriebe soll in Rom leere Staatskasse auffüllen

von Gerhard Feldbauer, 27. Februar 2015


Die Auflösung des Senats als zweiter Kammer, die jährlich ein Dutzend Milliarden Euro ein sparen soll, kommt nicht voran. Aus Brüssel wächst der Druck, dass Haushaltsdefizit von 2.200 Mrd. Euro (133 Prozent des BIP) abzubauen. In dieser prekären Lage zieht Premier Renzi die Notbremse und verscherbelt das Tafelsilber. Wie La Repubblica schrieb, setzt er ganz oder teilweise zu großen Verkäufen von Staatsunternehmen an. Als erstes sind 5,7 Prozent des Energieunternehmens Enel für 2,2 Mrd. Euro abgestoßen worden. 51 Prozent sollen in Staatshand verbleiben. Die Verstaatlichung des Unternehmens war 1963 der Preis, den die Democrazia Cristisna (DC) an die Sozialisten für deren Eintritt in die Regierung zahlte.


Lukrative Unternehmen stehen zur Disposition

2,2 Mrd. sind, wie La Repubblica bemerkt, "viel zu wenig", denn es werden als erstes mindestens zwölf Mrd. benötigt. Auf der Abschussliste stehen deshalb Großbetriebe wie die Fincantieri-Werft, die Post oder die Flugaufsicht Enav. Mit 20.000 Beschäftigten ist Fincantieri die viertgrößte Werft der Welt, wird aber nur auf 1,5 Mrd. Euro veranlagt. Lukrativer sieht es bei der Post aus, die gleichzeitig als Finanzdienstleister agiert und mit etwa 140.000 Mitarbeitern einen Jahresgewinn von 24 Mrd. Euro und 1 Mrd. Nettogewinn erwirtschaftet. Sie ist noch zu 100 Prozent in Staatshand. 40 Prozent davon sollen abgegeben werden, wofür Einnahmen von 10 bis 12 Mrd. Euro veranschlagt werden.


Grundlagen für Verteidigung nationaler Unabhängigkeit

In Italien entstand nach 1945 ein staatskapitalistischer Sektor, wie es keinen zweiten in Westeuropa gab. Zu ihm gehörte die 1953 von dem katholischen Partisanenkommandeur und Chemieunternehmer Enrico Mattei gebildete Ente Nazionale Idrocarburi (ENI), die nicht nur der größte Konzern für Erdölprodukte ist, sondern auch der zweitgrößte in der Grundstoffchemie und der größte in der Textilwirtschaft. Mattei, ein Freund Aldo Moros, sicherte mit ihr die Unabhängigkeit der italienischen Erdölversorgung von den USA, weswegen er 1962, wie später Moro bei einem Attentat der CIA, ausgeführt von ihrer Gladio-Truppe, umgebracht wurde. In dem aus der Zeit des Faschismus in Staatshand übernommenen Institut für industriellen Wiederaufbau (IRI) konzentrierte der Staat etwa 20 Prozent des nationalen Aktienkapitals und in Großunternehmen wie Italsider (Stahl- und Werften), Alfa Romeo (Automobilindustrie) sowie im Bankensektor. Der Staat kontrollierte auch das drittgrößte Industriekonglomerat Montedison, einen in der Chemischen Industrie/Petrochemie, Pharmazie und Energie angesiedelten Mischkonzern mit 120.000 Beschäftigten. Insgesamt zählten die Staatsunternehmen einige Tausend Großbetriebe, von denen in den 1990er Jahren bereits etwa 600 Beteiligungen aufgegeben wurden.


Basis für Erkämpfung von Arbeiterrechten

Der starke staatskapitalistische Sektor war eine wichtige Basis für die Erkämpfung umfangreicher sozialer und Arbeiterrechte, so auch des jetzt beseitigten Kündigungsschutzes. Bis in die 1990er Jahre hinein mussten die Löhne automatisch an die Inflationsrate angepasst werden. Die großen Privatkonzerne mussten mitziehen. Die Existenz der Staatsunternehmen nährte die reformistische These, vom friedlichen Hineinwachsen in den Sozialismus und sollte die Arbeiterkämpfe in Zaum halten.


Manager kreierten Korruptionssumpf

Ein Neben- oder wohl besser Hauptprodukt war, dass die Staatsbetriebe unter den Mitte Links-Regierungen (Christdemokraten und Sozialisten) zu einer Domäne für Manager der Regierungsparteien wurden und ein Korruptionssumpf ohnegleichen entstand. Unrühmlich bekannt wurden sie durch die Korruptionsprozesse ("mani pulite" - saubere Hände) der 1990er Jahre, die offenlegten, dass die Manager ihren Parteiführungen, die ihnen diese Posten verschafften, Tangenten (Schmiergelder) in Millionen Dollar zukommen ließen. Das Turiner Einaudi-Institut errechnete damals, dass jährlich zehn Mrd. Dollar an Schmiergeldern flossen. Der langjährige Chef der ENI, Gabriele Cagliari, der beschuldigt wurde, das Unternehmen um 400 Millionen Dollar betrogen zu haben, beging in der Untersuchungshaft Selbstmord.


Gewerkschaften gegen Privatisierung

Die Gewerkschaften sind grundsätzlich gegen den Ausverkauf der Staatsbetriebe, die nur kurzfristig die Staatsverschuldung stoppen, aber längerfristig dem Abbau der Arbeiterrechte dienen. Sie haben durchgesetzt, dass bei der jetzigen Arbeitsmarktreform Entlassungen in den Staatsbetrieben vorerst ausgesetzt werden müssen.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. März 2015

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